The Leniant Beast

Fredric Brown

Als Fredric Brown Mitte der fünfziger Jahre eine Reihe von psychologischen Thrillern veröffentlichte, orientierte er sich weniger an seinen frühen Pulpgeschichten, sondern variierte Aspekte Jim Thompsons und seinen Romanen wie "Der Killer in mir".
"The lenient Beast", der 1956 zum ersten Mal und vor kurzem als empfehlenswerte Sammleredition inklusiv Kindle Ausgabe ein zweites Mal veröffentlicht worden ist, gehört in diesen illustren Kreis von Klassikern, die eine Wiederentdeckung wert ist.
Aus technischer Sicht fordert Fred Brown seine Leser heraus. Der stringente Plot wird aus fünf nicht unbedingt unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Alle diese Erzählebenen sind in der intimen Ich- Erzählerperspektive geschrieben worden. Da alle beteiligten Personen die Ereignisse ausschließlich aus ihrem subjektiven Empfinden heraus dem neutralen Leser berichten, kommt es bei entscheidenden Plotelementen zu Abweichungen. Es wäre ein Fehler von unzuverlässigen Erzählern zu sprechen, aber - wie im wirklichen Leben - gibt es keine objektive Wahrheit. Zusammen bilden diese fünf parallel laufenden Handlungsstränge ein interessantes soziales Portrait aus, das viel weiter als der eigentliche Kriminalfall reicht. Hinzu kommt, dass Fredric Brown einen soziopathischen Mörder mit Sendungsbewußtein in den Roman integriert hat.

John Medley ist nicht nur ein angenehmer, ruhiger Nachbar, sondern ein gut situierter Junggeselle, der sein Geld mit geschickten Grundstücksgeschäften verdient. Einer der Polizisten, der schließlich in dem Mordfall ermitteln wird, hat sein Grundstück von ihm über den Makler gekauft. Eines Abends „findet“ er die Leiche eines erschossenen Mannes auf seinem Grundstück. Er informiert die Polizei, welche sogleich die Ermittlungen aufnehmen. Ein für einen Kriminalroman fast typischer Auftakt. Es gibt kein offensichtliches Motiv, das Medley mit dem Mord an dem durch den Verlust seiner Familie während eines Autounfalls schwer gestraften in Verbindung bringt. Und welcher Mörder würde sein Opfer im eigenen Garten zurücklassen? Da es auch sonst keine Spuren am Tatort oder in der Vergangenheit des Opfers gibt, handelt es sich im Grunde um das perfekte Verbrechen. Zumal die Polizisten sich mit privaten Problemen – eine neue Liebe oder eine Alkoholkranke Ehefrau auf Freiersfüßen mit einem anderen Mann – herumschlagen müssen.

Technisch gesehen könnte Fredric Browns ironisch überzeichnete Kleinstadtstudie in diesem Augenblick enden. Ein unaufgeklärtes Verbrechen; ein ungewöhnlicher Fundort; kein Motiv. Gäbe es nicht eine kryptische Bemerkung Medleys, in der er den Polizisten von einem Hund erzählt, den er wegen einer offensichtlichen Vergiftung von seinen Qualen erlöst hat. Danach hat er sich beim Tierarzt rückversichert, dass es keine Chance gegeben hätte, den Hund zu retten.

Durch die unterschiedlichen Perspektiven muss Fredric Brown um Authentizität zu bewahren relativ früh den Täter und sein interessantes Motiv offenbaren. Danach kann der Leser verfolgen, auf welchem Weg die Polizisten schließlich das Motiv aus zahllosen weiteren Hinweisen zusammensetzen. Es reicht allerdings nicht zur Überführung. Daher ist „The leniant Beast“ weniger ein klassischer Kriminalroman, sondern die Studie eines Täters, der sich für die Einsamen und Verzweifelten der Gesellschaft aufopfert. Hinsichtlich der Charakterisierung wandelt Brown auf einem extrem schmalen Grad. Medley muss sympathisch bleiben, sonst funktioniert die Prämisse des Buches nicht. Auf der anderen Seite muss dessen Exzentrik und pervers psychopathische Ansicht überzeugen. So demontiert Fredric Brown mit teilweise sichtlichem Vergnügen nicht nur das Klischee des biederen Junggesellen, der ein geordnetes wie langweiliges Leben führt, sondern fügt Stück für Stück dessen fragwürdige Ansichten auf der wahrscheinlich interessantesten Handlungsebene des ganzen Romans dem Plot hinzu. Auch wenn Medley nur in einer der fünf Handlungsebenen mitspielt und der Leser im Gegensatz zu den Polizisten die Ereignisse der Nacht der Ermordung ausschließlich aus seiner Perspektive erfährt, ist er Dreh- und Angelpunkt des Plots. Nicht umsonst verzichtet Brown auf die seine zahllosen Kriminalgeschichten auszeichnenden schockierenden Ende und lässt die Handlung auf einer betrüblichen, aber konsequenten Note auslaufen, die weniger die Gerechtigkeit als klassischen Sieger darstellt, sondern einen perversen wie moralischen Ausgleich zwischen Täter und Opfer herstellt. Kriminaltechnisch ist damit der Fall abgeschlossen, inhaltlich bleiben positiv viele Fragen offen.

Noch ansprechender, realistischer und persönlicher gefärbt sind die Spannungsbögen, die aus der Sicht der Polizisten und schließlich auch ihrer Frauen erzählt worden sind. In diese Polizistenfamilien spielen die rassistischen Auseinandersetzungen zwischen Weißen und Latinos in einer Stadt wie Tucson hinein. Für einen Mitte der fünfziger Jahre geschrieben Roman geht Fredric Brown mit diesem Thema nicht nur relativ offen und kritisch um, er zeigt die sich ausbildenden Gräben innerhalb der Polizeitruppe mit ihrer aufgrund der Herkunft der Polizisten Zwei- Klassen Gesellschaft. Während der Latino eher mit den gesellschaftlichen Vorurteilen gegenüber seiner Person trotz einer ausgezeichneten Arbeitseinstellung kämpft, leidet sein weißer Kollege unter seiner Alkoholkranken Frau. Ganz bewusst schreibt der Autor gegen die Klischees des Polizistenberufs an und konzentriert sich darauf, die Schattenseiten des fordernden Jobs aufzuzählen, aber nicht zu bewerten. Ob seine Frau aufgrund der langen Arbeitszeiten und der Einsamkeit zur Flasche gegriffen hat, lässt der Autor offen. Anfänglich beschreibt Brown nur aus der Perspektive des überforderten Polizisten das Drama um seine Frau, die angetrunken in Kneipen versackt oder durch die Straßen wankt. Im Schlussdrittel des Romans mit der außerehelichen Affäre öffnet sich plötzlich das Spektrum um ihre Perspektive und der Leser beginnt nicht mehr Verständnis für sie aufzubringen, sondern die verzweifelte Langeweile dieser sich mehr und mehr nach dem Zweiten Weltkrieg ausbildenden Mittelschicht zu spüren. Gefangen in Jobs, die nicht begeistern; fast erdrückt von Schulden auf den zu teuer angeschafften Häusern und keine Perspektive. Fredric Brown übt in seinem Roman keine Sozialkritik, er beschreibt ausschließlich. Und das so unglaublich lebendig, dass der Leser aus einer zeitlichen und sozialen Distanz mehr über fünfzig Jahren immer noch das Gefühl hat, dabei zu sein.

Dank dieser Facetten ist "The Lenient Beast" weniger der angesprochene Kriminalroman oder ein zynischer Thriller wie ihn Jiom Thompson brillant schreiben konnte, sondern das Portrait einer Gruppe von Menschen, die neben dem Mord aus Familiengründen miteinander verbunden sind, obwohl sie sich im Grunde nicht mehr viel zu sagen haben. Zwischen den Zeilen kann man lesen, dass ein sanfter "Killer" wie Ledley in dieser kleinen Stadt sehr viel mehr Arbeit gehabt hätte, als er sich selbst für möglich gehalten hätte.


Fredric Brown: "The leniant Beast"
Roman, Softcover, 162 Seiten
Langtail Press 1955

ISBN 9-7817-8002-0129

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