Low Band 2: Bevor uns die Morgendämmerung verbrennt

Low Band 2, Titelbild, Rezension
Rick Remender & Greg Tocchini

Der zweite Sammelband der Science Fiction Serie „Low“ kann die Dynamik der ersten Hefte trotz  deutlich extravaganteren, provozierenden Zeichnungen mit fast übertrieben kräftigen Farben nicht mehr halten. Das liegt vor allem an der sehr viel mehr Wert auf die Atmosphäre und weniger das Tempo legenden Geschichte, in welcher nach und nach die einzelnen überlebenden Familienmitglieder wieder aufeinander zu steuern. Am Ende steht impliziert auch die Fahrt an die Oberfläche. Der erste Mensch, der seit Jahrtausenden anscheinend wieder echtes Sonnenlicht sehen kann, um die Daten der Sonde auszuwerten, die aus dem Tiefen des Alls zurückgekehrt ist. Auch wenn dieser Moment noch in der Zukunft steht, wirft er sehr lange Schatten voraus, wie vielleicht der eindrucksvollste erste Comic dieses ganzen Sammelbandes deutlich macht.  

Der siebente Band der Serie scheint einen neuen Handlungsbogen zu beginnen. Keine vertrauten Charaktere. Als einzige Orientierung dient, dass diese Unterwasserstadt Voldin anscheinend gleichfalls unter einer sich degenerativ verhaltenden Bevölkerung sowie einem totalitären Machtregime leidet.  Della Caine hat beginnend mit dem Originalcover, das sich der Betrachter in diesem Sammelband zuerst zu Gemüte ziehen sollte, in dem er den Anhang aufschlägt, einen sehr brutalen und starken Auftritt.  Sie ist eine attraktive wie entschlossene Frau, die seit einigen Jahren mit einer Künstlerin zusammenlebt. Sie reitet durch die Stadt auf einem eindrucksvollen weißen Roboterbär und soll die subversiven Elemente ausrotten. Dabei greift der Autor nicht nur auf „1984“, sondern vor allem auch auf Bradbuys poetische Kurzgeschichten wie „Geh nicht zu Fuß durch stille Straßen“ zurück.  Im Gegensatz  zu Della Caine ahnt der Leser schon, dass der Feind nicht weit weg ist. Rememder diskutiert verschiedene Ideen der Gedankenfreiheit und beschreibst meistens eher im Off, warum die Obrigkeiten immer mehr die Kontrolle über die Bewohner der Stadt verlieren könnte. Spätestens die Daten der Sonde, deren Rückkehr bislang geheim gehalten werden konnten, sorgen dafür, dass die Menschen sich wieder nach Freiheit sehnen. Ob es an der Oberfläche lebenswert ist oder nicht spielt momentan keine Rolle.   Während Stel aus dem ersten Sammelband als ein deutlich mehr ambitionierter Charakter angelegt worden ist, macht es mehr Spaß, Caine perverse Welt – sie lebt im Luxus, während die Massen hungern – zu betrachten, aus der sie durch Verrat und Ignoranz gestoßen werden könnte. Alleine die Idee, dass sie ein Meister der Gedanken ist und die Kontrolle in dieser Welt absolut sein könnte, verspricht ausreichend Spannung, ohne allerdings im Groben wirklich neue Ideen zu haben. Dafür erscheinen die vielen kleinen brutalen Szenen – der Überfall auf die Druckerei; das inzwischen wie ein Klischee erscheinende Verhör eines nur latent Verdächtigen und schließlich die Hinrichtung der einstiegen Geliebten – eindrucksvoll und führen eine weitere, ohne Frage vor allem durch das Fehlen von Stel und ihrer manchmal zu sehr in den Mittelpunkt aller geschehen gestellten Familie überzeugendere Handlungsebene ein.  

Mit dem nächsten Band kehrt Remender zu Stel zurück. Inzwischen begleiten sie zwei Gladiatoren aus Poluma – der ersten Unterwasserstadt, die sie besucht hat. Interessant ist, dass es immer dunkler werden kann. Der eine der beiden überdimensionierten Kämpfer berichtet vom Schicksal der eigenen Familie, die er in die Sklaverei und schließlich einen vorzeitigen Tod verkauft hat. Mit dem neunten Band führt er vor allem die beiden so unterschiedlichen Schwestern wieder zusammen. Während Stel im Grunde ihren Kurs weiterhin unbeirrbar hält, durchläuft Caine die entsprechende Katharsis, an deren Ende vielleicht keine „Heldin“ steht, aber ein Mensch, der seine Taten im Auftrag des totalitären Regimes wenigstens bereuen kann.

Unabhängig von dieser anfänglich soliden Handlungsführung leiden aber die im zweiten Sammelband zusammengefassten Abenteuer unter zwei Problemen. Anfänglich versucht Rick Remender begleitet von den herausragenden Graphiken Greg Tocchinis und Dave McCaigs das Szenario nicht zu erweitern, sondern vor allem weitere exzentrische Charaktere zu entwickeln. Hinsichtlich der Figuren ist dieser Versuch unabhängig von den auch in der deutschen Übersetzung aufgrund der Schwächen der Vorlage zu gestelzten, zu wenig natürlichen Dialogen ohne Frage gelungen. Es ist  erstaunlich, wie schnell sich diese Protagonisten um 180 Grad drehen können.  Tocchini und McCaigs nehmen sich bei der Entwicklung dieser phantastischen Unterwasserwelt vielleicht zu viele Freiheiten. Auf der einen Seite ist die Materialknappheit, denen die Herrscher mit totaler Kontrolle begegnen, auf der anderen Seite sieht Caine aus wie eine russische Kosakin, die ihren künstlichen Bären reitet. Beides scheint eine extreme Verschwendung von wichtigen Resourcen zu sein. Wenn die beiden Zeichner zusammen mit Remender die Kontraste zwischen der arbeitenden Bevölkerungsschicht und der Oligarchie herausarbeiten wollten, dann ist es ihnen nur visuell gelungen. An vielen Stellen ist der Kontrast zwischen der zugrundeliegenden Handlung und den ohne Frage beeindruckenden Expressionen Tocchinis und McCaigs zu stark.  Während der erste Band von einem fast fatalistischen Optimismus gegen alle Wahrscheinlichkeiten durchzogen worden ist, konzentriert sich der Autor in der Fortsetzung sehr stark auf das Konzept der Hoffnung. Die Hoffnung, dass die Sonde neue Daten bringt. Die Hoffnung, dass ein Ende der kompletten Gedankenkontrolle durch die Obrigkeiten stattfindet. Die Hoffnung zumindest einer der beiden Caine Schwestern, den überlebenden Teil ihrer Familie zusammenzuführen.  Aber während der Optimismus eine aktivere Triebfeder zu sein scheint, ist es schwierig, Hoffnung als reines Konzept darzustellen und manchmal erinnern die Informationen auch an Gruppentherapien.

Greg Tocchinis Zeichenstil ist allerdings nicht immer zufriedenstellend. Nicht selten legt er Wert auf Größe. Wechselnde Perspektiven, ganz bewusst eine subjektive Manipulation des Lesers, die in einigen eher unnötigen nackte Brüste aus dem Kontext zeigenden Provokationen endet. Der Hintergrund der Welt wirkt eher wie mit einem Weichzeichner konzipiert, aber nicht entwickelt. Es gibt kaum echte Schärfen und nicht selten stehen der künstlerische Anspruch und weniger die Synthese zwischen Geschichte und Bild im Vordergrund. Aber nicht immer. Zwischendurch findet der Leser ganze Seiten, die absichtlich über das bevorzugte skizzieren hinaus bis in die kleinsten Details ausgearbeitet worden sind.  Diese wechselnden Stile sind grundsätzlich nicht schlecht, aber an mehr als einer Stelle beginnen sie von der zugrundeliegenden Geschichte abzulenken und die Aufmerksamkeit des Zuschauers/ Leser alleine einzufangen.   

Zusammenfassend bilden die Low Comics 7 – 10 (der erste Sammelband umfasste insgesamt sechs Einzelhefte) einen soliden Abschluss der Einführungsphase.  Remender schreibt nicht mehr so befreit wie in den ersten Heften, da er mehr die Handlungsbögen zusammenzufassen sucht und dabei stellenweise etwas schwerfällig und seltsam bemüht agiert anstatt das vorhandene Potential fließender zu nutzen. Graphisch ist „Low“ weiterhin provokant und sucht mit einer Science Fiction Geschichte eher expressionistisch als realistisch eine Zukunftswelt zu entwerfen, die immer wieder wie bei den Gladiatoren sowohl auf die tiefste Vergangenheit als auch mit dem Superanzug auf die Ideen des Superheldencomics zurückgreift. Die Figuren sind sperrig und nicht unbedingt sympathisch. Dadurch fällt es dem Autoren auch sehr viel leichter, manche Figur immer wieder auf sehr brutale und expressive Art und Weise zu töten.

Auch wenn die eigentlichen Abenteuer in den Unterwasserstädten nicht abgeschlossen worden sind, sollte mit dem nächsten Handlungsbogen der Sprung an die Oberfläche gewagt werden. Nicht weil es sich nicht lohnt, in dieser depressiven Welt zu verweilen, sondern weil die Geschichte der Caines einen neuen Schwung braucht, höheres Tempo und vor allem eine Perspektive. Weiterhin gehört „Low“ zu den originellen amerikanischen Science Fiction Comics am Markt, aber die Dynamik der ersten Hefte ist leider ein wenig verschwunden.

Der Splitter Verlag hat neben den vier Heften auch einige Skizzen und Konzeptzeichnungen in ihren schön gestalteten Hardcoverband gepackt.   

 

 

 

AutorRick Remender
ZeichnerGreg Tocchini
EinbandHardcover - Bookformat Splitter Verlag
Seiten112
Band2 von X
Lieferzeit3-5 Werktage
ISBN978-3-95839-099-7
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