Barrikaden

Barrikaden, Cover, Jon Wallace
Jon Wallace

“Barrikaden” ist ein weiterer Debütroman aus der Feder des Briten Jon Wallace, der sich aus vielen verschiedenen bekannten Teilen zusammensetzt und trotzdem auf eine fast bizarre Art und Weise funktioniert.  Wie bei einigen anderen Debüts hat sich Jon Wallace vorher in verschiedenen Berufen versucht.   Zusätzlich ist er der Ansicht, dass er auf eine kleine Goldader gestoßen ist und hat seinen Roman inzwischen zu einer Trilogie ausgedehnt.  Handlungstechnisch geht der Autor auf Nummer sicher, in dem er in seinem auseinander gefallenen Großbritannien die Protagonisten auf eine Suche, eine Mission schickt. Dadurch kann er auf der einen Seite den roten Faden unter Kontrolle haben, auf der anderen Seite gegen ihren Willen die kleine in einem Taxi fahrende Truppe zusammenschweißen und schließlich sogar eine Exkursion zu einer für die Katastrophe verantwortlichen Personen einbauen.  Leider versucht Jon Wallace am Ende des Buches quasi auf der cineastisch sicherlich mit Anspielungen auf „Mad Max“ beschriebenen kurzweiligen bis interessanten Rückreise zu viele Elemente zu erläutern, so dass der grundlegende Plot plötzlich stark konstruiert erscheint und an Originalität verliert. Dazwischen schiebt der Autor mit subjektiven Berichten Episoden aus der Vergangenheit, welche auf der einen Seite ausreichend Informationen über die Entstehung der Kunstmenschen, der Facials geben, auf der anderen Seite aber zu komprimiert erscheinen, um nachhaltig unterhalten zu können. Verbunden werden Vergangenheit und Gegenwart in Person des ehemaligen Bauarbeiters und inzwischen Taxifahrer Kenstibec, der ebenfalls zu den künstlichen Menschen gehört.   Der Aufstieg der Androiden erfolgt nicht in Terminator Manier, sondern die Menschen – Reals genannt – vernichten sich mit Überbevölkerung, der Vergiftung der Umwelt und schließlich der Erschaffung der Ficials selbst.  In einer nicht unbedingt zufriedenstellend erläuternden Wendung haben die Menschen die Androiden geschaffen, die sich nicht nur gegen ihre Schöpfer gewandt haben, sondern sich mit ihren „Familien“ in verschiedenen Städten verbarrikadiert haben. Wallace zeichnet zwar ein brutales Bild des Konfliktes, aber es wirkt nicht gänzlich überzeugend. Wie in „Terminator“ ist der ungleiche Kampf nicht entschieden. Die Reste der Menschen greifen mit unterschiedlichsten Waffen teilweise an die Belagerungen aus dem Mittelalter erinnernd die Ficials Städte an. Da die Infrastruktur in Großbritannien – den Rest der Welt gibt es nicht mehr – zusammengebrochen sein muss, wirken die Aktivitäten beider Gruppen zu zielstrebig und die Ziele zu ambivalent. Der politische Teil des Buches erscheint auch eher wie ein zynisches Puzzlewerk, in dem der regionale König im Grunde seine Mitmenschen verrät und doch selbst auch nur benutzt wird. Wallace packt zwar sehr viel Kritik an gegenwärtigen Tendenzen in seinen Roman, kann aber an einigen Stellen diese kompakte Kritik nicht abschließend zufriedenstellend in die laufende Handlung einbauen.  

Der Transport von Waren und Personen/ Androiden zwischen den isolierten Städten ist extrem gefährlich geworden.  Für seinen Boss soll Kenstiac die hübsche Fernsehjournalistin Strarvie zu einer anderen Barrikade bringen. Anscheinend ist Starvie nicht nur eine lokale Fernsehberühmtheit, sondern hat auch höflich gesprochen als Unterhaltungsmodell gearbeitet.- Den Hintergrund der Mission kennt Kenstiac nicht. Um verschiedene von Menschen besetzte Knotenpunkte passieren zu können, braucht Kenstiac Hilfe von einem Menschen. Dazu verpflichten sie Fatty, der an einer seltenen Krankheit leidet und deswegen trotz des gegenseitigen Misstrauens in der kleinen Gruppe sie auffordert, den ersten Knotenpunkt auf eine sehr ungewöhnliche Art und Weise zu passieren. Fatty soll Kenstiac quasi als Gefangenen in das Lager bringen, Starvie soll als Hure verkauft werden und innerhalb dieser Ablenkung will er sich wichtige Medikamente besorgen und gemeinsam wollen sie zwischen den aufgeputschten Menschen hindurch ausbrechen und die Fahrt fortsetzen. Es ist nicht das einzige spektakuläre Manöver, das Jon Wallace für seine Protagonisten plant.  Es ist aber nicht die einzige Überraschung.

Ganz bewusst hat sich der Autor für die Ich Perspektive auf beiden Handlungsebenen entschieden. In der Vergangenheit kann der Leser so den ein wenig naiven und immer kommerziell ausgenutzten Androiden besser kennenlernen. Auf der anderen Seite kann sich der Autor handlungstechnisch auf einen Punkt konzentrieren und den Leser alle wichtigen Punkte auf Augenhöhe seiner Figuren miterleben lassen. Diese Intimität ist vor allem gegen Ende des Buches wichtig, wenn zu viele Ereignisse auf einmal auf den Leser einstürzen und relevante Positionen plötzlich die Seiten wechseln.  Nicht selten hat man das unbestimmte Gefühl, als habe Jon Wallace auch versucht, die eindimensional gezeichneten Menschen gegen die Androiden auszutauschen. Fatty ist dabei der klassische Opportunist, der sich trotz seines ungepflegten Äußeren als der Mann mit dem Herzen am rechten Fleck erweist. Er geht ungewöhnliche, nicht immer logische Wege, aber mit seiner mittelbaren Beobachtungsgabe und seinem Hang, wichtige Dinge auf den Punkt zu bringen, überzeugt er.  Die attraktive, anfänglich zum Sexobjekt degradierte Starvie ist ein anderer Aspekt des Romans. Sie wirkt zu passend konstruiert. Der Leser versucht zu verstehen, dass die Facials im Grunde künstliche Intelligenzen sind, die sich von ihren Schöpfern gelöst haben. In einer grimmig beschriebenen realistischen Welt stechen sie als einzige futuristische Idee deutlich heraus. Nicht ganz klar – selbst bei der Begegnung mit ihrem „Schöpfer“, der kurzfristig quasi im Keller eine mögliche Gegenwaffe entwickelt hat – wird, wie diese Entwicklung so ohne einen weiteren technischen Fortschritt möglich gewesen ist. Sie wirkt zu sehr in der Luft hängend, den Spuren des Dick Romans „Träumen Roboter von elektrischen Schafen“ zwar folgend, aber zu wenig konsequent umgesetzt. Die Begegnung mit dem wahrlich naiven und sein Volk betrügenden König soll Klarheit schaffen. Dazu ist sie aber zu oberflächlich angelegt. Aber Starvie entwickelt sich im Verlaufe der Handlung zu einer dominanten und gerne auch dominierenden Persönlichkeit, wobei Spionage und Gegenspionage, Sabotage und ggfs. auch Mord den Abschluss des Buches zu einem kriminaltechnisch interessanten, wenn auch ambitionierten Lesevergnügen machen. Vor allem die Entwicklung der Ficials gegen ihren Schöpfer, das Entdecken der eigenen Persönlichkeit und abschließend eine dreidimensionalere Beschreibung als bei den Menschen hinterlassen nachhaltig Eindruck.  Es sind die Schurken, welche den schwächsten Eindruck hinterlassen. Beginnend mit Kenstiacs aus Klischees bestehenden Boss über die sexuell aufgeheizten Männer an der ersten Barrikade, die sich nicht um die Herkunft ihrer „Opfer“ kümmern und abschließend mit dem König, der wie in James Bond Manier seine im Grunde nicht umsetzbaren Pläne ausführlich referiert, bevor er erkennen muss, dass die Facials deutlich schlauer und schneller sind. Wallace versucht diese Charaktere als Individuen zu beschreiben, opfert sie aber anschließend seiner überdrehenden und zu sehr Kenstiac in den Mittelpunkt eines ganz England betreffenden Geschehens zu stellen. Weniger wäre in diesem Fall deutlich mehr gewesen, zumal insbesondere die erste dunkle Teil zwar nicht die Intensität von „The Road“ erreicht, aber durch die fast surrealistisch zu nennende Idee einer Taxifahrt durch ein verwüstetes Land positiv ein originelles Eigenleben entwickelt.

Es ist eine harsche, brutale Welt, welche der Autor beschreibt. Sie ist aber nicht unbedingt originell, sondern orientiert sich deutlich an Filmen wie dem angesprochenen „Mad Max“ oder dem ebenfalls britischen „Doomsday“.  Hinzu kommt eine Prise des John Ford  Klassikers „Stagecoach“ mit einer Handvoll Menschen, die sich nicht ausstehen können und trotzdem isoliert nicht in einer Kutsche, sondern einem Taxi miteinander auskommen müssen. Eine Reihe von gut geschriebenen Actionszenen sowie der dunkle, martialische Hintergrund machen „Barrikaden“ als Ganzes zu einem soliden Debüt mit einigen erkennbaren, aber auch verzeihbaren Schwächen.

 






Originaltitel: Barricade
Originalverlag: Gollancz
Aus dem Englischen von Robert Brack

Deutsche Erstausgabe

Taschenbuch, Broschur, 400 Seiten, ISBN: 978-3-453-31542-6
 
Verlag: Heyne