Der lange Mars

Der lange Mars, Stephen Baxter, Terry Pratchett, Rezension, Thomas Harbach
Terry Pratchett, Stephen Baxter

Der dritte Band der Serie um die lange  Erde ist deutlich besser strukturiert und handelstechnisch in sich geschlossen als der zweite Band. Es handelt sich um die letzte Kooperation der beiden so unterschiedlichen Autoren Stephen Baxter und Terry Pratchett. Während viele Abschnitte eher die Handschrift von Stephen Baxter tragen, ist das Markenzeichen des Schöpfers der Scheibenwelt vor allem in den Episoden um Lobsang zu erkennen. Warmherzig gezeichnete, ein wenig skurrile, aber liebenswerte Figuren mit einer zwischenmenschlichen Botschaft. Auch wenn die Idee eines langen Mars zu erst wie Science Fiction erscheint, dominiert diese Idee nicht den Roman. Stattdessen wird die endlose Odyssee wieder an Bord eines der gigantischen Luftschiffe aufgenommen, das irgendwo in Richtung Erde 2.500.000 Millionen strebt, um den Anfang oder das Ende der Schöpfung genauso zu suchen/ zu finden wie durch Zufall eines der in den letzten Büchern verschwundenen Luftschiffe. Aus heutiger Sicht könnten aber auch aktuelle Themen angesprochen werden.

Auf der Datumserde – der Ausgangswelt – ist der Yellowstone Supervulkan ausgebrochen. Millionen von Menschen fliehen nicht nur örtlich, sondern mittels des Wechslers auf die Parallelwelten, wo sie anfänglich versorgt werden. Angesichts der Tatsache, dass die ursprüngliche Welt im Grunde unbewohnbar geworden ist und im Gegenzug einmal vereinbart worden ist, dass auf jeder dieser langen Erden nur 30 Millionen Menschen leben soll, bauen sich hier ausreichend Konflikte auf, die aber weder Baxter noch Pratchett nachhaltig auflösen können oder wollen. Wie einige andere Aspekte des Romans wird ein Szenario entwickelt und durch tragische Einzelschicksale – wie die kranke Mutter, die nicht mehr wechseln kann und deswegen eigentlich in der Aschehölle zurück gelassen werden müsste – unterstrichen, das abschließend sich wieder nicht in Luft, aber zumindest in weniger dramatischen Spekulationen auflöst. Angesichts der Flüchtlingswelle sowohl in dieser phantastischen Welt als auch in der Gegenwart des Lesers wirken die Folgen zu wenig konsequent durchdacht. Auch fehlen viele Informationen hinsichtlich der Entwicklungsstandards  der einzelnen Erden. Viele befinden sich auf dem Niveau der Landwirtschaft, so dass diese Explosion von Menschen im Grunde nicht ernährt werden kann. Auch schwankt die Einschätzung der Folgen der Explosion des Vulkans, denn mit diesen Aschewolken sollte eigentlich die ganze Erde klimatechnisch auf den Kopf gestellt werden, während dieser Eindruck nur in einzelnen Szenen gewonnen werden kann. Aber die Idee des Vulkanausbruchs dient eher als eine Art Katalysator für die anderen beiden relevanten Handlungsbögen, in denen es im Reisen wieder gen Osten über die langen Erden bzw. den Mars geht. Impliziert wird, dass der Vulkanausbruch eine weitere Expedition weit die Achse der langen Erden entlang bewirkt. So weit, dass sie nicht nur in eher belustigenden Welten landen, sondern sich die Grundstrukturen der langen Erde ändern. Dabei reicht das Spektrum von einem nur noch erdähnlichen Körper über unwirtliche sauerstoffarme Welten bis zu einem jungfräulichen Paradies mit einer sauerstoffreichen Luft und einer geringen Schwerkraft, auf der sich ein Milliardär niederlassen will. Warum sich diese offensichtlichen Parallelwelten so unterschiedlich entwickelt haben – diese Evolution ist nicht chronologisch – bleibt eines der Geheimnisse der langen Erde, das wahrscheinlich Stephen Baxter in seinen zukünftigen Romane lösen möchte.   

Die Expedition mit Kapitän Maggie wirkt wie eine Hommage an STAR TREK.  Der Beagle Sbowy wirkt dabei wie ein Kompromiss den jüngeren Lesern gegenüber oder vielleicht auch als Anlehnung an die bislang letzte STAR TREK Fernsehserie. Es gibt Spannungen sowie ein gigantisches Geheimnis an Bord. Durch den rasanten Ablauf der zahllosen Erden wird aber bei den einzelnen Zwischenstopps bis zum Auffinden der Gestrandeten zu wenig Spannung aufgebaut, so dass der Leser wie im unkoordinierten zweiten Buch staunend die gigantischen Zahlen der besuchten/ überflogenen Welten anschaut, ohne wirklich individuell zwischen ihnen unterscheiden zu können. Da reicht es auch nicht, alte Bekannte aus dem ersten Buch quasi zu retten. Auf der anderen Seite ist Baxter einer der wenigen gegenwärtigen Science Fiction Autoren, der die Krone der Schöpfung, die Kreativität des Universums und schließlich die Wichtigkeit des Menschen als ein homogener Bestandteil und weniger als ein Fremdkörper in diesem Universum mit einfachen kraftvollen Bildern beschreiben kann. In dieser Hinsicht gehört diese hier beschriebene Expedition zu den Höhepunkten der Serie, auch wenn insbesondere nicht nur auf dieser Handlungsebene die einzelnen Protagonisten sehr stereotyp erscheinen. 

Der Titel bezieht sich auf die im Grunde dritte wichtige Handlungsebene des Buches. Sally wird von ihrem Vater – dem Erfinder des Wechslers – kontaktiert. Gemeinsam mit einem schon ausrangierten Astronauten reisen sie zum Mars. Die Idee ist, den langen Mars zu bereisen, um auf irgendeiner Variation eine intelligente Zivilisation zu finden. Dieser Spannungsbogen wirkt wie eine unfreiwillige Hommage an Kubricks einzigartigen „2001“ Film und weniger an die Geschichten, die Arthur C. Clarke als Grundlage geliefert hat. Auch wenn diese Handlungsebene über die meiste Action verfügt, ist sie bis zum Gegenentwurf eines Monolithen auf dem langen Mars eine Enttäuschung. Zum einen bleibt der Mars oberflächlich. Viel erschwerender ist, dass mit der unsympathischen, Staub trockenen, ein wenig auch arroganten Sally als Identifikationsfigur des Lesers diese Handlungsebene deutlich geschwächt wird. Ihr Vater ist eine Chiffre im ersten Buch gewesen. Ein weltfremder Erfinder, der sich nie mit Grenzen sozial oder evolutionär auseinandergesetzt hat. Ihr Vater ist ein wenig zugänglicher, aber wie es sich für manchen zwiespältigen Charakter gehört, scheitert er bei der Suche nach einer Zivilisation an den Maßstäben, die vor allem die verschiedenen Neuauflagen von Star Trek gesetzt haben.   

Anstatt aber diese beiden Szenarien konsequent zu Ende zu spielen, wird noch eine weitere Idee eingeführt. Im zweiten Band ist mit Roberta Golding und ihrer kleinen progressiven Kommune Happy Landings eine mögliche soziale Reagenzglas Evolution auf einer abgeschiedenen Welt angedacht worden. Inzwischen sind aus diesen jungen Menschen Kreaturen geworden, wie sie Olaf Stapledon in einigen seiner Romane entwickelt hat. Homo Superior oder klassisch „the Next“ genannt. Schnellere Auffassungsgabe, eine eigene Sprache, vielleicht sogar eine neue soziale Ordnung. Natürlich sehen die normalen Menschen diese Next wie vorher schon die trolle als eine Bedrohung an. Im Gegensatz zur Fantasy Idee des zweiten Buches jetzt eine an Comicserien wie „X- Men“ erinnernde Variation. Die Antwort ist die Gleiche. Diese Bedrohung muss weg. Möglichst mit einem Paukenschlag. Natürlich reagieren diese überlegenen Intelligenzen gegenüber dem primitive Menschen souverän, aber dieser Showdown wirkt eher wie ein Ausblick auf die nächsten Folgen der Serie als der Abschluss eines eigenständigen Bandes. Auch die Auflösung ist eher nur konsequent als wirklich originell. Nicht selten könnte ein älterer Leser an die Delphine aus Douglas Adams „Anhalter“ Romanen denken.  Aber es ist vielleicht eine Idee zu viel. Während die beiden Expeditionen in Richtung Osten die lange Erde dem Leser vor allem in den höheren Ebenen näher bringen und sie nicht als eine Aneinanderreihung von  Parallelwelten erscheinen lassen, sind es die zutiefst menschlichen Themen, die leider in diesem dritten Band der Serie immer wieder nur angerissen, anstatt vertieft werden. Aber im Vergleich zum unstrukturierten, in sich widersprüchlichen und vor allem auch langweilig langatmig erzählten zweite Band dieser Serie ist „Der lange Mars“ ein deutlicher Fortschritt und erreicht die Qualität des Auftaktbuches.

 

  • Broschiert: 448 Seiten
  • Verlag: Manhattan (5. Oktober 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 344254761X
  • ISBN-13: 978-3442547616
  • Originaltitel: The Long Mars