Das Licht ungewöhnlicher Sterne

Ryka Aoki

In den frühen siebziger Jahren begeisterte  der Amerikaner Tom Robbins die Öffentlichkeit mit einer Handvoll ungewöhnlicher Romane wie „Even Cowgirls get the Blues“ – erfolgreich verfilmt – in denen alltägliche, normale Menschen mit ungewöhnlichen Herausforderungen und Schicksalen in ihrem Leben konfrontiert worden sind. „Das Licht ungewöhnlicher Sterne“ der Amerikanerin Ryka Aoki könnte sich als Science Fiction Horror Variante – beide Elemente sind vorhanden, diesen aber eher als Staffage – in diese Phalanx extravaganter, aber auch herausfordernd zu lesenden Romanen eingliedern. Die Geschichten um vier „Frauen“ ist emotional, vielleicht ein wenig kitschig, anrührend, nachdenklich stimmend, melancholisch und irgendwie auch optimistisch. Der Leser muss sich allerdings auf dieses Gefühlschaos, auf dieses stetige Hinterfragen von Möglichkeiten einlassen, damit die vielfältigen Charaktere aufblühen und sich entfalten können. Musik und Donuts sind die beiden konträre; die Hölle und eine interstellare Endzeitseuche die anderen Extreme. Dazwischen vier Protagonisten, umgeben von einer Vielzahl interessanter Nebenfiguren.

Ryka Aoki unterrichtet am Santa Monica College Englisch und Gender Studies. Sie sieht sich selbst ans Transgender und integriert diesen Teil ihrer Persönlichkeit auch in ihre Literatur, die bislang vor allem aus zwei Sammlungen mit Gedichten, sowie den Romanen „Why Dust Shall Never Settle Upon This Soul“ und dem vorliegenden „Light from Uncommon Stars“ besteht, der sowohl für den HUGO 2022 als bester Roman wie auch den Ray Bradbury Preis für Science Fiction, Fantasy und Spekulative Fiktion nominiert worden ist.

Der kambonianisch-amerikanische Donut König Ted Ngoy hat sie ein wenig beeinflusst. Sie sieht ihren Roman als einen literarischen Donut Laden, wobei nicht die ganze Handlung in einem Donut Geschäft spielt. Donut ist nur ein Teil der erlesenen Speisen, welche die Protagonisten in verschiedenen, nicht seltenen traditionellen und auf den Traditionen der Gründer basierenden kleineren Restaurants zu sich nehmen. Für die Seele ist die Musik zuständig.

Auch wenn sich der Plot in wenigen Schlagwörtern – ein Faust-Pakt und Außerirdische Flüchtlinge – auf den ersten Blick zusammenfassen lässt, ist es wichtig, sich der Geschichte über die Protagonisten zu nähern.

Shizuka Satomi war früher eine brillante Geigerin. Inzwischen sind alle Spuren ihrer Auftritte im Internet gelöscht, weil sie mit einem charmanten Dämonen einen Pakt eingegangen ist. Sie ist zu einer lebenden Legende geworden, die inzwischen nur noch als strenge, aber sehr erfolgreiche Lehrerin gefürchtet und geachtet wird.  Als Königin der Hölle soll sie den Dämonen sieben Seelen von besessenen Musikern, ihren Schülern zuführen, bevor sie wieder selbst Musik machen kann. Eine Musik, welche es nicht auf dieser Welt gibt und die der scheinbar dank der Dämonen nicht mehr alternden Frau hinter der Sonnenbrille ewigen Ruhm schenkt. Natürlich hat sie bislang sechs Schüler der Höhle überantwortet. Diese haben eine kurze Zeit unter ihrer Anleitung brilliert, bevor sie auf unterschiedliche Art und Weise rastlos zu Tode gekommen sind. Satomi befindet sich auf der Suche nach der siebten Seele, um den zeitlich befristeten Pakt einzuhalten. Die Zeit drängt also. Die ganze Welt wartet auf ihren nächsten Schüler.

Lan Tran ist die Kommandantin einer Raumschiffs, das ihre Familie – bis auf ihren Mann und den Vater ihrer Kinder – heimlich zur Erde gebracht hat. Angeblich um ein Raumzeit-Ttor zu öffnen, in Wirklichkeit aber, um der Endzeitseuche zu entkommen. Als perfekte Tarnung haben sie einen Donutladen übernommen. Das Raumzeit- Tor soll der gigantische Donut auf dem Dach sein.  Allerdings kommen die Donuts nicht mehr aus dem Backofen, sondern werden reproduziert. Anfänglich ist ihr Starrgate Donut – das zweite„R“ soll sie vor Klagen schützen – sehr beliebt, aber mehr und mehr bleiben die Kunden aus. Ihr Sohn beginnt gegen das Exil zu rebellieren und will seinen Vater treffen.  

Katrina Nguyen flieht von zu Hause. Ihr Vater ist gewalttätig und kann ihre Transsexualität nicht ertragen. Eine erste Geige hat er schon zerstört. Freunde wollten sie aufnehmen, nehmen sie aber nur aus. Sie verdient sich das Geld für die Miete, aber auch ihre Hormone durch Online Porn, aber auch Prostitution. Ihr Traum ist es, Musik zu machen, die auf den Videospiel Soundtracks basiert. Sie ist ängstlich, verstört, fast paranoid.  Aufgrund der bisher erfahrenen Ablehnung und ihren eigenen Minderwertigkeitskomplexen sieht sie jeden Menschen als potentiellen Feind an. Sie fürchtet, nicht als Künstler, sondern nur als Freak wahrgenommen zu werden.

Lucy Matias ist eine Geigenbauerin. Ihre Familie hat eine lange Tradition. Es gibt nur ein Problem. Sie ist eine Frau und damit (zumindest aus ihrer Perspektive) nicht würdig, die berühmten Geigen zu reparieren. Shizuka Satomi wird sie mehrmals in ihrem Laden aufsuchen, nachdem ein anderer Geigenbauer es abgelehnt hat, ein aus seiner Sicht minderwertiges Instrument zu reparieren. Die Strafe folgte auf den Fuß. Auch wenn Lucy nur eine kleine Rolle in dieser intersexuellen, aber auch intergalaktischen Liebesgeschichte spielt, zeigt sie auf, dass der Blick der Männer in die Vergangenheit vollkommen verklärt ist, Viele Frauen haben die berühmten Geigenbauer beim Bau der Instrumente heimlich unterstützt, wenn sie es gesundheitlich nicht mehr konnten. Nicht selten wurden auch andere Geigen von Frauen repariert. Es kommt nicht auf das Geschlecht drauf an, sondern auf das Herz, mit dem Mann/ Frau sich an die Arbeit machen. Diese Erkenntnis ist der rote Faden, der schließlich auf die anderen Handlungsebenen überspringt.

Durch einen Zufall lernt Shizuka Satomi sowohl Lan Tran – sie besucht ihren Donutladen und bittet, die Toilette benutzen zu dürfen – als auch Katrina Nguyen auf einem Spaziergang im Park kennen. Während die Begegnung mit der attraktiven Donut Ladenbesitzern – ihr wahres Aussehen wird Lan tran erst später beschreiben – noch ohne Folge bleibt, verliebt sich Shizuka Satomi in die Musik, die Katrina Nguyen eher verzweifelt und alleine im Park spielt. Es ist eine komplizierte Übungsmelodie, mit welcher Satomi selbst das Geige Spielen gelernt hat. Sie  hat ihre siebente Schülerin gefunden, aber sie muss die schüchterne und verängstigte Katrina erst ein zweites Mal finden und überreden.   Um den Pakt zu erfüllen und selbst ewigen Ruhm zu erlangen, muss sie allerdings ihre letzte Schülerin schlimmer verraten als es ihre Eltern und ihre Umgebung gemacht haben.  

Der Roman lässt sich nicht leicht in seine einzelnen Bestandteile zerlegen. Kaum scheinen die Versatzstücke in Position, eröffnet die Autorin eine weitere Handlung wie mit dem Avatar an Bord des Raumschiffs Shirley, das nicht geteilt und auf zwei Missionen geschickt werden will. Wieder geht es um existentielle Fragen, die auf den ersten Blick fast lächerlich erscheinen - ein Computerprogramm, das sich  als “Mensch” sieht, aber von Außerirdischen programmiert worden ist -, sich aber sehr gut in den inhaltlichen Reigen von Verantwortung und Emotionen eingliedern. Dabei beschränkt sich die Autorin nicht auf eine simple Diskussion, ob eine Schiffsintelligenz “menschlich” sein kann oder nicht, sondern fügt Shirleys Hintergrund noch eine bittersüße Note hinzu. Es sind diese Feinheiten, welche den Leser zum Nachdenken anregen und die zusätzlich den eher ruhig, fast phlegmatisch erzählten unterliegenden Plot so zufriedenstellend begleiten. 

“Das Licht ungewöhnlicher Sterne” ist zum einen die Geschichte eines weiteren faustischen Pakts. Daran ändert auch nicht die Tatsache, dass der Dämon ausgesprochen charmant ist und immer die Essensrechnungen bezahlt. Shizuka Satomi hat mit ihrem Park Zeit geschunden. Wenn sie ihn nicht einhält, wird es ihre Seele sein, welche in der Hölle für Unterhaltung sorgt. Auf alle Ewigkeit. Je mehr sie sich mit ihrer neuen Schülerin beschäftigt, desto bewusster wird es. Da helfen auch die immer wieder eingestreuten Hinweise auf die Königin der Hölle und ihre Entschlossenheit nicht, den Pakt zu erfüllen. Ihr Handeln deutet in eine andere Richtung. Hinzu kommt erschwerend, dass sich Shizuka Satomi zu verlieben beginnt. Eine Frau, die keine Frau ist. Eine Kommandantin eines außerirdischen Raumschiffes, deren menschliche Hülle Fassade,  die Mutter mehrerer Kinder und gleichzeitig für ihre Crew verantwortlich ist.  Die Liebesgeschichte wirkt gefühlvoll, aber auch zurückhaltend erzählt. Die beiden Frauen spüren zwar das gewisse Kribbeln, sind aber in ihrem eigenen Leben gefangen. Sie haben unterschiedliche Verantwortlichkeiten und Aufgaben. Sie kommen aus zwei auf den ersten Blick wirklich konträren Welten mit unterschiedlichen Missionen. Von Himmel und Hölle zu sprechen, wäre vielleicht ein wenig zu viel, trifft aber den Kern dieser Liebesgeschichte sehr gut. Ein gordischer Knoten, der in einer Kombination mit den anderen Konfliktherden nicht einfach zu durchschlagen ist.       

Diese  mehrfachen Liebesgeschichten – Shizuka und Lan, Katrina und die Musik – laufen schließlich in einem furiosen Finale zusammen. Als Dämon von eigenem Ruf kann Tremon nicht abwarten, dass Shizuka bei ihrer Vereinbarung schwächelt und beginnt zu täuschen , zu tricksen.  Ein böser Fehler, den Mephisto schon  gegen Faust versucht hat. Es folgt eine doppelte Bestrafung.  Die Ereignisse überschlagen sich, ohne das Ryka Aoki ihr erzählerisches Tempo anzieht. Dadurch verblasst ein wenig die Wirkung des Finals.

 Neben der Liebe zur Musik, die sich wie ein roter und sehr expressiver roten Faden durch den Roman zieht und in der Erkenntnis gipfelt, dass die Sterne niemals vergessen, sowie den ausführlichen Beschreibungen von gutem Essen ist es neben der angesprochenen Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen, die mit der ihren Seele verpfändeten Shizuka sowie der Außerirdischen Lan nicht unterschiedlicher sein könnten, auch eine Hommage an die familiären Traditionen. Sowohl bei der Produktion von Donuts sind es die alten Rezepte, welche die Außerirdischen schließlich erfolgreich umsetzen, als auch beim Geigenbau die alten handschriftlichen Aufzeichnungen des Großvaters, welche Türen öffnen. Im Mittelpunkt stehen aber immer die Familien.  Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um die eigene Familie inklusiv der Raumschiffcrew handelt, welche die Kommandantin Lan auf der Erde in Sicherheit gebracht hat oder eine zufällig zusammengewürfelte kleine Gruppe von Menschen, welche Shizuka als Königin der Hölle mit einer lange Zeit egoistisch opportunistischen Einstellung, ihre Schülerin Katrina und schließlich die Haushälterin Astrid bilden. Insbesondere Astrid kann sehr viel mehr als vorzüglich kochen, wie sich im Laufe der Geschichte herausstellt. Familien müssen nach innen zusammenhalten, damit sie äußerliche Herausforderungen meistern oder wie im vorliegenden Roman Gefahren abwehren können.

Sowohl Shizuka mit ihrem anfänglich verführerischen Pakt mit dem Dämonen/ der Hölle als auch Lan mit der Endzeitseuche und einem besonderen astronomischen Phänomen in der Zukunft haben ihre Probleme zu tragen und trauen sich nur bedingt, dem Partner sie mitzuteilen. Von Teilen ganz zu schweigen. Aber dieses Überwinden von inneren Hemmnissen und das Wachsen durch Herausforderungen, die aktiv gemeistert und nicht ignoriert werden, bilden den finalen Teil dieser auf der emotionalen Ebene auch herausfordernden Geschichte, in welche Ryka Aoki die Vorurteile der Öffentlichkeit gegenüber Transmenschen und deren Hetze im Netz vielleicht ein wenig zu sehr in den Mittelpunkt der Geschichte rückt und damit andere, sehr viel pointiere wie mehr zeitlosere Themen ungerechtfertigt an den Rand drückt.

Es ist aber die einzige Schwäche  einer interessanten Melange aus klassisch-klischeehafter Science Fiction, einer weiteren Faust Geschichte und der Liebe zu gutem Essen/ guter Musik.   

Das Licht ungewöhnlicher Sterne: Roman

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag; Deutsche Erstausgabe Edition (11. Januar 2024)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Broschiert ‏ : ‎ 496 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453323092
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453323094
  • Originaltitel ‏ : ‎ Light from uncommon Stars