Doctor Who- Die Blutzelle

Dr. Who, die Blutzelle, Rezension, Thomas Harbach
James Goss

Mit „Die Blutzelle“ erscheint der erste Roman um den neuen, zwölften Doctor. Wenn der Leser im übertragenen Sinne die Augen schließt, könnte es auch eine Geschichte aus der Tom Baker Ära der Serie sein. Der isolierte Raum mit seinen kargen Zellen und leeren Gängen, eine überschaubare Handvoll von Charakteren und schließlich der Fokus auf dem psychologischen Gegeneinander mit sehr vielen guten Dialogszenen inklusiv der ersten vorläufigen Auflösung des Plots sind zeitlose markante Eckpfeiler der ganzen Serie, wobei hier viele Klischees positiv immer wieder umschifft werden und der Plot nicht gänzlich zum Stereotyp wird. Diese Punkte sind nicht unbedingt negativ gemeint, denn die Handlung steuert – vielleicht auch begünstigt durch den in diesem Fall unglücklichen, sehr viel verratenen Titel – geradewegs auf die Begegnung mit dem Monster zu, wobei diesen Monstren nicht selten von den Menschen bzw. den Menschenähnlichen Wesen selbst erschaffen worden sind. Der extrovertierte Doctor spielt sein Spiel mit dem überforderten Gefängnisaufseher und seine Begleiterin ist unabhängig von ihrer Lehrertätigkeit eine entschlossene, mit beiden Beinen auf dem Boden stehende Persönlichkeit, die wie es sich anscheinend für Frauen gehört, Positionskämpfe mit der großen Konkurrentin – der TARDIS – ausfechten muss. Vielleicht nicht unbedingt hinsichtlich der Aufmerksamkeit des Doctors, aber zumindest hinsichtlich ihrer eigenen Position in diesem ungleichen Dreiergestirn.

Die Handlung des vorliegenden, kurzweilig zu lesenden Buches ist ausgesprochen geradlinig, wobei vor allem auf der zwischenmenschliche Ebene der Autor ein sichtliches Vergnügen hat, die Vergangenheit seiner Protagonisten plötzlich zu relativieren und die vor allem minutiös etablierten Positionen zu unterminieren. Es ist ein psychologisches Spiel, das auch an eine futuristische Version der berühmten englischen Fernsehserie „The Prisoner“ erinnert. So werden den Gefangenen ihre Identitäten genommen und sie werden wie der Doctor nur mit Nummern (in diesem Fall 428) angesprochen. Trotz dieser Anonymität bilden sich sehr interessante Figuren heraus, wobei der exzentrische Doctor natürlich herausragt. Erzählerisch kommt hinzu, dass der Autor die in diesem Fall nicht einfache subjektive „Ich“- Perspektive nicht für den Doctor oder seine Begleiterin wählt, sondern den Gouverneur des auf einem weit von der Sonne entfernt liegenden ausbruchssicheren Gefängnisses, in dem plötzlich ein ungewöhnlicher Gefangener mit dem Doctor erscheint.

Es beginnt das übliche psychologische Spiel. Immer wieder kann der Doctor aus seiner Zelle entkommen und wandert trotz oder gerade wegen der ausgeklügelten Sicherheitssysteme durch das Gefängnis. Wie er dahin gekommen ist, wird nicht erläutert. Von seinem Aufnahmegespräch an macht er unterschiedliche Schwierigkeiten. Subversiv stellt er die Ordnung im Gefängnis auf den Kopf und widersetzt sich allen Analysen. Stattdessen macht es ihm Spaß, den relativ schnell genervten, peniblen Gouverneur zu zermürben. Schnell gerät der Aufseher im Grunde zwischen verschiedene Fronten. Auf der einen Seite soll er die Ordnung im Gefängnis aufrechterhalten und die Gefangenen sollen nicht nur bestraft und isoliert werden, sondern an der kurzen Leine gehalten. Berührend ist die Bücherei bestehend aus alten Beständen, welche die Wächter in einer interessanten Interpretation der Regeln indirekt auch für die Häftlinge auf den Asteroiden gebracht haben.  Die Idee, in den kargen Zellen Tische und Stühle aufzustellen, zielt ebenfalls in diese Richtung. Wenn es dann auch noch einen Gefangenen gibt, der altersweise als ehemaliger Jurist wie der Gefangene von Alcatraz erscheint, ist dieses Bild komplett. Es gibt auch noch eine im Rollstuhl sitzende Gefangene, die eher apathisch vor sich hin vegetiert. So dunkel/ düster dieser Hintergrund  auch erscheinen mag, es ergibt am Ende des Buches ein tragisches Gesamtbild. Neben den Provokationen des Doctors ist das Verschwinden von Gefangenen und Wächtern teilweise sogar aus den Zellen relevant. In diesem Punkt wird mit der geheimnisvollen Bedrohung, die wie in den alten Fernsehfolgen aus dem Nichts zuschlägt und unbeschreiblich erscheint eher ein Klischee bedient. Selbst am Ende hinsichtlich der Aufklärung wird der Leser nicht viel Neues finden und die finale Auseinandersetzung ist wie in den Fernsehfolgen so schnell vorüber, das man nicht unbedingt blinken muss. James Goss ist ein solider Autor, der mechanisch die einzelnen Punkte des typischen Doctor Whos Manuskriptes abhackt.

Lebhaft wird der Roman an anderen Stellen. Da wäre der Running Gag mit Clara zu kennen, die immer wieder aus dem Nichts kommend mit Schildern gegen die Inhaftierung des Doctors und daraus resultierend  die Verweigerung einer Besuchserlaubnis demonstriert. Da die TARDIS nicht immer zur richtigen Zeit am, richtigen Ort erscheint, bedeutet das teilweise auch, dass Claras Reihenfolge eine andere ist als die des Gouverneurs, der entgegen seiner Art nicht nur einmal auf die Plattform tritt, sondern Clara und ihr unsichtbares Raumschiff – trittfest und Fluch sicher – immer wieder besucht. Diese gipfelt in einem ironischen Seitenhieb. Es muss in ein mit 73 Arten gesichertes Gefängnis nicht eingebrochen werden, man muss sich nur verhaften lassen. Dieser Slapstick Humor hellt einige der intensiven Szenen sehr gut auf.  

Interessant sind wie eingangs erwähnt die Nebenfiguren. Die Vorgeschichte des Gouverneurs entspricht wie schon erwähnt nicht den Erwartungen. Ob er sie nur verdrängt hat oder sie wirklich aus seinem Gedächtnis gelöscht worden ist, wird nicht gänzlich klar. Es ist ein klassisches Szenario vom Hang zur Macht, wobei wie zum Beispiel in Robert Forwards „Dwer Regenbogen des Mars“ niemand weiß, was auf einem fehlerbehaften Politiker wirklich folgen kann. Die abschließenden Schlüsse wirken ein wenig zu opportun und dem Buch hätte ein deutlich süßsaureres Ende besser getan, aber der Leser wird nicht nur hinsichtlich der Identität des Gefängnisleiters, sondern aller dem Doctor und damit dem Leser vorgestellten Gefangenen überrascht. Durch diesen langen, elegant aber in die Handlung eingebundenen Rückblick gewinnen sie deutlich an Format, wobei auf der anderen zynischen Seite der Lesern ihnen den nervigen, extrovertierten Doctor noch mehr gönnt als vorher. Auf der anderen Seite  wird die Möglichkeit eines Verlustes, das Machen von Fehlern ohne Not zu schnell geglättet. Es scheint kein Problem zu sein, einzelne Nebenfiguren teilweise auf eine außerirdische drastische Art entweder zu töten oder zu absorbieren, aber mehrere hundert vielleicht auch teilweise schuldige Gefangene dürfen durch einen Fehler nicht ums Leben kommen. Angesichts der Schwierigkeiten, die Clara mit der Tardis hat, wirkt diese Auflösung einer spannenden Ausgangssituation zu glatt und nimmt vor allem dem Ich- Erzähler nach einigen Szenen voller Selbstmitleid das schlechte Gewissen.   

Die Auflösung ist allerdings eher bemüht. Zu schnell findet plötzlich der Doctor das eigentliche Versteck, das vorher angeblich niemanden aufgefallen ist. Die finale Auseinandersetzung ist direkt, die den Titel gebende „Blutzelle“ nimmt zu viele Fakten vorweg und die Versatzstücke fallen zu schnell ineinander. Wie einige andere Folgen der Serie wirkt „Die Blutzelle“ eher wie eine parodistische Variation verschiedener altgebackener Science Fiction Plots mit einem in sehr guter Form befindlichen Doctor, einer zu sehr im Hintergrund agierenden Cklara und solide gezeichneten Nebenfiguren als einem auch inhaltlich überzeugenden neuen Abenteuer mit dem Doctor. Nur den Hintergrund auszutauschen reicht leider heute nicht mehr. Kurzweilig zu lesen ist „Die Blutzelle“ aber insbesondere für Fans der Serie.   

Doctor Who: Blood Cell, 2014)
Übersetzung von Susanne Döpke
Cross Cult, 2015, Taschenbuch, 206 Seiten,

ISBN 978-3-86425-792-6