Sar Dubnotal 2- der Astraldetektiv

Gerd Frank (Hrsg.)

Mit "Sar Dubnotal: der Astraldetektiv" präsentieren Verleger Dieter von Reeken und sein Co- Herausgeber sowie Übersetzer Gerd Frank eine zweite Sammlung von sechs Romanen dieser vor dem Ersten Weltkrieg überwiegend in Frankreich und Deutschland veröffentlichten Pulpabenteuerserie. In seinem informativen Nachwort versucht Gerd Frank der Identität des anonymen Autoren sowie des ebenfalls unbekannten wie unbenannten Übersetzers nachzugehen. Zusätzlich geht er auf die verschiedenen anderen europäischen Ausgaben sowie den interessanten Ähnlichkeiten einzelner Handlungsteile und Figuren zu Karl Mays Kolportageromanen. In der vorliegenden zweiten Sammlung sind die Hefte 2- 6 sowie die Nummer 14 übersetzt und nachgedruckt worden. Auch wenn die Heftnummern überwiegend aufeinander folgen, handelt es sich um einzelne Abenteuer, welche der Astraldetektiv zusammen mit seinem obligatorischen Diener sowie seinem amerikanischen Medium während einer Erholungstour durch Frankreich erlebt.

In "Das Tischrücken des Dr. Tooth" wird der Spezialist allerdings von Frau Gibson auf die Fähigkeiten Sar Dubnotals hingewiesen. Im ersten Heft der Serie "Der Spuklandsitz von Crec´h-ar-Vran" hat der Astraldetektiv die verzweifelte Frau gerettet. Jetzt versucht Dr. Tooth ihr Augenlicht zu retten, wobei während der Behandlung Instrumente sich von alleine bewegen und als markantes Zeichen, beim Portrait seiner verstorbenen Frau die Augen blutig zu tränen beginnen. Bevor Dr. Tooth ganz an seinem Verstand zweifeln kann, wendet er sich an den zufällig durchreisenden Sar Dubnotal. Mittels einer Seance kann der Astraldetektiv das Geheimnis der anscheinend an ihren Schuldgefühlen verstorbenen Frau lüften. Der geprellte Tooth sucht darauf hin seine Rache im Diesseits. Obwohl die Geschichte selbst für die damalige Zeit die bekannten Ideen und Klischees abarbeitet und die hintergründigen Erklärungen auf Kolportageniveau da gereicht werden, liest sich die Geschichte bis auf das kitschig klischeehafte Ende ausgesprochen gut. Zu Beginn erscheint der Rückblick auf Sar Dubnotals Fall ein wenig zu stark übertrieben und gedehnt angesichts der Tatsache, dass es sich ja um eine regelmäßig veröffentlichte Heftromanserie gehandelt hat. Dr. Tooth wird von dem offensichtlich französischen Autoren ein wenig zu eindimensional, den amerikanischen Klischees entsprechend charakterisiert während der Astraldetektiv überwiegend im Hintergrund agiert.

Das zweite Abenteuer dieser Sammlung „Der verhängnisvolle Brunnen“ ist sehr viel interessanter. Eine reiche Familie schickt ihren Jungen zu den Großeltern ins Landhaus. Eines Tages hat die schwächliche Mutter eine Vision. Der Junge wird von einem ihr unbekannten Mann zum Brunnenrand getragen und in den Schacht geworfen. Der Brunnen hat seit vielen Jahren einen schlechten Ruf und viele Menschen sind entweder in der unmittelbaren Umgebung ums Leben gekommen oder haben Selbstmord begangen. Ihr beunruhigter Mann entschließt sich, nach dem Rechten zu sehen. Kurz vor seiner Abfahrt erhält er ein Telegramm, dass der Junge schwer erkrankt ist. Im Zug trifft er auf Sar Dubnotal und sein kleines Gefolge. Sie versuchen ihm schonend beizubringen, dass die Vision der Ehefrau der Wahrheit entsprechen könnte. Der Autor bereitet das übernatürliche Ereignis sehr gut vor. Der Leser kann nicht einordnen, ob die kränklich neurotische Frau einfach nur unter der Trennung leidet oder wirklich etwas gesehen hat. Dubnotal stößt nur durch einen Zufall hinzu, übernimmt aber schnell die weiteren Ermittlungen. Der übernatürliche Aspekt wird am Ende des sehr spannenden und stringent geschriebenen Heftes im Vergleich zu anderen Heftromanen dieser Serie nachvollziehbar und überzeugend erläutert. Im Grunde handelt es sich schließlich um eine klassische Detektivgeschichte, in die zum zweiten Mal auch die drei freiwilligen „Helfer“ des Astraldetektivs als Mischung der Baker Street Boys sowie eigenständiger Polizisten eingebunden werden. Zwar arbeitet der Text hinsichtlich der Rollenverteilung mit einer Reihe von sozialen Klischees, aber angesichts der gut strukturierten Plotentwicklung benötigt sie der Autor fast ausschließlich für eine sehr effektive Einführung des Astraldetektivs in die sich entwickelnde Kriminalgeschichte.
Im dritten Heft „Das tragische Medium“ blickt der unbekannte Autor zum ersten Mal zurück. Nicht nur wegen dieses Rückblicks handelt es sich um einen der besten Romane dieser kurzlebigen Reihe. Sar Dubnotals amerikanisches Medium Rhoda Rooks greift auf offener Straße einen ihr anscheinend fremden Amerikaner an und versucht ihn zu töten. Der Mann verzichtet auf eine Anzeige. Dubnotal beginnt seine Ermittlungen. Anscheinend ist der Bruder dieses Manns in einem Zug überfallen und ermordet worden. Die Spur wird zu einem Theatermagier, der aber für diesen Abend ein Alibi hat. Wie Rhoda Rooks Vergangenheit und der Fall zusammenhängen, ist äußerst spannend erzählt. Die Rückblicke geben zumindest einen subjektiven Einblick in das erste Treffen Dubnotals und Rhoda Rooks auf der Überfahrt von New York nach Havanna. Es wirkt vielleicht wenig einfühlsam und distanziert, wenn der Astraldetektiv mit der ersten Begegnung sein bisheriges Medium gegen die höher qualifizierte und devotere Amerikanerin austauscht, aber das Frauenbild der Serie ist – wie Gerd Frank in seinem Nachwort deutlich macht – durch die Bank relativ negativ. Frauen haben feste Aufgaben ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechend zugewiesen bekommen oder dienen als mediative Werkzeuge Sar Dubnotals. Dubnotal selbst braucht bei diesem Fall die Hilfe von Ranijesti, einem der besten Astraldetektive, den der Protagonist seit seiner Jugend kennt. Er muss ihn beschwören, um vielleicht den entscheidenden Hinweis für die weiteren Ermittlungen zu erhalten. Das Ende des Romans inklusiv einer spektralen Wiederholung des Mordes ist stringent geschrieben bis leicht hektisch geschrieben. Trotzdem fasziniert vor allem die erste Hälfte, in deren Verlauf der Leser erstaunlich viele, an den Auftaktroman der Serie anknüpfende Hintergrundinformationen erhält. Befremdlich ist die devote Haltung der drei freiwillig für Sar Dubnotal arbeitenden Detektive, die eher an Diener oder freiwillige Sklaverei erinnert.

In „Der blutige Streik“ wird Sar Dubnotal durch die Presse auf ein außergewöhnliches Phänomen aufmerksam und entschließt sich, seinen Urlaub in Frankreich zu unterbrechen, um nach England in die tiefste Bergarbeiterprovinz zu reisen. Dort erscheint immer eine Frau in Grün nach katastrophalen Bergbauunglücken. Diese geschehen vornehmlich am Freitag, den 13. eines Monats. Die abergläubischen Arbeiter wollen am nächsten Freitag, den 13. nicht arbeiten, was der sadistische Oberingenieur ablehnt. Bei den Auseinandersetzungen zwischen den Arbeitern und der Führung hält sich Sar Dubnotal deutlich zurück. Als schließlich das prophezeite Unglück geschieht, ist der Inder unter den ersten Männern, die zur Rettung der Verschütteten in die Tiefe steigen und gleichzeitig das Geheimnis der Frau in grün lüften wollen. Die Integration des Aberglaubens in einer deutlich bodenständigeren, im Arbeitermilieu spielenden Geschichte funktioniert erstaunlich gut. Der Autor setzt sich mit den Sorgen und Nöten, den Hoffnungen und Enttäuschungen der Arbeiter sehr gut auseinander. Als die Katastrophe eingetreten ist, sind es die potentiellen Witwen, die an die Kameradschaft der oben gebliebenen Kumpel appellieren müssen, damit überhaupt an Rettung gedacht werden kann. Das die geheimnisvollen Erscheinungen mit Ereignissen in der Vergangenheit und nicht zu Ruhe kommenden Geistern in einem engen Zusammenhang stehen, ist ein schon im Auftaktroman verwandtes Motiv, das hier nur aufgefrischt worden ist. Im Gegensatz zum Debüt bedroht die aufgebrachte Seele Sar Dubnotal und seine Helfer mehrmals indirekt, als sie sich an ihrem Körper zu schaffen machen. Selten wird das Übernatürliche derartig konkret und im Grunde so „menschlich“ beschrieben wie in „Der blutige Streik“. Die beklemmende Atmosphäre unter Tage rundet den dramatischen, angesichts der Gesamtromanlänge erstaunlich langen Showdown überzeugend ab. Manches erinnert fast an eine Pulpversion von Gerhart Hauptmanns „Die Weber“ mit Bergleuten. Die Passagen wirken bis auf Sar Dubnotals fast theatralisch zu nennendes Eingreifen in einem unterhaltsamen Heftroman Fehl am Platz. Zusammenfassend eine unterhaltsame, aus dem bislang eher gut bürgerlichen Rahmen herausragende Geschichte mit Spuren von Sozialkritik. Vielleicht daher einige der wenigen Geschichten dieser kurzlebigen Serie, die nicht in Frankreich spielt.

Ein bisschen politischer allerdings vor dem Hintergrund von Kriminalfällen wird es in den letzten beiden Romanen „Die Verrückte der Rimbaut- Passage“ (Heft 6) und „Der rote Fleck“ (Heft 14). Ein ranghoher Botschafter vertraut auf seinem Sterbebett wertvolle Unterlagen einer jungen Frau an, die zwischen den Zeilen seine Geliebte sein könnte. Deren Mann hat einen hypnotischen Einfluss auf die junge Frau und benutzte sie, um an außenpolitisch wertvolle Aufzeichnungen zu kommen. Zusätzlich sucht ein Geheimagent einer fremden, aber impliziert als deutsches Kaiserreich zu erkennenden Macht nach den Papieren. Auf der Durchreise stolpert Sar Dubnotal in diese insbesondere in der zweiten Hälfte eher stark konstruierte Verschwörung und versucht, die Unschuld der jungen Frau zu beweisen sowie das wichtigste Schriftstück für die französische Regierung zu bergen. Während der Auftakt des Romans interessant und vielschichtig geschrieben worden ist, wirkt das Ende eher den inzwischen etablierten Mustern der Heftromanserie folgend unnötig komplex. Mit Sar Dubnotal verfügt die Serie über einen klassischen Überhelden, der am Ende des Heftes für den Leser überraschend und vollkommen Fehl am Platze sogar mit Nietzsches „Übermenschen“ vergleichen wird. Im Vergleich zu einigen anderen Heften dieser Serie muss Sar Dubnotal Sherlock Holmes vergleichbar deduzieren und die verschiedenen Versatzstücke zusammensetzen.
Bis auf den übernatürlichen Zusatz am Ende des Romans muss es der große Astraldetektiv auch in „Der rote Fleck“ mit genauer Beobachtung versuchen. Als Vorlage diente die spanische Ausgabe, deren Innenillustrationen für den hier vorliegenden Nachdruck übernommen worden sind. Ob es an der zusätzlichen Übersetzung aus dem Spanischen liegt, das das Heft teilweise wie von einem anderen Autoren geschrieben erscheint, lässt sich nicht abschließend verifizieren. Der Stil wirkt genau wie die Ausdrucksweise reifer und gebildeter als einige Passagen der vorangegangenen Hefte. Dagegen findet ein Rückgriff auf sehr kurze, an Verhöre erinnernde Dialoge im vorliegenden vierzehnten Abenteuer nicht statt. Wie in einigen anderen Heftromanen spricht der unbekannte Autor die Leser teilweise direkt an und erläutert ihnen Handlungssprünge sowie lange Rückblicke, welche das in der Gegenwart quasi vor Augen der Leser ablaufende Geschehen mit subjektiven Fakten untermauern sollen.
Auf einer Kreuzfahrt wird ein Spanier in seinem Bett erstochen. Bevor Sar Dubnotal die Ermittlungen aufnehmen und die Unschuld eines Mannschaftsmitgliedes beweisen kann, erfährt der Leser von einer kriminellen Vereinigung in Spanien, die sich die Anarchisten nennt, aber anscheinend keine nachhaltigen politischen Ziele verfolgt. Sie haben die Ehefrau und Tochter des jetzt Ermordeten vor Jahren überfallen, um wichtige belastende Dokumente zu erpressen. Bei der Tat ist die Ehefrau ermordet worden. Als die Tochter schließlich befreit werden konnte, entschloss sich der Mann, Spanien wieder den Rücken zu kehren. So faszinierend sowohl die Rückblicke als auch die minutiösen Ermittlungen an Bord des Schiffes auch sein mögen, die Geschichte krankt an einer Schlüsselprämisse, die rückwirkend keinen Sinn ergibt. Eltern werden ihre Kinder besonders über einen längeren Zeitraum immer erkennen. Das am Ende der Ermordete scheinbar als Geist noch einmal einigen Beteiligten erscheint und somit die Zerschlagung der Verbrecherorganisation in Gang setzt, wirkt des Guten zu viel. Unabhängig von dieser Schwäche ist „Der rote Fleck“ aber eine spannende Kriminalgeschichte mit nur wenigen übernatürlichen Elementen. Vielleicht wird das Mittel der freiwilligen oder erzwungenen Hypnose von allen Seiten ein wenig zu oft und überwiegend bei Frauen eingesetzt, aber zumindest im vorliegenden bislang letzten Abenteuer wird diese Vorgehensweise nachvollziehbar erläutert. Im Gegensatz zu den anderen Abenteuern dieser Sammlung greift Sar Dubnotal auf sein italienisches Medium zurück. Wobei die beiden Frauen im Grunde austauschbar sind und der Leser die Nuancen ihrer übersinnlichen Fähigkeiten nicht voneinander unterscheiden kann.

Wie schon angesprochen baut Gerd Franks Nachwort auf zahlreichen Informationen des ersten Bandes auf und versucht die Identitäten des Autoren und des Übersetzers zu eruieren. Diese zusätzlichen Informationen runden diesen zweiten Sammelband neben der sehr guten Wiedergabe der Titelbilder auf der Rückseite sowie den Innenillustrationen sehr gut ab. Die Qualität der einzelnen Geschichten ist insbesondere für eine Pulpserie des Jahres 1909 erstaunlich hoch. Natürlich wird immer wieder und sehr gerne auf manchen plottechnischen Instrumentalismus zurückgegriffen und natürlich kann niemand Sar Dubnotal im Allgemeinen und seinen sehr zielstrebig eingesetzten Helfern im Besonderen das Wasser reichen, was manchmal die insbesondere im ersten Drittel sehr geschickt aufgebaute Spannung negiert. Im Gegensatz zu den immer unwahrscheinlicher werdenden „Fantomas“ oder „Arsene Lupin“ Abenteuern bzw. „Judex“ Geschichten sowie den teilweise subversiv pseudorealistischen Kriminalromanen Gaston Lerouxs dieser Epoche französischer Unterhaltungsliteratur mischt der unbekannte Autor bei dieser Serie übernatürliche Phänomene, die nicht alle mit Geistererscheinungen wegen unerledigter Taten oder schlechten Gewissens weg erklärt werden können mit solide extrapolierten Kriminalgeschichten, ohne allzu sehr auf Actionmomente zurückgreifen zu müssen.       

Gerd Frank (Hrsg.): "Sar Dubnotal 2- der Astraldetektiv "
Anthologie, Hardcover, 402 Seiten
Dieter von Reeken 2012

ISBN 9-7839-4067-9703

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