Der Mann aus dem All

Helmut K. Schmidt

Mit "Der Mann aus dem All" legt Dieter von Reeken einen Sammelband phantastischer Erzählungen Helmit K. Schmidts vor, der als lebenslanger Freund Paul Alfred Müllers auch an "Rah Norton" mitgeschrieben hat. Zusammen mit Paul Alfred Müller hat der 1921 geborene Schmidt an die "Hohlwelttheorie" geglaubt. Im Gegensatz allerdings zu seinem Freund hat Helmut K. Schmidt das Schreiben in unterschiedlichen Genres von der Science Fiction über den Krimi bis zu Jugend-, Soldaten und Westerngeschichte eher neben seinem Beruf - er arbeitete wie es heute heißt in einem Logistikzentrum der amerikanischen Streitkräfte - ausgeübt. Die hier versammelten Texte stammen aus den fünfziger Jahre und sind in unterschiedlichen Reihen von "Erdball" über "Utopia" bis "Luna Erdball" veröffentlicht worden.

Für "Der kupferne Mond" hat der Autor unter dem Pseudonym Ive Steen auf Elemente nicht nur wie im Vorwort erwähnt der "Rah Norton" Serie zurückgegriffen, sondern auch die erzähltechnischen Strukturen der "Sun Koh" oder auch "Jan Mayen" Romane kopiert. Im Gegensatz allerdings zu beiden Serien sind Sax Normans Helfer oberflächlicher definiert. Sie sind eine Mischung aus Rah Nortons Team und Sun Koh Hal und Nimba. 

Die Struktur des als ERDBALL Roman 148 schon 1953 veröffentlichten Romans ist relativ klar definiert. Eine spektakuläre Erfindung wird gemacht, welche insbesondere die Energieprobleme der Erde durch die Ausnutzung der spektakulären Eigenenergie des Mondes lösen wird. Wieder ist es ein einzelner Erfinder, dem seine Idee eher auf eine betrügerische Art und Weise abgeluchst werden soll. Sax Norman ist dagegen durchaus bereit, Millionen aus seinem in diesem Fall Erbe in diese Idee zu stecken. Bevor Norman den Deal abschließen kann, wird in das Haus des in armen Verhältnissen lebenden Erfinders eingebrochen. Ein Feuer entsteht und am Ende wird der drei Menschen rettende Sax Norman als Mörder, Einbrecher und Dieb von der Polizei verhaftet. Im Gegensatz zu Sax Norman weiß der Leser mehr über die nicht wenig komplexe Familienstruktur des Erfinders. Zusammen mit seiner attraktiven Schwester lebt er eher in Armut und wäre auch bereit, ein kleines Verbrechen zu begehen,  um wieder an Geld für seine Erfindung zu kommen. Auf der anderen Seite ist seine Schwester zumindest teilweise auf Männersuche und hat auch versucht, sich den ablehnenden Sax Norton zu schnappen. Später wird noch ein junges Mädchen der Familie wichtig werden. Helmut K. Schmidt agiert vielleicht weniger pathetisch oder belehrend als Paul Alfred Müller in seinen beiden Serien. Auch die Idee, Energie aus Mondlicht zu erzeugen, wirkt nicht nur phantastisch, sondern Helmut K. Schmidt muss zeigen, dass die Bündelung dieser Energie durch eine Glasreflektion aus Effektivitätsgründen notwendig ist, um zumindest ein Feuer zu entfachen.

Viel interessanter ist die Plotwendung in der zweiten Hälfte des Buches, wenn Sax Norman allerdings in einer bestimmten Zelle eines neu erbauten Gefängnisses, das über den Ruinen einer alten Klostersiedlung in Los Angeles gebaut worden ist, eingesperrt wird. Die Zellennummer 1313 gilt als Geisterzimmer, in dem immer wieder Gefangene verschwinden, von denen der Letzte kurz nach seinem Verschwinden aus der Zelle ermordet woanders aufgefunden worden ist. Mit historischen Fakten und einem langen, aus einer subjektiven Perspektive erzählten Rückblick baut Schmidt eine klassische Erpressergeschichte auf, die am Ende in einer an Agatha Christie erinnernden Versammlung aller in Frage kommenden Verdächtigen mittels Sax Poirot Norton dominant und bestimmt aufgelöst wird.  Der Leser hat natürlich keinen Augenblick im Gegensatz zu der viel zu naiven Polizei gedacht, dass Sax Norton wirklich einen Menschen getötet haben könnte.

Aber mit diesem handlungstechnischen Bruch in der Mitte gelingt es Helmut K. Schmidt, dieser Geschichte nicht nur neue Fahrt zu geben, sondern unterhaltsam die auch anfänglich als Einleitung wie bei Paul Alfred Müller hervorgehobene, ironisch kommentierte Geschichte der Stadt Los Angeles gegen die Tradition der amerikanischen Hochglanzbroschüren zu bügeln. Natürlich könnte der Autor auch dafür kritisiert werden, dass er nicht für die "Rah Norton" verwandte Ideen verwendet hat, sondern das her von der Charakterisierung, Struktur und den einzelnen Abläufen her der Inhalt zu nah an den Vorlagen steht. In den fünfziger Jahren war das vielleicht nicht so auffällig wie in der Gegenwart mit der vollständig vorliegenden Neuauflage "Rah Nortons" und "Sun Kohs".  Auf der anderen Seite sind Schmidts Dialoge realistischer und wirken nicht so überambitioniert an der Maschine gezimmert wie bei Paul Alfred Müller. Zusammengefasst ein auch heute noch angesichts der historischen Prämissen und der Nähe zur "Rah Norton" lesenswerter Einstieg in diesen Sammelband.  

In der Titelgeschichte „Der Mann aus dem All“ sprechen die Herausgeber davon, dass Elemente aus der „Sun Koh“ Serie sowie ein Vorgriff auf den Atlan aus der „Perry Rhodan“ Serie in Person des Arkoniden Atlan zu finden sind. Das ist bedingt richtig. Vielmehr erscheint der Roman in der vorliegenden Form wie ein für Paul Alfred Müller und damit auch Helmut K. Schmidt bei der „Rah Norton“ Serie typischer Auftakt. Ein Mann wird „aufgefunden“. Sein Gedächtnis ist entweder gelöscht wie bei „Sun Koh“ oder wie bei „Jan Mayen“ ist die Mission nicht gänzlich bekannt, sondern er weiß, dass er wieder zurück zu den Sternen muss. Gleich in diesem ersten theoretischen Auftaktband werden dessen Fähigkeiten – das ist ein Vorgriff auf die Rhodanserie, in der Telepathen relativ schnell sich assimilieren konnten – charakterisiert. Zusammen mit einer Handvoll Wissenschaftler wird er vom Schurken entführt, um dessen Raumschiff weiter zu bauen. Wie in der „Sun Koh“ Serie handelt es sich um einen Lateinamerikaner, der über einen unendlich großen Reichtum verfügt. Mit dem Inspektor Hutter sowie der Tochter eines Wissenschaftlers wird im Kern schon ein „Team“ für die zukünftige Weltraumforschung zusammengestellt, während der eigentliche Plot sehr kompakt und geradlinig erzählt wird. Alk ist sich der Risiken der Weltraumfahrt mit seinen kaum zu bändigenden Strahlen bewusst und warnt vor der fehlenden Isolation. Es gibt einen Schurken, der aus Eifersucht die Mission durchführen will, auch wenn die Logik noch dagegen spricht und schließlich eine spektakuläre Befreiung. Geradlinig erzählt mit einem ausbaufähigen Alk als Hauptfigur, dessen adaptive Fähigkeiten durchaus „Sun Koh“ und weniger Jan Mayen oder Rah Norton entsprechen wirkt „Der Mann aus dem All“ wie eingangs erwähnt wie eine Variation der drei Serien und hätte wahrscheinlich über mehrere Bände laufend eine faszinierende Serie ergeben. In der vorliegenden komprimierten Version liest sich die abenteuerliche Geschichte trotzdem flüssig und unterhält solide.

 "Spur durch vier Dimensionen" (1958) ist ein in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlicher Roman dieser Sammlung. Zum einen steht eine weibliche Protagonistin im Mittelband der Handlung, die das Geschehen aus der "Ich" Perspektive erzählt. Im ghegensatz zu den anderen Geschichten, in denen die Krimihandlung erst im Entstehen ist, wird die Detektivin beauftragt, nach einem Atomstrahler und den entsprechenden Unterlagen zu fanden. Schnell gesellt sich ein Mord hinzu. Der augenscheinlich einzige in Frage kommende Verdächtige Maruk verfügt über eine Maschine, mit welcher er durch die Zeit reisen kann. Schnell heften sie sich an seine Spuren und auf Augenhöhe lernt der Leser verschiedene, eher fiktive Epochen kennen.  "Spur durch vier Dimensionen" ist ein rasanter Krimiroman, dessen erste Hälfte ausschließlich aus Verfolgungsjagden besteht, die teilweise mit einem leichten Augenzwinkern ohne technisch in die Details zu gehen erzählt werden. Mit einer sympathischen Protagonisten an der Spitze wirkt die Jagd auf Maruk ein wenig wie das Rennen zwischen Hase und Igel. Aber Helmut K. Schmidt hat nicht nur für die Protagonisten, sondern vor allem auch für die Leser eine echte Überraschung bereit. Die Fakten sind nicht so wie der erste Eindruck ist. Der Plot wird quasi auf den geographischen Nullpunkt gestellt und eine klassische Kriminalhandlung insbesondere den Vorlagen aus "Jan Mayen" und "Sun koh" folgend setzt ein. Diese gipfelt in einer Konfrontation aller noch in Frage kommender Verdächtiger und einer Analyse der bisher teilweise vernachlässigten Beweiskette. Vielleicht kann der Leser Helmut K. Schmidt zum Vorwurf machen, das diese Konstellation zu Beginn aufgrund erst später eingeführter Figuren nicht zu erkennen ist. Aber zusammengefasst ist es ein solider Abschluss des ideentechnisch aus den anderen Arbeiten herausragenden, ursprünglich im Rahmen der "Luna Weltall" Reihe veröffentlichten Romans.   

Das in "Spur durch vier Dimensionen" interessant und ausgesprochen modern entwickelte Frauenbild relativiert der Autor im abschließenden Band "Sternengeschenk im Eis" - ebenfalls aus dem Jahr 1958 - gegen Ende der Handlung. Ohne in die Details zu gehen wirkt die pragmatische Haltung einer Mutter unglaubwürdig. Bis dahin ist es ein teilweise interessanter Roman, dessen Beschreibungen der Venus als exotischen Dschungel mit alten, untergegangenen Kulturen und der Möglichkeit einer Besiedelung durch den Menschen eine Mischung aus der späteren "Perry Rhodan" Reihe und den "Venus" Abenteuer von Burroughs darstellen. Vier Freunde finden im Ewigen Eis ein anscheinend not gelandetes, funktionstüchtiges außerirdisches Raumschiff. Es ist auch das einzige Mal, das die überlegenen Überreste einer fremden Zivilisation in den hier gesammelten Abenteuern gefunden und aktiv benutzt werden können. Bis auf den eher Ratschläge gebenden Alk, dessen Raumschiff bei der Landung komplett zerstört worden ist, sind die Menschen wie bei Paul Alfred Müller eher auf die Eigeninitiative angewiesen. Da ein Milliardär eine Millionen für einen Flug zum Mars ausgesetzt hat, nehmen sie ihn an Bord und fliegen erst den Mars, anschließend eher aus der Ferne gesteuert die Venus an, wo sie gestrandet gegen Monster kämpfen müssen und eine alte Anlage auf der Oberfläche finden. Das Ende überrascht ein wenig und Helmut K. Schmidt ist sich nicht zu schade, aus der überschaubaren Anzahl von Charakteren auch jemand zu töten, um so die Spannung oben zu halten und die Naivität zu entlarven, mit der alle an Bord eines ihnen nicht vertrauten Raumschiffs gegangen sind. Was anfänglich ein eher mechanisch entwickeltes Abenteuer ist, das sein Wurzeln erkennbar in den fünfziger Jahren hat, wird am Ende zu einer prophetischen Vision basierend auf einem überaus komplexen und von Zufällen gesteuerten Plan. Weniger elegant und ein wenig stilistisch starrer verfasst als zum Beispiel "Spur durch vier Dimensionen" ist "Sternengeschenk im Eis" - der Titel ist rückblickend auch ein wenig ironisch - ein solides Weltraumabenteuer mit eher oberflächlich charakterisierten, zu emotional handelnden Protagonisten.

Zu den kürzeren Texten - alle aus „Mann und Welt“ stammend - dieser Sammlung gehört unter anderem „Der Atomtod im Cadillac“. Im Kern ein sehr guter Text, der durch das heroische, aber auch konstruiert erscheinende Ende  von seiner dramatischen Wirkung verliert. Ein Einbrecher stiehlt auf seiner Flucht einen Cadillac, der von einem neuen atomaren Stoff angetrieben wird. Gleichzeitig explodiert auf einer Insel der Rest des Stoffes und verstrahlt die Umgebung. Nun fürchten die Wissenschaftler, dass jede Minute der Stoff im Autor ebenfalls explodiert und die Stadt verstrahlt. Eine dunkle Vision, die von dem gnadenlosen Fortschritt warnt, während das Ende zumindest die Gefahren und mit neuer Energie verbundenen Hoffnungen relativiert. Insbesondere für die fünfziger Jahre eine dramaturgisch gut geschriebene Geschichte, die in der ersten Hälfte eine besondere Dynamik aufweist. „Rückkehr gestern“ erinnert in der ersten Hälfte an die dunklen, der Wissenschaft kritisch gegenüberstehenden Arbeiten der Strugatzki Brüder. Aus „Mann aus dem All“ ist die Feindlichkeit des Weltraums übernommen worden. Eine Rakete erreicht nicht die vorgesehene Höhe, weil die Astronauten es für zu gefährlich halten. Der nächste Flug mit einem neuartigen Plutoniumantrieb führt zur Explosion der Rakete und daraus resultierend zum Atombrand auf der Erde, der alles menschliche Leben vernichtet. Bis zu diesem Augenblick des Plots hat Helmut K. Schmidt ein intensives, nihilistisches und pessimistisches Portrait der Weltraumfahrt mit kritischen Anklängen an die Menschen verachtende Rüstungspolitik der Nazis mit dem Nordwerk erschaffen. Danach versucht der Autor unter Einbeziehung der Relativitätstheorie die Geschichte zu einem besseren Ende zu führen, was inhaltlich dem grundlegenden Optimismus der fünfziger Jahre entspricht, von der Botschaft her aber den wirklich guten anfänglichen Part relativiert.Die abschließende Geschichte „Ich war im Mond“ ist nicht nur verspielter, verträumter und im Grunde optimistischer, sie ist auch in einer anderen Hinsicht ein Kuriosum. Wie Paul Alfred Müller ist Schmidt ein Anhänger der Hohlwelttheorie gewesen. In dieser kleinen Episode ist auch der Mond eine Hohlwelt, die an Doyles Gallagher Geschichten von der verlorenen Welt allerdings mit Monstren und nicht mit Dinosauriern erinnert. 

 Zusammengefasst sind die vier ursprünglich als Heftromane veröffentlichten längeren Texten so wie die Kurzgeschichten Kinder ihrer Zeit. Das geben die Herausgeber allerdings auch mit berechtigtem Stolz zu.  Im Verlaufe weniger Jahre hat sich aber Schmidts Haltung gegenüber grenzenloser Forschung vor allem auch in den Bereichen der friedlichen Nutzung atomarer Energie deutlich geändert und mit einer spürbaren Distanz beschreibt er die Naivität seiner Figuren, die jedem potentiellen Lichtblick hinter her laufen, selbst ironischer. Die Bezüge zur "Perry Rhodan" Serie sind spärlicher, aber vor  allem die Variationen von Paul Alfred Müller genutzten Plot Schemata sowie die potentielle Idee, aus "Mann aus dem All" vielleicht eine Serie zu machen,   sind auch heute noch reizvoll und ergänzen die komplett vorliegenden Veröffentlichungen der drei wichtigen utopischen Reihen "Sun Koh", "Jan Mayen" und natürlich auch "Rah Norton", an der Helmut K. Schmidt federführend mit gearbeitet hat. Neben den Innenillustrationen hat Dieter von Reeken sowohl im Text in schwarzweiß als auch im Klappumschlag in Farbe die Titelbilder der vier hier zusammengefassten Romane veröffentlicht. Ein kurzes Vorwort stellt den unter verschiedenen Pseudonymen arbeitenden Autor prägnant vor. Während der Titel "Mann aus dem All" auf einen anderen Roman hinweist, ist das Titel dem abschließenden Roman "Sternengeschenk im Eis" gewidmet. Eine interessante Sammlung von Science Fiction Abenteuern aus den fünfziger Jahren, die wahrscheinlich ohne die Mühe der Herausgeber weiterhin in Vergessenheit geblieben wären.   

 

 

Neuausgabe der in den Jahren 1953–1958 erschienenen Romane und Erzählungen Der kupferne Mond, Der Mann aus dem All, Der Atomtod im Cadillac, Rückkehr gestern, Ich war im Mond, Spur durch vier Dimensionen und Sternengeschenk im Eis
Broschüre, 22 x 15 cm, 345 Seiten, 15 Abb., Anmerkungen, Verlag Dieter von Reeken
 
ISBN 978-3-940679-92-5