Die Schatzjägerin 22: Die Pyramide im Dschungel

Earl Warren

Nach „Die weiße Göttin vom Amazonas“ (Band 20 der „Schatzjägerin“ Reihe) liegt mit „Die Pyramide im Dschungel“ (Band 22) die zweite abschließende Hälfte des insgesamt neunten Robert Lee Abenteuers vor.
Auch wenn die Handlung in „Die weiße Göttin vom Amazonas“ mit einem typischen Cliffhangar geendet hat, ist Autor Earl Warren routiniert genug, Neueinlesern einen Einstieg mit dieser deutlich dynamischeren, aber auch gegen Ende des Plots leider zu schematischen zweiten Hälfte zu ermöglichen. Neben den inzwischen romantypischen Bezügen auf Roberta Lees ungewöhnlichen Namen sowie ihrer vor mehr als einem Jahr verschollenen einzig wahren Liebe finden sich immer wieder Hinweise auf den Beginn der Suche nach dem legendären Gold aus der Ruinenstadt Archangkor.

Zusammen mit der weißen Göttin Sheeba – ein sechzehn Jahre altes weißhäutiges Mädchen, das rudimentär Portugiesisch spricht – trifft Roberta Lee im Dorf der im Dschungel lebenden Sucuarana ein. Hier macht sich die forsche Archäologin gleich den Stammeszauberer mit einer deftigen Ohrfeige zum Feind. Das erste Drittel des Heftromans nimmt konsequenterweise ein Zweikampf mit dem Champion des Dorfes ein, der über drei perfide Herausforderungen ausgetragen wird. Das Roberta Lee nichts Ernstes passieren wird, steht außer Frage. Trotzdem gelingt es Earl Warren dank seiner umfangreichen Recherche das exotische Flair des brasilianischen Dschungels überzeugend zu beschreiben. Nachdem Roberta Lee wieder mit ihrem Vater sowie dem exzentrischen, im vorliegenden Roman allerdings zu klamaukartigen UFO Forscher zusammengetroffen ist, machen sie sich auf den Weg in die Ruinenstadt Archangkor.

Es ist nicht das erste Mal im Verlaufe dieser kurzweiligen Serie, das Roberta Lee auf Spuren Außerirdischen trifft. Kombinierte der Autor in den ersten Taschenheften Ideen aus Erich von Dänikens Thesen mit asiatischem Aberglauben, so orientiert er sich ein wenig an den Science Fiction Grundlagen der „Maddrax“ Serie. Die Erkundung der unterirdischen Tempelanlage mit der vergrabenen Pyramide wird allerdings ausgesprochen spannend beschrieben. Die Mischung aus „Igitt“- Faktoren in der Tradition Indiana Jones und einer interessanten Mischung aus folkloristischen Aberglauben sowie dem Versuch, eine zumindest auf den ersten Blick rudimentär fremde Kultur zu beschreiben ist stimmig und über weite Strecken solide ausbalanciert.

Mit dem Auftreten des schon im ersten Heftroman zu übertrieben gezeichneten Antagonisten inklusiv seiner eher dumm agierenden Söldnerarmee degeneriert der Handlungsbogen. Der Leser ahnt schon lange im voraus, wie sich Roberta Lee und ihre Anvertrauten aus der im Grunde aussichtslosen Situation herauswinden, während die Schurken zu selbstgefällig, zu unvorsichtig agieren. Immer hat Earl Warren mehrmals versucht, die Söldnertruppe sowohl als ausgesprochen rücksichtslos wie auch erfahren darzustellen. Dass der Selfmademilliardär mit seinem undurchsichtigen Kontaktnetzen ebenso unvorsichtig handelt, kann sich der Leser in der Realität kaum vorstellen. Angesichts der Länge des Doppelromans wirkt der finale Showdown zu stark konstruiert und vor allem zu hektisch abgeschlossen. Ein wenig mehr Spannung hätte Earl Warren schon aufbauen können.

Auffallend sind aber die etwas nuancierter beschriebenen neu in diesem Doppelband
in die Serie eingeführten Charaktere. So macht die sechszehnjährige Sheeba der deutlich älteren Robert Lee Avancen, welche die Abenteuerin überraschend einfühlsam zurückweißt. Ihr Ziehvater Chabo ist einer der am meisten überzeugenden Schurken der ganzen Serie, während der Gangsterboss Capanga genau den schematischen Feindbildern der bisherigen Romane entspricht und sich wie schon angesprochen eher dumm als gefährlich verhält.
Was die Beziehung zwischen Robert Lee und ihrem Vater angeht, versucht Earl Warren verschiedene Klaviaturen zu spielen. So reagiert ihr Vater hektisch und überstürzt, als er der Meinung ist, dass seine einzige Tochter von einer Riesenschlange verspeist worden ist und sich noch in deren Verdauungstrakt befindet. Kaum hat sich diese Möglichkeit als falsch herausgestellt, jammert er, weil er der Ansicht ist, seine Tochter muss jetzt im Sumpf versunken sein. Angesichts der Gefahren, denen sich Robert Lee alleine in den in der Zwischenzeit erschienenen Heftromanen auch im Angesicht des Vaters gestellt hat, wirkt diese Verhaltensweise eher schematisch. Auffällig ist, dass sich insbesondere nach dem empfehlenswerten, verhalten humorvoll geschriebenen Auftaktband mit der richtigen Balance aus einer interessanten Handlung und soliden Charakteren – allen voran natürlich die attraktive Roberta Lee – die Protagonisten nicht weiter, sondern eher zurück entwickelt haben. Natürlich ist Roberta Lee immer noch die dominierende Figur, aber trotz ihrer überragenden Fähigkeiten sowohl in der Theorie als auch Praxis bleibt Earl Warren an der Oberfläche und versucht sie zu wenig der Tradition eines James Bond oder Indiana Jones folgend weiter zu entwickeln. Das Verhältnis zu ihrem Vater erscheint bis zum vorliegenden Band eher wie ein Running Gag. Hier umarmt er seine Tochter angeblich zum ersten Mal seit zehn Jahren. Der possierliche Affe erinnert an die Sidekicks aus zahlreichen dreißiger Jahre Filme und wirkt angesichts der teilweise doch brutalen Handlung etwas deplatziert.
Ihre Antagonisten sind durch die Romane weg eher eindimensional bis klischeehaft gezeichnet. Brutale Millionäre/ Milliardäre; Söldner und tumbe Handlanger von einheimischen Machthabern oder Schamanen, die Roberta Lee manchmal über den Umweg von Entführungen ihrerseits alle besiegt. Positiv dagegen ist, dass der Autor neben den sexuellen Freiheiten der Sucuarana auch den Sexualterrorismus sowie die Ausbeutung von anvertrauten Jugendlichen anspricht. Nicht unbedingt notwendig ist Harrys Beichte, auch Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden zu sein. Damit entwertet der Autor ein wenig diese relevante und aus den bisherigen Romanen positiv kritisch herausragende Komponente.
Sympathische Nebenfiguren werden weiterhin auf dem Weg zu den in exotisch wie in Großbuchstaben gefährlichen Zielen auf mehr oder minder grausame Art und Weise umgebracht. Anscheinend hat Waren fast perfides Vergnügen daran, Beerdigungsrituale wieder in eher unzugänglichen Gegenden zu schreiben. Plottechnisch hakt Earl Warren wichtige Eckpunkte insbesondere im vorliegenden Doppelband sehr schematisch ab, um letzt endlich auf den letzten Metern alle Punkte abgehackt zu haben. Auf der anderen Seite gelingt es Earl Warren, exotische Gegenden ohne zu Belehren zu dem Leser erstaunlich realistisch nahezubringen und dabei insbesondere ökologisch kritische Komponenten nicht zu vernachlässigen. Leider hat Earl Warren seinen anfänglich exzentrischen Schreibstil zu Gunsten eines fließender zu lesenden Plots zurückgefahren. Die Perspektiven wechseln und überlappen sich manchmal, was im vorliegenden Band durch die Konzentration des Geschehens auf eine geographisch eher eng begrenzte Fläche spannungstechnisch irrelevant ist und rückblickend nur einige Seite schindet.

Zusammengefasst sind „Die weiße Göttin vom Amazonas“ und „Die Pyramide im Dschungel“ solide Abenteuer, die nicht mehr den Esprit der Auftaktromane in sich tragen, im Vergleich aber zu vielen anderen Abenteuerserien dank der manchmal ein wenig zu schematisch erscheinenden, aber ohne Frage charismatischen Protagonistin aus der Masse deutlich herausragen.

Earl Warren: "Die Schatzjägerin 22: Die Pyramide im Dschungel"
Roman, Softcover, 145 Seiten
Romantruhe 2011    

Kategorie: