Die Geheimgesellschaft im Schatten von Sherlock Holmes: Mandragore

Sherlock Holmes, Geheimghesellschaft, Mandragone
Sylvain Cordurié & Marco Santucci

Sylvain Cordurie hat in seiner inzwischen mehrere Alben und Miniserien umfassenden „Sherlock Holmes“ Geschichte immer wieder phantastische Elemente von einer Begegnung mit den großen Alten aus Lovecrafts Geschichten bis zu einem Zeitreisenden eingeführt. Es gibt Vampire und Werwölfe.  Nicht selten ging dabei die Deduktion des britischen Ermittlers in diesen phantastischen Geschichten unter. Auf den ersten Blick wirkt der lange Untertitel „Die Geheimgesellschaft im Schatten von Sherlock Holmes“ wie eine im viktorianischen England spielende, von Corduries Sherlock Holmes abhängige Serie, die aber nach der Lektüre angeblich alleine über den Namen im Titel eine Verbindung zum immer populärer werdenden Sherlock Holmes Mythos sucht. Es gibt keine echten Querverweise und auch wenn einige von Marco „Spider-Man“ Santuccis Protagonisten Ähnlichkeiten zu Watson oder den Holmes Brüdern aufweisen, fällt niemals der Name des Detektivs. Und trotzdem ist die Idee, das es eine mystische gefährliche Welt hinter der viktorianischen Fassade gibt, die entweder mittels Magie durchschritten oder mit Toren verbunden werden kann, wie eine Extrapolation einiger lovecraft´scher Themen, die Cordurie eben schon in seinen Sherlock Holmes Geschichten angesprochen hat.

Während sich viktorianische Gruselgeschichten in erster Linie mit unruhigen Geistern und kranken Seelen, unterdrückten sexuellen Begierden oder Rache von Jenseits des Grabes auseinandersetzte, entstanden in den Pulpabenteuern jenseits des Atlantiks ganz andere Monstren, die Sylvain Cordurie ohne Probleme aus den Staaten der zwanziger und dreißiger Jahre mehr als eine Generation in die Vergangenheit versetzt hat. Und zur Versuchung gelangweilter reicher Mann gemacht hat.   

Der Doppelband beginnt mit einer unheimlichen Begegnung. Ein bleicher siamesischer Zwilling teilt den Mitgliedern von anscheinend zwei unterschiedlichen Geheimgesellschaften mit, für welche der beiden Gruppen SIE sich entschieden haben. Offensichtlich sind sie nur Boten. Die „Father of Realms“ – dabei wäre es sinnvoll, diesen nicht unpassenden Namen zu übersetzen – werden ausgewählt. Erst im Verlaufe der Handlung wird deutlich, dass sie unter anderem mit modernen, dem Cyberpunk entlehnten Mitteln den ANDEREN einen dauerhaften geschützten Zugang in unsere Welt verschaffen wollen, wobei die Monstrositäten der anderen Seite nicht überall und vor allem nicht dauerhaft auf der Erdoberfläche leben können. Die andere Geheimgesellschaft ist über die Entscheidung der fremden Wesen empört und droht, den Prozess zu unterminieren.

Sylvain Cordurie unterbricht anschließend diesen sehr interessanten, atmosphärisch dichten wie dunklen Prolog und stellt mit der attraktiven rothaarigen Lynn Redstones im Grunde eine fast klassische, aber auch tragische Superheldinfigur vor, die als Elektra des viktorianischen Zeitalters durchgehen kann. Mit Marco Santucci und seiner Erfahrung auch bei „The X- Factor“ hat der Autor einen guten Zeichner gefunden, der über klassische Heldenposen kommend im Grunde eine Synthese zwischen den amerikanischen Comics und dem europäischen Erzählstil findet. Viele Bewegungsabläufe sind nicht nur einmal, sondern mehrfach reproduziert worden und die anfänglich flotten Sprüche wirken auch nicht originell. Wenn Lynn Redstone in den dunklen Gassen Londons ein Monster stellt und tötet, dann greifen die typischen Mechanismen des Genres. Sylvain Corduries guter Charakterentwicklung ist es zu verdanken, dass je mehr über ihre geplante Herkunft und Vergangenheit bekannt wird, Lydia Redstone nicht nur zugänglicher, sondern vor allem verletzlicher erscheint.  Je weiter sie in die Geheimnisse eindringt und ihren unbändigen Willen zähmen muss; erkennt, das ihre Herkunft im Grunde auf einer Lüge und genetischer Manipulation basiert, desto interessanter und vielschichtiger wird ihre Figur. An ihre Seite hat Cordurie mit einem Magier der alten Schule – ein Merlin im modernen viktorianischen Gewand – eine besonders originelle Figur gestellt. Er kann bedingt in die Zukunft schauen und kopiert zukünftige Meister im England des 19. Jahrhunderts. Diese dürfen die potentiellen Käufer aber niemals verkaufen. Mit einem Vorgriff auf den Expressionismus gibt es auch eine humorige Einlage. Dieser Magier hilft nicht nur Lydia Redstone, er ist auch das aktive erklärende Bindeglied zwischen dem Plot und den Lesern.

Die Antagonisten – von dem tragischen Überläufer abgesehen – wirken dagegen ein wenig zu eindimensional und vor allem eher handlungstechnisch pragmatisch gezeichnet.  Natürlich dienen sie als Handlanger der überdimensionalen Wesen in erster Linie ihnen und haben keinen eigenen Willen, aber den zu gestelzten Traditionen der Geheimgesellschaften folgend agieren sie zu umständlich. Vor allem weil sie immer dem James Bond Mythos der alles erklärenden Schurken folgen müssen, anstatt an zwei/ drei entscheidenden Stellen einfach zu handeln und weniger zu reden. Inhaltlich gehen die Ermittlungen der Helden ein wenig zu schnell und trotz einer originellen Vorgehensweise – direkt durch die vom Magier gemalten Bilder, die gleichzeitig auch Tore sein können – zu zielführend voran. Interessant ist auch, das die dunklen Mächte in ihren je nach der Situation isolierten oder nicht so sehr isolierten Lebensräumen – teilweise symbolisiert durch eine abgeschiedene mit Schnee bedeckte Hüte – anscheinend nur beobachten und an keiner Stelle bei reiner Gefährdung ihrer Pläne eingreifen. Das gleiche gilt für das Finale der Geschichte, das ein wenig hinsichtlich des Szenarios weniger an H.P. Lovecraft, sondern an „Howard the Duck“, die Verfilmung erinnert. Die Monster sind im Anmarsch – Santucci malt sie positiv für die Story nicht zu detailliert – und die Handvoll Helden hat ausreichend Zeit, den Feind nicht nur in die Ecke zu drängen, sondern wie es sich gehört, für ein ordentliches Feuer zu sorgen. Es ist schwer, in diesen sich in engeren Grenzen bewegenden Monstergeschichten wirklich originelle Ideen einzubauen, aber die finale Auseinandersetzung erscheint zu simpel geschrieben, aber zeichnerisch hervorragend und mit interessanten Perspektiven umgesetzt.  

Cordurie ist inzwischen ein sehr routinierter Erzähler, der die phantastischen Elemente – ein möglicherweise übernatürliches Wesen, Monstren – sehr gut in eine stringente Handlung mit ein/ zwei Höhepunkten packen kann. Die Figuren bewegen sich sehr viel und die einzelnen Auseinandersetzungen sind immer originell und vor allem actionbetont geschrieben und von Santucci sehr effektiv umgesetzt worden. Wie bei den Sherlock Holmes Geschichten wird der vor allem viktorianische Hintergrund mit dem Weltmetropole London so realistisch wie möglich umgesetzt. Der Leser sollte sich nicht von dem eher reklametechnischen Hinweis auf Sherlock Holmes täuschen lassen. Wie die Kombination in „Van Helsing vs. Jack the Ripper“ funktioniert der Plot wenn auch teilweise ein wenig schematisch ausgesprochen gut. Es sind die auch in dieser Ausgabe so gut gestalteten Hintergründe und die erstaunlich gut gezeichneten, aber ambivalent gezeichneten, aber auch modern erscheinenden „Helden“, welche „Mandragore“ aus der Masse der viktorianischen Geschichten herausragen lassen und doch wie der Epilog mit subversivem Humor zeigt auch sehr gut in ihrer handlungstechnischen Zeit verankert sind.   

       

 

 

AutorSylvain Cordurié
ZeichnerMarco Santucci
ÜbersetzerSwantje Baumgart
EinbandHardcover Splitter Verlag
Seiten96
Band1 von 1
Lieferzeit3-5 Werktage
ISBN978-3-95839-383-
Kategorie: