New Terra

Bernhard Kempen

„New Terra“ ist der vierte Greedy Roman aus dem Xenosys- Universum; der erste Band, der nicht auf Arkadia spielt; hinsichtlich des Endes möglicherweise das erste Abenteuer, aus dem eine Rundreise werden könnte. Es ist nicht unbedingt notwendig, die ersten drei Romane zu kennen. In dieser Hinsicht reicht Arkadia, um einen guten Einblick in deren Freikörperkultur; die Protagonisten Greedy und den rasenden Reporter Adrian Ginjeet zu erhalten. Im zweiten und dritten Band „Darling“ und „Aura“ werden sowohl der Hintergrund als auch die (körperliche) Interaktion zwischen den einzelnen Protagonisten ausgebaut, Hintergrundinformationen stehen aber im Schatten der stringenten Handlungen.

 In der Theorie geht es für Adrian Ginjett zurück zur Erde. Seine Mission auf Arkadia ist beendet, eine Reihe von Reportagen geliefert. Greedy bietet sich an, den Reporter an Bord ihres Raumschiffes zu Erde zu bringen. Auch wenn größere Flugabschnitte in Schwerelosigkeit absolviert werden, ist es in der Theorie die schnellere und bequemere Methode. Kaum sind die abgeflogen, werden sie auch schon wieder zurückbeordnet.

 Sie nehmen einen neuen, den Protagonisten wie den Lesern allerdings altbekannten Passagier an Bord: die Ärztin Ang. Auf dem Planeten New Terra ist eine seltene exotische Krankheit aufgetreten, mit denen die Ärzte auf Arkadia schon in Berührung gekommen sind. Ang konnte Mel Workmann von dieser Terra- Nova- Ataxie heilen.

 Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt und so nimmt der Flug nach Terra Nova für einen so kurzen Roman ein breites Spektrum ein. Bernhard Kempen streift eine Reihe von bekannten „Klischees“ aus den ersten beiden Büchern, mit den hemmungslosen Arkadiern und dem sich an seine Kleidung klammernden Adrian. Halb zog es ihn, halb fiel er hin. Bernhard Kempen nimmt dem Roman mit diesen Sequenzen das notwendige Tempo. Teilweise versucht er es auf New Terra aufzuholen, aber er fordert von seinen Lesern Geduld. Die Passagen sind nicht schlecht geschrieben; die Dialoge auch in der bekannten Manier doppeldeutig und pointiert. Aber schon im zweiten Band der ersten Trilogie zeigten sich leichte Abnutzungserscheinungen.

 Mit der Landung auf New Terra wird es weniger kompliziert als komplex. Die Identifikation der Krankheit und ein möglicher Herd werden relativ schnell identifiziert. Was zu schnell, um nachhaltig Spannung aufzubauen. Dazwischen finden sich lange Reisebeschreibungen. Die Gäste lassen es sich kulinarisch gut gehen; wandern durch die Einkaufspassagen und genießen das Leben auf dieser ruhigen, exotischen, aber nicht nackten Welt. Auch „Arkadia“ zeichnete diese Balance aus Spannung und Tempo sowie ausführlichen kulinarischen Beschreibungen aus. Bernhard Kempen ist eben ein Genussmensch und seine Figuren repräsentieren diese Art von Leben.

 Ebenfalls sehr schnell finden sie heraus, dass diese Form der Erkrankung künstlichem Ursprung ist und anscheinend Individuen/ Gruppen ein Interesse haben, diese Krankheit vor allem Menschen betreffend ausbrechen zu lassen. Beginnend mit ihren medizinischen Erkenntnissen – hier nimmt sich Bernhard Kempen wieder viel Zeit, um die einzelnen Zusammenhänge auch schlüssig zu erläutern – bleibt den Gästen nichts anders übrig, als nach den Wurzeln zu forschen.

 In Hinblick auf den Plot leidet „New Terra“ allerdings unter fehlenden Antagonisten. Das wirkt angesichts der Handvoll Reisender (das Team wird durch den erst aufdringlichen, später Leben rettenden Hund Boz, bei dem der intellektuell ohne despektierlich zu sein einfache Rover zu einem wahren Hundeflüsterer wird ) auf den ersten Blick seltsam, aber schnell kann ein aufmerksamer Leser mindestens einen der Hintermänner einkreisen. Der Apfel fällt in diesem Fall nicht weit vom Stamm. Zumindest handelt es sich nicht um einen Einzeltäter. Die Entlarvung kommt relativ spät, im Gegensatz zum Leser für einige der Suchenden überraschend. Natürlich geht zum gängigen Muster auch eine Entführung. Ein Plotelement, das nur bedingt ein Mittel zum Zweck ist. Bislang hat sich Bernhard Kempen konsequent geweigert, wirklich wichtige Figuren zu töten. Die spannungstechnische Idee einer Entführung einer der wichtigsten Hauptfiguren führt also von Beginn an ins inhaltliche Nichts.     

 In der zweiten Hälfte zieht Bernhard Kempen unabhängig von einigen Klischees das Tempo seiner Geschichte deutlich an. Die Beschreibungen rücken in den Hintergrund. Positiv ist, dass alle Teammitglieder – egal ob nackt oder mit vier Pfoten – etwas zu tun haben. Dadurch verteilt sich der Plot auf mehrere Schultern. Die Lesern bewegen sich weiterhin fast ausschließlich auf Augenhöhe der Ich- Erzählers Adrian Ginjeet. Subjektiv schränkt es die Breite des Romans ein, objektiv dient der wieder emotional/ sexuell überforderte Adrian Ginjeet in Bernhard Kempens so befreiten Universum als menschliche Identifikationsfigur. Dadurch können gegen Ende der Geschichte ausreichend Informationen ungefiltert durchgestochen und mit Adrian Ginjeets Reporterverstand geordnet werden. Auf jede mögliche Aktion der Hintermänner – auch hier greift Bernhard Kempen weit in die menschliche Geschichte von Verbrecherorganisationen zurück – hat das Team relativ schnell eine effektive Reaktion.

 Auch wenn Sex in verschiedenen Formen und Konstellationen,   erotische Erregung und Greedy immer wieder ambivalent beschriebene Fähigkeiten im Mittelpunkt der Geschichte stehen, integriert der Autor sie deutlich effektiver in die Handlung. Nicht an jeder Stelle ist ein Akt passend oder der Not geschuldet. Die Kriminalhandlung hat ein deutliches Übergewicht und vor allem die Männer müssen mehr als einmal mit dem Kopf und nicht dem Schwanz denken. Viele Ermittlungspunkte spürt Greedy im wahrsten Sinne des Wortes auf. Das ist nicht immer erotisch. Soll es auch nicht sein. Es ist vor allem exotisch und in dieser Hinsicht zeigt Bernhard Kempen seine Phantasie. An der Grenze zur grotesken Parodie manchen Pornos bleibt Greedy ein dreidimensionaler, bis an die Grenzen der Glaubwürdigkeit gestreckter Charakter. Die Ärztin Ang ging in den letzten beiden Büchern ein wenig als Protagonist, als Mensch verloren. Dabei ist sie das natürliche Bindeglied – auch in sexueller Hinsicht – zwischen dem weiterhin emotional überforderten, aber fatalistisch agierenden Adrian Ginjeet und Greedy per se, die vielleicht zu viel Frau nicht nur für den Ich- Erzähler ist.

 Bis auf die erste Begegnung mit einem Hund und die Schlusssequenz mit dem heldenhaften, selbst opfernden Eingreifen hat der Vierbeiner nicht wirklich viel zu tun. Die Reaktion Greedys auf den ersten Hund in ihrem Leben ist köstlich und von Bernhard Kempen einfühlsam ohne Übertreibung beschrieben worden. In erster Linie dient der Hund – wie angesprochen – dazu, aus dem unterentwickelten Charakter Rover einen Menschen zu machen, der auch aktiv am Geschehen teilnimmt.

 Wie angesprochen sind die Antagonisten wenige und dann auch noch eher eindimensional aufgebaut. In dieser Hinsicht leidet die Spannungskurve unter den Klischees, mit denen Bernhard Kempen diese Figuren über die ersten Begegnungen hinaus nicht weiter entwickelt. Hier wird neben dem auf dem Klappentext schon angesprochenen Familienkonflikt viel Potential verschenkt.

„New Terra“ ist weniger eine Sexorgie denn ein Medizin- Science Fiction Thriller in der Tradition des „Rettungskreuzers Ikarus“ mit einer inzwischen eingespielten „Crew“ im metaphorischen Sinne; den vergleichbar pointierten Dialogen; ohne Frage exotischen Planetenhintergründen und eindimensionalen Antagonisten, aber mit mehr nicht immer erotischen Sex und der schon angesprochenen Greedy als Überfigur. Deutlich spannender als die letzten beiden Greedy Romane fordert Bernhard Kempen vom Leser nach einem wie Slapstick geschriebenen Auftakt ein wenig Geduld vom Leser, die abschließend allerdings sich bezahlt macht.             

NEW TERRA: Ein Greedy-Roman aus dem Xenosys-Universum (AndroSF: Die SF-Reihe für den Science Fiction Club Deutschland e.V....

  • Herausgeber ‏ : ‎ p.machinery; 1. Edition (6. Mai 2023)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Broschiert ‏ : ‎ 184 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3957653312
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3957653314
  • Lesealter ‏ : ‎ Ab 18 Jahren