The Magazine of Fantasy & Science Fiction Summer 2024

Sheree Renee Thomas

Im 75. Jahr ihres Bestehens ist eines der Flaggschiff- Magazine des Genres in schwere See geraten. Die zweimonatliche Erscheinungsweise kann nicht mehr eingehalten werden. Durch die Produktionsverzögerungen entfiel auch der Frühling, sodass die Sommer 2024 Nummer die erste Ausgabe des Jahres darstellt. Trotzdem haben die Herausgeber ein vielschichtiges Programm an Kurzgeschichten – mit einigen Debütanten – und einem breiten Themenspektrum zusammengestellt.

Rajeev Prasads „What It Means to Drift” ist ein kraftvoller, aber gleichzeitig auch emotionaler Auftakt mit einer Welt, in welcher die Städte von gigantischen Cyborgtitanen geleitet werden. Sie wirken eher wie Sagengestalten. Freiwillige haben sich von ihrem Körper getrennt und mit den Titanen verbunden. Sie sollen den Wächtern das Gefühl für Menschlichkeit geben. Diese Symbiose ist allerdings nicht einseitig und der Autor beschreibt einen solchen bislang natürlich noch nicht eingetretenen Fall, in dem der Titan zu menschlich wird und der Mensch die Verbindung lösen und auf den Mond ins Exil gehen möchte. Prasad liefert keine Antworten. Der Leser wird an der Seite des Erzählers in diese Welt geworfen und wird mit den verschiedenen Fragen konfrontiert. Positiv oder negativ bleiben Lösungen offen, vielleicht zu offen. Wie Philip K. Dick hinterfragt der Autor auf eine pragmatische Art und Weise das Thema Menschlichkeit per se.

Aus Mexiko stammt Alberto Chimals „On My Way to Heaven”. Rock N Roll und Ufos. Der Onkel der Erzählerin ist vor vielen Jahren einmal verschwunden und fand sich anschließend ohne Erinnerungen über der Grenze in Los Angeles wieder. Während einer politischen Demonstration sieht er das gleiche Licht und verschwindet wieder, ohne zurückzukehren.

Der Onkel liebte Rockmusik und die Lösung des Rätsel findet sich vielleicht in einem Lied eines eher unbekannten mexikanischen Künstler. Mit einem Augenzwinkern erzählt wird das UFO Phänomen zu einem Katalysator in die eigene familiäre Vergangenheit mit einem fast autistischen Onkel und vielen Verwandten, die ihn nicht verstehen können oder wollen. Ihn aber jetzt vermissen.

Zu den Miniaturen gehört Christina Bauers „Mister Yellow“. Zeitreisen jeglicher Art sind gefährlich. Keine neue Erkenntnis.  Was ist, wenn man beginnt, mit den Dimensionen zu spielen und diese sich überlappen zu lassen. Die Pointe  ist pragmatisch und zynisch zugleich. Hinsichtlich der Länge oder besser Kürze bleiben – wie bei einigen anderen Miniaturgeschichten dieser Ausgabe – die Fragen offen. Aber trotzdem unterhält die Autorin die Leser, ohne sie zu belehren.  

Mit der neuen Herausgeberin ist auch New Weird in den Mittelpunkt der Geschichte getreten. Tonya R. Moores „Water Baby“ ist eine dieser bizarren, aber atmosphärisch dichten Geschichten, in denen die klimatischen Veränderungen auch die Evolutionskette beeinflussen. Dazu kommen mit der Rückforderung des geschenkten Lebens Aspekte in den kurzen Text, welche der Leser auch in den später vorgestellten Gedichten wiederfindet.

Die Götter sind auch nicht perfekt, wie Nina Kiriki Hoffmann in „Metis in the Belly of the God“ darstellt. Die Ausgangslage basiert auf der griechischen Athene Legende und ihrem Verhältnis zu ihrem Vater Zeus. Die Autorin macht sich einen Spass daraus, diese Legende zu zerlegen. Athene Mutter Metis – als Insekt im Magen des Zeus – war zu diesem Zeitpunkt schon schwanger, so dass sie schließlich ihr Kind quasi im Inneren des Gottes auf die Welt brachte. Alles andere ist   Teil der griechischen Legende.  Mit sehr viel pointiertem, teilweise zynischem Humor zerlegt die Autorin die Legende und erfindet ihre eigene, noch absurdere Version, die allerdings mit einem zu offenen Ende abgeschlossen wird.

Deutlich humorvoller ist Marie Vibberts „She´s A Rescue“. Basierend auf den alten Space Opera Geschichten vom Golden Age bis zu Fernsehserien wie „Firefly“ beschreibt sie die Probleme zwischen zwei geschiedenen Menschen. Der Vater mit seiner Tochter und dem Bordhund will ein neues Leben als Frachterpilot beginnen. Die erste Reise führt ihn ausgerechnet an den Ort, wo seine ehemalige inzwischen das Oberkommando über den Raumhafen hat. Und sie will ihren ehemaligen Mann einfach nicht auf dem gleichen Planeten haben wie sie ist. Humorvolle Dialoge, einige bizarre Situationen mit einem allerdings leicht schematischen und überzogenen Ende verbunden.

Raul Caners „Snowdrop“ ist ein auf Märchen basierende Fantasy Geschichte. Die Grundlage könnte ein altes Märchen sein, in dem ein älter Paar sich ein Kind aus Schnee formt. Durch ein Wunder erwacht es, aber der Tau im Frühling könnte ihr Leben beenden. In dieser Geschichte ist das Kind ein zweischneidiges Geschenk der Götter. Damit auch eine Art Gegenentwurf zu Nina Kiriki Hoffsmanns Story.  Raul Caner hat wunderbar dreidimensionale Charaktere entwickelt. Der Plot wird geradlinig und doch stilistisch verträumt erzählt. Das Ende der Geschichte ist deprimierend, aber niemand hat gesagt, in einer Story muss das Leben immer fair sein.

Esther Friesner verbindet den eher geerdeten Mythos von Göttern mit Zombies in „Dog People“.Was sich auf den  ersten Blick relativ bizarr anhört, ist ein e lesenswerte kleine Geschichte mit einer humorvollen Führung durch die Autorin und gut geschriebenen Dialogen. Aus dem Nichts heraus betreten die Toten die Erde. Es sind nicht die Zombies, sondern sie wirken fast gesittet.  Natürlich erwecken sie Aufmerksamkeit und die Menschen haben viele Fragen, welche die stummen lebenden Toten nicht beantworten wollen oder besser können. Das Phänomen zieht auch eine Handvoll Götter an, die von den stoisch über die 5th Avenue in New York taumelnden Zombies wie magisch angezogen werden.  Die Lösung dieser cleveren, aber auch die Aufmerksamkeit der Leser herausfordernden Geschichte liegt nicht nur in dem ungewöhnlichen Titel. Auf wenigen Seiten charakterisiert die Autorin eine Vielzahl von unterschiedlichen Protagonisten und präsentiert – wie eingangs erwähnt – eine ungewöhnliche Ergänzung des Zombies Genres oder eine Göttergeschichte, in denen die Herrscher nur die zweite Geige spielen. Es ist immer eine Frage der Perspektive.

Der Titel ist bei „What You Leave Behind“ (Ken Altabef) Programm. Auch wenn das Thema auf den ersten Blick immer wieder behandelt worden ist, gelingt ihm eine kraftvolle, optimistische Botschaft.  Seine Protagonistin hat ihre persönlichen Narben zu tragen. Sie hat Menschen verloren. Aber irgendwann ist die Zeit der reinen Trauer – nicht gleichzusetzen mit dem Vergessen – vorbei und man sollte nach vorne schauen. Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern, man muss mit ihr Leben, aber die nähere Zukunft kann noch aktiv gestaltet werden. Die phantastischen Elemente sind eher rudimentär, sie spielen hinsichtlich des Plots auch eine untergeordnete Rolle, denn der Tod ist immer das Ende des Lebens eines geliebten Menschen… es ist vollkommen egal, ob plötzlich oder nach langer schwerer Krankheit.

Zu den längsten Geschichten gehört Albert Chus Kriegsnovelle Another Such Victory“.  Die Einleitung bringt die Geschichte in einen engen Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Nahost Konflikt und einem Plädoyer für die Palästinenser, was die bisherige Tradition einer religiösen wie politischen Neutralität des Magazins negiert. Dabei hat David Chu seine Novelle irgendwo zwischen Pacific Rim mit den gigantischen, immer wieder aus dem Nichts auftauchenden und angreifenden Robotern und den chinesischen Sagen verbunden. Es geht um Tapferkeit und Verantwortung. Symbolisiert an zwei Piloten, die Manhattan verteidigen, obwohl es strategisch keinen Sinne macht. Es geht um militärisch politische Ränkespiele und die Manipulation der Öffentlichkeit, aber auch der eigenen Vorgesetzten. Es geht um die Schwierigkeit, sinnlose Befehle einzuhalten und gleichzeitig die Zivilisten gegen Feinde zu verteidigen, die ihnen technisch überlegen sind. Alle Siege sind Pyrrhussiege. Es geht David Chu auch nicht um das große Ganze. Seine Geschichte ist ein persönliches Kammerspiel, ein kleiner Ausschnitt eines globalen Konflikts mit einem Feind, über den der Leser nichts wirklich erfährt.

Mit der kriegsmüden, aber immer noch sich ihrer Verantwortung stellenden Pilotin Nusrat Choudhury hat David Chu einen interessanten, vielschichten Charakter erschaffen, aus dessen subjektiver Sicht der Plot sich auf einer emotionalen, aber auch einer politischen Ebene entfaltet.

Xinwei Kongs „Growth Rings of the Earth” ist eine dieser Geschichten, nach denen manche Leser das unbestimmte Gefühl haben, sich in den nächsten See zu stürzen. Der letzte Mensch auf der Erde überlegt am Ende seines Lebens, wie er seinen einzigen Roman beenden kann. Es wird keine Leser geben; ein Erbe , das sinnlos erscheint und trotzdem ausgesprochen bedeutend ist. Xinwei Kongs Vorbilder sind in Person vom mehrfach zitierten Jorge Luis Borges und dem österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein klar zu erkennen. Notfalls weist die Einleitung noch einmal drauf hin. Der Einfluss ist spürbar, aber vor allem hofft der  Leser, eine abschließende Antwort auf die Frage nach dem Ende des letzten geschriebenen Buches zu erhalten. Eine einzige Seite fehlt noch und entwickelt sich in dieser tiefgründigen, melancholischen Geschichte zu einer Mammutaufgabe.

In den Bereich des Horror fällt die Miniatur „Jacob Street“  von L. Marie Wood.Was ist, wenn das Navi die Fahrer immer wieder an einen Ort führt, der in ihnen unheimliche beklemmende Gefühle auslöst. Das Navi ausschalten ist die einfachste Methode, aber der Versuchung ist schwer zu widerstehen.  Irgendwo auf dem Weg könnten notwendige Informationen versteckt sein. Kurzweilig, atmosphärisch dunkel, aber nur bedingt intensiv.

 Deborah L. Davitts „Red Ochre, Ivory Bone” erinnert von der Ausgangsbasis ein wenig an Star Treks „Deep Space Nine“. Auf einer gigantischen Raumstation leben Mitglieder von sechs unterschiedlichen Rassen, die in einer offenen Diskussion ihre Unterschiede zu überwinden suchen und eine gemeinsame Zukunft aufbauen möchten. Plötzlich öffnet sich eine Art Wurmloch und stößt ein kleines kristallines Objekt aus, das sich natürlich auf einem direkten Weg zur Station befindet. Ist es ein Geschenk oder eine Gefahr. Die Autorin präsentiert nicht nur eine spannende Handlung, in deren Verlauf natürlich die Mitglieder der einzelnen Rassen ihre Vorurteile überwinden müssen. Vor allem beschreibt sie die Probleme beim Überwinden unterschiedlicher Urängste. Positiv ist, dass sie eine finale Lösung präsentiert und den Plot zu einem zufriedenstellenden, nicht belehrenden Abschluss bringt. Negativ erscheint, dass die Geschichte für eine Novelle fast zu klein, zu fokussiert ist. Sechs unterschiedliche Rassen zu beschreiben, ihr Verhalten zu definieren ist die Basis für einen Roman und weniger eine Novelle. Die Stärke der Autorin liegt in ihrer Konzentration auf das Wesentliche und vor allem die Zeichnung von exotischen, aber zugänglichen wie dreidimensionalen Protagonisten, an denen sich der Leser hinsichtlich eines im Vergleich stringent entwickelten Plots gut orientieren kann, ohne das die menschlichen Verhaltenswesen die Außerirdischen dominieren oder zu sehr definieren.

In den Bereich der Weird Fantasy oder des modernen Märchen gehört „The Glass  Apple“. Eine Mischung aus Schneewittchen und klassischer Fantasy mit den üblichen Verweisen auf Egoismus, Narzissmus und schließlich den obligatorischen Hochmut, der vor dem Fall kommt. Ivy Grimes ist eine interessante Erzählerin, welche die bekannten Vorlagen ein wenig, aber nicht zu sehr verfremdet, damit der Leser gut unterhalten wird, ohne die Beziehung zu den Originalen zu verlieren.

„Sklickerthin“ (Phoenix Alexander) könnte in der Theorie auch in den Bereich der märchenhaften Coming- of- Age Geschichte fallen. Der sechszehn Jahre alte Anaximander von der Insel Miletus fällt auf.  Er ist kleiner als seine Mitschüler, er ist zerbrechlich und hat kein Selbstbewusstsein. Seine Umgebung ist ihm fremd. Immer wenn er eine gute Tat begehen möchte, greift das Schicksal ein und stellt es auf den Kopf. Auch die Begegnung mit  einer Harpyie hilft ihm nicht wirklich. Entzweit ihn noch mehr von seinen Mitmenschen. Der Plot könnte wie eine Parodie auf die Märchen, die Legenden erscheinen, aber der Autor geht zielbewusst die Probleme Jugendlicher an. Sie werden nur in eine deutlich phantastischere Umgebung versetzt. Aber die Geschichte funktioniert auf eine erstaunlich simple, aber nachhaltige Art und Weise, so dass die Lektüre mehr und mehr mit jeder Katastrophe Spaß macht.     

Gedichte spielen seit vielen Jahren eine immer wichtigere Rolle in „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“. Mehrere längere Lyriktexte finden sich  in der vorliegenden Ausgabe. Suzanne J. Willis eröffnet den über die Nummer verstreuten Reigen mit „In her Footsteps“, ein subjektiver Blick auf den Tod per se als zeitloses, ewiges „Wesen“, mit dem man nicht handeln kann und das die Balance immer auf seine Art und Weise ausgleicht.  Julie Eliopoulus zeigt dagegen in „I, Magician“, dass die meisten Kräfte in den Menschen selbst schlummern und vieles in der  Kindheit vorgeprägt wird.

Richard Leis „City as a Fairy Tale”  folgt Clifford D. Simaks Romanen mit den verschwundenen Menschen und ihren Hinterlassenschaften, welche den Tieren so fremd sind. Die Erde nimmt sich das, was die Menschen ihr über Jahrtausende genommen hat. Ein poetisches Stillleben voll berührender Momente.

Marisca Pichettes „In a Castle from from every Prince“ werden zahlreiche bekannte Märchen durch den Kakao gezogen. Die Protagonistin hat viel Spaß dabei, an der Seite der  Leser, es immer wieder zu versuchen und doch zu wenig zu erreichen.   

Neben dem Vorwort findet sich in dieser Ausgabe nur eine Buchkolumne. Charles de Lint stellt vor allem erste Teile von neuen Fantasyserien vor. Die Fundgrube am Ende stellt eine politische Utopie aus dem Jahre 1911 vor, während Zack Snyders “Rebel Moon” - auf Netflix- deutlich abgekanzelt wird.  Zusätzlich gibt es noch einen kurzen Überblick über einige Lyrikwerke. Dazu gibt es noch den obligatorischen wissenschaftlichen Artikel.  

Die Sommerausgabe von “The Magazine of Fantasy & Science Fiction” macht Spass…viele Geschichten sind kraftvoll, ohne dass die Elemente des New Weird sie erdrücken. Die Mischung aus viel Science Fiction, ein wenig Horror und moderner Fantasy funktioniert deutlich besser als in den ersten von Sheree Renée Thomas betreuten Ausgaben. 

Es bleibt zu hoffen, dass das Magazin wieder sein reguläres Fahrwasser - egal ob zweimonatlich oder vierteljährlich - findet, denn immer noch gehört es zu den wichtigsten Magazinen des Genres und diese Ausgabe unterstreicht es ausdrucksstark, wenn auch nicht perfekt.   

265 Seiten Din A 5

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