Der Verlag Dornbrunnen legt unter dem eher unbekannten Titel „San Carlos“ zwei auf den ersten Blick konträre, bei näherer Betrachtung allerdings teilweise auch inhaltliche verbundene Schmugglergeschichten Jules Vernes zum ersten Mal in deutscher Sprache („San Carlos“ ) oder in einer neu durchgesehenen Fassung („Die Blockadebrecher“) in einem Doppelband auf.
Meiko Richert hat beiden Texten ausführliche Nachworte und Hinweise zur Überarbeitung beigefügt. Wie bei allen Jules Verne Büchern der Edition Dornbrunnen sind die Texte mit zahlreichen Fußnoten versehen, welche Hintergründe erklären oder Irrtümer Jules Verne korrigieren.
„San Carlos“ ist ungefähr 1860/1861 und damit zwei oder drei Jahre vor Vernes ersten Romanerfolg geschrieben worden. Der Autor hat den Text nasch der Erstveröffentlichung anscheinend noch einmal überarbeitet, dann aber nicht mehr publizieren lassen.
San Carlos ist ein Zigarettenschmuggler in den Pyrenäen. Sein gefährlicher Weg führt immer von Spanien nach Frankreich. San Carlos führt seine Leute mit seinem Verstand, seinem Charisma und seinen Ideen, aber weniger mit Gewalt, auch wenn die kleine Gruppe entschlossener Männer bewaffnet ist.
Der Leser wird gleich in eine in mehrfacher Hinsicht gefährliche Situation geworfen. San Carlos und seine Leute befinden sich mit tausenden von Zigarren auf dem Weg nach Frankreich. Die bewaffneten Zöllner sind allerdings schon auf der Suche nach ihnen. Am Kopf der Truppe steht mit Francois Dubois, ein harter Hund.
Die größte Schwäche der Geschichte ist vielleicht der potentielle Konflikt zwischen dem sympathischen San Carlos und dem deutlich dunkler beschriebenen, aber nur bedingt charakterisierten, aber erstaunlich mutigen Dubois. Dabei begegnen sich die Männer auf Augenhöhe, wobei einer zumindest in der Theorie einen Schritt voraus ist.
Neben den naturalistischen Beschreibungen – Blitz und Donner spielen eine Rolle – integriert Jules Verne aus dem Nichts heraus eine interessante technische Erfindung, auf der damaligen höhe der Zeit. Der Leser ist genauso wie die Zöllner vollkommen verblüfft, wobei Erklärungen im Vergleich zu seinen späteren Romanen deutlich karger präsentiert werden.
Die Handlung ist geradlinig und der Gang der Protagonisten an den steilen Berghängen ist ein Symbol für ihr eigenes Leben. Jeden Augenblick kann der Tod kommen. Entweder durch eine unvorsichtige Bewegung oder die Kugeln der Zöllner, die wenig Rücksicht nehmen. Und trotzdem zeichnet Jules Verne wie in einigen seiner späteren Roman Erfolge die „Schurken“ als Männer mit Charisma, als sympathische Helden außerhalb der politisch stringenten, aber auch korrupten Systeme. Sie sind frei wie der Wind, der durch die Berge streicht. Jede Schmuggler Mission weckt das Adrenalin in ihren Adern. Insbesondere San Carlos lebt als Anführer seiner kleinen Truppe auf, die er mit harter, aber fairer Hand führt. San Carlos ist keine frühe Inkarnation Kapitän Nemos, denn während der Kapitän der Nautilus ja Rache nehmen möchte, ist für San Carlos eine Querung der Pyrenäen ohne Begegnung mit anderen Menschen/ Soldaten ein spektakulärer Erfolg. Das die Zeiten härter werden, deutet Jules Verne durch den Tod eines anderen bekannten Schmugglers auf einer Mission an.
Dabei trotzen sie – wie mehrfach erwähnt – in einem für Jules Vernes Werk typischen literarischen Naturalismus, Mensch und Natur gleichzeitig. Aus seinen außergewöhnlichen Reisen lassen sich unzählige Szenen entnehmen, in denen die Protagonisten anfänglich hilflos den Unbilden der Natur ausgesetzt wurden. Vieles findet sich konzentriert in dieser frühen Geschichte und trotzdem liest sich „San Carlos“ ein wenig anders, weil der Leser sich durch die Kürze des Textes auf den Protagonisten konzentriert. Das Ende der Geschichte ist für den Moment optimistisch, auch wenn sowohl San Carlos wie auch die Leser wissen, es ist (noch) nicht vorbei.
„Blockadebrecher“ erschien 1865, als sich der amerikanische Bürgerkrieg seinem Ende zuneigte. Sechs Jahre später präsentierte der Franzose die Novelle im Anhang zu Eine schwimmende Stadt“, für die spätere Veröffentlichung nahm Jules Verne einige kleinere Korrekturen vor. Auf diese wird im Nachwort genauso eingegangen, wie die grundlegende Schwierigkeit, die Wortspiele des Autoren adäquat zu übersetzen. Behutsam ist die generell mehr als zufrieden stellende Übersetzung der alten Hartlebenausgabe von Martha Lion nur noch einmal durchgesehen worden. Dem Thema des amerikanischen Bürgerkriegs hat sich der Franzose in „Nord gegen Süden“ – 1887 veröffentlicht – noch einmal gewidmet.
Wie bei vielen Geschichten Jules Vernes fließen historische Ereignisse und eine emotionale Liebesgeschichte geschickt zusammen. Wie sehr der amerikanische Bürgerkrieg die Abenteuerautoren dieser Zeit beeindruckt hat, zeigt auch Robert Kraft. So befinden sich seine Zigeuner ausgerechnet in der Nacht im Hafen der Südstaatenstadt Galveston, in welcher der Krieg ausbricht. Ein Teil der Handlung spielt ebenfalls in der schwer befestigten und lange Zeit vom Norden belagerten Stadt.
Die Reederei Playfair & Co sieht im Krieg ihre große Chance. Die Baumwollimporte aus den USA sind zum Erliegen gekommen, die ganze Industrie in Großbritannien liegt brach. Der amerikanische Süden braucht neben Lebensmittelns vor allem Waffen und Munition. Mit einem schnellen Schiff will die Reederei die Seeblockade durchbrechen und die entsprechenden Güter schmuggeln. Auf der Rückfahrt soll Baumwolle mitgebracht werden. Innerhalb weniger Monate wird das Schiff gebaut und der Sohn des Reeders soll es als Kapitän durch die (handlungstechnisch) feindlichen Linien steuern.
Kurz vor dem Ablegen nehmen sie einen kräftigen Mann und einen Leichtmatrosen an Bord. Schnell stellt sich heraus, dass dieser Mann niemals zur See gefahren ist und auch der Leichtmatrose ein Geheimnis bei sich trägt, das deren Aufenthalt in Galveston zu einer lebensgefährlichen Angelegenheit macht.
Jules Verne hat eine stringente, spannende Geschichte verfasst. Auf der Überfahrt begegnen sie unter anderem nordamerikanischen Blockadeschiffen, denen sie mit einem kleinen Trick und ihrer höheren Geschwindigkeit entkommen können. Sowohl die Einfahrt in den Hafen mit Festungen der Nordstaaten auf der einen Seite, Verteidigungsanlagen des Südens auf der anderen Seite der mehrkanaligen Einfahrt wird ausführlich beschrieben. Hinzu kommt, dass sie aufgrund der ihnen auferlegten Mission bei der Abfahrt im Grunde beide Seiten zu Feind haben könnten.
Auf der emotionalen Ebene bahnt sich eine Liebesgeschichte zwischen einem verzweifelten jungen Mädchen und dem Kapitän an, der ganze Gentlemen bald die Ehre der Reederei metaphorisch über Bord werfen möchte, um dem Mädchen zu helfen.
Jules Verne beginnt aber den Fokus langsam zu verschieben. Auch wenn der Kapitän als Herrscher über das Schiff eine wichtige Rolle spielt, ist es der geheimnisvolle kräftige Mann, der mit seinem burschikos pragmatischen Vorgehen; seinem Mut und vor allem seinen Instinkten die Hauptarbeit macht. Rückblickend kommt der Charakter fast ein wenig zu kurz. Charismatisch wie treu, mutig bis wagemutig verkörpert er einen Menschentypus, den es in dieser Form wahrscheinlich nur in Abenteuerstoffen sowohl der Vergangenheit wie der Gegenwart gibt. Jeffrey Ford hat in seinem Roman „The Portrait of Mrs. Charbuque” eine vergleichbare Figur erfunden. In Jules Vernes Werk sind diese Charaktere keine Seltenheit, auch wenn sie in unterschiedlichen Variationen von im Schatten dominierend bis hilflos daherkommen.
Eine Dreiecksbeziehung oder entsprechende Spannungen baut Jules Verne gar nicht erst auf. Dazu ist seine Geschichte zu stringent und die anfängliche Manipulation verzeiht der junge Kapitän allzu gerne.
Die Geschichte bezieht ihre Spannung aus den historischen Ereignissen mit der Belagerung Galveston; der Schwierigkeit, das Wasser keine Balken hat und Manöver immer sehr viel Zeit benötigen und damit Flanken öffnen und schließlich der Aktion an Land, die im dichten Nebel endet. Die entsprechenden Zeichnungen beleuchten sehr zufrieden stellend das Geschehen.
Im kompakten Format präsentiert „Die Blockadebrecher“ noch mehr als viele seiner Reiseromane oder gar die erste deutlich kürzere Geschichte „San Carlos“ Jules Vernes Stärken als Erzähler. In beiden Texten gibt es eine sehr gute Hintergrundausarbeitung. Die Figuren sind manchmal mit einem zu dicken Federstrich charakterisiert, aber in der Person des jungen Kapitäns und des geheimnisvollen Mannes verschmilzt der ebenfalls charismatische wie intelligente, von seiner Schmuggelei beseelte San Carlos förmlich. In der ersten Story gibt es keine romantische Ebene, allerdings dafür einen deutlich charismatischer entwickelten Antagonisten, der in Jules Vernes Novelle in der Breite, aber nicht in der Tiefe fehlt.
Beide Texte handeln von Schmugglern. Beide Männer bzw. in „Blockadebrecher“ die Reederei wollen auf die Schnelle Geld verdienen. Nicht unbedingt legal, wobei der Krieg zwischen dem Norden und dem Süden einige Mittel rechtfertigt. Es ist auch gleichzeitig ein eingeschränkter Kampf gegen die Elemente, den Jules Vernes Protagonisten erfolgreich unternehmen müssen. Das zeichnet diese kürzeren Texte zusätzlich aus. „Blockadebrecher“ wirkt als Novelle abgerundeter, aber das erzählerische Talent inklusive einiger interessanter Ideen macht den heute noch immer fast unbekannten „San Carlos“ zu einer mehr belebten und damit auch zufriedenstellenderen Lektüre.
Mit den Illustrationen der Originalausgabe von „Blockadebrecher“ versehen präsentiert der Verlag Dornbrunnen nicht nur für Jules Verne Fans eine elementare Sammlungsergänzung und gleichzeitig auch eine dem Original gegenüber respektvolle Neuauflage.

- Herausgeber : Verlag Dornbrunnen; 1. Edition (27. Mai 2019)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 136 Seiten
- ISBN-10 : 394327540X
- ISBN-13 : 978-3943275407
- Originaltitel : San Carlos
