Der wundersame Fall des Uhrwerkmannes

Mark Hooder

Mark Hodders 2011 veröffentlichter Mittelteil "Der wundersame Fall des Uhrwerkmannes" der Steampunktrilogie um Sir Richard Burton und den Dichter Swinburne ist auf der einen Seite ohne Frage gut alleine zu lesen, auf der anderen Seite werden Neueinsteigern die teilweise subtilen Hinweise entgehen. Zum einen befindet sich der Leser wahrscheinlich zusammen mit den zahlreichen auch historisch bekannten Figuren in einer Parallelwelt, die der Zeitreisende Spring Heeled Jack im Auftaktband mit seinen immer verzweifelter werdenden Versuchen, die Vergangenheit wieder herzustellen, erschaffen hat. Auch die verschiedenen Querverweise werden im vorliegenden zweiten Teil der Serie erläutert. Spring Heeled Jacks Ausrüstung ist von der britischen Regierung nicht zerstört worden. Man kann die technischen Hinterlassenschaften allerdings nicht verwenden. Nur sechs schwarze Diamenten sind gefunden worden. Auch der "wundersame Fall des Uhrwerkmannes" inklusiv der Schaffung neuer cybernetischer "Menschen" steht in einem engen Zusammenhang mit einem schwarzen Diamanten, der in Südafrika geborgen, über einzigartige Besonderheiten verfügen soll. Mit diesem Hinweis werden die ansonsten unabhängig voneinander gestalteten Plots verbunden. Zum anderen allerdings ist "Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack" eher ein phantastisches wie bizarres Zeitreiseabenteuer gewesen, in dessen Kern sich mit dem Afrikaforscher Sir Richard Burton, der im abschließenden Roman wahrscheinlich seinen Triumph an der Quelle des Nils feiern könnte und der Dichter Algernon Charles Swinburne sich als neues Ermittlerduo wider Willen, aber in königlichem Auftrag gefunden haben. "Der kuriose Fall des Uhrwerkmannes" erinnert eher an ein Sherlock Holmes Abenteuer mit vielen Anspielungen auf den Steampunk. Die Ähnlichkeiten sind frappierend. Burton und Swinburne sollen ermitteln, ob ein lange verschollener Nachkomme einer der reichsten englischen Familien wirklich Anspruch auf das Erbe erheben kann. Diese Verbindung zwischen nicht selten adliger Vergangenheit inklusiv der diversen Familienschandtaten und der Gegenwart zieht sich wie ein roter Faden durch Doyles Werk. Überdeutlich wird allerdings die Anspielung, wenn sich der britische Premierminister über die dramatischen Titel von Richard Burtons Berichten beschwert, die Ähnlichkeit zu populären Pulpwerken aufweisen. Auch wenn Swinburne eher den überforderten Doktor Watson miemt, während Sir Richard Burton sich als Steampunk Sherlock Holmes durchaus mit zahlreichen Lastern und Schwächen - Alkohol und Drogen, sowie als Erbe der Afrika Expeditionen Anfälle von Malaria - beladen wohl fühlt. Auch der Fall ist von Mark Hodder nach dem Vorbild der Sherlock Holmes Krimis strukturiert worden. Zwei auf den ersten Blick nicht in einem engeren Zusammenhang stehende Ereignisse fließen im Verlaufe der weniger exzentrischen, dafür positiv deutlich stringenteren Handlung schließlich zusammen. Potentielle Geistererscheinungen - siehe "Der Hund der Baskervilles" inklusive. Ein weiterer Hinweis ist, dass Mark Hodder Arthur Conan Doyles Vater sowie die Liebe der Doyles zu Feen in den Plot integriert hat.

Während Burton und Swinburne im ersten Band der Serie um ihre eigene Zukunft kämpften und trotz des Sieges gegen den Spring Heeled Jack letztendlich verloren haben, geht Mark Hodder im zweiten Buch der Trilogie ambivalenter vor. Aus der Vergangenheit heraus die Zukunft zu verändern mit dem Wissen eines Zeitreisenden eben aus einer möglichen Zukunft scheint die Ambition der Verschwörer zu sein. Dabei bemerken sie angeblich nicht, dass ihre Handlungen schon den Fluss der Zeit verändert haben. Unabhängig von dieser Tatsache geht es um eine gigantische Verschwörung, an deren Ende des britische Imperium von Innen heraus - von den eigenen Arbeitermassen - zerfallen, während das noch zaristische Russland als Weltmacht unter einem neuen Despoten erstarken soll. Bestach "Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack" durch das tragische Schicksal des Zeitreisenden, der Filmen wie "Timecrimes" vergleichbar aus der Zeitschleife nicht mehr entkommen konnte, fehlt dem  "kuriosen Fall des Uhrwerkmannes" im Grunde das Herz. Alles wirkt überdimensionaler und größer, aber Hodder verliert sich auch in seinem ohne Frage clever subversiv angelegten Plot. Zumal der Titel auch nicht ganz richtig ist. Denn auf historischen Fakten basierend  müsste der Roman eigentlich "der kuriose Fall des überdimensionalen Erbschleichers" heißen. Der Uhrwerkmann spielt zu Beginn des Romans eine wichtige Rolle, wird dann zu einem Diener Burtons degradiert, mit einem Bewusstsein versehen und kann letztendlich während des dramatischen Showdown die arroganten selbstverliebten Feinde im entscheidenden Moment täuschen. Dabei verliert Mark Hodder die Ausgangsprämisse mit dem geschickten Diebstahl - einem Holmes Fall würdig - aus den Augen und führt diesen Prolog eher bemüht als integrativ fort.

Viel weiter spannt der Autor den Bogen bzgl. der Ermittlungen im Fall des Erbanspruchstellers Tichbornes, der nicht nur sadistisch bizarre, aber im grausamen Sinne auch effektive Züge von Alexandre Dumas "Der Mann mit der eisernen Maske" trägt, sondern als Katalysator der Verschwörung dient, die England in die Knie zwingen soll. Dass die Verschwörer mit einer Mischung aus Mystik - schwarze Diamanten können die Menschen beeinflussen, so dass die Öffentlichkeit schnell den im Grunde auf den ersten Blick als Lügner zu erkennenden überdimensional fetten Mann trotzdem anerkennt, liebt und als verschollenen Tichborne Sohn sieht - und Polemik - das Volk wird manipuliert, so dass sie in London selbst einen Bürgerkrieg entfachen - vielleicht zu schnell die Aufmerksamkeit der britischen Regierung und der beiden Special Agents auf sich lenken, wird von Mark Hodder ignoriert. Kaum stellen sie Burton und Swinburne das erste Mal bloß, nachdem insbesondere Burton in Holmes Manier relativ schnell das Geheimnis der beiden Weizenfelder erkannt hat, deren Ernte jährlich zu Abwendung eines Fluchs an die Armen gespendet wird, kann er sich die Zusammenhänge mit den schwarzen Diamanten aus der Nähe der Nilquelle zusammenreimen und gegen die Verschwörer auf allerdings einigen Umwegen vorgehen.

Im Mittelpunkt des geschickt angelegten Plots stehen weiterhin die Ermittler Richard Burton und Swinburne. In Bezug auf Richard Burton hat der Autor dessen fast selbst zerfleischende "Depression", die sich in Drogenabhängigkeit und Alkoholexzessen äußerte, zurückgefahren. Auch wenn die Verwandlung in einen afrikanischen Medizinmann vor dem Showdown fast übertrieben, aber auch belustigend erscheint. Obwohl er sich noch immer nicht wirklich mit der Rolle des Ermittlers und nicht den Afrikaforschers abgefunden hat, nimmt er den Fall deutlich ernster und versucht mit seiner Deduktion den Betrügern auf die Spur zu kommen. Hodder nimmt sich hinsichtlich der Charakterisierung seines wichtigsten Protagonisten ein wenig zurück und erreicht so einen positiveren Effekt beim Leser. Sein Schatten Swinburne ist immer noch ein Dr. Watson Verschnitt mit einem überdimensionalen Alkoholproblem und masochistischen Neigungen, da der Schnaps aber gegen den Einfluss der schwarzen Diamanten hilft, ist es fast wie Medizin. Hodder trennt die beiden Exzentriker im Mittelteil, was der Dreidimensionalität der Figuren gut tut. Neben den schon aus dem ersten Roman bekannten Nebenfiguren wie dem Inspektor, dem niemand den Spring Heeled Jack glauben wollte, erweitert er Burtons Team mit dem Bettler alias Philosophen Herbert Spencer, der nur hypnotisiert seinen Gedankenmodellen folgen kann. Auch hier gilt allerdings, dass Hodder keinen "Helden" wirklich sterben lässt. So schockierend die Szene auch sein mag, der Autor präsentiert eine Frankensteinlösung, die in das Gefüge des Romans passt und trotzdem irgendwie eine falsche Spur legend erscheint. Um die Gruppe von im Kern überforderten, aber sehr aktiven Helden herum hat Hodder neben dem überdimensionalen Erbschleicher, dessen bizarre Körperverformung nur unzureichend erläutert wird, der potentiellen Hexe und ihren Anwälten mit dem wahnsinnigen Rasputin eine bekannte historische Figur platziert. Zu ihren Werkzeugen zählen wie schon angesprochen neben den Arbeitern verschiedene Monster, die sie in der Vorstellung ihrer Opfer entstehen lassen. Dabei wechselt Hodder sehr geschickt von historischem Holmes Krimi über viktorianische Geistergeschichte zu den Monsterepen der Gegenwart. Es hätte dem Band gut getan, wenn insbesondere die tragisch- traurige Figur des Erbschleichers, dieser Marionette fremder Mächte, kein Monsterexzess auf den überdimensionalen Leib geschrieben worden wäre. Hodder manipuliert in dieser Hinsicht die Emotionen seiner Leser zu stark und lässt seine Protagonisten positiver erscheinen als sie sich vielleicht selbst sehen.
Die verschiedenen Verfolgungsjagden - Höhepunkte der ganzen Serie - bestehen aus genetisch veränderten Schwänen, welche die Männer durch die Luft tragen; einem Labyrinth unter dem Maisfeld, in dessen Mittelpunkt eine Opferstelle ist oder ein zerstörtes London mit seinen nebligen Gassen, in denen Freund vom Feind nicht mehr unterschieden werden kann. Diese Passagen des Buches sind nicht nur dynamisch, sondern vor allem einfallsreich und außergewöhnlich geschrieben worden.
Wie überdurchschnittlich gut der Brite seinen Roman aufgebaut hat, zeigt ein Blick in das Personenverzeichnis. Neben den Lebensdaten und ihren Lebensleistungen hat der Brite eine Reihe von während der Lektüre phantastisch erscheinenden Geschichten aus der Historie übernommen, leicht verfremdet und überzeugend in seinen Steampunkplot eingebaut.
Auch wenn dem "dem kuriosen Fall des Uhrwerkmanns" die die expressive und provoziwerende Experimentierfreude des Auftaktbandes fehlt, hat Hodder den überzeugenden Hintergrund seiner Serie konsequent ausgebaut sowie eine interessante Geschichte aus bekannten oder unbekannten Versatzstücken zusammengebaut, welcher die Erwartungshaltung an den abschließenden, auf den ersten Blick her an die Reiseromane eines Jules Verne erinnernden Abschlussbandes hoch hält.

  • Taschenbuch: 528 Seiten
  • Verlag: Bastei Lübbe (Bastei Lübbe Taschenbuch); Auflage: Aufl. 2013 (16. August 2013)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3404207300
  • ISBN-13: 978-3404207305
  • Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 12 Jahren
  • Originaltitel: The Curious Case of the Clock Work Man