Mal goes to War

Edward Ashton

 

Edward Ashton liebt es zynisch. Schon mit seinem inzwischen verfilmten Debüt „Mickey 7“ hat der Autor seinen bizarren Humor, flankiert mit lakonischen Mono- und Dialogen, vor dem Hintergrund einer im Grunde relativ stringenten und eher klassisch orientierten Science Fiction Handlung freien Lauf gelassen. Auch die Fortsetzung „Antimatter Blues“ folgte dieser Prämisse.

Mit seinem neuen Roman „Mal goes to War“ ersetzt er einen Klon mit einem originären menschlichen Bewusstsein durch eine im Grunde frei bewegliche künstliche Intelligenz namens Mal. Mickey 7 und Mal verbindet dabei sehr viel mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Beide sind freie Geister. Anweisungen werden höchst   unwillig befolgt und beide sind auf ihre jeweilige Art „unsterblich“. Nach jedem Tod wird Mickey in einen neuen Körper reinkarniert, das ständig aufs Neue gespeicherte Bewusstsein hochgeladen und fertig ist ein neuer Mickey. Wenigstens auf dem Papier und natürlich auch nur, bis die Handlung der beiden Romane einsetzt. Ab diesem Moment werden natürlich die etablierten Handlungsmuster verlassen und alles ist anders, damit es bleibt, wie es ist. Auch Mal kann quasi aus dem Infospace in die Körper der Menschen oder Maschinen eindringen und sich zwischen den ganzen technischen Verfeinerungen seinen Platz suchen. Anscheinend braucht er nicht einmal zu fragen, macht es aber natürlich aus Höflichkeitsgründen.

Auf der Erde herrscht Krieg zwischen den Federals, welche ihre Körper mit Implantaten und Genmanipulationen verändert haben und den Humanisten.  Edward Ashton ist kein Autor, der sehr viel Wert auf historische Entwicklungen legt. Wie bei Mickey 7 – dessen tragische Geschichte wird allerdings von ihm selbst erzählt – wird der Leser mitten ins Geschehen geworfen und muss an der Seite seiner Protagonisten mit dem Rennen und nicht etwa dem Laufen beginnen. Das war schnell bei Mickey 7 der Fall. Bei Mal geht es noch schneller, denn die freien KIs leben im Infospace, dem imaginären virtuellen Raum, der überall und schnell nirgends ist.

Der Leser erfährt nur, dass der Krieg zwischen den beiden Gruppen schon “länger” andauert und sich im Grunde inzwischen selbst frisst. Die Infrastruktur ist zusammengebrochen; Plünderungen und Willkür herrschen vor. Ein geordneter Kampf findet im Grunde nicht mehr statt. Im Epilog finden sich nicht nur weitere Informationen, sondern auch das Ende des Krieges wird analysiert. Dabei stellt sich die Frage, wie diese auf den ersten Blick objektive Zusammenfassung mit der subjektiven Beschreibung Mals zusammenpasst. Höhepunkt ist eine finale Bemerkung, weil immer wieder gelöscht werden soll. Wie durch Zauberhand erscheint sie natürlich sofort wieder. Der Leser weiß, wer dafür verantwortlich ist. Angesichts der Konzeption des Buches müsste der Chronist diese Anmerkung natürlich auch umgehend der einzig in Frage kommenden Wesenheit zuordnen können, die mit ihrer unorthodoxen Vorgehensweise den finalen Sargnagel in den Konflikt geschlagen hat. Daher wirkt die Pointe eher konstruiert und erfüllt nur für einen Augenblick die beabsichtigte Wirkung. 

Mal liebt es, das Kriegsgeschehen nicht aus der Distanz zu beobachten, sondern aus der subjektiven Perspektive der Beteiligten. Er klingt sich gerne ein. Er ist gerne mitten drin. Das wird ihm zum Verhängnis, als ihm während eines Studiendrohnenfluges buchstäblich der imaginäre Hintern weggezogen wird. Er wird vom Infospace abgeschnitten und kann sich nur in den kindlichen Körper einer aufgemotzten Söldnerin retten.

Das ist aber nicht Mals einziges Problem. Denn mit dem Eindringen in die Implantate der Söldnerin erbt Mal auch deren Aufgabe. Sie soll eine junge Frau namens Kayleigh vor den Humanisten schützen, welche gerne die augmentierten Mitmenschen in entsprechenden Gruben lebendig verbrennen.   

Wie Andy Weir werden Edward Ashtons Romane von einem teilweise skurrilen Humor getragen. Vielleicht ist es in diesem Fall der Kontrast zwischen einer offensichtlich männlichen A.I. auf der Suche nicht nur nach dem Kick auf den Schlachtfeldern, sondern der menschlichen Seite in sich in einem starken Kontrast zu den Menschen – die Humanisten -, welche sich auch abseits der brutalen Schlachtfelder als unmenschlich, bigott, verbohrt und brutal erweisen. Als moderne Inkarnationen der Inquisition des Mittelalters.

Natürlich ist es immer leichter, wenn die Hauptfigur über einen trockenen Humor verfügt; mittels pointiert vorgetragener Betrachtungen und den entsprechenden Seitenhieb das Geschehen ironisch kommentiert und aus seiner logischen Sichtweise das unlogische Verhalten der Menschen zu interpretieren versucht. Noch komischer wird eine solche Geschichte, wenn die K.I. natürlich im Laufe der Handlung ihre von Beginn an von künstlichen Emotionen getriebene Handlungsweise ablegt und vielleicht auch mit einer emotionalen Seite eine Mission übernimmt, die nicht wirklich ihre bzw. seine Aufgabe ist.

Hinzu kommt, dass Mal ja ohne Probleme von einem Wirt zum Nächsten wechseln kann. Das beginnt mit der Drohne, die er nutzt, um das Schlachtfeld zu beobachten. Er hält sich in einer jungen Kämpferin auf; erlebt das Sterben eines Wirtskörpers mit und muss manchmal auch einen Humanisten belehren, der nichts mehr hasst, als von künstlichen Wesen innerlich gequält zu werden.  Natürlich ist es erstaunlich, dass er ohne den Infospace als Ausgangsquelle weiterhin unsichtbar auf der Erde wandeln und das Bäumchen-wechsel-Dich Spiel spielen kann. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

Schnell steht er – wie es sich für diese Art von Abenteuer Science Fiction gehört – zwischen alle Fronten, die ihn auf unterschiedliche Art und Weise töten wollen. An seiner Seite steht ja nicht nur Kaleigh, die er beschützen will und irgendwie auch muss. Mehr und mehr gesellen sich einige Teammitglieder zu seiner Gruppe, so dass erstens mehr Raum für pointierte Dialoge ist, aber vor allem auch zweitens die dynamischen Momente auf mehrere Schultern verteilt werden. Zumindest bei Mal gilt, niemals geht man so ganz. Daher ist er auch nur bedingt als klassischer Antiheld zu gebrauchen.

Daher wirkt Mal auch an einigen Stellen wie eine K.I. Version von Martha Wells „Killerbot“. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen einer Kampfmaschine und einer zwischen Wirten hin und her wechselnden A.I. Aber bei haben einen vergleichbaren, sardonischen Humor. Beide sehen sich grundsätzlich den Menschen gegenüber als überlegen an, auch wenn sie beide während ihrer jeweiligen Missionen – bislang ist „Mal goes to War“ ein alleinstehender Roman – erkennen müssen, das Menschen mehr als nur zäh sind; sie sind auch hinterhältig und manchmal einfach nur clever. Bislang ist Mals Spielfeld eingeschränkt;  die Handlung spielt auf der Erde, während der Killerboot von einem Planeten zum nächsten reist.

Aber beide „Wesen“ sind teilweise auch introvertiert, bilden ihre Persönlichkeiten kontinuierlich aus und fangen an, individuell zu „leben“, abseits der ihnen gestellten Aufgaben. Und diese Entwicklung macht den Reiz der jeweiligen Bücher aus.

Martha Wells verliebt sich stellenweise auch mal in ihren Antihelden und baut zu viele Nebenhandlungen zum Leidwesen der abrupt beendeten Novellen oder Romane ein. Aber „Mal Goes to War“ leidet zusätzlich unter der schon angesprochen seltsam rudimentären Handlung sowie den Nebenfiguren, die eher pragmatisch eindimensional dargestellt worden sind als das sie eine Ergänzung des dominierenden Mals bilden. Martha Wells hat um ihre Überfigur herum im Laufe der bisher veröffentlichten Geschichten auch interessante, dreidimensionale Nebenfiguren erschaffen. 

Dazu agiert die K.I. on a Mission zu dominant. Mit dem Wechseln von Körpern hat sie eine ideale Spielwiese, auf welcher sie nicht nur den Freunden helfen,  sondern die Antagonisten mit fortschreitender Handlung mehr und mehr dort treffen kann, wo es am meisten wehtut.  Folgerichtig ist das Finale der Höhepunkt einer Reihe von Wechseln. Allerdings nur in Hinblick auf die Effektivität, mit welcher Mal schließlich den in den Geschichtsbüchern dummen Krieg genannten Konflikt beendet. In verbaler Hinsicht erreicht der Roman wenige Seiten vorher sein dialogtechnisches Feuerwerk. Mal und sein Wirt Pulman sind in einer seitenlangen Konversation gefangen, die an pointiertem Humor, absurden Thesen und schließlich einer Art „Waffenstillstand“ nicht zu übertreffen ist.

Absichtlich reduziert Edward Ashton den Konflikt auf alle Bereiche direkt um Mal herum. Dadurch ist die Spannungskurve deutlich intensiver angelegt; der Leser ist angesichts der im Epilog ein wenig mehr erläuterten Hintergrunde nur subjektiv sensibilisiert und Mal kann das Geschehen auf Augenhöhe kommentieren. Dabei ist zwischen seinen aktiven Aktionen wie dem Einschleichen in die Festung des Feindes auf der Suche nach der natürlich verschwundenen/ entführten Kaleigh sowie passive Reaktionen – wieder ist ein Wirt hin und es muss gewechselt werden – zu unterscheiden. „Mickey 7“ war in dieser Hinsicht vielleicht stringenter, weil der Protagonist immer wieder gefährliche Missionen ausführen musste und die zweite Hälfte des ersten Buches eher eine Reaktion auf die erste Mission darstellte. Dafür ist „Mal Goes to War“ deutlich anarchistischer und reaktionärer. Natürlich kann sich Edward Ashton am Ende eine eher allgemeingültige Bemerkung zum aus seiner Sicht faszinierenden, aber auch minderbemittelten Homo Sapiens und dessen komische Ansicht nicht verkneifen. Natürlich findet Mal Krieg per se absurd;  diesen Konflikt besonders fragwürdig, basierend auf Vorurteilungen. Wie in „Mickey 7“ die Klone, ist hier die künstliche Intelligenz der bessere Mensch, auch wenn Mal diese Degradierung mit aller Entschiedenheit ablehnen würde.

Vor allem sind die Außenseiter die am meisten sympathischen und dadurch auch am meisten überzeugenden dreidimensionalen Protagonisten in Edward Ashtons bisherigem insgesamt sechs Romane umfassenden Werk. Zusammen mit Andy Weir sowie Einschränkungen Martha Wells bildet Edward Ashton ein anarchistisches Trio Infernale, das klassische Themen mit dem angesprochen subversivem Humor, lakonischen Dialogen, aber auch neuem Schwung aufbereitet und den Leser im 21. Jahrhundert präsentiert. Hinsichtlich des Untertitels eines „K.I. Thrillers“ sollte sich der Leser nicht täuschen lassen. Es ist eine klassische, stringente Science Fiction Geschichte, mit einer erstaunlich bodenständigen und deswegen auch so menschlichen K.I. Weit entfernt von - zum Beispiel - der Maschinenintelligenz Trilogie eines Andreas Brandhorsts.    

Mal goes to War: Ein KI-Thriller

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 15. Januar 2025
  • Auflage ‏ : ‎ Deutsche Erstausgabe
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 400 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453323467
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453323469
  • Originaltitel ‏ : ‎ Mal Goes War