Spiridion Illuxt/ Die Fahrt ins All

Max Vallier

Dieter von Reeken präsentiert mit den beiden kürzeren literarischen Texten des früh verunglückten Max Valier zwei Geschichten mit phantastischen Bezügen. Der 1895 in Bozen – dem damals österreichischen Südtirol geborenen – Max Valier arbeitete seit 1919 als Propagandist für die vom österreichischen Ingenieur Hanns Hörbiger entwickelte  Welteislehre.   Hörbigers 1913 entwickelte Lehre sagt aus, dass die meisten Körper im Weltall aus Eis oder Metall bestehen.  Ausnahme wäre im Sonnensystem nur die Erde, selbst der Mond bestünde aus Eis. Die Lehre widerspricht den zu Hörbigers und Valiers Zeiten bekannten astronomischen wie physikalischen Erkenntnissen und gehört wie die Hohlwelttheorie, an welche Paul Alfred Müller glaubte, zu den wissenschaftlichen Kuriositäten.

1923 veröffentlichte Hermann Oberth sein Sachbuch „Die Rakete zu den Planetenräumen“ und inspirierte Valier, zu Oberths Buch eine allgemeine Ergänzung zu schreiben. Oberth sprach das Werk mit Max Valier durch und unter dem Titel „Der Vorstoss in den Weltraum“ erschien das Büchlein.  Dieter von Reeken hat dieses in den Jahren nach 1924 sehr populäre Buch in seinem Verlag nachgedruckt.  Im Mittelpunkt steht das Programm zur Entwicklung einer friedlich zur Eroberung des erdnahen Raums nutzbaren Raketenprogramms. Ab Frühjahr 1925 initiierte Max Valier den Zusammenschluss aller Raketen-Begeisterten.  Gemeinsam sollte im Rahmen eines Vereins geforscht werden. Der „Verein für Raumschifffahrt“  wurde 1927 gegründet.

Valier beginnt im Gegensatz zu Oberths Flüssigkeits- Raketenmotor mit Feststoffraketen zu experimentieren. Selbst populäre Unterstützer wie Ernst Udet, der mit einem RAK- Flugzeug den Höhenrekord brechen und eine Stunde im Weltraum verbringen sollte, bringen nicht die Geldmittel auf. Heute ist Erst Udet vor allem als Vorbild für Zuckmayer „Des Teufels General“ bekannt.  

Ende Oktober 1927 einigte sich die Gruppe mit Fritz von Opel, in einem Forschungsprogramm mittels Feststoffraketen Autos anzutreiben. Der Geschwindigkeitsrekord sollte gebrochen werden. 1930 gelangen Max Valier einige Fahrten mit einem von einem Flüssigkeitsraketentriebwerk beschleunigten Auto. Auf Umwege ist Max Valier wieder zu den Ideen Oberths zurückgekehrt. Am 17. Mai 1930 starb Max Valier durch eine Explosion beim Probelauf eines neuen Antriebs, der mit Paraffin laufen sollte. Max Valier gilt als das erste Todesopfer der Raumfahrt.

Die beiden hier zusammengefassten Texte stammen aus unterschiedlichen “Epochen” in Max Valiers Leben. Während die zweite, deutlich kürzere Geschichte „Die Fahrt ins All. Eine kosmische Phantasie“ in der Zeitschrift des Vereins für Raumschifffahrt „Die Rakete“ 1927 veröffentlicht worden und Max Valiers Forschungen literarisch weiter entwickeln sollte, handelt es sich bei „Spiridion Illuxt“ um eine phantastische Erzählung, welche der Autor schon Ostern 1919 in einem Selbstverlag hat drucken lassen.       

 Der Text ist bis dieser Ausgabe im Verlag Dieter von Reeken nicht nachgedruckt worden. Alleine diese Seltenheit einer exzentrischen Spielerei lohnt die Lektüre der in einem sehr gestelzten, Erhabenheit gegenüber den Menschen und damit potentiellen Lesern geschriebenen Selbstbeweihräucherung eines Wesens, das zwischen Gott und Teufel stehend seinen überlegenen Intellekt narzisstisch und egoistisch nutzt. Die Geschichte des „mad scientist“ mit einem Gotteskomplex hat Max Valier seiner Freundin Grete Fines gewidmet, auch wenn die Liebesgeschichte im Plot einseitig, egomanisch und pervertiert erscheint. Ende 1919 lernte Max Valier seine spätere Ehefrau Hedwig kennen, die zwanzig Jahre älter gewesen ist. Wie sein Protagonist litt Max Valier früh unter Haarausfall, so dass Max Valier deutlich älter wirkte als er in Wirklichkeit ist.

 Spiridion Illuxt stellt sich in dieser Geschichte dem Leser quasi selbst vor. In den dreißiger Jahren verlier er seine Haarpracht, aber er schwört sich, alle Menschen zu überleben, so dass niemand seine graue Hirnrinde sehen kann.

 Er ist kein gewöhnlicher Mann, aber auch kein Mann von Rang und Titel. Schnell brilliert er auf allen wissenschaftlichen Gebieten. Die Zusammenfassung seiner Leistungen ist eindrucksvoll. Allerdings ist er auch ein Sadist, der mit fünf Jahren ein Mädchen angezündet hat. Der Tiere quält und dessen größte Erfüllung die Ermordung aller Menschen ist, wie sie Max Valier ausführlich von seinem Übermenschen mit negativen Eigenschaften planen lässt. Seine Fähigkeiten basieren auf einer Mischung von moderner Wissenschaftlich wie Physik oder Chemie, aber auch der Alchemie. So kann er Gold herstellen. Gold aus Blei, das als echt durchgeht und den Goldmarkt durcheinander bringt.

 Auf einem Flug sieht er eine junge Frau, im Gras schlafend. Spontan verliebt er sich, entführt sie und beschenkt sie in seinem Palast reichhaltig. Nur ihre Liebe kann er nicht kaufen, so dass er sie nach einem Atmosphärenflug zurückbringt. Erst Udeth und Max Valier haben wenige Jahre nach der Veröffentlichung der Novelle ähnliche Pläne, um den ersten Schritt in Richtung Weltraum zu unternehmen. Auch sie wollten ein experimentelles Flugzeug nutzen, um die Erdatmosphäre zu durchdringen und sich eine kurze Zeit im Weltall aufzuhalten. Wie viele andere Pläne der Beiden zerschlugen sich die Absichten, als sie keine industrielle Förderung erhalten haben.

 Mit der „Rückgabe“ der jungen Frau – sie soll jeden Monat ausreichend Gold erhalten, wobei das ein hinterhältiges Geschenk ist, denn Spiridion Illuxt will ja alle Menschen auf der Erde töten – verändert sich endgültig sein Charakter. Er beginnt zu forschen, wie dieser finale Plan umgesetzt werden kann. Auf seiner Insel entwickelt er Giftgase – eine Extrapolation aus dem Ersten Weltkrieg – oder andere tödliche Waffen. Sie sind alle nicht ausreichend. Bis ein Sonnenfleck ihm die finale wie fatale Erleuchtung bringt.

 Im direkten Vergleich mit dem technisch utopischen „Die Fahrt ins All“ wirkt „Spiridion Illuxt“ deutlich exzentrischer. Anscheinend hat sich Max Valier von den vor allem in Frankreich aufkommenden Superschurken in der „Fantomas“ Tradition inspirieren lassen. In den populären Werken eines Robert Krafts finden sich zwar überdurchschnittlich Begabte, welche wiederum die Wurzeln für Paul Alfred Müllers „Sun Koh“ und weniger seinen bodenständigen Jan Norten sein könnten, aber eine derartige Überfigur, die sich gottgleich sieht und gleichzeitig ein Superwissenschaftler mit einer Perpetuum Mobile Geldquelle ist, ist im deutschsprachigen Raum eine neue Idee. Teilweise hat sich Max Valier bei den sadistischen Zügen seiner Überfigur von einigen in der deutschen Phantastik auftretenden Teufeln beeinflussen lassen, die mit ihrer verführerischen Allmacht – auch wenn viele Menschen auf Spiridion Illuxts  Insel sterben, lockt der potentielle Reichtum nach vierzehn Tagen lebensgefährlicher Arbeit immer wieder Menschen  wie die Motten ins Licht an  - die Menschen zu ihren Spielzeugen machen. Aber mit dem schon angesprochenen gestelzten Stil, der bis zum Epilog sich ausschließlich auf „Spiridion Illuxt“ konzentrieren Handlungsführung schafft Max Valier schon eine bizarre wie eigenständige Geschichte.

 Am Ende scheitert Spiridion Illuxt an der eigenen Überheblichkeit. Das ist ihm in seiner im All schwebenden Kapsel nicht wirklich klar. Alleine der Mensch muss während des Epilogs die Zusammenhänge aus fehlgeleiteter Forschung und dem Faktor Zufall zusammenführen. Aber spannungstechnisch geht Max Valier sehr geschickt vor. Der Tod aller Menschen wird auf die Sekunde genau bestimmt, der Ablauf ist klar und Spirdion Illuxt freut sich auf perverse Art und Weise in einem Gefängnis, das er sich selbst geschaffen hat und aus dem er nicht wirklich entkommen kann. Das haben zahllose Götter vor ihm deutlich besser hinbekommen.      

 „Die Fahrt ins All“ erschien im direkten Vergleich zu „Spiridion Illuxt“ mehrmals. Zum ersten Mal 1927, ein Jahr später als Sonderdruck für „Die Rakete“ unter dem Titel „Auf kühner Fahrt zum Mars“. Einige Jahre nach Max Valiers Tod veröffentlichte das amerikanischen Science Fiction Magazin „Wonder Stories“ in der Juli 1931er Ausgabe eine Übersetzung von Fracis Currier.

 Tom Sackett ist der Chefkorrespondent der „Sunday Paper“, der typische Reporter dieser Zeit. Intelligent, sportlich, mit einem markanten Äußeren. In der Einleitung dient er dazu, die Vorbereitungen der kleinen Gruppe befreundeter Wissenschaftler – alles keine ausgebildeten Astronauten – zusammen mit der Ehefrau des Kommandanten für den Haushalt an Bord der Rakete zu interviewen. Über den Mond – hier soll Eis aufgetankt worden, Max Valier bleibt seinem alten Mentor Hörbiger und der Welteislehre treu – soll es zum Mars gehen. Auf dem Rückflug kann auch noch die Venus gestreift werden.

 Max Valiers Novelle ist eine interessante Mischung aus gegenwärtiger Raketenforschung und eher typischer deutscher Technikutopie. Auf dem Mond tragen die Astronauten Anzüge mit entsprechenden Helmen, damit sie nicht dem Vakuum ausgesetzt sind. Während einer Begegnung mit einem Kometen retten diese Anzüge auch Leben. Auf den Start haben sie sich mittels Training unter künstlerischer Schwerpunkt – bis zum zehnfachen des Körpergewichts – vorbereitet, wobei jedes Gramm unnötiges Gewicht während der Startphase wegfallen muss. Es sind zwar keine Adamskostüme, aber viel fehlt nicht mehr. Die Astronauten schützen sich vor der gefährlichen Strahlung im All, in dem sie die Lucken der Rakete dicht halten. Entfernungen werden berechnet und die Flüge zwischen den Planeten bzw. zum Mond erfolgen mittels Ellipsen und nicht direkt. Die Rakete ist aus Sicht des Piloten noch primitiv. Erst weitere Generationen von Raumschiffen werden zu Ätherschiffen. Eine Idee, die utopische Autoren von Kurd Lasswitz über Carl Grunert bis zu Daiber oder Oskar Hoffmann entwickelt haben. Sie wirkt aus der Zeit gefallen und erinnert an die technisch- utopischen Romane vor dem Ersten Weltkrieg.

 Beim Start verbrauchen die Astronauten fast zu viel Treibstoff, so dass sie sich im All ein wenig treiben lassen müssen. Das Raumschiff wird auch für die Landung auf dem Mond gedreht. Schwerkrafttechnisch geht Max Valier ein wenig ambivalent mit verschiedenen Thesen um. Zu Beginn müssen Bleischuhe getragen werden, an einer anderen Stelle spricht er davon, dass die Entfernung von der Erde nicht gleichbedeutend mit einer Verringerung der Schwerkraft ist.

 Auf dem Mond senden die Astronauten einen Gruß an die Heimat. Die Leuchtsignale werden ihnen auf der Fahrt vom Mars direkt zur Erde das Leben retten, weil die Erde diese Idee aufnimmt und die Astronauten in einem durch einen bislang unbekannten Kometen beschädigten Raumfahrtzeug zurück auf die Erde loten wird. Nicht von ungefähr erinnert di finale Sequenz ein wenig an die Schifffahrt mit den Leuchttürmen, welche in tosender Meer die Einfahrt in den Hafen markieren.

 Der Einschlag eines Kometen ist fast klassischer Stoff. Anscheinend gehört das zum Repertoire der Science Fiction bis weit in das Golden Age. Dadurch wird die Reise abgekürzt, der Mars und die Venus können nicht mehr besucht werden und Max Valiers Kurzgeschichte sprengt auch nicht den Rahmen einer Veröffentlichung in der Zeitschrift „Die Rakete“.

 Der Text liest sich kurzweilig, aber auch sehr gestelzt. Die technisch- mathematischen Passagen liegen den Autoren deutlich mehr. Die Frau an Bord darf die Küche machen, obwohl nur die Teller magnetisch sind, aber nicht das Essen darauf befestigt werden kann. Wie unter diesen Umständen gekocht werden soll, verschweigt Max Valier vorsichtshalber. Die Interaktion zwischen den Protagonisten – alte Freude, vielleicht auch Studienkameraden mit der Frau an Bord – ist sachlich, emotionslos. Der Dienst ist fest eingestellt mit zwei Männern, die jeweils sechs Stunden Wache halten, während die Anderen schlafen. Für einen Wachhabenden ist die Aufgabe zu schwer.

 Wie eingangs beschrieben bewegt sich Max Valier von den Entwicklungen, die er anfänglich mit Oberth gemeinsam gemacht hat genauso weg wie von den klassischen Feststoffraketen. Das Ziel mit den Ätherraumschiffen ist klar definiert, bis dahin handelt es sich um eine Art Allesfresser, der auch von Wasser und der Liebe an Bord, aber nicht Luft angetrieben werden kann. Max Valier geht für die Kürze der Geschichte nicht zu sehr in die Details, unterhält aber im Rahmen der Zeit und vor allem hinsichtlich seiner Intention, Begeisterung für die Raumfahrt zu wecken zufrieden stellend gut.    

 Konträrer als „Spirdion Illuxt“ und „Die Fahrt ins All“ könnten sich die Werke eines Autoren nicht gegenüber stehen. Es finden sich Facetten wie der Flug in die Atmosphäre in beiden Geschichten. In der späteren Arbeit dominiert aber die Wissenschaft, die eher eindimensionalen Figuren müssen sich unterordnen. In der ersten Geschichte mit dem charismatischen wie abstoßenden verrückten Übermenschen ist die Wissenschaft schließlich der Schlüssel zu seinem Fall. Eine bittere Ironie, die Max Valier durch die Kürze des Textes gar nicht ausreichend genug würdigt. „Die Fahrt ins All“ ist deutlich mehr gealtert, während „Spiridion Illuxt“ sicherlich in der hier vorliegenden expressiven Version ein Ausbruch jugendlicher literarischer sich selbst indirekt lobenden kreativer Inspiration eines Mannes voller Träumer ohne die entsprechenden Möglichkeit ist, der durch seine inhaltliche Breite, aber nicht unbedingt Tiefe einen Randplatz in der deutschen Phantastik einnimmt, aber auch  ausgesprochen einzigartig erscheint. Beide Texte verbindet aber der Umgang mit Frauen. Einmal sind die das unerreichbare Objekt platonischer Begierde eines Übermenschen, in der zweiten Geschichte das Heimchen am Herd an Bord eines Raumfahrzeuges. Dreidimensional wirken sie in keiner der beiden Geschichten.

 Wie schon eingangs erwähnt ist die Seltenheit der Texte – insbesondere „Spiridion Illuxt“ muss in dieser Hinsicht noch einmal herausgehoben werden, die Neuveröffentlichung mehr als wert. 

 

Max Valier
Spiridion Illuxt · Die Fahrt ins All (Auf kühner Fahrt zum Mars)
Neuausgabe der 1919 bzw. 1927 erschienenen Novellen in einem Band. Hrsg. von Dieter von Reeken
Paperback, 103 Seiten, 10 Abbildungen
12,50 € — ISBN 978-3-91230-10-0