Clarkesworld 222

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke beschäftigt sich immer noch mit den Preisverleihungen für 2024. Interessanter ist Gunnar de Winters Essay „For Sustainable Space Colonies, Let There be Soil”. Ohne Erde geht eine Kolonisation fremder Welten nicht. Auch wenn Andy Weir in seinem verfilmten Buch „Der Marsianer“ etwas anderes „versucht“ hat. Ausführliche Beispiele aus der Science Fiction treffen auf wissenschaftliche Thesen. Der Artikel liest sich sehr flüssig, viele Argumente aus beiden Lagern werden gegeneinander aufgewogen und im Grunde alle als zu leicht befunden.

 Zwei Interviews bilden den Kern dieser Ausgabe. Arley Sorg spricht mit Lee Harris und Julie Dillon. Beide Autorinnen gehen auf verschiedene Aspekte des eigenen, noch relativ kleinen Werks ein. Neben ihren Wurzeln ist es lesenswert, wie sie aktuelle Aspekte verfremden und extrapolieren.

 Sieben neue Kurzgeschichten bilden das Herz des März „Clarkesworld“ Ausgabe. Ryan Cole eröffnet die Nummer mit „From Enceladus with Love“. Dezzi ist ein junges Mädchen, das sich an Bord eines von der K.I. gesteuerten Raumschiffs befindet. Auf Enceladus lebt die Mutter des Mädchen und schreibt jeden Tag Briefe. Der Titel der Story bezieht sich darauf. Eines Tages wird der K.I. bewusst, dass sich ein Mensch an Bord des Raumschiffs befindet. Auch die K.I. hat ein Geheimnis. Der Plot konzentriert sich auf die beiden jugendlichen Persönlichkeiten. Ganz bewusst verzichtet Ryan Cole auf weitere Action. Der Grundtenor der Geschichte ist optimistisch, was für einige „Clarkesworld“ Geschichten im Zusammenhang mit künstlichen Intelligenzen eher überraschend ist. Der Autor schließt auch die Story auf einer zufrieden stellenden, wenn auch nicht gänzlich überraschenden Note ab.

 Auch dem Russischen ist „Pollen“ von Anna Burdenko übersetzt worden. Nika und ihre Schwester sind auf einem fremden Planeten in ihrem Raumschiff gefangen. Die Ökosphäre ist feindlich, anscheinend kann sie auch Menschen imitieren. Eine perfekte Falle- Nika muss einen Weg aus dem Schiff und nicht in die lebensfeindliche Atmosphäre. Die Zusammenfassung lässt die Geschichte chronologisch älter erscheinen als sie in Wirklichkeit ist. Viele der Versatzstücke kommen den Lesern aus den goldenen Zeiten des Pulps, aber auch der osteuropäischen utopisch- technischen Literatur bekannt vor. Trotzdem reist der rasante Handlungsverlauf die Leser mit und am Ende bietet Anna Burdenko ein oder zwei Überraschungen an, welche weder Nika noch die Leser vorhersehen konnten.

 Tlotlo Tsamaase „Mindtrips“ ist eine der beiden längeren Geschichten dieser Ausgabe. Neelo leidet unter einer psychosomatischen Störung und wird entsprechend behandelt. Die Behandlung konfrontiert sie mit der eigenen Vergangenheit als Missbrauchsopfer, in der Gegenwart ist es ihr Freund, der sie manipuliert.

 Die Ausgangsbasis ist wie bei „Pollen“ nicht unbedingt neu oder originell. Aber mit einer geschickten Charakterisierung der handelnden oder besser behandelten Person sowie einigen drastischen Szenen und schwierigen Entscheidungen konfrontiert der Autor die Leser. Sie bewegen sich auf Augenhöhe der handelnden Figur und müssen quasi selbst mitdenken/ mitentscheiden. Wie bei „Pollen“ gibt es keine leichten Auswege und der Spannungsaufbau ist konsequent, in sich logisch und emotional niemals kitschig. Neelo gewinnt als Persönlichkeit, je mehr Informationen der Leser, aber auch sie selbst durch das Eintauchen in die schwierige Vergangenheit offenbar werden. Das macht den Reiz dieser wirklich lesenswerten Novelle aus. 

 „Those Uncaring Waves“ (Yukimi Ogawa) ist eine weitere längere Geschichte. Kiriko lebt auf einer Insel, auf welcher die Einwohner verschiedene Farben und Muster auf ihren Körpern tragen. Sie kümmert sich um die Kranken. Die „Heilung“ erfolgt durch die „Herstellung“ von Körpermustern, wobei die eigentlichen Beschreibungen ausgesprochen ambivalent, fast oberflächlich sind. Eines Tages stellt die Protagonistin fest, dass ihre „Farbe“ vergiftet worden ist. Sie folgt der Spur zu einer Frau mit mentalen Problemen.

 Diese Spur ist der rote Faden der seltsamen, aber faszinierenden Geschichte. Aber Yukimi Ogawa macht es den Lesern nicht einfach. Den hinter jedem Fund scheint eine neue Frage zu stehen. Dabei reicht das Spektrum von exotisch verstörend bis zu einer Regierungsverschwörung, welche die Muster durchbrechen wollen. Das Ende der Geschichte ist herausfordernd. Vieles muss der Leser selbst entscheiden. Es gibt keine finalen Antworten. Das macht den Reiz des Textes aus. Die Ausgangsbasis mit den verschiedenen Mustern/ Farben als Medizin wirkt deutlich bizarrer, vielleicht auch ein wenig zu stark auf den Punkt hin konstruiert. Aber sobald die einzelnen Aspekte des Plots zusammenfallen und die Handlung an Tempo gewinnt, verschwindet der farbenprächtige Hintergrund zu Gunsten einer interessanten Charakterstudie.

 Koji A. Daes „Hook and Line“ spielt an Bord eines Generationenraumschiffs, das sich auf dem Weg von der zerstörten Erde zu einem anderen Planeten befindet. Isabella ist ein Medium, das mit den Geistern der Toten kommunizieren kann. Diese begleiten aus nicht näher erläuterten Gründen die Lebenden zu einem neuen Stern, einem anderen Leben. Isabella versucht Timothy anzulernen, auf eine spirituelle Art und Weise den Kontakt zur Erde aufrechtzuerhalten. Keine leichte Aufgabe. Auch wenn die Ausgangsbasis ein wenig fremdartig und deutlich bizarrer erscheint als in „Those Uncaring Waves“ von Yukimi Ogawa, überzeugt die längere Kurzgeschichte durch die herausfordernde, dreidimensionale Zeichnung der beiden wichtigsten Figuren Isabella und Timothy. Auch die Auflösung der Story überzeugt, weil Koji A. Daes zumindest einen in sich logischen, auf den Prämissen allerdings aufbauenden Abschluss findet. Wenn ein Leser nicht an die Geister der Toten glaubt, funktioniert die ganze Geschichte natürlich nicht.

 Um eine weitere Übersetzung handelt es sich bei „The Sound of the Star“ (Ren Zeyu). Ein Raumreisender – es ist schwierig, den Begriff des „Space Travellers“ in dieser Story wirklich adäquat zu übersetzen – besucht verschiedene Planeten und deren Bevölkerung. Auf jeder dieser Welten stellen die unterschiedlichen Arten der Kommunikation Herausforderungen dar. Der Plot ist nicht so schwerfällig, wie es die Beschreibung erkennen lässt. Vielmehr spielt der Autor mit den Lesern bekannten Klischees und der „Beobachter“ ist im Grunde nur der Mittler zwischen den verschiedenen Welten und den Lesern.

 Damian Neri schließt mit „Funerary Habits of Low Entropy Entities“ den März ab. Der Titel ist tiefgründiger als die eigentliche Geschichte. Während es in „The Sound of the Star“ um Sprache ging, handelt Damian Neris Story vom Tod. Vier Beschreibungen unterschiedlicher Rassen auf verschiedenen Planeten. Vier unterschiedliche Szenarien, in denen es um den Tod, um die Trauer der Hinterbliebenen und schließlich auch die entsprechenden Rituale geht. Vier unterschiedliche Ausgangsszenarien, ausgesprochen kompakt entwickelt und trotz der Kürze der Geschichte überzeugend präsentiert. Ein schweres Thema, das aber mit einer erstaunlich leichten Hand vor exotischen, aber gut gezeichneten Hintergründen entwickelt wird.

 Beginnend mit dem interessanten Titelbild- ein wirklicher Augenfänger – sind es vor allem die längeren Geschichten,  welche den Lesern im Gedächtnis bleiben und deren Plots insbesondere im Vergleich zu einigen der letzten „Clarkesworld“ Ausgaben deutlich besser strukturiert worden sind. Vielleicht hilft es auch, dass keine naturwissenschaftlichen Themen aufgegriffen worden sind. Die größte Schwäche vieler „Clarkesworld“ Ausgaben und ihres Herausgebers.          

Issue 222 : Clarkesworld Magazine – Science Fiction & Fantasy

E Book

112 Seiten