O! Afrika

Brian W. Aldiss

“The male Response”, wie der vorliegende Roman im Original heißt, ist schon 1961 in England veröffentlicht worden. Nach den ersten Erfolgen als Science Fiction Autor versuchte Brian W. Aldiss aus den Grenzen des Genres auszubrechen und seine konservativen Landsleute mit einer bitterböse Satire auf den britischen Kolonialismus im Allgemeinen und Abenteuerliteratur in der Tradition Joseph Conrads oder Sir Henry Rider Haggards im Besonderen zu provozieren. Knappe zehn Jahre später sollte ihm mit seinen autobiographisch gefärbten, aber erotisch aufgepeppten drei Romanen um Horatio Stubbs die Bestsellerlisten winken. Heute fast fünfzig Jahre nach dem Erscheinen des vorliegenden Bandes ist die Prämisse bis auf die inzwischen überholten technischen Ideen wie Großcomputer, die in vierzig Kisten transportiert werden müssen und ihre Ergebnisse in Lochstreifenform auswerfen immer noch sehr aktuell.

Soames Noyes ist ein typischer Engländer, der sich nichts aus Sex und noch weniger aus Frauen zu machen scheint. Er arbeitet als aufstrebender, wenn auch nicht unbedingt brillanter Werbefachmann einer britischen Computerfirma - an sich schon eine widersprüchliche Idee - und versucht, seine Karriere möglichst ohne Ecken und Kanten voranzutreiben. Eines Tages erscheint in ihren Verkaufsräumen der Sohn des Präsidenten der afrikanischen Republik Goya. Er möchte einen Computer kaufen. Einen roten Computer. Die insgesamt 400.000 Pfund für den Großrechner zahlt er per Scheck sofort. Aus Rache schickt sein Vorgesetzter Noyes zusammen mit einem Techniker, welcher den Computer aufbauen soll, nach Umbalathorp, der heimlichen Hauptstadt der Republik. Ihr altertümliches Flugzeug stürzt unweit der Hauptstadt ab. Noyes kann den Präsidentensohn retten und in die Hauptstadt bringen. Hier wird er nicht nur mit einer fremden Kultur konfrontiert, in welcher die Frau nur als Arbeitssklave bzw. erotisches Betthupferl dient. Schnell muss er erkennen, das die wenigen Europäer - ein Engländer lebt mit seiner Tochter im Land und ein Portugiese erweißt sich als ambivalenter Manipulator - ein ebenso hinterhältiges Spiel treiben wie die Farbigen selbst. Schnell steht Noyes zwischen allen Fronten, muss den Diebstahl von wichtigen Ersatzteilen aufklären, wird beinahe von einem Zug überfahren und ins Gefängnis gebracht, weil er den Präsidentensohn angeblich umbringen wollte. Noyes muss nicht nur die zahlreichen Katastrophen überleben, von denen er einige selbst ins Rollen gebracht hat, sondern sich auch vor den Nachstellungen zahlloser erotischer Frauen in Sicherheit bringen. Denn Noyes ist in erster Linie Brite und kennt damit keinen freien Verkehr.

“The male Response” lebt insbesondere im brillant geschriebenen Auftakt vom Kulturschock, welcher Noyes stellvertretend für den durchschnittlichen britischen Leser der noch nicht schwingenden sechziger Jahre ereilt. Aldiss beschreibt dabei einen fremden Kontinent, der bei näherer Betrachtung sehr viele, vielleicht sogar zu viele ähnlichen zum korrupten und selbst verliebten Europa hat. Die Farbigen sind bis auf einen allgemeinen, eher als Touristenattraktion noch am Leben gehaltenen Aberglaube in Person des Stammeszauberers sehr viel moderner als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Die Kombination aus westlicher Technik - nicht nur der Computer, sondern auch Fahrräder und die liebevoll gepflegte, archaische Dampfeisenbahn haben das Bild dieses rohstoffreichen Landes verändert - und afrikanischer Lebensart harmoniert erstaunlich gut. Nur der steife und verklemmte Soames Noyes kann mit dieser Art zu Leben anfänglich wenig anfangen. Die Satire funktioniert alleine aufgrund der guten und von Hans Wolf Sommer zufrieden stellend übersetzten in den zahlreichen Dialogen versteckten Spitzen. Aldiss alleine beschreibt einen afrikanischen Kontinent, den er zu diesem Zeitpunkt noch nicht persönlich gesehen hat. Immer wieder versucht er ironisch pointiert das Kolonialbild im Leser aufzulösen, während Noyes eher verzweifelt an seinen britischen Wurzeln festhält. Nach dem äußerst lesenswerten Auftakt zerfällt der Roman im actionorientierten Mittelteil. Zu konstruiert wirken die umgehend erfolgreichen Ermittlungen hinsichtlich der verschwundenen Computerersatzteile und zu komplex erscheint der Mordanschlag insbesondere im Vergleich zu prägnanten, zynischen Ende. Das wirkt alles cineastisch gut aufbereitet, aber Aldiss vergisst, auf dieser Dynamik aufzubauen. Nachdem der erste größere Handlungsbogen abgeschlossen worden ist, lässt der Autor einen wichtigen Antagonisten zum europäischen Noyes töten und nimmt dem Buch an einer wichtigen Stelle die Balance. Später wird klar, das der Verlust des Charakters im Grunde einen zweiten Handlungsbogen auslöst, in dem Noyes Aufstieg und Akzeptanz der Regeln des Landes beschrieben wird. Die Exposition dieses plötzlich wieder deutlich lebhafter und interessanter erscheinenden Aufbaus wird durch ein zu hektisches Ende negiert. Plötzlich gelingt Noyes sehr viel mehr als zu Beginn des Buches. Stolz erzählt er eine Reporterin aus England von seinen Erfolgen und seinen Entscheidungen. Diese charakterlicher Wandlung geht im Grunde zu schnell. Wenigstens macht der Autor nicht den Fehler, den Leser mit einem Happy End zu konfrontieren, sondern zynisch werden die entsprechenden Prophezeiungen erfüllt. Es finden sich wie ein roter Faden den Roman durchschlagend Hinweise auf den Aberglauben der Afrikaner. In einer spöttisch parodistischen Überspitzung der Deus Ex Machina Symbolik des Science Fiction Genres werden dem Computer im Grunde zwei Fragen gestellt, deren Antworten orakelhaft sind. Die eine Prophezeiung erweist sich aufgrund des Eingreifens eines Menschen als falsch, die zweite Prophezeiung wird auf eine rückblickend bittere, wenn auch Noyes von seinen Verklemmungen befreiende Weise erfüllt. Das Gegengewicht besteht aus den beiden Vorhersagen des Dorfmediziners, die sich beide als richtig erweisen. Aber nur, weil der alte Mann kräftig und später zum Leidwesen von Noyes nachgeholfen hat.

Der Klappentext der deutschen Veröffentlichung spricht von einer “sinnlichen Reise in die Tiefen des schwarzen Kontinents”. Für die sechziger Jahre und eine Zeit vor D.H. Lawrence ist der erotische Inhalt des Buches sicherlich provozierend gewesen. Für die späten achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts bzw. die heutige Zeit dagegen sittsam und zahm. Noyes Angst vor Frauen und ihrer offnen, aggressiven Sexualität steht symbolisch für den verklemmten im gehobenen Mittelstand lebenden Engländer, während der einfache “Arbeiter” - in diesem Fall der Computertechniker - mit beiden Händen bei den Frauen zugreift. Sowohl die rituelle Entjungferung als auch die eine hemmungslose Liebesnacht wird enger angedeutet als ausführlich beschrieben. Die aggressive Sexualität der verzweifelten und wahrscheinlich lesbisch veranlagten Tochter des einzigen anderen Engländers in Goya gipfelt in einer frustrierten und abgebrochenen Verführung. Aldiss schwankt dabei zwischen der Perspektive eines Voyeurs und der satirischen Übertreibung. Die Sexszenen sind aber homogener Bestandteil des Plots. Wie auch in “Es brennt ein Licht” ist Sexualität für Aldiss ein natürlicher Bestandteil des Lebens, dem sich die meisten Engländer noch nicht gestellt haben. In Kombination mit den satirischen Elementen und der im Grunde Unregierbarkeit des schwarzen Kontinents beleben sie den vorliegenden Plot und lassen den Leser an mehr als einer Stelle schmunzeln. Wenn nicht laut lachen. “O! Afrika” ist ein sicherlich übermütiges, verspieltes Buch, das zum Ende hin den Leser und seinen Protagonisten Noyes auf eine falsche Fährte lockt. Noch umsonst kommt der Hochmut unmittelbar vor dem Fall und mit seinem zynischen, aber effektiven Ende schlägt Aldiss mühelos den Bogen zu Kipling und dessen in Indien spielenden Geschichten. Im Gegensatz zum historisch lange dogmatisch erhaltenen falschen Bild an die Überlegenheit des weißen Mannes zeigt Aldiss in seinem vorliegenden Text ein exotisches, fremdartiges, faszinierendes und doch stellenweise vertrautes Land voller lebenslustiger Menschen, hinterhältiger korrupter Politiker, falsch verteilten Reichtum und einer seltsamen Mischung aus Aberglauben, Fortschrittsangst und Magie. Es ist sicherlich keine Überraschung und das stärkste Element dieser moralisch Satire, das der Engländer Noyes seinen Untergang einläutet, in welchem er die fremde Kultur akzeptiert und sich von seinen europäischen Wurzeln abwendet. Insbesondere für ein Frühwerk des mehrfach ausgezeichneten britischen Science Fiction Autoren liest sich “O! Afrika” sehr unterhaltsam kurzweilig, die Beschreibungen sind treffend, der Plot im Allgemeinen kompakt, wenn auch stellenweise in Teilen vorhersehbar und die Botschaft, welche Aldiss seinen verklemmten Landsleuten um die Ohren haut, ist schmerzhaft, wenn auch zwischen den üppigen Brüsten insbesondere der farbigen Frauen gut verpackt.

Brian W. Aldiss: "O! Afrika"
Roman, Softcover, 237 Seiten
Bastei- Verlag 1989

ISBN 9-7834-0413-0948

Kategorie: