Clarkesworld 113

Clarkesworld 113, Rezension, Thomas Harbach
Neil Clarke (Hrsg.)

Der sekundärliterarische Teil der zweiten „Clarkesworld“ Ausgabe 2016 ist im Vergleich zu den sechs Geschichten deutlich schwächer. Beginnend mit dem Vorwort von Herausgeber Neil Clarke, in dem er seine kommenden Projekte vorstellt,  erscheinen die anderen drei Beiträge entweder zu ausführlich oder zu oberflächlich. Fran Wilde „Another World: Very Close Now“ setzt sich mit der virtuellen Realität beginnend bei den ersten Romanen bis zu den gegenwärtigen Spielen auseinander. Sehr oberflächlich werden einzelne Höhepunkte gesetzt, aber nicht weiter extrapoliert. Auch das Interview mitLawrence M. Schoen verschenkt sehr viel Potential. Sein Roman um intelligente Tiere – es gibt auch in dieser Ausgabe eine Zoogeschichte – hätte intensiver beleuchtet werden können, während auf seine Tätigkeit als Herausgeber in einem kleinen Verlag nur oberflächlich eingegangen wird. Die umfangreichste Arbeit ist eine Auseinandersetzung mit dem menschlichen Genom.  Dan Koboldt beschreibt auf einem lesenswerten, sehr informativen und zugänglichen Niveau den Stand der Forschungen und gibt einen theoretisierenden Blick in die Zukunft frei. Der Artikel ist ohne Frage informativ und umfangreich, da aber die anderen sekundärliterarischen Arbeiten zu kurz erscheinen, wirkt dieser Bereich als Ganzes betrachtet unausgeglichen.

Aus dem Jahr 1985 stammt Kim Stanley Robinsons Hommage natürlich an Sherlock Holmes "Mercurial" mit einem expliziert als die Arbeit Watson übernehmenden Erzähler, der die Fälle der berühmten auf dem Merkur lebenden Detektivin aufschreibt. Robinson erzählt allerdings nicht in Arthur Conan Doyles teilweise getragenem Ton, sonst agiert selbstironisch. Es ist kein Zufall, dass wie Sherlock Holmes seine Detektivin die juristische Gerechtigkeit umschifft und eine Art persönliche Strafe ausspricht. Es ist das Ende der Ermittlungen in einem Mordfall an einem unangenehmen Erpresser in der High Society auf dem Merkur. Der Mann ist während einer der angesagten Feiern ermordet worden. Die eigentlichen Ermittlungen sind relativ geradlinig und nur wie bei einem Agatha Christie Krimi finden sich die Verdächtigen an einem Ort zusammen, um die potentielle Auflösung zu erfahren. Ab diesem Augenblick überrascht der Autor und spielt gegen die inzwischen etablierten Klischees des Detektivgenres.

Interessant ist der futuristische Hintergrund mit einem wunderschönen und herausfordernden Merkur, auf dem sich die Städte wie in diesem Fall Terminator auf gigantischen Schienen immer vor der Sonne fliehend bewegen. Interessant ist, dass Kim Stanley Robinson zumindest die grundsätzliche Idee eines archaischen Ermittlers in seinem Roman "2312" wieder aufgegriffen hat. 

Der zweite Nachdruck "Blood Dauber"  von Ted Kosmatka & Michael Poore ist nicht zufällig für den Theodore Sturgeon Memorial Award nominiert worden. Es ist eine zutiefst menschliche Geschichte um eine von der Wirtschaftskrise betroffene USA: Der Protagonist arbeitet als  "Mann für alles" in einem heruntergekommenen Zoo. Er liebt einen Teil seiner Arbeit, aber nicht die Tiere, die ihn anscheinend argwöhnisch beobachten. Er kann ein Insekt nicht wirklich einordnen, das sich seltsam reproduziert und dessen Wachstum nicht natürlich erscheint. Das ist das einzige konstruierte Element an dieser Geschichte, denn der Leser erfährt nicht, woher der Zoowächter sein biologisches Wissen bezogen hat. Eine Auseinandersetzung mit einem der seine Sozialstunden ableistenden Gefangen führt schließlich zu einer Katastrophe. Auf der persönlichen Ebene hat er sich nicht zuletzt aufgrund des geringen Bezahlung mehr und mehr von seiner Frau entfernt, so dass die persönlichen und die beruflichen Spannungen ein undurchdringliches Netz bilden. Während die Science Fiction Elemente eher oberflächlich etabliert, aber psychologisch wie in James Tiptrees Geschichten elementar sind, ist es faszinierend, einen im Grunde unsympathischen Protagonisten jeden Tag zu beobachten. Hinzu kommt die kritische Auseinandersetzung mit den Zuständen im Zoo, die unwürdig ist. Der Artenschutz wird umgangen und die Idee, dass die Tiere natürliche Barrieren nicht als Gefängnisstäbe sehen, pointiert relativiert. Beide Nachdrucke ragen wie in den letzten Ausgaben qualitativ aus der Masse heraus und Gardner Dozois beweist zum wiederholten Male, dass er sich im Bereich der Kurzgeschichten aufgrund seiner langjährigen Herausgeberschaft sehr gut auskennt.

 Bei den neuen Veröffentlichungen muss diese Ausgabe zum ersten Mal seit längerer Zeit ohne Übersetzungen aus dem Chinesischen durch Ken Liu aufgrund von Terminproblemen auskommen.  Paul McAuleys „The Fixer“ ist eine wunderschöne Variation der künstlichen Intelligenz Geschichte. Eine K.I. hat eine bewohnbare, aber auch herausfordernde Welt gefunden und begonnen, Gott zu spielen. Jahre später schicken inzwischen weiter entwickelte künstliche Intelligenzen einen Kontrolleur aus, der die K.I. zur Rede stellt. Die Dialoge sind pointiert und der Autor schafft es, diesen distanzierten und auf den ersten Blick dem Menschen überlegenen Wesen eine humanistische Seite zu geben. Alle Fehler – sie enden in Tragödien – werden analysiert und wie Gott ist die K.I. trotzdem stolz auf ihre Schöpfung, von der sie sich mit Wehmut trennen muss. Doppeldeutig, ein wenig zynisch, aber emotional ansprechend ist es eine der besten Geschichten dieser Sammlung.

„That which Stands towards Free Fall“  von Benjamin Sridwangkaew ist einer dieser Geschichten, in denen beim gründlichen Blick hinter die Kulissen zu wenig funktioniert. Es ist eine Krigesgeschichte, in welcher die künstlichen Intelligenzen die Infrastruktur der USA zerschlagen haben. Eine Einheimische – sie scheint auch eine künstliche Intelligenz in menschlicher Gestalt und gleichzeitig eine Mata Hari zu sein – hat eine Beziehung zu einem sehr aktiven amerikanischen Colonel und versucht dessen Pläne zu erfahren, wobei es unwahrscheinlich erscheint, das selbst eine geschwächte USA ohne Truppen oder Luftschläge ein fremdes Land überfällt. Viele Versatzstücke überzeugen isoliert vom sich langsam, vielleicht ein wenig phlegmatisch entwickelnden Rahmen, aber als Ganzes machen sie zu wenig Sinn.

Ebenfalls eine militärische Grundausrichtung hat die längste Geschichte fast eine Novelle dieser Ausgabe. Nick Wolvens „In the Midst of Life“ verbindet ein Kommandounternehmen in dem Hochhaus eines Gurus mit einigen Ansichten über das Leben per se und eine idealisierte Form des Glaubens in einer herausfordernden, im Grunde sozial unwirtlichen Gesellschaft. In einer offenen Berichtsform angelegt erfährt der Vorgesetzte der Ich- Erzählers vom freiwilligen Kommandounternehmen. Ein Guru scheint zwischen fünfhundert und tausend Menschen mehr oder minder freiwillig in den oberen Etagen eines heruntergekommenen Hochhauses in einer dritten Welt Stadt gefangen zu halten. Vorkommandos sind nicht zurückgekommen. Bevor das Gebäude gestürmt und viele Menschenleben gefährdet werden, wird der Erzähler alleine und freiwillig hereingeschickt. Er trifft auf einen charismatischen Guru, der ihm seine Geschichte nicht nur persönlich, sondern visuell erzählt. Natürlich wird ihn diese Begegnung beeinflussen, wenn nicht sogar verändern. Nicht selten ist die Reise interessanter als die Ankunft und lange Zeit zeichnet diese Stärke auch Nick Wolvens Novelle aus. Ein wenig wird der Leser an eine literarische Mischung au „The Raid“ und Larry Cohens „God told me to“ erinnert. Jede Sekunde rechnet er damit, einer überirdischen außerirdischen Macht zu begegnen. Diese Gefallen tut der Autor dem Leser nur indirekt. Die Versatzstücke müssen zusammengesetzt werden, das offene Ende deutet in verschiedene Richtungen. Intensiv geschrieben mit einem melancholischen, ein wenig zynischen Unterton ist es eine der besten Geschichten dieser Sammlung. 

Sehr viel verspielter ist „Between Dragon and their Wrath“ von An Owomoyela und Rachel Swirsky. Die zwei Helden verlassen ihre Heimat um in der Hauptstadt ihr Glück zu versuchen. Es ist ein exotischer Hintergrund, hinter dem die Schrecken eines fatalistisch geführten Krieges und dessen Auswirkungen immer wieder impliziert werden. Auf der anderen eher negativen Seite setzen die Autoren eher auf Stimmungen statt eine kontinuierliche Handlung, so dass nicht einmal klar herausgearbeitet worden ist, ob es sich wirklich um zwei dem Leser vertraute Drachen handelt oder einer der beiden Protagonisten eher im Geiste mitläuft.

 Zusammengefasst überzeugen insgesamt vier der sechs Geschichten. Das die beiden Nachdrucke zu den besseren Texten gehören, ist seit einigen Ausgaben keine Überraschung mehr. Die Autoren spielen mit bekannten Versatzstücken des Genres, sind aber in der Lage, ihren gut geschriebenen und stilistisch ansprechenden Texte neue Aspekte zu schenken, so dass die zweite „Clarkesworld“ Ausgabe des Jahres 2016 ebenfalls nicht nur lesenswert, sondern unabhängig von den beiden schwächeren Geschichten beginnend mit dem visuell wieder verführerischen Cover empfehlenswert ist.  

 

 

 

www.clarkesworldmagazine.com

ca 120 Seiten, E- Book