Silas Corey Band 1 : Der Aquila Ring

Silas Corey, Band 1, Titelbild, Rezension
Fabian Nury & Pierre Alary

Frankreich vor und im Ersten Weltkrieg ist anscheinend immer wieder ein Steinbruch von phantastischen Ideen, die den großen Vorbildern der Epoche „Fantomas“ und „Arsene Lupin“ folgend auch gerne von Comicautoren und Zeichnern genutzt wird. Man denke nur an Tardis ungewöhnliche, immer stärker politisch werdende Serie um „Adeles ungewöhnliche Abenteuer“, die eine umfassende Neuauflage mehr als verdient hätte. In diesem Windschatten erscheint mit Silas Corey ein weiterer Held mit Vergangenheit, der opportunistisch zwar das Wohl seines Landes im Sinn hat, sich aber auch nicht zu schade ist, an die eigene Tasche einem seltsamen Gentlemen Codex folgend zu denken. Der Splitter Verlag hat in seinem „Double“ Bänden passend die ersten beiden Abenteuer zu einem auch optisch sehenswerten Album zusammengefasst.

Es ist sinnvoll, sich diesem Werk voller Verschwörungen, Spionage und Gegenspionage, Verrat und falsch verstandenem Patriotismus vor allem über die einzelnen Charaktere zu nähern. Im Mittelpunkt steht fast gegen seinen Willen Silas Corey. Lange Zeit hat er für Frankreich an der Front gekämpft, bevor er nicht nur mehrfach verwundet, sondern vor allem zwischen den zahlreichen Gasangriffen eine Art Trauma erlitten hat, das auch mit einer schwarzen Katze im Zusammenhang steht. Neben seinem inzwischen opulenten, in erster Linie von seinen Auftraggebern finanzierten Lebensstil ist er Opium süchtig wie Sherlock Holmes. Mit seiner drahtigen Gestalt, aber seinem Hang zu teuren Anzügen; seinem als Waffe nutzbaren Spazierstock und seinem scharfen Verstand ähnelt er auf der einen Seite einem vom Leben gezeichneten Sherlock Holmes. Aber ganz bewusst haben Fabien Nury und Pierre Alary auf weitere Anspielungen verzichtet, denn Silas Corey ist ein Wühler, ein Provokateur und schließlich auch ein Mann, der nicht immer nur auf Unschuldige Rücksicht nimmt und sich auch irren kann. Die kleinen Erfolge und Misserfolge auf dem Weg, Frankreich zu „retten“ – auch hier bieten die Autoren positiv eher ambivalente Lösungen an – reihen sich so schnell aneinander, das dem Leser wie auch den Protagonisten nicht die Zeit gegeben wird, um wirklich durchzuatmen. Auch wenn Silas Corey kein Sherlock Holmes ist, findet sich an seiner Seite eine Art asiatischer Doktor Watson. Nam hat mit ihm im Krieg gedient. Er agiert als Silas Coreys Diener, auch wenn seine Fähigkeiten auf dem Gebiet des kleinen Verbrechens wie Einbruch, Diebstahl, das Hervorzaubern von geheimen Nachrichten genauso liegen wie als Scharfschütze oder rücksichtsloser Fahrer. Wie Corey , der in seinen Träumen immer wieder die Szenen in den Schützengräben wie auch den rücksichtslosen Einsatz von Giftgas durchlebt, ist Nam vom Krieg gezeichnet. Er hat Angst vor schwarzen Katzen. Auch wenn die beiden Charaktere in diesem ersten Album noch nicht wie ein Team zusammenarbeiten, sondern die Hierarchien klar voneinander abgetrennt sind, ist Nam so etwas wie das emotionale Gewissen des mit einer harten Schale, aber zumindest in Hinblick auf eine Frau auch weichen Kern ausgestatten Coreys.

Wie es sich für derartige Helden gehört, muss es auch eine Frau in ihrer Vergangenheit geben. Marthe Richer. Ehemalige Prostituierte, verwitwete Ehefrau eines reichen im Krieg ums Leben gekommenen Industriellen, eine sehr gute Pilotin und irgendwie ein wenig auch Silas Corey verbunden. Der scheint für die junge Frau auch mehr als Freundschaft zu empfinden. Sie ist, wie seine erste ersten Auftraggeber im Off, feststellen, seine schwache Seite. Lange Zeit kann der Leser aber nicht einschätzen, ob sie wirklich auf der Seite Frankreichs agiert oder wie einige andere Charaktere ihr eigenes Spiel aufzieht.

 Die Seite der Schurken ist schwieriger zu gestalten, auch wenn es von ihnen erstaunlich viele gibt. Der französische Regierung wird von einem ehemaliger Drucker erpresst. Er scheint ein Dokument in Händen zu haben, das vor allem im Kriegsjahr 1917 extrem wichtig ist. Bevor er seine Erpressung durchziehen kann, verschwindet er gejagt von Schergen. Silas Corey soll das Dokument wieder finden. Ob seine Auftraggeber für oder gegen die Regierung handeln, ist genauso unklar wie zum Beispiel die Rolle der reichen Witwe der Zarkoff Werke, die als Waffenproduzentin nicht nur Frankreich, sondern auch Deutschland versorgt. Für viele ist sie eine Verräterin, auch wenn sich später herausstellt, dass nicht jeder Waffenlieferung gleich ist. Im Hintergrund agiert nicht nur eine weitere hübsche Frau, sondern ein Offizier des deutschen Geheimdienstes, der ein großes Interesse an diesem Dokument hat, das Silas Corey innerhalb kürzerer Zeit im Grunde dreimal verkaufen kann.

Im Gegensatz zu klassischen Spionagekrimis agiert Silas Corey eher opportunistisch. Er nutzt zwar seine detektivischen Fähigkeiten, um Staub aufzuwirbeln, aber in dem interessanten, vielleicht zu sehr Action betonenden Mittelteil provoziert er, um Reaktionen bei seinen Feinden hervorzulocken und dadurch immer wieder einen Schritt weiter zu kommen. Erst als der Leser und Corey herausfinden, um was es sich bei diesem Dokument handelt, dreht sich die Handlung. Moralische wie patriotische Fragen werden angerissen, aber nicht abschließend behandelt. Ist das Sterben von hunderttausenden von Soldaten im Elend der Schützengräben eines zum Stillstand gekommenen Krieges mehr Wert als ein unehrenvoller Frieden? Antworten geben beide Seiten nicht. Positiv verzichtet der Autor darauf, bei den Schurken schwarzweiß zu malen. Selbst die kaiserlichen Deutschen sind im Rahmen der Brutalität dieser Serie genauso verschlagen, hinterhältig und rücksichtslos wie der französische Geheimdienst . Sie gehen nur über mehr zivile Opfer. Mit ihren Sabotageakten unterminieren sie die Moral an der Front und versuchen die Soldaten zum Desertieren zu bringen. Die französischen elitären Politiker versuchen sich an der Macht zu halten und agieren in erster Linie für die eigene Tasche und weniger für ihr Vaterland. Es gibt kein gut und böse in dieser Reihe. Es gibt nur sehr viel grau.

Hier liegt vielleicht auch die handlungstechnisch größte Stärke einer Geschichte, die bis zur finalen spektakulären, aber auch den Leser ein wenig in die Irre führenden Auseinandersetzung kontinuierlich an Tempo gewinnt, aber dabei auch an charakterliche Tiefe verliert. Es werden immer wieder große Worte geschwungen und die Ziele der verschiedenen Seiten vor allem durch Dialoge fest gezimmert, aber argumentativ geht Nury nicht in die Tiefe. Es ist eine Actiongeschichte, die sich indirekt von Thrillern wie „Die Nadel“ hat inspirieren lassen. Nur ist alles größer, lauter und bunter/ greller. Und mitten drin der Hobbydetektiv, der nach seinem Kriegsdienst als Reporter agierende Dandy, der wie es sich für derartige Geschichten gehört, nicht nur für Geld arbeitet, sondern seinem Vaterland unabhängig von dem Sterben an der Front Hoffnung geben möchte. Corey ist ein sperriger Charakter, aber er trägt so viele Züge des positiven Helden in sich, dass seine Entwicklung erstaunlich weit vorangeschritten und er trotz seines über weite Strecken unnahbaren Wesens zugänglich und sympathisch erscheint. Um ihn herum haben Fabien Nury mit Nam und vor allem auch der ausbaufähigen, sehr attraktiven Marthe Richer Charaktere platziert und keine eindimensionalen Chiffren.

Während Fabien Nury in seiner verschlungen, manchmal für sich selbst zu cleveren Geschichte das Tempo erstaunlich hoch hält, ist es sein Zeichner Piere Alary in Kombination mit der teilweise fast ein wenig surrealistischen Farbgestaltung Bruno Garcias, der das Augenmerk immer wieder auf die Details lenkt und die große Geschichte fast abseits liegen lässt. Vor allem das Paris des Ersten Weltkriegs mit seinen Widersprüchen – die Reichen feiern in den Palästen der Hauptstadt, die Soldaten hungern an der Front – erwacht zu einem faszinierenden und wunderbaren Leben. Alary greift nicht selten auf Kleinigkeiten zurück. Hinzu kommt, dass er ungewöhnliche Perspektiven liebt und gerne Ausschnitte mit großen Bildern kombiniert, um den Leser einzufangen und gleichzeitig auch ein wenig auf Distanz zu halten. Der größte Teil der Geschichte ist aber wie ein Film gestaltet. Kleine Bilder, wechselnde Perspektiven, schnelle „Schnitte“. Vielleicht sind seine Antagonisten teilweise zu sehr an Karikaturen angelehnt, aber unabhängig von einigen brutalen, zu sehr nach Blut lechzenden Szenen bemüht er sich, eine dunkle nihilistische und stetig bedrohliche Atmosphäre aufzubauen, die Bruno Garcia mit seinem Hang zu satten, zu sehr kräftigen Tönen perfektioniert. 

„Der Aquila Ring“ – der deutsche Titel entschließt sich dem Leser nicht auf den ersten Blick und wirkt auch nicht unbedingt gut gewählt – ist ein spannendes Spionageabenteuer vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs mit einem überdimensionalen, aber nicht unverwundbaren zwielichtigen Helden, der gerne zum Wohle des ganzen absichtlich beide Seiten spielt und trotzdem nicht immer alle Zügel in der Hand hält. Manche Leser wünschen sich wahrscheinlich noch mehr Charakterentwicklung und weniger Action, aber es ist unabhängig von einigen Klishees wie der Entführung von Marthe Richers keine Dynamik um ihrer Selbst willen, sondern der Autor versucht das komplexe, stellenweise komplizierte Komplott durch Bewegung am Leben zu halten und vor allem dem Leser zu suggerieren, das nicht nur den Soldaten an der Front, sondern allen Protagonisten buchstäblich die Zeit wegläuft. Und das ist dem Dreierteam Fabien Nury, Pierre Alary und schließlich dem Farbenmann Bruno Garcia sehr gut gelungen. 

 

AutorFabien Nury
ZeichnerPierre Alary
ÜbersetzerHarald Sachse
EinbandHardcover Splitter Verlag
Seiten128
Band1 von X
Lieferzeit3-5 Werktage
ISBN978-3-95839-257-1
erscheint am:01.04.2016
Kategorie: