Der Primitive

E. C. Tubb
E.C. Tubbs “Der Primitive” ist weniger der vom Klappentext der deutschen Ausgabe propagierte Feldzug eines auf einem primitiven Planeten aufgewachsenen Mannes gegen das Universum, sondern im Kern eine perfide Rachegeschichte, die Shakespeares Ambitionen, aber auch dessen Tragödien in sich trägt. Der Plotkern ist geradezu klassisch, aber auch teilweise klischeehaft.
Ein junger Mann wird von einer reichen Familie gerettet. Als sich die Ehefrau zu sehr für den jungen Mann interessiert, wird er verstoßen. Eine weitere Tragödie bringt ihn schließlich dazu, sein Exil zu verlassen und Rache an dem Mann und seiner Familie zu nehmen, die ihn ironischerweise gerettet und gleichzeitig verdammt hat. 
Mit einem Umfang von knapp einhundertsechzig eng bedruckten Seiten fliegt Leon Vardis erste Lebenshälfte vor den Augen der Leser dahin. Vardis ist auf dem in einer Art Mittelalter gefangenen Planeten Rhome geboren worden. Die Menschen leben von ihrem Aberglauben getrieben von der Landwirtschaft.  Vardis Mutter verfügt über die Gabe, Menschen mittels einer inneren, nicht näher beschriebenen Kraft zu heilen. Als Vardis einige Tage weg ist, dringt eine Meute Männer in ihre Hütte ein und verbrennt seine Mutter als Hexe bei lebendigem Leib. Ein Freund der Familie kann Vardis in letzter Sekunde retten. Gemeinsam reisen sie zu Fuß in eine weiter abgeschiedene Stadt, wo der Freund als Dieb geköpft wird, während Vardis sich noch von dem erschöpfenden Marsch erholt. Ein Arzt nimmt sich seiner an. Er erkennt, dass Vardis Gabe ihm beim Geldverdienen sehr nützlich sein kann. Er beschließt, mit seiner Frau, seiner sehr attraktiven Tochter und dem Jungen in die nächst größere Stadt zu gehen. Hier kommt es zum Zerwürfnis und Vardis muss fliehen.  Eine reiche Familie nimmt sich schließlich seiner an und bringt den “Barbaren” als primitives Spielzeug auf ihren Planeten, bis der schlaue Vardis dem Ehemann gefährlich zu werden droht. Man schiebt ihn auf einen unwirtlichen, harten Planeten ab, auf dem er von den kargen Erträgen des Bodens mit einem Mädchen leben muss.  
Vielleicht wirkt es ein wenig zu stark plottechnisch konstruiert, dass Vardis zum dritten Mal durch einen Schicksalsschlag alles verliert. Nach der Mutter, dem väterlichen Freund jetzt die Geliebte.  Da die Gesetze einen Verkauf von Land verbieten, das man noch keine zahn Jahre bearbeitet hat, heuert Vardis als Söldner auf einem Raumschiff an. 
Es ist das erste Mal im Verlauf der stringenten Handlung, dass Vardis aktiv eine Aufgabe übernimmt. Bis zu diesem Augenblick in seinem Leben haben diverse Schicksalsschläge ihn ziel- und rastlos hin und her getrieben. Er hat zwar von seiner Mutter die Gabe geerbt, Menschen mittels Handauflagen zu heilen. E.C. Tubb verzichtet aber auf weitere religiöse Anspielungen und fordert den Leser auf, diese Fähigkeit als Besonderheit und als Schlüssel für seinen späteren Rachefeldzug sowie sein Überleben zu akzeptieren. Etwas unwahrscheinlich erscheint im Mittelteil des Romans, dass sich Leon Vardis nicht nur als tapferer Söldner erweist, sondern das er einen charismatischen Anführer mimt und den bisherigen, ihm nicht feindlich gegenüberstehenden Söldnerkapitän gnadenlos wie einige wichtige Offiziere eliminiert, um in den Besitz eines Raumschiffs zu kommen. Alle Versatzstücke fallen zu perfekt ineinander und Vardis trifft im Grunde auf keinen nennenswerten Widerstand.  E.C. Tubb definiert die Söldner auch zu oberflächlich, als das der Leser diese einzelnen Vorgehensweisen wirklich nachvollziehen kann. Die Söldner führen die Kriege der reichen Familien, die selbst eher unter Dekadenz leiden. Es bleibt aber offen, ob es sich nur um Familienkonflikte handelt oder ob es noch weitere Bedrohungen gibt.   Die Söldner scheinen freie Unternehmer zu sein, die sich meistens an die abgeschlossenen Verträge halten. Meistens, wie Vardis zu seinem Vorteil ausnutzt.  
 
 
 
Während die Passagen mit den Söldner absichtlich oder nicht an die Piratengeschichten in einem futuristischen Gewand erinnern, dominiert den zweiten Teil eine Rachestory, die in ihrer Komplexität allerdings sehr viel intensiver und kompakter erzählt Alexandre Dumas Erzählung und nicht den unzähligen Verfilmungen von „Der Graf von Monte Christo“ entspricht. Vardis nutzt die Arroganz seiner Geschäftspartner aus. Ihr herabblicken auf den primitiven Wilden, die Ignoranz seiner Fähigkeiten. Die wertvollen Juwelen, mit denen die Galaxis überflutet und in erster Linie die Geldgeber reich werden sollen, dienen eher als MacGuffin. Sie sind schwer zu heben und ihre negativen Eigenschaften wirken rückblickend aufgesetzt. Das sie derartige perfekte Waffen darstellen sollen, gegen die außer dem Protagonisten niemand immun ist, wirkt überambitioniert. Auf der anderen Seite nutzt Tubb den abgelegenen Fundort, um eine exotische Kultur zu erschaffen, die den Ureinwohnern Amerikas entlehnt worden ist. Das Vardis sich selbst als Sinnbild und Opfer des auf reines Profitstreben ausgelegten, in erster Linie irdischen Kolonialismus hinstellt, rückt die Geschichte zu nah an die nähere Vergangenheit heran und wirkt über den innewohnenden Tonfall hinaus stark belehrend. 
 
Aber auch die Zeichnung der wichtigsten Protagonisten ist eher eindimensional. Die Frauen sind in erster Linie Objekte. Käufliche Verführer oder Verführte. Tubb zeichnet sie als Sinnbilder im wahrsten Sinne des Wortes einer reichen wie dekadenten, selbst verliebten „Überrasse“, die dank ihrer technologischen Entwicklungen die Galaxis Untertan gemacht haben. In diese geordneten Kreise dringt mit Vardis ein klassischer Barbar ein. Ohne Frage intelligenter als Conan, dessen Manneskraft die meisten Frauen erzittern lässt. Vardis ist ein ambivalenter Charakter, dem während seiner Jugend mehrmals Unrecht angetan worden ist. Vardis ist aber auch eine Figur, die dem Leser unabhängig von dessen schrecklichen Schicksal nicht sympathisch werden kann. Er ergänzt die biblischen Prinzipien von „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ um Sippenhaft, die ganze Familien ausrottet und ausrotten wird. Tubb beschreibt seinen „Primitiven“ als Mann auf einer Mission, dessen Taten einseitig beschrieben und deren Konsequenzen weitergehend ignoriert werden. 
Hinzu kommt, dass dieser Langzeitplan – er umfasst anscheinend mit Unterbrechungen fast fünfzehn Jahre – auf einer Reihe von Zufällen basiert. Im Vergleich zu einigen anderen seiner Arbeiten fällt dem vorliegenden Roman die melancholische Emotionalität, die seine nicht selten in ihren Leben verlorenen Figuren auszeichnet. Einige seiner Söldner entsprechen Tubbs ansonsten so halbedlen und doch vom Leben gezeichneten, an- aber niemals gebrochenen Protagonisten. Allerdings stehen sie im Schatten des zu dominierenden und deswegen auch fast klischeehaft charakterisierten Vardis, der die Stärken – eine geradlinige Rachstory mit einem emotional immer kälter werdenden Helden – und Schwächen – alles geht im Grunde viel zu glatt und wirkt zu sehr konstruiert -  der ganzen durchschnittlichen Geschichte auf sich vereint.    
 
E. C. Tubb, "Der Primitive", 160 Seiten,
Roman, Softcover,
Pabel Verlag 1985