"Der lange Krieg"

Terry Pratchett & Stephen Baxter

„Der lange Krieg“ ist der zweite Band einer wahrscheinlich als Trilogie angelegten Serie um die lange Erde, einer unendlichen Zahl von Parallelerden. Terry Pratchett und Stephen Baxter haben das Konzept im ersten Buch teilweise zu Lasten einer kontinuierlichen und vor allem stringenten Handlung mit einigen emotionalen Höhepunkten ohne Frage gut entwickelt und der „Sliders“ Idee mit den unendlich erscheinenden in erster Linie unbewohnten Menschen die Frontiermentalität des amerikanischen Western hinzugefügt.

„Der lange Krieg“ suggeriert unterstützt durch verschiedene Textbausteine die Idee eines Unabhängigkeitskrieges der Parallelwelten von der Mutter Erde. So wollen die USA auf allen Erden in ihrem geographischen Gebiet Steuern erheben, welche dem Original zu fließt. An einer anderen Stelle wird erwähnt, das die inzwischen wirtschaftlich autarken und in erster Linie dem klassischen Tauschhandel vertrauenden Welten diese Steuern nicht akzeptieren wollen oder können. Alleine die Idee eines Bürgerkrieges in einer unendlichen Zahl von teilweise archaischen, teilweise inzwischen rudimentär zivilisierten Welten gegen die nur bedingt übermächtige USA hätte für einen interessanten Roman ausgereicht, zumal das Wechseln zwischen den Welten inzwischen dank der „großzügigen“ Geschenke der Black Organisation selbst mit Luftschiffen möglich ist. Daher ist der Titel irreführend, denn unabhängig von den Konflikten zwischen den menschlichen Siedlungen auf den einzelnen Welten droht nicht zuletzt durch die unmenschlichen Experimente mit den Trollen – sie dienen anfänglich als hilfreiches Substitut für die afrikanischen Sklaven allerdings auf dem Niveau von semiintelligenten Tieren – eine weitere Front. In der Mitte des Buches beginnen sich die Trolle aus allen Welten plötzlich aufgrund dieser Experimente zurückzuziehen und lassen die Menschen buchstäblich mit nicht zu bewältigenden Arbeiten hinsichtlich der Ernten oder auch nur weiteren Besiedelung einzelner Erden zurück. Aber auch dieser Konflikt wird rückblickend nicht gelöst. Wie in „Die lange Erde“ sind die beiden Autoren noch immer in ihre Schöpfung und den mannigfaltigen Ausbau verschiedener Handlungsebenen, erzählt in der Form von teilweise nur kurzen Vignetten verliebt. Grundsätzlich ist diese Vorgehensweise nicht zu kritisieren, zumal das Konzept der „langen Erde“ zu viele Möglichkeiten bieten, sich in dem Wust von Welten nicht nur zu verlieren, sondern bestehende Entwicklungen durchaus kritisch unter die Lupe zu nehmen. Nur irgendwann erwartet der Leser auch eine kontinuierliche Handlung und vor allem eine Fortführung der zahlreichen angerissenen Themen. Stattdessen ist „Der lange Krieg“ im Grunde ein Remake des ersten Buches mit zwei Ausnahmen: die Prämissen sind fest gesetzt und der Leser kann das Konzept schon erahnen. Und zweitens ist alles größer, gigantischer, unübersichtlicher, aber nicht unbedingt besser. So bleiben die beiden Konflikte mit der theoretisch unendlichen Zahl von amerikanischen Revolutionen und die leider an die neuen „Planet der Affen“ Filme erinnernde Auseinandersetzung hinsichtlich der Einstufung semiintelligenten Lebens und vor allem dem Einsatz für die Trolle zu wenig abgeschlossen. Da hilft es auch nicht, wenn Pratchett und Baxter mit Sally über eine Figur aus dem ersten Buch verfügen, die sich für die aus dem Nichts erschienenen Trolle als eine der wenigen Spezis dieser unendlichen Welten einsetzen. Die Grundidee wirkt nicht nur wie eine Variationen der „Planet der Affen“ Filme, sondern bis auf den Niedlichkeitsfaktor kopieren die Autoren Lloyd Buggles „Monument für ein Genie“ oder reaktivieren H. Beam Piepers kleine „Fuzzies“, wobei diese eben als lebendige Teddybären einen Bonus bei den meisten emotionalen Menschen und damit auch den Lesern haben. Anstatt ein konträres Bild aufzubauen und vor allem nachhaltig zu entwickeln, scheint es sich bei diesen beiden wichtigsten Aspekten des vorliegenden Romans eher um lose Plotelemente zu handeln, die entweder am Anfang oder am Ende da gewesen sind und verbraucht werden müssen. Es ist schade, dass Pratchett/ Baxter nicht mit zu wenigen Ideen, sondern zu vielen Szenarien sich der großen Chance berauben, aus der „langen Erde“ Serie wirklich eine interessante, lebendige und vor allem variantenreiche Schöpfung zu machen.  Auf der anderen Seite sind sich die beiden Autoren den zahlreichen Schwächen des ersten Bandes bewusst geworden und versuchen zumindest teilweise, die einzelnen Szenarien abzuschließen und nicht so sehr wie im Auftaktband in de Luft hängen zu lassen. Trotzdem ist zu viel immer noch unglücklich.

So treffen Sally, Monica und Joshua auf eine intelligente Rasse von zweibeinigen Hunden. An einer anderen Stelle wird auf die erzkonservative Datum Erde eingegangen, die anscheinend von der Regierung bis zu den wenig wechselwilligen Bürgern die Entwicklung verschlafen hat. Neu hinzu gekommen ist eine chinesische Luftschiffexpedition. An einer anderen Stelle stürzt ein Luftschiff ab und die Überlebenden müssen nicht nur gerettet, sondern durch die Dimensionen transportiert werden. Selbst die Hinweise auf die paranoiden Sicherheitsvorkehrungen einiger Erden erinnern an Kritik an den gegenwärtigen Strömungen. Aber anstatt diese einzelnen, so unterschiedlichen Szenarien zu Tempiwechsel oder einem differenzierten, vielleicht auch ineinander übergehenden Spannungsaufbau zu nutzen, werden die einzelnen Szenen mehr oder minder unterschiedlich lang oder erkennbare Bedeutung hinsichtlich ihrer Wichtigkeit im ganzen Plot abgearbeitet und schließlich wieder der „Vergangenheit“ überlassen. Das es dabei um menschliche Schicksale wie beim Absturz des Transportschiffes inklusiv einer spektakulären Rettung geht oder die Entdeckung einer weiteren Rasse nachdem angeblich ja die Millionen von Welten unbewohnt sein sollten, spielt keine nachhaltige Rolle.  Viel mehr hat der Leser mehr und mehr das unbestimmte Gefühl, als haben Stephen Baxter und Terry Pratchett nebeneinander her arbeitend die einzelnen Szenen niedergeschrieben. Mit einem eher unauffälligen Rahmen hat wahrscheinlich Stephen Baxter diese Vignetten zusammengefasst.

Das bisherige Konzept wird aber zu Lasten der Gesamthandlung durchbrochen. Mit deutlichen Fantasy Einschlägen und einer Hommage an den Steampunk mit seinem Faible für gigantische Luftschiffe hob sich die Serie positiv aus der Masse heraus. Mit einer sprechenden Katze – so „tarnt“ sich eine künstliche Intelligenz – wirkt die Hommage an Robert A. Heinlein und seine Jugendbücher bzw. späteren Fantasy- Humoresken überzogen. Der Exkurs zu den intelligenten Schildkröten als Anspielung auf Pratchetts Scheibenweltwerke endet in belehrenden und ganze Seiten füllenden Phrasen, die weder lustig noch wirklich aufklärend sind. Es ist eine der vielen Szenen, die wirklich ins Leere laufen. Und wenn mit der verstorbenen Agnes Joshuas Mentoren nicht nur wieder erweckt, sondern vor allem verjüngt wird, verliert der Roman seine bisherige Bodenhaftung und scheint in Verschwörungsbereiche abzudriften. Vor allem wäre die Reinkarnation Agnes nicht unbedingt notwendig gewesen, da sich Joshua intellektuell nicht nur emanzipiert, sondern vor allem konträre Ansichten sich erarbeitet hat. Diese Szenen wirken eher wie ein Füllmaterial, das die Handlung nicht vorantreibt, sondern die charakterliche Entwicklung zurückführt. 

Interessant ist, dass Pratchett und Baxter ihre Protagonisten nicht unbedingt als Kombination ihrer umfangreichen Werke präsentieren und vor allem extrapolieren, sondern teilweise ebenfalls aus Heinlein und seine Frontiermentalität zurückgreifen. Die gemeinsamen Protagonisten erreichen ihre Ziele nicht selten, weil sie ihren Herzen folgen und die Art ihrer Politik bodenständig demokratisch ist. Wie bei Heinlein gibt es keinen politischen Überbau und die Regierung der Daum Erde hat sich im Grunde selbst überlebt. Ihre Pioniere haben das Recht frei zu leben und dürfen von der Mutter Erde nicht mehr eingefangen werden. Alleine die neu eingeführten Protagonisten leiden unter diesem opportunistischen Pragmatismus. Sie sind nicht aus sich heraus charakterisiert, sondern dienen funktionell einzelnen Szenen, Situationen und vielleicht angedeutet übergeordneten Szenarien, für die Baxter und Pratchett bislang keinen Raum, aber vor allem inhaltlich keine Zeit gehabt haben.

Wie die Reisenden – fünfzig Welten in einer Sekunde – eilt der Roman sprunghaft, bestehend aus Episoden von einer interessanten Idee zur nächsten, zeigt eine Welten neben ihrem Double, lässt die Figuren von einem in erster Linie chronologischen Punkt zum Nächsten eilen. Aber diese kontinuierliche Bewegung zwischen Welten, die inzwischen Zahlen jenseits der Millionen hinter dem Namen Erde tragen, wirkt erstaunlich kontraproduktiv. Anstatt sich zu konzentrieren und die Handlung zu zentrieren, haben sich Pratchett und Baxter weiterhin als blinde Liebende und das Ganze verliebt. Ihnen fehlt der Mut, einen Schritt zurückzutreten und ggfs. auch „die lange Erde“ als kontinuierliche Serie durch Pratchetts Tod wahrscheinlich nur noch auf Stephen Baxters Schultern zu erzählen anstatt möglichst viel in wenig Roman zu pressen und damit zu beweisen, das weniger sehr viel mehr gewesen ist. Es ist erstaunlich, wie schnell sich aufgrund der oberflächlichen Vorgehensweise so viel von der „langen Erde“ schon abgenutzt hat, so dass die leeren Welten sich in der inneren Leere des Lesers in diesem fragmentarischen, nicht einmal schlechten, aber überambitionierten und ziellosen Buch widerspiegeln.      

 

 

 

 

Originaltitel: The Long War
Originalverlag: Transworld
Aus dem Englischen von Gerald Jung

Deutsche Erstausgabe, Manhatten verlag

Paperback, Klappenbroschur, 496 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-442-54728-9

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