Exodus 31

Rene Moreau (HRSG)

In ihrem Vorwort sprechen die Herausgeber davon, dass Erotik einer der roten Fäden dieser Ausgabe gewesen sein soll. Dabei sprechen die meisten Geschichten diese Idee leider zu wenig an und wenn, dann eher im Zusammenhang mit nicht selten anderen, gängigeren SF Themen.

Dirk Alt lehnt seine Geschichte „Die geheimsten Begierden“ an Robert Sheckleys Texte an. Eine absurde Prämisse – eine Wunschmaschine – wird gegen Ende auf die juristische Spitze getrieben. Um mit dem Ende zu beginnen. Im Gegensatz zu Sheckleys nicht selten doppelt pointierten und bösartigen Storys ist die Auflösung schwach und eher bemüht. Der Auftakt mit der Rachegeschichte passt nicht ganz in den Plotverlauf, so dass der Mittelteil mit seinen gut geschrieben ironische Dialogen und den verschiedenen Wünschen bis zum folgerichtigen Exzess der stärkste Abschnitt des Handlungsbogens ist. Ohne Frage aber eine Arbeit, die eine Erweiterung zur Novelle und vor allem eine Überarbeitung des Endes vor der Pointe verdient hat.  Hinsichtlich der Erotik könnte „Die perfekte Frau“ von Hans Jürgen Kugler in das Oberthema passen. Wegen der Mächte im Hintergrund wirkt der Plot wie eine Phantasie Variation der eher mit Science Fiction Elementen spielenden Erzählung „Die Akte PKD“, auf die nachher noch eingegangen wird. Ein einsamer Nerd erhält eher durch einen Irrtum seinen kurzzeitigen Traum von einer perfekten Frau durch die Organisation „Hölle“ – nicht zu verwechseln mit dem Ort aus der Bibel – erfüllt. Am Ende schwenkt der unsympathische Protagonist zwischen Überdruss und Verlust. Leider ist die eher schwache Pointe zu schnell erkennbar. Da hilft auch die Selbstironie des Autoren nicht.  „Testament einer Außerirdischen“ von Rico Gehrke beschreibt eine exotische Liebesgeschichte, die aber gegen Ende im virtuellen Raum und einer Begegnung mit sich selbst endet. Ambitioniert, stilistisch solide mit einem vernünftigen Verhältnis aus Extrapolation und Handlung springt allerdings am Ende wegen der zu wenig interessant charakterisierten Figuren der Funke nicht gänzlich über.

"Datenmensch" von Johannes Tossin ist eine dieser Storys, deren Sinn sich dem Leser ohne Probleme erschließt, deren stilistische Aufarbeitung eher an ein Expose erinnert. Aufgrund von Umweltkatastrophen und schweren Erkrankungen haben mehr und mehr Menschen ihren Geist diigitalisieren, in die Maschine und damit eine im Grunde nur aus Wehmut und Erinnerungen bestehende Welt versetzen lassen. Der Leser wird mit den Figuren nicht warm und das Szenario konzentriert sich auf einzelne Anekdoten als das eine stringente Handlung ausgearbeitet worden ist.

 Zu den Höhepunkten der Ausgabe gehört „Die Akte PKD“ von Wolf Welling. Bezugnehmend auf die Kurzgeschichte „The Adjustment Team“ und die daraus resultierende Verfilmung „The Adjustment Bureau“ präsentiert Welling eine Welt, in der den Planken der beiden Arbeiten folgend die Welt hinter den Kulissen von mindestens einer Macht kontrolliert und geleitet wird. Aufgebaut wie ein paranoider Spionagethriller wird aufgezeigt, wie Philip K. Dicks Leben entsprechend seiner späteren Aussagen tatsächlich manipuliert und seine Reputation als Science Fiction Autor mit einem Körnchen Wahrheit in seinem Werk für die breite Masse manipuliert worden ist. Insbesondere Dick Fans werden an dieser gut geschriebenen Spekulation ihre reine Freude haben, auch wenn das Ende mit einer Macht hinter den „ordnenden“ Hände der am ehesten als pragmatisch zu bezeichnende Ausweg aus einer ausweglosen Situation ist. Im Gegensatz allerdings zur Kinoadaption überzeugt das bittersüße Ende mehr und lässt weiteren Raum für Spekulationen. 

 Mit zwei bekannten, aber auch klischeeträchtigen Themen – der bevorstehende Weltuntergang und Post Doomsday – beschäftigen sich auf unterschiedliche Art und Weise Michael Iwoleits „Das Ende aller Tage“ und Christian von Zastrows „Sabethas Entscheidung“. Während Iwoleits Geschichte vom bevorstehenden Ende der Erde durch ein herannahendes Schwarzes Loch den Fokus auf die einzig wahre Liebe und das Leben jeden einzelnen Tages mit einer stilistisch überzeugenden Dichte und einer Extrapolation gegenwärtiger Ereignisse in die zu nahe Zukunft legt, erschafft von Zastrow eine exotische und doch vertraute mit afrikanischen Wurzeln durchmischte Gesellschaft, die mahnend von den Tagen des Krieges spricht und immer wieder auf Überbleibsel stößt. Während in der zweiten Geschichte das Verhältnis zwischen Hintergrund und eigentlicher Handlung nicht stimmt, ist Iwoleits Texte eine Wanderung über die Schrecken und Freuden der Erde, auch wenn beide Arbeiten den jeweiligen Subgenres keine wirklich neuen Erkenntnisse hinzufügen können.  Rolf Krohns „Neumond“ könnte sich in der Zielrichtung an Michael Iwoleits Geschichte „Das Ende aller Tage“ anlehnen. Die Grundidee, der Mond wird ausgewechselt, wirkt allerdings wie eine Variation des Techno Monds aus der Perry Rhodan Serie. Bis auf einige stimmungsvolle Impressionen macht aber Rolf Krohn aus seiner Idee im Grunde gar nichts. Der Leser erhält am Ende keine befriedigende Auflösung und der Verzicht auf handelnde Charaktere negiert den guten Ansatz.

 Tobias Tantius verrät im Titel seiner Story „Schneller als die Seele“ schon die Pointe. Trotzdem ist der Text kurzweilig zu lesen und durch die stringente Fokussierung auf die Grenzen der bemannten Raumfahrt bleibt das Ende länger im Gedächtnis als die eher rudimentäre Handlung.   Auch Christian Enders „Galaktische Maßstäbe“ sucht ihr Heil im zu offenen Ende. Ein wenig bizarr, aber zu wenig zugänglich mit intergalaktischen Kindermädchen, ungewöhnlichen Freundschaften und einem mit Beschützerinstinkt ausgestatten Vater.  Gute Science Fiction nimmt aktuelle nicht selten auch tragische Ereignisse und stellt sie einer mehr oder minder interessierten, aufgeklärten Leserschaft nicht selten drastisch durch interessante Charaktere buchstäblich wie eine Ohrfeige vor. Fabian Tomascheks „Boatpeople“ ist ein solcher Fall. Auch wenn das Ende überraschend und doch auch konsequent erscheint, ist das Ausnutzen der Flüchtlinge, der Armen bis zum bitteren Abschluss in dieser Science Fiction Geschichte konsequent entwickelt. Sie braucht keinen futuristischen Rahmen, um irgendwo auf dieser unserer Erde zu spielen. Diese brutale Aktualität macht sie zu einem der Höhepunkte dieser Ausgabe.  „Wie Giovanni verschwand“ aus der Feder Gynther Riehl verbindet Keppler mit dem Violinespiel. Was auf den ersten Blick wie eine Mischung aus Paganini und Faust erscheint, entpuppt sich abschließend als nett zu lesende Anekdote, die aus den vielen Science Fiction Storys alleine durch den anders gestalteten Inhalt herausragt.

Franz Rottensteiner schließt diese „Exodus“ Ausgabe mit seinem Essay „Science Fiction: Zukunftsliteratur? Pure Nostalgie“ ab. Die Zielrichtung ist nicht ganz klar, denn auf der einen Seite fasst er viele Themen der SF zusammen und kritisiert die mangelnde Phantasie der Autoren. Dann zieht er über den sich verändernden Buchmarkt her und vergisst, dass zum Beispiel in Deutschland einige Kleinverlage inzwischen die Auflagen erreichen, welche die Suhrkamp Reihe am Ende ihrer Erscheinungszeit erreicht hat. Mit den E- Books (schließt sich hier nicht ein Kreis, denn die SF hat diese Entwicklung vorhergesehen) kommt nicht nur ein neuer Markt, der alte und vor allem auch neue Publikation in Massen in die Computer spült, sondern die immer schneller genutzte Möglichkeit, alte Meister wieder zugänglich zu machen. Doch sind die wirklich verschwunden? Viele Fans kaufen sich die Bücher gebraucht anstatt auf die teilweise zu teuren Neuveröffentlichungen zu warten.  Auch hat das Krimigenre mit seinen fortlaufenden Detektivgeschichten als Science Fiction noch ein Fremdwort gewesen ist, die Idee von unzähligen Fortsetzungen entwickelt und heutzutage perfektioniert. Weiterhin gebührt es sich für einen neutralen Chronisten nicht, bei auch unterdurchschnittlichen Autoren von "nichtswürdig" zu schreiben. Damit entwertet sich Franz Rottensteiner im Grunde selbst. 

Oliver Engelhard wird mit seinen in dieser Konzentration zwar farbenprächtigen, aber auch stilistisch zu wenig variablen Bildern vorgestellt. Oft wirken vor allem seine Menschen zu stilisiert, zu wenig detailliert und zu sehr nach "Computer" als das seine Arbeiten insbesondere im Vergleich zu den letzten Künstlergalerien nachhaltiger überzeugen können. Einzelne Werke wie zum Beispiel das Titelbild oder Backcover zeigen das Potential des Künstlers, aber vielleicht hätte die Galerie eine potentiell weitere Bandbreite seines Werkes in den Mittelpunkt stellen müssen.

Ein wichtiger Aspekt neben der Galerie – Sigrid Thiem stellt den Künstler aber sehr gut vor – sind die graphischen Arbeiten, welche die Geschichten teilweise ergänzend, dann wieder konträr begleiten. Mit Mario Franke, Hubert Schweizer und Jan Hillen oder Crossvalley Smith präsentieren sich die positiv gesprochen üblichen Verdächtigen. Lyrik und zwei sehr kurze Comics schließen „Exodus 31“ ab. Eine solide Ausgabe mit einigen literarischen Höhepunkten, aber auch leider wieder einigen Kurzgeschichten, die inhaltlich ansprechen, aber in dieser zu komprimierten Ausführung nicht ausreichend die Phantasie der Leser reizen, um einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen.  

www.exodusmagazin.de

Erschienen: 18. Juni 2014

112 Seiten DIN A 4