Rauhnacht

Volker Klüpfel, Michael Kobr

Kurz vor Ende der Ermittlungen denkt der wenig belesene Kluftinger darüber nach, dass der Mord im abgeschiedenen und durch das Wetter isolierten Alpenhotel  an Agatha Christies „Mord im Orient- Express“ erinnert. Auch da haben sich die meisten der Fahrgäste im berühmten Zug versammelt, um Rache für eine Tat zu nehmen.  Im fünften Kluftinger Roman haben alle Protagonisten zumindest in der Theorie Interesse daran, dass dem arroganten Bankier Carlo Weiß etwas zu stoßen könnte.  Klüpfel und Kobr versuchen deswegen den Fall sehr ambivalent anzulegen. Im Grunde scheitern sie schließlich an der eigenen motivtechnischen Auflösung, denn sie macht in der präsentierten Form keinen Sinn.  Es ist schade, dass die Autoren sich nicht weiter über bestimmte Spielarten des Finanzwesens informiert haben und vor allem zwischen Hedgefonds, Betriebsmittelkrediten oder Baufinanzierungen unterscheiden können. Auch wirkt der avisierte Zeitraum zwischen der laufenden Handlung und den in die Gegenwart reichenden Folgen der Ereignisse ausgesprochen ambivalent ausgestaltet.  Theoretisch geht man den Weg des geringsten Widerstandes und praktisch kommt relativ schnell für den aufmerksamen Leser erkennbar nur eine Person als Täter in Frage.  Wenn Kluftinger dann auch noch dem Täter eine Falle stellt, die ihn veranlasst, ein wichtiges Beweisstück passend zu platzieren, dann ist der Fall klar. Natürlich ist es schwierig, einem Kammerspiel nach dem berühmten Vorbild neues Leben einzuhauchen und das Urteil über „Rauhnacht“ – wieder eine Anspielung auf die Mythen/ Legenden des Allgäus – darf weniger wie bei den anderen Kluftinger Romanen aus der Perspektive eines klassischen Krimis gefällt werden, sondern hinsichtlich der inzwischen nicht mehr nur liebevollen Zeichnung der Figuren.

Betrachtet der Leser zuerst den Fall, dann verläuft alles relativ stringent. Die Kluftingers werden zusammen mit  den Langhammers zu einem Krimiwochenende in ein umfassend renoviertes Alpenhotel eingeladen.  Kluftinger hat in „Laienspiel“ durch seinen beherzten Einsatz das Leben der Wirtin Julia König gerettet und jetzt will sie sich revanchieren. Es ist nur eine Handvoll Gäste geladen, da das Hotel nach der Renovierung noch nicht wieder offen hat. Kluftinger soll den berühmten  Poriot spielen und zum ersten Mal in dieser Romanreihe muss er wirklich recherchieren, Verdächtige befragen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Positiv für die ganze Reihe haben die beiden Autoren die Zufallsaspekte fallen lassen und den Kriminalplot intensiviert.  Schon am ersten Abend wird in einem abgeschlossenen Zimmer Carlo Weiß gefunden. Er liegt wie tot da. Kurze Zeit später kann Langhammer nur dessen Tod feststellen. Kluftinger fragt sich, wer den Mann in einem geschlossenen Raum töten konnte. Mit dieser grundlegenden Prämisse greifen die Autoren auf Gaston Leroux und Edgar Allan Poe zurück, die sich mit dem Phänomen eines Mordes in einem isolierten Raum mehrfach beschäftigt haben. Und dieser Aspekt macht den Roman auch so reizvoll. Verschiedene Phasen greifen in dem komplizierten und vielleicht deswegen auch so auffälligen Mordkomplott ineinander. Die Auflösung wirkt bis auf das Motiv glaubwürdig und die Tat ist raffiniert geplant. Kaum hat Kluftinger die Leiche gefunden, schlägt das Wetter um. Starker Schneefall setzt nicht nur die Außenkommunikation – Telefon und Internet, Handys haben in den Bergen sowieso keinen Empfang – außer Gefecht, er zwingt alle Gäste und das wenige Personal dazu, im Hotel zu bleiben. Die Leiche wird in der Garage vorsichtshalber aufbewahrt und entsprechend kühl gelagert.  Mit seinem überambitionierten Assistenten Doktor Langhammer Watson macht sich Kluftinger daran, den Mörder zu fassen.

Relativ schnell stellt sich heraus, das bis auf die Langhammers und Kluftingers alle Gäste und die Gastwirtin den Toten kannten.  Sie hätten alle Motive gehabt, ihm zumindest Böses zu wünschen. Ob es für einen Mord ausreicht, muss Kluftinger gegen Ende feststellen. Da die Informationen überwiegend verbal übermittelt werden – nur einige Hintergrundinformationen erhält Kluftinger später von seinen Kollegen zu Hause, nachdem die Internetverbindung wieder steht – lebt der Roman von seinen Dialogen. Hier verstecken sich auch die Stärken und die Schwächen. Gleich zu Beginn beim Spiel „Ich packe meinen Koffer…“   beweist Kluftinger, wie gut sein Gedächtnis funktioniert. Das hilft ihm mehrmals während der Ermittlungen. Nicht immer zielstrebig, aber zielführend setzt er die einzelnen Facetten des Falls zusammen. Lebten die bisherigen Kluftinger im Grunde vom Widerspruch, einen Polizisten als altbackenen „Deppen“ zu zeichnen, der trotzdem gegen alle Hindernisse erfolgt hat, erlebt der Leser einen nicht unbedingt dominierenden, aber entschlossenen Ermittler, der genau weiß, was er zu tun hat. Auch wenn ihm manchmal der Zufall hilft. Eine weitere Stärke der bisherigen Kluftinger Romane ist die konträre Paarbildung mit Langhammer als Beispiel des modernen, aber auch selbstverliebten Menschen und dem Kluftinger als Urallgäuer, den nicht viel aus der Ruhe bringen kann. Durch die räumliche Nähe dieser beiden Figuren im Hotel und das notgedrungen teilweise  Zusammenarbeiten des Falls hätte man sich eine bessere Zeichnung gewünscht. Langhammer war bisher Kluftingers Alptraum, obwohl er es übertreibend mit seinem Gesundheitstick gut gemeint hat. Jetzt wird Langhammer auf das Niveau eines Idioten reduziert, der selbst in seinem Beruf nicht viel kann. Seine Kombinationen sind albern – jeder ist nach dem ersten Gespräch der Täter -, sein Handwerkszeug bestehend  aus einem Amateurset, einer gigantischen Knallerbatterie für Silvester und natürlich seinem Arztkoffer wird ambivalent genutzt.  Wenn Kluftinger und Langhammer schließlich im Kinderspielbereich des Hotels landen, um die zerbrochene Vase zu rekonstruieren und Briefe zusammenzusetzen, dann ist es nicht mehr richtig lustig, sondern nur noch tragisch.  Wenn Kluftinger schließlich den Poriot macht und alle Verdächtigen befragt, dann hätte Langhammer nach seinen bisherigen Erfahrungen mit dem Kommissar schweigen müssen. Stattdessen stört er diese Vorstellung genauso wie er am Silvesterabend angibt oder Kluftinger durch seine sexuellen Aktivitäten mit seiner Frau beschämt. Dieses ganze Füllmaterial wird negativ durch die Talfahrt abgerundet, die in mehrfacher Hinsicht geschmacklos ist und den Krimi entwertet.  Situationskomik vor allem in Buchform gut und überzeugend zu präsentieren, ist schwierig. Natürlich ist Kluftinger – wie auf der Toilette oder am Buffett sowie als Klischee mit der Kaffeetasse am Computer – eher eine stätige Gefahrenquelle jeglicher Art. Aber die Grenze zwischen einem dummdreisten Trottel, der die von ihm angerichteten Schäden lieber verschweigt als zu ihnen zu stehen – und einem vom technischen Fortschritt überforderten Menschen mit einem Dickschädel sich gegen Veränderungen aus Tradition zu stellen ist schmal. Die beiden Autoren bewegen sich immer wieder auf diesem schmalen Grad, können sich aber nicht zu einem durchgehenden Tonfall entschließen. So entwerten sie immer wieder interessante Szenen mit Klischees – zwei Geliebte, ein neidischer Kollege und schließlich auch noch ein unehelicher Sohn -, die zu wenig nachhaltig extrapoliert werden.

Sie haben mit den natürlich sie auch in eine Form pressenden Doppelvorlage – Christie und Leroux – ein auf den ersten antiquiertes, aber durch die schöne isolierte Atmosphäre gut genutztes Sprungbrett, um einen klassischen „“Who done it“ zu erzählen, der sich bis auf die angesprochen kindischen Exzesse sehr wohltuend von den letzten, deutlich schwächer gewordenen Kluftinger Romanen positiv unterscheidet. Die Nebenfiguren sind solide entwickelt, während Langhammer eine einzige, nicht mal mehr als gut gemeinte Provokation des Dickkopfs Kluftinger geeignete Enttäuschung ist. Positiv dagegen kann der Leser erkennen, dass Kluftinger wirklich ein erfahrener Polizist ist, der sich weniger auf Zufälligkeiten und Tollpatschigkeit verlässt, sondern wirklich ermitteln kann.  In dieser Hinsicht eine deutliche Steigerung zu den letzten Kluftinger Romanen, in denen Charaktere und der eigentliche Fall enttäuschten.   

  

  • Taschenbuch: 368 Seiten
  • Verlag: Piper Taschenbuch; Auflage: 16 (1. Dezember 2010)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3492259901
  • ISBN-13: 978-3492259903

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