Perry Rhodan Neo 76 "Berlin 2037"

Frank Böhmert

Mit dem Berliner Gastautoren Frank Böhmert will „Neo“ beim Protektorat Erde etwas Lokalkolorit in die Serie mischen. In dieser Hinsicht ist der Roman allerdings eine Enttäuschung. Es werden einige markante Plätze benannt, aber im Vergleich zu zum Beispiel Christian von Ditfurths „Ockerstraßen WG“ Serie beschränkt sich Frank Böhmert auf Oberflächlichkeiten. Noch enttäuschender ist, dass anstatt vielleicht auch mit einem subversiv humorvollen Lächeln die Berliner Eigenheiten in eine mögliche Zukunft extrapoliert werden, der Roman schließlich in einer Auseinandersetzung zwischen den Mutanten und den Arkoniden gipfelt. Im Jubiläumsband 75 hatte Frank Borsch die Auswirkungen der Invasion der Arkoniden unter dem Gesichtspunkt der Ignoranz einer überzeugenden Zeitleiste schon beschrieben. Frank Böhmert tritt zunächst einen Schritt zurück und beschreibt das erste Auftreten der Fremden auf der Idee in einer Symbolik, die leider einen langen Bart an Vorbildern hat. „V“ wäre hier expliziert zu nennen.

Auch die intime „Cyco“ Handlung kann nicht gänzlich überzeugen. Bedenkt man, wie lange die erste Begegnung zwischen den Arkoniden und Rhodan her ist und wie lange sich die meisten Nationen auch militärisch gegen die Idee einer „dritten Macht“ gewehrt haben, erscheint es unwahrscheinlich, dass inzwischen eine ganze Subkultur entstanden ist, die mittels verfügbarer kosmetischer, medizinischer und chirurgischer Mittel ihre Körper zu „augmentieren“ und damit ihren Wunschvorstellungen anzupassen suchen. Nicht das die Grundidee unsinnig entwickelt erscheint, aber die Kosenquenzen mit einem knörchenden Nackenschild inklusiv drei Stirnhörnern wie bei einem Stegorausres erscheint übertrieben. Pauls Freundin Mia will sich zu Beginn des Romans biomechanische Katzenaugen- Implantate einsetzen lassen. Mitten in dieser Operation beginnt die Arkonideninvasion mit den „Fürchtet Euch nicht, Erdlinge“ Worten, die inzwischen im Rahmen der Science Fiction ein Klischee darstellen. Es ist erstaunlich, dass sich ein talentierter Autor wie Frank Böhmert hier nicht hat mehr einfallen lassen. Der Fürsorger postiert seine wenigen Raumschiffe über den wichtigsten Hauptstädte der Welt, zu denen auch Berlin gehört. In jeder dieser Städte  wird für den Sektoralkommandanten ein 600 Meter Khasurn Trichterhaus errichtet. Mit Paul und Mia verfügt der Roman über „normale“ Menschen, welche die Invasion und den Widerstand der Naats mit eigenen Augen verfolgen. Da der Handlungsverlauf allerdings bekannt ist, kann Frank Böhmert trotz des Bemühens, den Plot dynamisch und packend zu beschreiben, im Grunde keine Spannung erzeugen. Unter diesem Aspekt leidet auch das weitere Fortschreiten der Handlung, da wie leider zu oft in der „Neo“ Serie die Entwicklung eher phlegmatisch voranschreitet. Alleine der Rückgriff auf lange vermisste und in einigen Romanen auch gut entwickelte Figuren macht „Berlin 2037“ zu einem oberflächlich lesenswerten Band der Serie.    

Paul schließt sich später den neu gegründeten „Terra Police“ Einheiten an. Obwohl vorbestraft erhält er eine Art zweite Chance und bewältigt die einzelnen Tests mit Bravour. Sein Ziel ist es, Mia medizinische Geräte und Medikamente zur Verfügung zu stellen, um ihr aufgrund der missglückten Augenoperation zu helfen. Da Frank Böhmert Paul insbesondere zu Beginn als Charakter eher ambivalent entwickelt hat, wirkt der Anpassungsprozess inklusiv der entsprechenden Propaganda eher mechanisch und beinhaltet zu wenige Überraschungen. Die Ausbilder Orbton Nahor – ein von seiner Sippe verstossener Mehandor – und dessen Freundin  Ingesi – eine Arkoniden von einer Welt mit erhöhter Schwerkraft – kümmern sich im Rahmen ihrer Pflichten gut um Paul. Auch hier fließen die verschiedenen Elemente zu schnell ineinander. Auch wenn die Arkoniden sehr viel Erfahrung mit der Besetzung und Kolonisierung von fremden Welten haben, wirkt ihre Vorgehensweise für die Erde so einzigartig. Der Leser im Gegensatz zu den Autoren hat nicht vergessen, dass an der Seite Rhodans schon einige besetzte arkonidische Welten besucht worden sind und meistens dienten die mit gebrachten Helfer als Ordnungsorgane. Selbst das Argument, dass nur eine kleine Grenzflotte ausgeschickt worden ist, um diese Welt absichtlich oder zufällig zu finden – ein bislang nicht aufgeklärter Widerspruch – und zu kolonisieren, kann eigentlich nicht zählen, da es angesichts des bisherigen Zeitverlaufs und der Geschwindigkeiten der Arkonidenraumschiffe möglich gewesen sein musste, weitere Truppen auf die Erde zu bringen. Pauls Handeln besteht dann eher aus Trotz. Das die Arkoniden nur Flottenangehörige operativ behandeln, sollte von Beginn an klar sein. Es gibt auch kein Argument, die gerade verpflichteten Rekruten operativ zu behandeln. Kosmetische Veränderungen erscheinen aufgesetzt, zumal die Waffentechnik der Fremden ausreichend sein sollte. Zumindest gelingt es Frank Böhmert, in mehrfacher Hinsicht der Paul Handlungsebene ein dunkles Ende zu geben und das Interesse der Leser aufrechtzuerhalten.

Zum Schreien komisch ist aber die zweite Handlungsebene. Um es noch einmal zusammenzufassen. Die Arkoniden haben die Erde besetzt. Es wurde nicht viel Widerstand geleistet. Alleine die Naats sind ausgerottet worden, nachdem die Zivilisten aufgefordert worden sind, Terrania zu räumen. Neunundneunzig Prozent des Planeten sind also unversehrt und der normale Wirtschaftskreislauf sollte ohne Einschränkungen ablaufen. Sicherlich ist die Produktion von Waffen eingeschränkt oder gar verboten worden. Neue Währungen wurden auch nicht eingeführt. Diese Fakten muss sich ein Leser vor Augen halten, wenn frank Böhmert tatsächlich behauptet, dass aus den Lagern der Arkoniden nicht kritische Bedarfsgüter der Flotte wie Toilettenpapier verschwinden !!! Nahor geht davon aus, dass die Rekruten es stehlen, um das Zeug auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Welchen Schwarzmarkt für diese Artikel denn? Wenn zumindest arkonidische Waffen, Talismänner, außerirdische Bücher oder dergleichen geklaut werden würde, könnte man dieser Argumentationskette noch folgen, aber niemand braucht Toilettenpapier auf einem Schwarzmarkt kaufen. Vor allem weil es terranische Mutanten sind, die mittels Teleportation auch Medikamente stehlen. Diese Idee wäre noch nachvollziehbar, aber bedenkt man, dass die Mutanten weniger auffällig auf der Erde überleben könnte, da eine totale Überwachung innerhalb dieser kurzen Zeit und vor allem angesichts der beschränkten Besatzerkräfte unabhängig von der Terra Police gar nicht eingerichtet werden kann. Schnell findet man heraus, dass es sich um die genetischen Spuren eines der zur Fahndung ausgeschriebenen Mutanten handelt. Da während der Mutantenkrise die Fähigkeiten dieser besonderen Menschen durcheinander gewirbelt worden sind, ist John Marshall inzwischen ein Teleporter. Die oppositionellen Kräfte innerhalb der Besatzertruppe helfen John Marshall schließlich, in einer kritischen Situation zu entkommen, nachdem er sich als Mitglied einer Befreiungstruppe zu erkennen gegeben hat.  Anführer ist Bai Jun, das Hauptquartier liegt welche Überraschung in Berlin. Das offene Ende verspricht sowohl beim Kampf der Rebellen gegen die Besetzer als auch hinsichtlich des Schicksals Mia hoffentlich mehr Spannung als dieser langweilige Übergangsroman erzeugen konnte.

Mechanisch handelt Frank Böhmert eine Reihe von Klischees ab und setzt nur an einigen wenigen Stellen inhaltliche Höhepunkte. Wie schon angesprochen fehlt dem Roman über das Figurengeflecht hinaus eine innere Spannung und die Idee einer Befreiungstruppe angeführt durch die Mutanten, welche vor wenigen Monaten noch verpönt und gehasst worden sind, ist auch keine Überraschung. Alleine der überwiegende Verzicht auf einen grundsätzlich blassen Perry Rhodan kann den Leser erfreuen. Wie schon angedeutet hätte Frank Böhmert aus dem Berliner Hintergrund sehr viel mehr können und wahrscheinlich auch müssen. Was die Besatzung angeht, werden die kleinen Wissenslücken der Leser geschlossen, werden die großen, nicht chronologisch erscheinenden Abläufe nicht geglättet, sondern leider negativ vertieft werden. Zurück bleiben eine Handvoll von solide gezeichneten Figuren mit ihren rein mechanischen, konstruierten Aktionen und das offene Ende, das eher frustriert als unterhält. Für ein Taschenheft wird wieder zu wenig Handlung geboten und vor allem die einzelnen Sequenzen innerhalb des vorliegenden Textes ziehen sich viel zu lange hin, um wirklich unterhalten zu können.    

 

Taschenheft, 160 Seiten

Pabel Verlag

Erschienen im August

Kategorie: