Die Siedler von Vulgata

Titus Müller

Titus Müller hat seinen überall hervorgehobenen Perry Rhodan Gastroman 2319 "Die Siedler von Vulgata" für eine Buchveröffentlichung erweitert. Im Gegensatz zu sonstigen Erweiterungen hat Titus Müller dem Roman eine zweite Hälfte hinzugefügt, in der er das schwierige Zusammenleben auf der abgeschiedenen Naturbelassenen Welt Vanderbeyten zwischen Menschen und Galchinen beschreibt. Leider greift der Autor inklusiv des eher christlich motivierten "Deus Ex Machina" Endes, das aus dem Nichts kommt, teilweise auf die Klischees zurück, die er erfolgreich und sehr ideenreich in der ersten, auch als Perry Rhodan Roman veröffentlichten Hälfte absichtlich gegen allen Dogmen bekämpft hat.

Vanderbeyten ist eine abgeschiedene Welt, die im fünften Jahrhundert NGZ von einer terranischen wahrscheinlich urchristlichen Sekte besiedelt worden ist. Sie haben jeder Technik abgeschworen, obwohl sie in einem abgeschlossenen Schuppen die Reste aus dem Raumschiff verschlossen haben. Sie gründeten ihre Siedlung auf den Geboten der Bibel, wobei der ursprüngliche Texte unabsichtlich oder absichtlich - in diesem Punkt bleibt Titus Müller frustrierend ambivalent -in Vergessenheit geraten ist. Das hat dem jeweiligen Patriarchen inklusiv des Gemeinderates die Möglichkeit gegeben, aus den ursprünglich zehn Geboten inzwischen 520 strenge Regeln zu machen, die nicht nur jeden Aspekt des Lebens abdecken, sondern eine sehr strenge Hierarchie mit einer Diktatur des Glaubens durch den Patriarchen, der das Technikverbot dank der Nutzung eines Desintegrators unterläuft.
Die Kontakte mit der Außenwelt beschränken sich auf unregelmäßige Besuche von LFT Raumschiffen, wobei eine Ausbeutung der seltenen Bodenschätze vom Patriarchen regelmäßig abgelehnt wird. Der junge Arrick Aargrefe findet durch einen Zufall heraus, dass die religiösen Grundsätze nicht mehr der Bibel entsprechen, welche die Siedler von der Erde mitgebracht haben. Außerdem findet er im Schuppen neben einem Schutzschirm weitere technische Geräte, die den Menschen das Leben erleichtern könnten. Durch seine rebellische Haltung und seine teilweise fast naive Offenheit, mit der er den Rat vom Missbrauch der Grundsätze der Gründungsväter der Kolonie zu überzeugen sucht, wird er zum Rebellen und muss zusammen mit einigen anderen jungen Leuten fliehen. Er nimmt ein Funkgerät mit, mit dem er allerdings nicht zuletzt aufgrund des in der Galaxis herrschenden Hyperimpedanzschocks nicht nur LFT erreichen kann. In diesem Abschnitt wirft Titus Müller mit Begriffen des Perry Rhodan Universums um sich, die nicht mit der Heftromanserie vertraute verwirren könnten. Es ist schade, dass der Autor sich nicht die Mühe gemacht hat, diese Passagen umfangreicher auszuarbeiten bzw. diese erweiterte Variation der "Siedler von Vulgata" in einen eigenständigeren Kosmos zu betten. Arrick predigt seiner stetig wachsenden Gruppe die Heilige Schrift, die von der Erde mitgenommen wird. Die kleine Kolonie wächst durch die harte Arbeit der Männer und Frauen. Familien werden gegründet und Arrick wird Vater. Seine Frau ist natürlich die Tochter des Patriarchen.
Titus Müller greift nicht auf eine chronologische Erzählstruktur zurück, sondern springt zwischen den mehrere Jahre auseinander spielenden Ereignissen hin und her. Durch diese Maßnahme wirkt der chronologische Aufbau sehr viel interessanter, unterschiedliche Perspektiven werden vermittelt und der intellektuell schnell reifende, aber auch vor ungewöhnliche Herausforderungen gestellte Arrick wird zu einem vielschichtigeren, aber nicht nur positiven Charakter.

Als Verräter der terminalen Kolonne TRAITOR gebrandmarkt landen 110 Galchine auf Vanderbeyten. Sie haben vorher ihr Raumschiff in die Sonne gelenkt, um ihre Spuren zu verwischen. Die Wesen ähneln Raubtieren, mit ihren Hörnern erscheinen sie den Gottesfürchtigen Siedlern wie Ausgeburten der irdischen Hölle. Ganz bewusst zeichnet Titus Müller das Portrait einer Rasse, die den Urängsten der kleinen Kolonie entsprechen muss. Sie bitten die Siedler um Asyl, auch wenn sie ihnen nicht viel bieten können. Insbesondere der Patriarch fühlt sich angesichts der Vernichtung des Galchinenraumschiffes absichtlich in eine Zwangslage gebracht. Auch wenn die Motive der Fremden klar von Titus Müller umrissen werden, bleibt ihre Charakterisierung in diesem Teil des Romans wohltuend ambivalent. Ihre potentiell wahren Motive im Dunklen. Erst in der zweiten, deutlich mechanischeren Hälfte des Buches arbeitet Titus Müller die Hintergründe allerdings mehr den Erwartungen der Leser folgend heraus. Als die Späher der terminalen Kolonne im Sonnensystem auftauchen und nicht nur die Galchinen, sondern die ganze Kolonie bedrohen, müssen die Menschen die Fremden bei sich verstecken, um deren Mentalimpulse zu überdecken. Diese Vorgehensweise wirkt angesichts der Rücksichtslosigkeit der terminalen Kolonne konstruiert. Im Zweifelsfall hätten die Späher die kleine, unbewaffnete Kolonie ausgelöscht, um zu verhindern, das die Galchinen vielleicht einen Trick angewandt haben. Auch wirkt die abschließende Untersuchung der Kolonie zu oberflächlich, um restlos überzeugen zu können. Zumindest appelliert Arrick an die christliche Nächstenliebe und die Selbstopferung, so dass die Galchinen trotz ihres Furcht erregenden Aussehens "geschützt" werden können. Als Wurzeln des alten Übels muss schließlich der Patriarch sterben, der gegen die eigenen Grundsätze verstoßend die Galchinen verraten möchte. Neben der Vernichtung der vorhandenen Technik - auch hier bleibt die Frage, warum die Späher nach Entdeckung des Lagers nicht gründlicher gesucht haben - wirkt die Tötung der Patriarchen durch die Schergen Traitors zu stark konstruiert. Ein Vorgehen Arricks gegen seinen Erzfeind hätte nicht nur innerhalb seiner kleinen Familie zu weiteren Problemen geführt, sondern einen deutlicheren Bruch zwischen der alten Kolonie und den Rebellen nach sich gezogen. So wird dieses Problem beseitigt.
In der zweiten Hälfte des Romans geht es um das schwierige Zusammenleben zwischen Galchinen und Menschen. Die Fremden beginnen, ihre eigenen Pläne zu schmieden, in dem sie nicht nur einen industriellen Bergbau einführen, sondern planen, aus den gewonnenen Metallen wieder Waffen zu schmieden. Die Idee, die Menschen zu kontrollieren und vielleicht später alsd geeignete Nahrung zu züchten, wird nur impliziert, aber alleine die Tatsache, dass die Befürchtungen der Menschen sich doch trotz ihrer grundsätzlich christlichen Haltung bewahrheiten könnten, wirkt zu klischeehaft. Hier scheinen Titus Müller die Ideen ausgegangen zu sein, zumal er auf einige stereotype Handlungsmuster wie den Verräter gegen das eigene Volk zurückgreifen muss. Wenn schließlich während der Schlacht zwischen Galchinen und Menschen die christliche Nächstenliebe trotz der zahlreichen Toten und Schwerverletzten siegt, wirkt diese Szene pathetisch und zu hektisch aus dem Hut hervorgezaubert. Viel interessanter sind die alltäglichen Schwierigkeiten, denen sich eine Kolonie aus zwei Rassen im allerdings nicht besonders fordernden Alltagsleben stellen muss. Auch Arricks Ehe scheint zu zerbrechen. Titus Müller zeigt in den besseren Szenen der zweiten Romanhälfte, das es leichter ist, etwas Neues zu erschaffen als es zu erhalten.
Während die erste Hälfte des Buches sehr viel stringenter geschrieben worden ist und manche der Charaktere eher nach ihren Handlungen definiert worden sind, wirkt der zweite Teil anfänglich nuancierter, emotionaler und die einzelnen Figuren sind differenzierter beschrieben. Aus dem ausschließlich reagierenden Arrick ist ein Anführer mit starken Selbstzweifeln geworden, der vieles nicht mehr unter Kontrolle hat. Seinen Mitmenschen fehlt teilweise die befruchtende Eigeninitiative und er leidet unter den Toten, die seine Rebellion gegen seinen Willen gekostet hat. Die Galchinen in ihrer Ambivalenz werden allerdings zu eindimensional beschrieben. Hier erfüllt Titus Müller tatsächlich die vordergründige Erwartungshaltung, das Wesen die Teufeln ähneln nicht zu trauen ist. Für den ganzen Roman wäre es effektiver gewesen, wenn der Autor die Prämissen umgekehrt hätte. Warum nicht die Galchine als "Gutbürger" darzustellen, die ihre Versprechungen einhalten, während die vordergründig so christlichen Menschen mit Neid, Misstrauen und schließlich Haß kämpfen zu lassen? Damit würde der Autor auch den potentiellen Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen und die der Obrigkeit hörige Tendenz des ersten Teils noch stärker untermauern. Im Grunde verschenkt Titus Müller hier sehr viel Potential, auch wenn die zweite Hälfte des Buches handlungstechnisch nicht mehr so konzentriert/ kompakt/ hektisch wie bei einem Heftroman erscheint.
Zusammengefasst ist und bleibt "Die Siedler von Vulgata" ein sehr ungewöhnlicher, stilistisch überdurchschnittlicher Perry Rhodan Heftroman, der in der vorliegenden Erweiterung allerdings die intellektuelle Provokation vermissen lässt, welche den ersten Teil so einzigartig erscheinen lässt.

Titus Müller: "Die Siedler von Vulgata"
Roman, Hardcover, 237 Seiten
Brendow Verlag 2006

ISBN 9-7838-6506-1409