Andreas Eschbach spricht als Probeleser in seiner Würdigung des Buches von einer Geschichte, die Menschen vor allem anspricht, die eigentlich keine Science Fiction Romane mögen. Die Art von Romanen, die Andreas Eschbach auch seit vielen Jahren so erfolgreich zu schreiben sucht. Grundsätzlich hat Andreas Eschbach recht, denn wenn ein Buch gut geschrieben und vor allem unterhaltsam ist, sollte das Genre ein zweitrangig sein. Aus Science Fiction Sicht haben diese Romane mit ihrer Idee, ein breiteres Publikum anzusprechen, allerdings auch ein großes Manko. Nicht selten werden alte Hüte des Science Fiction Genres grell und auffällig verpackt und einem Publikum angeboten, für das diese Art der Erzählung wirklich neu ist. Weil sie nicht hinter die Kulissen geschaut haben. Auf der anderen Seite haben die reinen Science Fiction Fans mit diesen nicht selten auch in die Nähe von oder gar auf Bestsellerlisten stürmenden Romane das Manko, das sie alt bekannte Ideen durchkauen.
Unter diesem Manko leidet auch der grundsätzlich gut geschriebene Thriller „Skabma- Das Nanobot Experiment“. Das Buch erschien in der Edition Roter Drache und der Autor des Klappentextes nimmt eine wichtige Sequenz vor. Unverständlich, denn bis dahin ist die Entwicklung dieser Szene, beginnend mit einem besonderen Teddy, gut verklausuliert erzählt und könnte ein überzeugendes wie überraschendes Element sein. Der erste Höhepunkt in diesem stringent entwickelten Thriller. Leider wird nur der Protagonist Aslak Järvi überrascht, aber nicht mehr der Leser.
Zuerst zum Thema Nanobots. Schon 2002 hat sich Michael Crichton in dem Roman „Beute“ ( im Original Prey) mit diesem Thema nicht unbedingt als erster, aber auf jeden Fall sehr spektakulär auseinandergesetzt. Auch „Beute“ ist ein Zwitterbuch. Vermarktet als Thriller handelt es sich um eine (noch) reine Science Fiction Geschichte. Bei Crichton sind es die amerikanischen Militärs, welche mit Nanobots experimentieren, bei Jacqueline Montemurri ist es ein reicher, ein wenig sadistisch veranlagter Unternehmer, der nach einer experimentellen ersten Phase Geld einsammelt, um eine zweite deutlich umfangreichere Entwicklungsphase einzuleiten. Das Geld kommt natürlich aus obskuren Quellen, dem russischen Untergrund.
Bei Crichton sind die Nanobots entwichen und drohen Jagd auf die Menschen zu machen, ihre neue Beute. Bei Jacqueline Montemurri haben die Nanobots eine andere Funktion. Durch die Hirnschranke eindringend übernehmen sie quasi die Kontrolle und warten drauf, dass sie den Willen der betroffenen Menschen brechen und sie zu Sklaven eines anderen Herren machen. Sie können die Menschen zu Taten zwingen, denen sie sich nicht widersetzen können. Erstaunlicherweise funktionieren die Nanobots bei Elchen noch nicht, wie die Forscher herausfinden. Einer der Wissenschaftler stürzt aus einem Hubschrauber und wird zum ersten Toten dieses Romans. Der örtliche Polizist Aslak Järvi soll den Tod untersuchen, sein Onkel (und Ziehvater) ist der Pilot des Hubschraubers gewesen. Zusätzlich ist Aslak
In Stockholm wird eine hochrangige finnische Politikerin ermordet, die als Umweltsünderin gilt. Anscheinend handelt es sich um die Tat einer nordfinnischen Terrorgruppe, das Überwachungsvideo zeigt ein seltsames Tatoo an einem der Arme des Schützen. Der Bruder der eher verschlossenen, fast steifen, aber natürlich auch attraktiven wie blonden Schreibtisch Kommissarin Selma Fredriksson war einer der Personenschützer und wurde brutal umgebracht.
Um sie von weiteren Ermittlungen abzubringen, wird Selma Frederiksson nach Norden geschickt, um den Tod des Wissenschaftlers zu untersuchen. Sie muss mit Aslak Järvi zusammenarbeiten, der selbst Probleme mit seinem älteren Bruder Nils hat. Dieser scheint immer noch in Verbrechen verwickelt zu sein.
Jacqueline Montemurri spricht davon, dass es ihr auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, die endlosen Weiten Lapplands mit Nanotechnik zu kombinieren. Aber auf beiden Ebenen geht es der Autorin um eine Auseinandersetzung mit dem Thema des Verlusts der Freiheit. Einmal der inneren Freiheit durch die in Menschen eindringenden Nanobots, die jeglichen Willen ausschalten und dann um den Verlust der räumlichen Freiheit der Lappen, die mehr und mehr ihre natürlichen Lebensräume an den ökologischen Wandel nach der unbarmherzigen Ausbeutung der wenigen Bodenschätze verlieren. Hinzu kommt der Verlust der eigenen Identität, der eigenen Sprache. Der Kampf gegen das Manko, primitive Hinterwäldler zu sein.
Damit hat die Autorin ihre beiden Ziele definiert. In der Theorie stehen sie sich nicht konträr gegenüber, allerdings kann Jacqueline Montemurri zu Gunsten der Lesbarkeit ihres relativ stringenten und cineastisch erzählten Buches nur Schwerpunkte setzen. Aslan Järvi ist der Naturbursche, welcher der skeptischen Städterin Selma Frederiksson durch eine „Entführung“ die Natur nahe zu bringen sucht. Ihre unterkühlte, distanzierte Art und Weise; ihre Affinität zu Akten und nicht unbedingt zu Menschen zieht ihn auf eine unerklärliche Art und Weise an. Da steter Tropfen auch den Stein höhlt, beginnt Selma Frederiksson auch, sich in den ungewöhnliche Mann zu verlieben. Das ist handlungstechnisch keine Überraschung und nimmt bis zum bittersüßen Ende einen Großteil des Romans ein. Einige widersprüchliche Situationen, natürlich das entsprechende Misstrauen, da ausgerechnet Aslan das gleiche Tattoo trägt wie der Attentäter und sogar in Stockholm zum Zeitpunkt des Anschlags gewesen ist. Da können die Emotionen sich auch noch so sehr überschlagen, der Verstand gibt ein klares Signal. Spannungstechnisch ist der Leser insbesondere Selma Frederiksson mehr als einen Schritt voraus. Der Leser kennt aus der Struktur des Buches die einzelnen Zusammenhänge, was einzelne Passagen im mittleren Abschnitt eher schwerfällig erscheinen lässt.
Auf der emotionalen Ebene sind die Eckpfosten klar definiert. Aslak Järvi wird niemals in die Stadt ziehen, Selma Frederrikson tut sich mit der endlosen Natur ein wenig schwer. Diese Abschnitte nutzt die Autorin allerdings überzeugend, um dem Leser ihre persönlichen Eindrücke von den endlosen finnischen Weiten, der besonderen Lebensart im hohen Norden, zu vermitteln. Das wirkt dreidimensional, ist auch gut in die laufende Handlung eingebaut – von der Romanze ganz zu schweigen – und vermittelt einen guten Überblick, über die Vergangenheit dieses unwirtlichen, aber auch schönen Landes, die eher dunkle Gegenwart mit den industriellen Hinterlassenschaften des Rohstoffraubbaus und gibt angesichts des weiter nach Süden vordringenden Klimawandels auch einen düsteren Ausblick.
Der Verlust der Freiheit, des Lebensraums für die traditionsbewussten Menschen ist an vielen Stellen spürbar. Auf der anderen Seite verschließt die Autorin auch nicht ihren Blick vor der ökologischen Notwendigkeit, dass die Menschen auch arbeiten und Geld verdienen müssen.
Der eigentliche Thriller ist eher bodenständig entwickelt. Der raffgierige Schurke mit lüsternen Augen auf die schöne Kommissarin - man kennt sich eben in Stockholm- , der einen wichtigen Forscher durch einen Unfall verliert und damit die Kettenreaktion übersieht, die sich aus der hartnäckigen Ermittlung der beiden Polizisten ergibt. Verspielt will er die Macht seiner Nanobots in einer wichtigen Szene zeigen. Ohne das cineastische Beiwerk wäre das Buch an dieser Stelle zu Ende und die Bösen hätten gewonnen.
Der Leser verfolgt eher indirekt die Entwicklung der ersten Nanobot-Prototypen. Diese lassen sich zwar nachweisen, lösen sich nach dem Tod des Wirts durch das Absinken der Temperatur schnell auf. Echte Beweise wären nur am lebenden Objekt greifbar. Sie machen die Menschen gefügig und zu willigen Werkzeugen, die auf die Befehle sowohl aus der Nähe wie auch aus der Ferne reagieren. Der Widerstandswille wird gebrochen. Bei Rentieren funktioniert es nicht, weil der Instinkt stärker als der Verstand ist. Das perfekte Instrument abseits der üblichen Drogen, um sich nicht nur eine Privatarmee zu erschaffen, sondern vor allem auch die Attentäter im engsten Kreis den Opfern vertrauter Personen zu platzieren. Das wird alles effektiv, aber auch nicht besonders originell erzählt. Ähnliche Muster haben die Leser nicht nur in Michael Crichtons für seine Zeit bahnbrechenden Thriller gelesen. Die Forschung ist - nach dem Diebstahl von wichtigen Unterlagen durch einen führenden Wissenschaftler - in privater und damit kapitalistischer Hand. Der Chef der Firma ist gleichzeitig der Schurke, ihn interessieren weder ökologische Aspekte noch Menschen.
Im Epilog unterstreicht die Autorin in doppelter Hinsicht, dass Aslak und Selma nur einen Pyrrhussieg errungen haben. Ein Schurke denkt eben doch ein wenig komplizierter, aber nicht unbedingt komplexer als die örtliche Polizei. Es finden sich in dem Roman einige spannende und actionreiche Sequenzen, die sich sicherlich auch gut auf der kleinen wie großen Leinwand machen. Aber da die Motive des Schurkens und seine Vorgehensweise nicht zuletzt aufgrund des Klappentextes klar erkennbar sind, kommt vor allem in der ersten Hälfte des Buches zu wenig Spannung auf. Auch beim Attentat auf die Politikerin weiß der Leser, dass Aslak niemals direkt daran beteiligt gewesen sein könnte. Rückblickend stellt sich allerdings die Frage, ob Selma nicht auf den Gedanken kommt, Aslak könnte genauso unter einem Zwang gehandelt haben wie sie in der entsprechenden Szene. Damit wären beide vor ihrem Gewissen schuldig und vor dem Gesetz unschuldig. Aber dieser Bereich wird zu Lasten einiger langer Szenen mit einem unangenehm brutalen Verhör gleich ausgeklammert. Am Ende fügen sich die einzelne Ersatzteile gut zusammen und der Redefluss des Schurken zur falschen Zeit am falschen Ort mit den falschen Lauschern an der Wand führt zu einem zufriedenstellenden Ende. Aber als Plot wirkt vieles zu mechanisch, gut entwickelt, aber ohne das notwendige Herz niedergeschrieben. Unter einer vergleichbaren Schwäche litt auch Jacqueline Montemurris erster Roman “Der Koloss im Orbit”, welcher die gelungene und prämierte Exodus Kurzgeschichte teilweise enttäuschend extrapolierte.
Eine der großen Stärken dieses Buches ist die Zeichnung von Figuren. Die Schurken einmal ausgenommen, die eher eindimensional und pragmatisch charakterisiert werden.
Die Romane zwischen Aslak und Selma ist zwar immer am Rand des Kitsches angelegt - unterkühlte Blonde verliebt sich in Naturburschen mit wunderschönen Augen und lernt schließlich das Leben möglichst im Zelt unter den Polarlichtern zu genießen und er kann Gegensätzen nicht widerstehen - , unterhält gut. Die Annäherung erfolgt trotz widriger Umstände gemächlich. Es gibt immer wieder Rückschläge wie die falschen Verdächtigen; vielleicht auch der Sex mit sehr attraktiven Prostutierten in Stockholm; die Entführung in die freue Natur und schließlich auch die Verhörszene, aber sie kommen sich langsam wie stetig näher. In einzelnen Punkten denken sie ermittlungstechnisch sogar gleich. Nur sprechen können sie nicht. Zumindest nicht miteinander. Beide haben auf unterschiedliche Art und Weise ein Geschwisterteil verloren. Selma zu Beginn des Romans, Aslak im Kern auch. Manchmal will der Leser ihre Figuren schütteln, damit sie in der Tradition einer Rosamunde Pilcher Geschichte endlich zueinander finden und gemeinsam agieren, aber es dauert eben eine Weile.
Um Aslak und Selma hat die Autorin mehrere Nebenfiguren platziert, die sich erstaunlich gut im Laufe der Story entwickeln, an Dreidimensionalität gewinnen und vor allem dann nicht den Klischees entsprechen, die die Leser erwarten.
Die größte Stärke des Buches ist sicherlich die Beschreibung Lapplands, der Einwohner und schließlich auch der kulturellen Eigenheiten mit einem Schwerpunkt auf den Samen. Nicht umsonst wird Peter Hoegs Roman “Frl. Smillas Gespür für Schnee” erwähnt. Die Beschreibungen sind überzeugend, vermitteln einen sachkundigen Eindruck. Jacqueline Montemurri gibt zu, dass sie sich in die nordischen Weiten verliebt hat und an vielen Stellen spiegelt sich diese Liebe im vorliegenden Text auch wieder. Die Szenen sind gut ausgearbeitet und im Laufe der ansonsten sehr geradlinig erzählten Story finden sich immer wieder “Ruhephasen”, in denen die Protagonisten stellvertretend für den Leser die Naturschauspiele, aber auch die endlosen Weiten Nordfinnlands genießen können.
Zusammengefasst ist “Skabma- das Nanobot Experiment” ein solider Thriller, der an einigen Stellen eher mechanisch in relativ engen Actionthrillerbahnen entlang fließt; die Grundidee wird nicht wirklich ausreichend für Genrefans im direkten Kontrast zu Gelegenheitslesern von wissenschaftlichen orientierten Thrillern zufriedenstellend entwickelt, aber die Stärken liegen in der Zeichnung der Figuren und dem Lokalkolorit.

- Herausgeber : Edition Roter Drache; Deutsche Erstausgabe Edition (6. April 2023)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 452 Seiten
- ISBN-10 : 3968150619
- ISBN-13 : 978-3968150611
