Wieder bringen die drei Herausgeber Mario Frankem Marianne Labisch und Uli Bendick im Verlag Torsten Low den ganzjährigen „Science Fiction Art und Kalendergeschichten“ Bildband für die Wand heraus. Inklusive des Titelbildes dreizehn eindrucksvolle Bilder, die von dreizehn Geschichten – nicht immer muss es eine zwölf bei einem Kalender sein – begleitet werden.
Auf dem Deckblatt eröffnet Susann Obando Amendts “Die Suche nach Li Shu” mit einer auf der einen Seite deprimierenden - eine Tochter hat Schwierigkeiten, ihre Mutter in dem abgeschieden an der Küste liegenden Haus mit dem Notwendigsten zu versorgen – und gleichzeitig hoffnungsvollen – eine Begegnung am Strand zeigt, wie wichtig Liebe, Mut und Mitgefühl nicht nur unter Menschen sind – Geschichte das Kalenderjahr. Aus einer bekannten Prämisse macht die Autorin effektiv eine vor allem emotional überzeugende Auftaktgeschichte.
Detlef Klewers "Dachboden-Blues" erzählt aus der Perspektive eines Roboters, dem nichts Anderes übrig bleibt, als zu warten. Die Grundidee ist vielleicht nicht unbedingt neu, aber in dieses kleine melancholische Stillleben fließen mit der Angewohnheit der Menschen, nichts unbedingt zu entsorgen oder recyceln, sondern “weg zu legen”; dem Drang nach etwas Neuem und Besseren und schließlich der vergehenden Zeit viel Alltägliches ein, das aus der Perspektive des Erzählers eine besondere Note erhält.
Auch in Nicole Rensmanns “Hopefly” geht es um Einsamkeit, um Vergänglichkeit und schließlich nicht nur um die Arroganz der Menschen, sondern einen Neuanfang, der gleichzeitig auch ein Ende bedeutet. Die Ich- Erzählerin ist Mitglied der androjanischen Generation, die seit fast neunzig Jahren unter unerkannt den Menschen lebt. Ihr Volk ist vom Aussterben bedroht, den Rest übernimmt die Menschheit. Viele Ideen fließen in diese stilistisch eloquente Geschichte mit einer fremden und doch warmherzigen Erzählerin ein, auch wenn Nicole Rensmann am Ende den belehrenden wie mahnenden Holzhammer rausholt.
Der sachliche, sehr komprimierte Stil Jörg Weigands ist perfekt für die für einen Kalender notwendige Dichte der Erzählung. “Zeitzauber” beschreibt die Rückkehr einer Expedition in die Tiefen des Alls, ausgesandt von der herrschenden Kirche. Die Mission ist klar umrissen: Gott suchen und vor allem Gott finden. Der Beweis für Gottes Existenz muss in den Tiefen des Alls liegen. Auf der unfreiwilligen Rückkehr kommt es zu einer übernatürlichen Begegnung. Das Ende lässt sich in mehrfacher Hinsicht interpretieren. Nicht ganz klar ist, warum keine Meldung gemacht wird. Aber Jörg Weigand braucht durch die Kürze des Textes ein entsprechendes Ende, so dass der Text mit seinen vielen Details überzeugend beginnt und zu offen endet.
Voller Ironie ist der Titel “Geplatzte Träume” Programm bei Verena Jung. First Contact Geschichten sind ein Genre, das inzwischen ehrfurchtsvoll einen langen Bart trägt. Neue Ideen zu generieren, die Missverständnisse zwischen zwei, wie hier beschrieben, derart unterschiedlichen Kulturen originell zu erzählen, dass der Leser überrascht und erfreut wird, ist eine Herausforderung, die nur wenige Autoren wirklich meistern können. So kurzweilig Verena Jungs Geschichte auch sein mag, so mechanisch verläuft der Plot leider.
Karla Weigands “TERRA INCOGNITA” leidet unter dem entsprechenden Kalenderblatt, das die von der Autorin sorgsam versteckte Pointe offenbart. Technisch handelt es sich um eine sauber geschriebene Story von einer Expedition der Nachkommen von Flüchtlingen, welche vor einer unbestimmten Zeit der Erde den Rücken gekehrt hatten. Jetzt befinden sie sich auf Spurensuche und werden natürlich “fündig”.
Auch Zeitreise ist ein inzwischen sehr oft zum Klischee reduziertes Thema. Werner Zilligs “Nullpunkt” beschreibt die Reise des Ich- Erzählers bis in die Ära, als die Pyramiden des Cheops gebaut wurden. Die Reise ist für den Erzähler aufregen und frustrierend zugleich. Das ist die originelle Grundlage getreu dem Motto von Goethes Faust hinsichtlich der Flüchtigkeit des Augenblicks. Aber Werner Zillig gelingt mit kleinen Anmerkungen, Zeitreise vielleicht nicht unbedingt verständlicher, aber plausibler zu machen. Das ist die eigentliche Stärke dieser Miniatur.
Die zweite Zeitreisegeschichte “Ich habe das nicht verstanden” von Axel Kruse schildert die Begegnung zwischen einem siegreich aus der Schlacht von 1415 kommenden Ritter und einer weiblichen Zeitreisenden, welche durch eine Begegnung mit Jesus etwas Positives bewirken wollte. Der Leser kann sich die Pointe bildhaft vorstellen. Auch wenn es sich nur um eine Miniatur handelt, ist der Plot doch ein wenig zu schematisch entwickelt und die angesprochene Pointe wahrlich nicht originell.
Dabei ist das Thema “Zeit” nicht einmal abgenutzt. In einer der besten Geschichten dieses Kalender schreibt Christian Endres in “Gute alte Zeit” von den Schwierigkeiten, den entsprechenden Stoff im All zu suchen, zu finden und schließlich weiter zu dealen. In einem humorvollen, leicht lakonisch geschriebenen Tonfall verfasst präsentiert der Autor bis zur Pointe eine Reihe von Wortspielen, welche sich positiv von den teilweise sehr trockenen Arbeiten der Kollegen positiv unterscheiden.
Viele Ideen in den drei Textblöcken präsentiert “Ein Traum, der Hoffnung gibt” von Ansgar Sadeghi. Es ist nicht die einzige Geschichte in diesem Kalender, welche schon im Titel die wichtigste Aussage der Handlung zusammenfasst. Der rote Faden sind die beiden Zwillinge Noriu und Tiqua, welche den Untergang ihrer Welt erleben, im Orbit träumen und schließlich das Signal zum K.I. gesteuerten Aufbruch zu neuen Ufern liefern. Viele der von Ansgar Sadeghi angesprochenen Aspekte wie Umweltzerstörung und darauf aufbauend ein finaler Krieg finden sich nicht nur in zahlreichen Genregeschichten, sondern in Variationen auch in diesem Kalender - siehe Nicole Rensmanns “Hopefly”- . Vielleicht wirkt alles zu dicht, zu sehr auf die Spitze fokussiert, aber in “Ein Traum, der Hoffnung gibt” fehlt die Leser ein wenig die Identifikation mit den beiden eher behandelten als handelnden Zwillingen. Das volle Spektrum ist da, die Struktur ambitioniert und das offene Ende hoffnungsvoll. Und doch fühlt man sich eher wie in einen Film versetzt, der vor den eigenen Augen abläuft, als mitten in der laufenden Handlung.
Deutlich intimer geht es bei Thorsten Küpers “Ein Spiegel meiner Seele” zu. Dabei manipuliert der Autor geschickt die Erwartungen nicht nur des Protagonisten, sondern auch der Leser. Er spielt mit den K.I. Klischees und zeigt plötzlich eine gänzlich andere Lösung auf. Im Gegensatz zu vielen anderen Kalendergeschichten wird der Plot durch Dialoge getrieben, was den Text weniger kompakt, sondern harmonischer und damit auch zugänglicher erscheinen lässt. Ob die K.I. wirklich der Spiegel zumindest einer Seele ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber die Voraussetzungen sind deutlich besser als bei vielen anderen Storys, in denen die künstliche Intelligenz sich wie ein Wissen auf saugender Vampir über die Hintertür ins Haus schleicht.
Kalender stellen den Wegweiser für das kommende Jahr dar. Im idealen Fall auch den perfekten Reisebegleiter. Michael Schmidts expressives “Desdemonda” beschreibt eine solche Reise von der Wiedergeburt in eine ferne Zukunft, mit dem Untergang und der Zukunft an der Seite, wie Desdeomonda dem Protagonisten entgegen schleudert. Michael Schmidt vertraut eher auf Strömungen, packt verschiedene Aspekte in seine Kalendergeschichte, aber keine klassischen Storyplot. Dadurch wirkt sein Text auf den ersten Blick wahrscheinlich ausdrucksstärker als er final ist.
Mit der hoffnungsvollen Kurzgeschichte “Der Baum ist der Anker” beendet Gabriele Behrend das Jahr 2026. Mit dem sterbenden Baum der Bäume und den Versuchen, den Baum zu retten, spricht die Autorin im metaphorischen Sinne auch gegenwärtige Sorgen und Ängste an. Stimmungstechnisch erinnert die Miniatur an Themen aus der Welt “Der Terranauten”. Das ist nicht negativ gemeint, aber mit dem grünen optimistischen Grundgedanken und der Kooperation der verschiedenen Universen mit ihren guten Gedanken, Schwingen und Ressourcen appelliert die Autorin an ein Miteinander. Passend nicht nur für den Dezember mit Weihnachten als Höhepunkt. Passend für ein ganzes Jahr.
Die insgesamt dreizehn lesenswerten Kurzgeschichten werden von ganzseitigen farbigen Illustrationen Uli Bendicks und Mario Frankes begleitet. Ihr Themenspektrum ist breit und hat die entsprechenden Kurzgeschichten inspiriert, manchmal herausgefordert und die Autoren in einigen wenigen Fällen auch ein wenig überfordert. Das Titelbild des Kalenders gehört dabei zu den schönsten Bildern. Einige der Computergrafiken wirken in Hinblick auf die humanoiden “Personen” - dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Mensch oder Maschine handelt - unter der statischen Komposition des Bildes. Sie wirken zu künstlich. Auf der anderen Seite finden sich zahlreiche Einblicke nicht nur in den Kosmos, sondern auch die “Zeit”, wobei nur Karla Weigands Miniatur unter der - wie schon angesprochen - klar erkennbaren Abbildung der Pointe leidet.
Wie die letzten Kalender durch die Kombination aus Text und Graphik ein idealer Begleiter durch das Jahr, der auch zum mehrmaligen Lesen einzelner Geschichten oder das Betrachten der ausdrucksstarken Bilder im entsprechenden Abstand anregt. Natürlich ist es wieder mehr als ein reiner Zeitmesser, es ist ein Sammlerstück.

