Any Day Now

Terry Bisson

Terry Bisson legt mit seinem siebenten serienunabhängigen Science Fiction Roman eine autobiographische Zeitreise und Alternativweltgeschichte zu gleich vor. Die Abweichungen von der sowohl dem Leser als auch dem Erzähler bekannten Zeitlinie beginnen ausgesprochen subtil. Arthur C. Clarke stirbt in den sechziger Jahren und die Fans von James Dean bangen nach seinem schweren Autounfall um sein Leben. Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre werden die Unterschiede dramatischer, politisch schwieriger zu fassen, bis sie schließlich in einem zu offenen Ende gipfeln. Ohne Frage schließt der Autor einen relevanten Lebensabschnitt seines Protagonisten Clays für ihn zufriedenstellend ab. Nach dem Tod seiner Eltern findet er zu seiner Jugendliebe zurück und wird impliziert mit ihr ein neues Leben in den Hippie Gemeinden in den Rockies beginnen, während um ihn herum die USA mehr und mehr zerfällt. Die Stärke von "Any Day now" liegt in der emotionalen Beschreibung unterschiedlicher Gefühlszustände, verschiedener Lebensabschnitte und schließlich der Erkenntnis, dass jeder Mensch seinen eigenen Lebensweg pflastern sowie anschließend auch gehen muss. Diese auf den ersten Blick realistisch melancholisch Erkenntnis packt Terry Bisson in einen stilistisch sehr ansprechend konstruierten Roman, der zwischen der sich stetig immer schneller verändernden, das Leben des Protagonisten nur stark konstruiert berührenden Umwelt und einer Art Idylle abseits von jeglicher Zivilisation seinen Fokus für die zweite Hälfte des Plots finden muss.

"Any day now" ist vielleicht eine Art schelmischer Bildungsroman, dessen "Coming of Age" Geschichte den Leser vom reaktionären, immer noch rassistischen Süden in den Melting Pot New York zur Zeit verschiedener Proteststürme führt. Anschließend kehren Clay und der Leser in die Einöde zurück. Mit diesen örtlichen Veränderungen versucht Clay eine Art inneren Ruhepol zu finden, obwohl er grundsätzlich und fast beschämt erkennen muss, dass seine kleine Heimatgemeinde mit seinen Eltern und der Möglichkeit, mit der richtigen Frau sesshaft zu werden, auch nicht schlecht gewesen wäre. Weniger aufregend, weniger gefährlich, aber auf keinen Fall so langweilig und öde, wie es sich der noch sehr junge Clay in seinen (Alp-)träumen ausmalt. Es sind Erkenntnisse, welche den Leser anfänglich überraschen. In Joe Waltons empfehlenswerter Fantasy "Among Others" öffnen Science Fiction und Fantasy- Romane der Protagonisten als Lebensbegleiter viele Türen in die Welt. In Bissons Roman spielen Science Fiction Bücher im Grunde nur eine untergeordnete Rolle. Im Grunde setzt der Autor sie gleich mit der damals provokanten, die Grenzen austestenden literarischen Gegenkultur. Während Bisson mit fast sadistischen Vergnügen aber seine fiktiven Ereignisse natürlich auch von entsprechend erfundenen Berichten signifikanter Zeitgenossen kommentieren lässt, bleibt er hinsichtlich der Verwendung des Genres bei den Wurzeln. Arthur C. Clarkes Spätwerk findet durch den frühen Tod des Autoren nicht statt, aber weder Heinlein mit "Stranger in a strange Land" oder Delany mit "Dhalgreen", selbst Philip K. Dick haben keine Arbeiten erschaffen, die der Leser nicht kennt.

 

Wie schon angesprochen versucht Bisson einen experimentellen Schreibstil mit einer im Grunde nur chronologisch zu erzählenden Geschichte zu kombinieren. Kurze Kapitel, Facetten mit teilweise humorvoll subversiven Kommentaren, eine Art Puzzle einer Vergangenheit, welche der Leser kennt. Dabei trennt der Autor nicht zwischen den relevanten politischen Ereignissen und Clays alltäglichem wie langweiligen Leben. Aus dem anfänglich ungeordneten erscheinenden Fragmenten entsteht ein komplexes, aber niemals kompliziertes Puzzle. In den anscheinend stark autobiographischen Passagen - Bisson hat auch als Automechaniker gearbeitet und sein Studium nicht abgeschlossen, er ist in einer kleinen Gemeinde aufgewachsen und hat dieser schließlich den Rücken zugekehrt - rückt "Any Day Now" an eine fast klassische Mark Twain Geschichte heran. Das Leben wird und ist ein Abenteuer, das jeden Tag Herausforderungen aber auch Belohnungen in sich trägt. Den Mut zu haben, dem Abenteuer zu folgen, bezieht Clay in einer der deutlichsten Anspielungen auf die meisten Leser dieses Romans aus Science Fiction Romanen. Nur das er das Universum schließlich gegen New York tauscht. Zu diesem Zeitpunkt hat der angehende Dichter und potentielle High School Abbrecher aber schon mit der Spießigkeit seiner Heimatstadt und seinen langweiligen Eltern gebrochen. In New York verliebt er sich das zweite Mal. Obwohl er seinen Lebensunterhalt als Koch in einem Schnellimbiss verdient, dringt er in die semiprogressive Künstlerszene mit ihren Swingerattitüden der Partnerschaft gegenüber, der Angst vor der Wehrpflicht angesichts des Vietnamkrieges, den Drogen und Exzessen und schließlich in einer der am meisten schockierenden Szenen auch dem Linksterrorismus der reichen Kinder ein. Es ist ein Kaleidoskop von unterschiedlichen Eindrücken, die auf den Leser wahrscheinlich in Gestalt von Bissons übertriebenen Erinnerungen förmlich einschlagen. In diesen Abschnitten lassen sich ausgesprochen gut die Stärken und leider auch vorhandenen Schwächen des Buches erkennen. Vieles wirkt ausgesprochen realistisch und aus der Distanz von fast vierzig Jahren immer noch lebendig. Der Leser wird vom Autor förmlich an die Hand genommen und eingeführt.  Auf der anderen Seite fehlt dem Roman in diesen Abschnitten ein kommentierendes Element. Da das Buch absichtlich biographisch angelegt worden ist, erfährt der Leser alle wichtigen Fakten entweder direkt aus Clays Perspektive oder seltener aus dritten ebenfalls subjektiven Quellen wie Briefen, Nachrichten und anfänglich den informativen Zwischenkapiteln, die Bisson gegen Ende des Buches mehr und mehr zum Leidwesen des ganzen Fokus abbaut.

Es ist vielleicht eine doppelte Ironie, dass Clay mehrmals zwischen allen Fronten gestanden und vom FBI als Zeuge gesucht worden ist. Wichtige Abschnitte der Zeitgeschichte wie die Attentate auf Martin Luther King oder Robert Kennedy hat er indirekt verfolgt. Er war mit einer Terroristin befreundet, die sich in einer der positiv wie negativ besetzten Schlüsselszenen des Buches beim Bombenbauen für alle Beobachter sichtbar in die Luft gesprengt hat. Hinsichtlich seiner geistigen Einstellung hat er allerdings nie die Kommune, die kleine Gemeinde verlassen, in welcher der Leser ihn kennenlernt. Je weiter er in die amerikanische Welt eindringt, desto wird er am Ende erkennen, dass er nur Beobachter und niemals wirklich Teilnehmer gewesen ist. So sehr sich Bisson auch bemüht, das Ende süßer und positiver zu gestalten, den Roman durchzieht eine spürbare Wehmut nach den Chancen, welche Clay stellvertretend für Bisson niemals ergriffen hat oder ergreifen konnte. Es ist kein trauriges Buch. Es ist eher die Bestandaufnahme eines Lebens, das ohne den immer bizarrer werdenden Alternativwelthintergrund im Grunde ereignislos außerhalb der ganzen persönlichen Wahrnehmung verlaufen ist. Ein vielleicht niederschmetterndes Fazit, das aber den vorliegenden Roman so zugänglich und lesenswert macht.

Wie schon angedeutet ist der Alternativwelthintergrund in der vorliegenden Form schwerer zu fassen. Bisson folgt dem Inhalt vieler damals progressiver und aggressiver Rocksongs und lässt die Revolution starten. Amerika zerfällt, Mexiko erklärt den Staaten den Krieg, der Süden rebelliert, der Krieg in Vietnam wird von einem ungewöhnlichen Präsidententeam beendet, ohne das die Welt Frieden findet. Japan und Russland erstarten, nutzen das Machtvakuum und sorgen schließlich in den sich immer stärker bekämpfenden amerikanischen Kommunen als UNO Truppen für einen vorläufigen Frieden. Die Rassenkriege zwischen den Weißen und allen Teilen der farbigen Bevölkerung dienen hier eher als Katalysator. Bisson kann und muss man zum Vorwurf machen, dass die Brutalität dieser sich selbst zerfleischenden amerikanischen Nation eher distanziert und wie durch einen Weichzeichner beschrieben wird. Clay und seine Freunde/ Mitglieder der Kommune kommen nur selten mit dem Militär oder gewalttätigen Auseinandersetzungen in Kontakt. Und wenn enden die bis auf den etwas überzogenen Showdown mit seiner semitragischen Note glimpflich. Alleine am steigenden Benzinpreis als ironische Wasserstandsmarke lässt sich die politische Unruhe in erstens den USA und eher zweitens der Welt ablesen. Aber auch in den Kommunen ist nicht alles perfekt. Die verschiedenen intellektuellen Ausrichtungen deutet Bisson mehr an. Vielleicht ein wenig zu übertrieben kommt hinzu, dass nur wenige Figuren wirklich "sterben", obwohl die Handlung es impliziert. Wie Äste in einem gewaltigen Strom treiben sie immer wieder aufeinander zu. Sie berühren sich und ihre Wege trennen sich wieder. Der Roman konzentriert sich auf die Momente der Berührung. Das sich die einzelnen Figuren mehr und mehr voneinander entfernen - nur die einzige wahre Romane bleibt fast unangetastet, auch wenn der unstete Clay es im Grunde fast zu spät merkt - lässt "Any day now" deutlich distanzierter und unterkühlter erscheinen als es der Autor wahrscheinlich beabsichtigt hat.

Zusammengefasst ist "Any day now" selbst für einen Terry Bisson Roman ein ungewöhnliches Projekt, das den Leser ohne Frage insbesondere im vielleicht zu langen Anfang fordert und provoziert. Es ist viel mehr ein alternativer (Lebens-) Roman, denn eine Alternativweltgeschichte. Clay hätte auch ohne die politischen Irrungen und Wirrungen schließlich in der Kommune landen können, seinem idealisierten und ideologisch fragwürdigen Shangri La in den Bergen, das sich für Frank Capras Filmprotagonisten geschlossen hat, während es für Clay im Grunde den Leib von Mutter Natur darstellt und deswegen unabänderlich zu sein scheint.

 

  • Taschenbuch: 287 Seiten
  • Verlag: Duckworth, Gerald &Co. Lt (28. Februar 2013)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 0715645153
  • ISBN-13: 978-0715645154