Basar der bösen Träume

Basar der bösen Träume, Stephen King, Rezension, Titelbild
Stephen King

Mit „The Bazar of Bad Dreams“ legt Stephen King nach einigen Jahren eine weitere Sammlung mit Kurzgeschichten und Novellen vor. Wer sich mit dem Werk des Amerikaners intensiv beschäftigt, wird zumindest drei der längeren Texte „Mile 81“, „Ur“ und „Blockade Billy“ durch die Veröffentlichung als E-Books und einzelnen limitierten Hardcover kennen. Stephen King macht kein Hehl daraus,  dass es sich bei seinen Storysammlungen positiv um die Zusammenfassung einzeln veröffentlichter Texte handelt und weniger um exklusives Material. Auch wenn er sich selbst als Meister der Langform sieht, sind einige seiner Kurzgeschichten bitterböse, zynisch, pointiert und genauso lesenswert wie die Bestseller, die er seit mehr als dreißig Jahren regelmäßig abliefert.  

„Blockade Billy“ ist vor einigen Jahren als gesonderte Novelle unter anderem vom Kleinverlag „Cemetary Dance“ veröffentlicht worden. Wie Michael Bishop hervorragender Roman „Brittle Innings“ vermischt Stephen King rückblickend klassische Horrorthemen mit seinem Lieblingssport Baseball. Es ist der lockere, der Handlungszeit entsprechend auch melancholische Erzählstil, der wie viele von Stephen Kings besten Texten dem Leser im Gedächtnis bleibt. Schon in seinem Vorwort geht der Autor auf eine gänzlich andere Ära ein, in welcher Baseball schon wichtig, aber eben nicht in dieser Medienpräsenz elementar gewesen ist. In der Rahmenhandlung tritt Stephen King auch als Erinnerung an seine erste Zeit als Reporter einer kleinen Tageszeitung auf. Er interviewt einen der damaligen Augenzeugen und Veteranen des Sports, der die Ereignisse um Blockade Billy und seine kurze Zeit des Ruhms unglaublich lebendig und vor allem auch selbst nicht Sport Begeisterten überzeugend zusammenfasst. George „Granny“ Grantham spricht über eine Season in den fünfziger Jahren, als die inzwischen aufgelösten New Jersey Titans innerhalb weniger Tage beide Fänger verliert. In letzter Sekunde muss das Team einen Spieler aus den unteren Ligen verpflichten. Es ist William „Billy“ Blakely.  Der schüchterne Junge scheint ein wenig unterbelichtet zu sein, entpuppt sich aber aufgrund seiner instinktiven Spielweise als Volltreffer. Hochachtungsvoll nennen ihn die Fans schnell „Blockade Billy“. Selbst der arrogante Starspieler adaptiert Billy als eine Art Glücksbringer. Nur Graham sieht aber auch den entsprechenden Schatten. Gleich im ersten Match beschuldigt ihn ein Gegenspieler, seinen Unterschenkel absichtlich aufgeschlitzt zu haben.  Graham ahnt nicht, dass die Siegesserie seines Teams im Grunde sinnlos ist, da später alle Spiele annulliert werden müssen.  Auch wenn die tragischen Hintergründe den zweiten Teil der Geschichte dominieren und Stephen King es schafft, aus dem Täter auch überzeugend ein Opfer zu machen, das sich mit den falschen Mitteln im richtigen Moment zu befreien sucht, sind es die ersten Spielszenen, in denen der Amerikaner für viele Europäer schwer zu fassen die Eigenheiten des Baseballs Spiels, aber auch die eisernen Gesetze innerhalb im Grunde jeder funktionieren Mannschaft der Welt liebevoll, detailliert, ohne Pathos und Kitsch beschreibt. Die phantastischen Elemente wären nicht nötig gewesen, sie runden aber eine kurzweilig zu lesende, gut geschriebene Novelle ausgesprochen überzeugend ab. 

Viele der Kurzgeschichten handeln vom Tod, vom langsamen Verabschieden. Sie verfügen über keine phantastischen Elemente, sondern spielen eine gewisse Altersweisheit wider. „Premium Harmony“ handelt von einem gemeinsamen alt gewordenen Ehepaar, das sich immer wieder streitet. Beide haben schlechte Angewohnheiten. Es ist der plötzliche Tod eines Partners inklusiv eines vielleicht zu aufgesetzten zynischen Endes, das schockiert, überrascht und dem Leser zeigt, das die Zeit auf Erden begrenzt ist. Es ist nicht der einzige Text, in dem Stephen King minutiös die Beziehungen zwischen sich Liebenden – dabei spielt es keine Rolle, ob es Ehepartner sind oder Familienangehörige sind – untersucht. Zu den ergreifenden Geschichten gehört „Batman and Robin have an Altercation“, in denen einer der Söhne immer wieder seinen an Alzheimer erkrankten Vater zum Essen ausführt. Es ist für ihn jedes Mal eine neue Erfahrung, an deren Ende neben einigen wenigen Kindheitserinnerungen- auf die bezieht sich ein Teil des Titels – eine tragische Katastrophe steht, welche den Sohn stark erschüttert, aber auch stolz auf seinen Vater macht. Zu den Western kann „A Death“ gezählt werden. Stephen King hat den Text Elmore Leonhard gewidmet. Ein geistig zurückgebliebener Mann wird beschuldigt, ein junges Mädchen überfallen, vergewaltigt und beraubt zu haben. Am Tatort ist sein Hut gefunden worden. Der Mann behauptet bis zur Hinrichtung, unschuldig zu sein und nur der örtliche Sheriff glaubt ihm. Die moralische Bestrafung folgt auf dem Fuß.  Wie in vielen seiner anderen Arbeiten erschafft Stephen King absolut glaubhafte Figuren mit all ihren Stärken und Schwächen. Wenn der Leser abschließend erkennt, dass er zumindest indirekt mitgetäuscht worden ist, fühlt er die gleiche Leere wie die Protagonisten in sich. Nicht selten ist es bei einigen der hier gesammelten Texten wichtiger, die Vorlagen und Inspirationen zu kennen als die eigentlichen Geschichten zu lesen. „The Dune“ ist eine kleine Sandinsel vor der Küste Floridas, auf welcher angeblich die Namen der Menschen erscheinen, die bald sterben werden. Ein dunkles vielleicht zu offenes Ende rundet diese Hommage an die eher viktorianischen Gruselgeschichten ab.  

 Aber es finden sich auch die klassischen Stephen King Geschichten wie „Bad Little Kid“, in welcher ein Mörder auf dem Weg zur Hinrichtung – nicht die einzige Story mit diesem Grundthema in dieser Sammlung -  seinem Anwalt die Wahrheit erzählt. Auch wenn diese Wahrheit manchmal zu phantastisch erscheint, hat sie bei Stephen King immer einen tieferen Hintergrund. Ein „Böser Junge“ taucht immer wieder auf und sorgt dafür, dass unschuldige Menschen in seinem Umwelt sterben, während die Schuld dem im Gefängnis sitzenden Mann zugeschoben wird. Wie bei einem bösen Kobold kann er niemand davon überzeugen, dass er in Wirklichkeit manipuliert worden ist. Das zynische, aber auch vorhersehbare Ende passt zu dieser kurzweilig zu lesenden Story. Auch „Obits“ gehört zu den für King so markanten Geschichten. Ein Mann heraus, dass er mit Nachrufen in der Zeitung Menschen töten kann. Dieses Motiv erscheint wie eine Variation anderer Storys vor allem in dieser Sammlung, entwickelt sich aber kontinuierlich weiter. Die Nachrufe werden immer bizarrer und langsam entwickelt es sich zu einer Art Rachsucht. Natürlich gibt es eine dunkle Pointe, wobei Stephen King sie nicht bis zum bitteren Ende durchführt, sondern aufgrund des Suchradius vielleicht zu schnell beendet. 

 Sowohl „Ur“  als auch „Mile 81“ sind ursprünglich ausschließlich für den E- Book geschrieben worden.  Wie Stephen King in seinem Vorwort erwähnt, ist die Novelle „Mile 81“ eine Hommage an „Christine“.  Eine abgelegene Raststätte ist der Treffpunkt der Jugend. Pete Simmons gibt sich dem Alkohol hin. Als er aufwacht, fährt auf den Parkplatz ein mit Schlamm bedeckter Kastenwagen. Ungewöhnlich ist, dass erstens diese Raststätte von der Straße aus als geschlossen gekennzeichnet ist; es seit mehreren Wochen nicht mehr geregnet und der Schlamm deswegen nicht erklärbar ist und das sich die Tür öffnet, ohne das ein Fahrer aussteigt. Während in der ursprünglichen Novelle unter anderem der hilfsbereite Versicherungsvertreter Doug Clayton ins Auto gezogen und anscheinend verspeist wird, hat King für die Druckveröffentlichung das Spektrum der Opfer deutlich erweitert. Wie bei „Under the Dome“ erscheint das bizarre Ende aus der Science Fiction Sicht eher konstruiert und nicht überzeugend. Es sind alleine die feinen Charakterisierungen und das Auftreten des potentiell Bösen mit entsprechenden Vorahnungen, welche den Leser zu Beginn der Geschichte mitreißen.  „Ur“ stammt aus dem Jahr 2009 und ist eine der ersten Geschichten, die exklusiv fürs Amazon Kindle mit einem bahnbrechenden Erfolg geschrieben worden ist. Der Englisch Professor Wesley Smith kauft sich einen Kindle, obwohl er weiterhin auf Papier schwört. Er möchte in den Augen seiner Ex- Freundin aber nicht altmodisch erscheinen. Er enthält aber ein pinkes Kindler mit einer seltsamen „Ur“ Funktion, das Wesley in parallele Welten entführt und ihn sogar einen Blick in die Zukunft werfen lässt.  Neben den faszinierenden alternativen Welten gibt es einen Hinweis auf die „Dark Tower“ Serie. Vor allem der Anfang mit dem skeptischen Professor und der neuen Technik steckt voller Seitenhiebe und vor allem kleinere Anspielungen, während das Finale eher spannend bodenständig ist.

In seiner langen Karriere hat Stephen King immer wieder auf einen markanten Einschnitt in seinem Leben zurückgegriffen. Den schweren Unfall, in den er als Fußgänger verwickelt worden ist. „The Little Green God of Agony“ manifestiert den Schmerz in Form einer dämonischen Wesenheit, die schließlich von einem Wunderheiler vertrieben werden muss. Es sind die autobiographischen Passagen, welche die Geschichte so lesenswert machen.

 Nur wenige Texte – untypisch für einen eher geradlinigen Pointenmann wie King – scheinen aus der „Twilight Zone“ oder „Alfred Hitchock Presents“ Ecke zu stammen. Wenn der Amerikaner wie in „That Bus is another World“ auf dieser Prämissen zurückgreift, dann fokussiert er den Schrecken über seine Protagonisten direkt ins Hirn der Leser und macht den Alltag zu einer brutalen Achterbahnfahrt.  Selbst die Weltuntergangsgeschichte „Summer Thunder“ hinterlässt vor allem stimmungstechnisch einen starken Eindruck. Das langsame Sterben nach einem die ganze Welt zerstörenden Atomschlag, der Fokus auf die kleinen Dinge und schließlich die Erkenntnis, dass der Mensch das gefährlichste aller Tiere ist.  Ungewöhnlich ist auch „Drunken Fireworks“. Zum vierten Mal messen sich die neureichen McCauslands mit dem alten Geld – Angehörige der Massimo Familie – in einem Feuerwerkwettstreit zum 4 Juli. Neben den bizarren Charakteren beschreibt Stephen King ausführlich die Getränke, die angemixt werden. Es ist im Vergleich zu vielen Texten dieser Sammlung leichte Unterhaltung, aber sie rundet kurz vor der dunkelsten Geschichte „Summer Thunder“ die Anthologie sehr gut ab.

Stephen King spricht in den Einführungen zu den nachstehenden Texten von Gedichten. Theoretisch können die beiden hier abgedruckten Texte aus Balladen sein, wobei „The Bone Church“ der kraftvollere Text ist. Sprachgewaltig, aber immer wieder auch nur nach Symbolen greifend zeigen sie, dass der Autor zumindest auch in diesem literarischen Bereich über Grundfertigkeiten verfügt. Stephen Kings Kurzgeschichtensammlungen sind im Gegensatz zu seinen Novellen immer von unterschiedlicher Qualität gewesen. Und selbst heute sieht sich der Amerikaner eher als Handwerker, der sich stetig zu verbessern sucht.  Anhänger Kings werden viele klassischen Themen und vor allem mehr als eine Handvoll Anspielungen auf seine Romane in dieser Sammlung finden. Wer sich Stephen King generell nähert, wird dessen ganze Bandbreite eher in seinen Romanen als den ohne Frage überdurchschnittlichen Kurzgeschichten finden. Vor allem geben die Kurzgeschichtensammlungen den Fans die Möglichkeit, auch leichten Zugriff auf Kings literarische Texte zu haben, die meistens in Magazinen mit sehr kleinen Druckauflagen erschienen sind.

  • Gebundene Ausgabe: 768 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (18. Januar 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453270231
  • ISBN-13: 978-3453270237
  • Originaltitel: The Bazaar of Bad Dreams
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