Der letzte Weiße

Yves Gandon

Unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs veröffentlichte der französische Literatur- und Theaterkritiker Yves Gandon seinen Roman "Der letzte Weiße", dessen Grundidee einer aussterbenden Rasse in einer sich verändernden Welt interessanterweise auch von Richard Matheson für seinen mehrfach verfilmten Roman "Ich bin Legende" übernommen hat- in beiden Büchern ist es schließlich ein Virus, das die Existenz eines "Menschengeschlechts", aber in beiden Fällen nicht der gesamten Menschheit bedeutet. Beide Romane enden auf einer vordergründig nihilistischen Note, wobei Yves Gandon auch unter der farbigen bzw. gelbhäutigen Rasse getreu dem Motto, das der Mensch niemals wirklich aus seinen Taten lernt, Unheil säht. 

Im Gegensatz zu Richard Mathesons Arbeit bzw. Edmund Schopen etwas mehr als zehn Jahre später veröffentlichten Roman "Der Kaiser von Afrika" verzichtet Yves Gandon auf eine chronologische Erzählstruktur. Nach dem provokanten Auftakt mit dem letzten überlebenden etwa 45 Jahre alten weißen Mann - natürlich ein Franzose namens William Durand - erfolgt ein sehr langer Rückblick, bevor die Grundidee einer Journalistin, mit einem Franzosen die Ruinen von Paris aus journalistischen Gründen wieder aufgenommen und ruckartig abgeschlossen wird. William Durand wird als Unikat und Unikum einer die Barbarei vordergründig zurückgelassenen Zeit im ehemaligen New York City - inzwischen in Color City umbenannt - unter einem gigantischen Glaskasten ausgestellt. Als die attraktive farbige Reporterin ihn von ihrem Vorhaben nach Paris zu reisen informiert, beginnt er sein bisherigen Leben als Memoiren niederzuschreiben.

Diese subjektiven Erinnerungen nehmen einen Großteil des Romans ein. Während Edmund Schopen in "Der Kaiser von Afrika" über die große und letzt endlich sozialistische Wirtschaftspolitik philosophierte und Richard Matheson den allktäglichen Überlebenskampf eines Mannes gegen die Vampirähnlichen Kreaturen beschrieben hat, fällt Gastons über weite Strecken sehr realistische Schilderung zwischen verschiedene Stühle. 

 

Der Autor extrapoliert die Schrecken der verschiedenen Kriege absichtlich an Einzelschicksalen. In beiden Fällen ist der Feind namens- und gesichtslos, aber klar als Deutsche zu erkennen. Die Grabenkriege sind aus dem Ersten Weltkrieg übernommen, die Blitzkriegtaktik aus dem Überfall des Dritten Reiches auf Frankreich und der Einsatz von Giftgas anfänglich nur durch den Feind eine Mischung aus entsprechenden Vorkommnissen im Ersten Weltkrieg und einer Extrapolation bestehender Arsenale im Zweiten Weltkrieg. Das Frontgeschehen wird von Gandons nicht selten durch persönliche Schicksale intensiver und griffiger beschrieben. Da gibt es den jovialen wie dicklichen Adjutanten, der für die Postverteilung zuständig ist. Bei einem Angriff muss er sich in den Dreck schmeißen, der Liebesbrief für den Helden wird beschmutzt, aber nicht zerstört, während hinter den beiden Protagonisten eine Handvoll Soldaten förmlich von der Granate zerfetzt werden. Es sind diese dunkel realistischen Bilder eines Kriegsgeschehen, das zum Zeitpunkt der Entstehung des Buches nur wenige Monate zurückgelegen ist, die "Der letzte Weiße" zu einem beängstigenden Buch machen. Dagegen wirkt die Idee eines Schutzfeldes, das die feindlichen Maschinen außer Kraft setzt, ausgesprochen futuristisch und nimmt dem Kriegsgeschehen ein wenig ihre Wirkung. Aber Gandon geht in seinen Beschreibungen eines futuristischen, aber nicht weniger blutigen Konfliktes noch einen wahrscheinlich notwendig warnenden Schritt weiter. Vorausschauend ist schließlich der Einsatz eines Virus, das erst nur den Feind - in diesem Fall die tapfer kämpfenden Franzosen - ausschalten soll, das aber natürlich auf die Erzeuger zurückschlägt und die weiße Rasse bis auf den letzten Überlebenden auslöscht. Hier bewegt sich Gaston vielleicht im wissenschaftlich kaum unterminierten Bereich des Schreckgespenstes, aber deren Wirkung kann der Leser angesichts neuer Postdoomsarbeiten will Will McIntosh ersten Roman „Wie die Welt endet“ verfolgen. 

Gaston zeigt konsequent und zynisch die Selbstvernichtung der weißen Menschheit. Interessanterweise bedeutet das aber nicht das Ende der Zivilisation im Allgemeinen. Auch wenn „Der letzte Weiße“ als auch „der Kaiser von Afrika“ in einer Vorglobalisierungsära geschrieben worden sind, wirkt befremdlich, dass ein von Farbigen regiertes Amerika nach dem Verlust von knapp 60 Prozent seiner Bevölkerung eine wirtschaftlich der Realität entsprechende Entwicklung starten kann. Das soll weniger als Rassendiskriminierung verstanden werden, sondern eher auf das fehlende realistische Element dieser beiden Bücher hinweisen. Sowohl Gandon als auch Schopen extrapolieren Ideen aus der Zeit des Kolonialismus und der europäischen Geschichte in eine mögliche Zukunft. Da der Franzose sich in einem Glaskäfig befindet und der Roman fast ausschließlich aus seinen subjektiven Eindrücken besteht, erfährt der Leser relativ wenig über diese Zukunft. Die Konzentration auf einen tragischen Helden als Symbol von Arroganz und Selbstüberschätzung ist ein eindrucksvolles Fanal. Es verfehlt nicht seine Wirkung. Ein wenig mehr Hintergrundwissen hätte dem Buch auf der einen Seite gut getan, es aber auf der anderen Seite auch wenig dunkel prophetisch erscheinen lassen.

Viel wichtiger sind dem Autoren die persönlichen Katastrophen. Die beiden noch folgenden Weltkriege gehen für den Protagonisten mit dem Tod seiner ersten Ehefrau bzw. seiner zweiten Ehefrau und den gemeinsamen Kindern einher. Seine erste Frau stirbt als Opfer flächendeckender Bombardierung, seine zweite Frau und die Kinder als eine Handvoll Menschen, als eine Bombe eher unglücklich und ungeplant die kleine dörfliche Siedlung trifft. Die Sinnlosigkeit beider Tode – unschuldige Opfer eines Kampfes um die Vormachtstellung in Europa unter zweifelhaften Voraussetzungen – ist bedrückend. Gandon beschreibt die Wut und Verzweifelung in seinem Protagonisten sehr plastisch. Vergleichbar einem Kessel, in dem kontinuierlich Druck bis zur finalen Tragödie aufgebaut wird, ist William Durand kein klassischer Held, keine nur gute Figur, sondern ein durchschnittlicher künstlerisch begabter Franzose in einem außer Kontrolle geratenen Zeitalter. Das am Ende die Rückkehr nach Paris für ihn nicht nur eine Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit, sondern eine Ablehnung aufgrund seiner Hautfarbe bedeutet ist der pointierte, zynische und doch für den geschundenen Mann wie eine Erlösung wirkende Schlusspunkt unter eine dunkle, tragisch nihilistische Lebensgeschichte, die er nur selbst beenden kann.

Stilistisch in der etwas distanzierten Übersetzung ist „Der letzte Weiße“ ein nicht immer einfach zu lesender Roman. Die zum Teil zu detaillierte, zwar selbstreflektierende, aber auch manchmal antiquarisch erscheinende Liebes- und Lebensgeschichte voll jugendlicher Rebellion und Auflehnung, Arroganz und Träumen nimmt einen sehr großen Raum im Gesamtkontext des Romans ein. Zwar lässt sich Gandon auch ausreichend Raum, mit Durand die dunkle Gegenwart zu betrachten, aber die lange Lebensgeschichte irritiert phasenweise schon. Zusammenfassend ist „Der letzte Weiße“ ohne Frage wie H.G. Wells Arbeiten oder eine Reihe anderer Postdoomsday Klassiker wie „Blumen wachsen im Himmel“ von Helmuth Lange oder „Wir fanden Menschen“ von Helmut Wörner eine eindringliche Warnung vor der globalen Katastrophe, die die Menschheit auslösen, aber nur unzureichend eingrenzen kann. Der Franzose reduziert aber dieses Schreckensszenario auf einen einzigen Menschen und macht damit die damals nationalen und jetzt eher terroristischen Gefahren für den Leser realistisch greifbarer.    

Yves Gandon, "Der letzte Weiße", 
Roman, Softcover, 208 Seiten
erschienen im Heyne-Verlag, 1945