Der Marsianer

Andy Weir

Andy Weirs inzwischen auch von Ridley Scott zu adaptierender Roman ist im Grunde der feuchte Traum eines jeden Hobbyautoren. Mit einer Mischung nicht nur aus "Apollo 13" und "Castaway", sondern auch eine Extrapolation ohne Freitag oder Außerirdische des unterschätzten Films "Robinson Crusoe auf dem Mars" hat sich der Amerikaner an die Spitze potentiell wichtiger Autoren geschrieben. Zwischen 2009 und 2012 verfasste er seine auf modernen wissenschaftlichen Fakten basierende Robinsonade und konnte keinen Agenten bzw. Verleger finden. Also hat er den Text erst umsonst auf einer Homepage zur Verfügung gestellt, später für den Mindestpreis bei Amazon den Kindlefans angeboten.

Nach mehr als 35.000 Verkäufen in drei Monaten schoss der Titel in die Spitze der meist verkauften Bücher in dieser Subkategorie, wurde vom Verlag Crown schließlich gekauft und liegt jetzt in einer schön anzusehenden Paperbackausgabe des Heyne- Verlags auch auf deutsch vor. Interessant ist, dass viele Verlage darüber schweigen, das sie mehr und mehr auf selbst publizierte Bücher zurückgreifen und diese für sie markttechnisch umsonst getesteten Werke relativ günstig erwerben. Das Schimpfen der Verlage auf Amazon und seine erdrückende Machtstellung kann auch zum eigenen Vorteil ausgenutzt werden.

Auch wenn die Idee grundsätzlich faszinierend ist und die Intensität des Buches durch ein enges Heranrücken an den Gestrandeten Mark Watney auf dem roten Planeten mittels seiner Tagebuchaufzeichnungen viele Flanken offen lässt, wirkt "Der Marsianer" immer ein wenig mechanisch, wenn Weir den roten Planeten verlässt und die Reaktionen der NASA in Kombination mit der heroischen Marsbesatzung zeigt, die ihn durch eine Verkettung unglücklicher Umstände auf dem Mars zurückgelassen haben. Nicht selten schränkt die Ich- Perspektive die Entwicklung einer Spannungskurve ein.

Der Leser weiß, dass der Ich- Erzähler bei einer ehrlichen Vorgehensweise die Ereignisse auch gegen jede Logik überleben muss. Um diese Klippe zu umschiffen, führt Watney ein elektronisches Tagebuch, in das er teilweise selbst ironisch alle Ereignisse diktiert. Natürlich beinhalten dadurch die einzelnen kleine Segmente keine innere Spannung mehr, denn diese Ereignisse muss der Charakter überlebt haben, aber ob Watney seine Reise überlebt, den roten Planeten verlassen kann oder wie sich sein Schicksal gestaltet, bleibt ungewiss, da der Leser wie der Charakter ohne Vorbereitung in die Ereignisse geworfen wird und das Tagebuch jederzeit von der für in vier Jahren geplanten nächsten Expedition geborgen und der Öffentlichkeit vorgestellt werden kann.    

Wie schon angedeutet spielen die schwächsten Passagen auf der Erde und an Bord des Marsraumschiffs. Auf der Erde ist die NASA mit der Erkenntnis überfordert, das Watney noch lebt. Zusammen mit den Politikern treffen sie erst falsche Schlüsse und werden von Watneys Ideenreichtum förmlich überfordert. Er ist ihnen meistens einen Schritt voraus. Nicht umsonst verzweifelt das ausgesetzte Genie an den Paragraphenreitern und Spezialisten. Es tut dem Roman gut, wenn Weir im Grunde die NASA als routinierten Haufen von Fachidioten darstellt, die nur durch hundertfache Prüfungen zu erfolgen kommen.

Das seine Charaktere in dieser Hinsicht die Erwartungen Watneys im negativen Sinne widerspiegeln, rundet oberflächlich den Spannungsbogen ab. Die Seitenhiebe sind nett zu lesen, aber der Leser fragt sich, wie es die Menschen bei dieser Behörde überhaupt auf den Mars geschafft haben. Die verbliebenen sich auf dem Rückflug befindliche Marscrew ist dagegen der patriotisch heroische Teil, der sich natürlich umgehend entschließt, Watney in einem riskanten, aber interessanten Manöver vom roten Planeten wieder abzuholen. Hier fehlen die zwischenmenschlichen Spannungen, die während eines so langen Fluges genauso entstehen wie emotionale Szenen, die Andy Weir eher distanziert und viele Klischees bedienend - die egoistischen Eltern, die verärgerte Ehefrau mit dem Kleinkind quasi auf dem Arm - abhandelt.  

Viel interessanter ist dagegen das Überleben Watneys auf dem roten Planeten. Verblüffend ist, wie wenig der Leser rückblickend über diese Figur erfährt. Er hasst Discomusik und kann mit den Fernsehsendungen der siebziger Jahre wenig anfangen. Kein Wunder, dass seine Kommandantin ihm beides auf einem USB Stick hinterlässt. Er ist von Beruf Botaniker, aber ansonsten ein Faktotum, das im Grunde alles beherrscht. Ledig, mit Eltern. Das war es. Auf den ersten Blick erscheint es dürftig, auf den zweiten Blick kann sich Weir ohne echten Ballast auf die Extremsituation vorbereiten, in welcher Watney im Grunde alle Jugendträume mancher Leser erfüllen kann. Mit dem Auto über einsame Pisten voller Mars Sand rasen, Millionen Dollar treue Geräte wie die Pathfinder Sonde demontieren, hochexplosiven Dünger herstellen oder an einem kleinen Atomreaktor arbeiten.

Seine Erfahrungen, Erkenntnisse, Gedanken, Wünsche, Sehnsüchte oder Hoffnungen hält Watney in einem Logbuch fest, das er aber nicht täglich führt. Anfänglich geht es ihm nur um das Überleben, dann um Kontakt wieder zur Erde herzustellen und auf sein Schicksal hinzuweisen, schließlich auch im eine mögliche, abenteuerliche Rückkehr zur Erde. Über allen Abschnitten seines Überlebens hängt ein Zeitfaktor. Er muss ausreichend Wasser und Nahrungsmittel – in erster Linie Kartoffeln – produzieren. Er muss die Reise zum potentiellen Landepunkt der nächsten Expedition in einem bestimmten Zeitfenster schaffen. Auch wenn sich dadurch eine dynamische Spannung aufbaut, hat der Leser an nur wenigen Stellen das Gefühl, als beherrsche Hektik sein Handeln. Selbst aus den auf den ersten Blick ausweglosen Situationen kommt er mit teilweise originellen Ideen sehr viel besser heraus als im Vergleich das Bewältigen der eher stoisch stupiden Arbeiten.

Es ist dieser alltägliche Kampf ums Überleben in einer unwirtlichen und lebensfeindlichen Umgebung, das für Spannung sorgt. Kleinste Handgriffe können zu Katastrophen führen, während die großen Herausforderungen wie die Herstellung von Wasserstoff oder der Umbau des Atomreaktors vielleicht auch aufgrund der verstärkten Umsicht sehr viel leichter bewältigt werden. Schon andere Geschichten haben das Überleben in Extremsituationen beschrieben, aber keine war wirklich so aussichtslos und verzweifelt wie die von Watney. Die Stärke des Romans liegt in der Tatsache begründet, dass Andy Weir diese im Grunde absurde und von dem bekannten Film „Robinson Crusoe auf dem Mars“ schon einmal damals gegen jede Logik dargestellte Überlebensstrategie absolut glaubhaft präsentiert.

An keiner Stelle hat der Leser Zweifel, dass es unabhängig von der persönlichen Situation des Opfers nicht so sein könnte. Es gibt zwar ein oder zwei Augenblicke, in denen Selbstmord genauso eine Alternative ist wie ein einfaches Aufgeben, diese werden aber weder kitschig noch pathetisch beschrieben. Sie fügen sich in die Handlung nahtlos wie fast bedeutungslos ein.

Andy Weir hat sich nicht nur für diesen Roman mit der gegenwärtigen Technik und verschiedenen in erster Linie naturwissenschaftlichen Zweigen beschäftigt. Vielleicht fordert er von wissenschaftlich wenig interessierten oder vorgebildeten Lesern auf den ersten Seite ein wenig zu viel, wenn der perfekte Kartoffelanbau ohne Dünger genauso beschrieben wird wie die Erschaffung eines Energie Perpetuum Mobiles aus Solarzellen und radioaktivem Material oder das „Erzeugen“ von Wasser. Obwohl in einem sehr unterhaltsamen Stil geschrieben oder besser verbal aufgezeichnet, bemüht sich Weir, die naturwissenschaftlichen Details so ausführlich wie für die Struktur des Romans gerade noch verträglich zu beschreiben.

Der Debütant hat sich zur Aufgabe gemacht, vor dem glaubwürdigen Hintergrund in den einzelnen Situationen ein Mindestmaß an Spannung zu erzeugen. Das gelingt ihm im Verlaufe des Buches sicherlich auch begünstig durch die lange, aber notwendige wie lebensgefährliche Reise mit den üblichen Problemen wie Sandstürmen oder marsianischem Treibsand vielleicht noch besser, intensiver und packender als zu Beginn des Buches, aber die ersten Kapitel bilden die Basis für den Roman. Der Leser muss glauben, das ein Überleben mit der zurück gelassenen Ausrüstung im teilweise unnötigen Überfluss – Lob und Kritik an der NASA zugleich – möglich ist.

Herausgekommen ist mit „Der Marsianer“ ein für einen Erstling erstaunlich flüssig zu lesender Roman, der mit einem gut strukturierten Tempo immer wieder trotz der wie schon angedeuteten grundlegend distanzierten Berichtserzählform nicht nur Spannung erzeugen und den Leser über viele wissenschaftlichen Themen informieren kann, sondern in der Gestalt eines Survivalthriller wie kaum ein anderer Roman der letzten Jahre und dem Einfluss von „Gravity“ entsprechend das Interesse an der bemannten Weltraumfahrt und den Gefahren wieder aufleben lässt. Unabhängig von den schwächeren, nicht auf dem Mars spielenden Szenen ist Weirs Buch ein empfehlenswertes, das aus einer uralten Prämisse – Robinson Crusoes gibt es überall – etwas Originelles und vor allem intelligent Gestaltendes macht.     

Broschiert: 512 Seiten
Verlag:
 Heyne (13. Oktober 2014)
ISBN:
 978-3453315839