The Snow

Adam Roberts

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sorgte Adam Roberts mit einer Reihe ungewöhnlicher Science Fiction Romane auf sich aufmerksam, bevor er sich in die Niederrungen der humorvollen Parodien begeben hat. Erst mit „Yellow Blue Tibia” kehrte er zu den literarisch intellektuellen Höhepunkten seiner Frühphase zurück. Der 2004 veröffentlichte fünfte Roman „The Snow“ wirkt in mancherlei Hinsicht wie eine überambitionierte Fingerübung zu „Yellow Blue Tibia“. Das Themenspektrum, das Adam Roberts abhandeln wollte, hat sich für die Tiefe des gut zu lesenden Romans als zu breit erwiesen. Ökologischer Katastrophentriller im Gefolge der verheerenden Tsunamis in Ostasien; politische Parabel auf die Macht und den einhergehenden Missbrauch der Macht durch eine Gruppe von opportunistischen Politikern und Militärs auf der Grundlage der Verdummung der einfachen Bevölkerung und schließlich eine klassische wie ungewöhnliche Invasionsgeschichte mit Aliens, welche die Erde ohne dieses Plotelement zu früh zu verraten terraformen.

Ganz bewusst hat Adam Roberts die Spannung negierende Berichtsform gewählt. Im ersten und mit großen Abstand besten Drittel des Buches berichtet Tira – später Tira London aufgrund ihres Fundorts genannt – von der Schneekatastrophe. Hier erinnert der Roman wahrscheinlich absichtlich an Ballards frühe Werke mit ihrem Zweckoptimismus und ihren politischen Parolen. Es beginnt im September zu schneien und hört nicht mehr auf. Schnell sind die Städte vom Schnee bedeckt, die Menschen gestorben. Nur wenige Überlebende halten sich überwiegend in den immer mehr unter dem Schnee verschwindenden Hochhäusern auf. Die Zivilisation wird immer mehr zu einer Erinnerung. Es gibt kein Fernsehen mehr, das Radio sendet immer seltener. Es wird immer schwieriger, Vorräte aus den Gebäuden zu retten und die Tunnel unter dem alles erstickenden und gleichmachenden Schnee beginnen einzustürzen. Tira lebt pragmatisch mit einem älteren Mann zusammen, der als Tunnelbauer Erfahrungen im Umgang mit schwereren Gerät hat, bis dieser bei einem gemeinsamen Ausbruchversuch aus ihrem Hochhaus ums Leben kommt. Kurze Zeit später wird sie von den Minern gefunden, die in den Städten nach verwertbaren Material suchen. Die Miner kommen aus einer der sieben kleinen Gemeinden, die oberhalb des Schnees ihr karges Dasein fristen. Mittels spezieller Ballons und militärischer Ausrüstung werden die Siedlungen mit dem weiterhin stetig fallenden Schnee hoch gebaut. Adam Roberts Beschreibungen sind intensiv wie pragmatisch zu gleich. Tira ist – dies zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Roman – eine Kämpferin, die ihre Tochter in dem Chaos verloren hat. In einem der beiden sehr langen, die Handlung vielleicht zu stark unterbrechenden Rückblicke erfährt der Leser mehr über ihre Eltern, deren Flucht aus der afrikanischen Wahlheimat, der Rebellin der Jugend gegen die spießige Elterngeneration und schließlich ein wenig über sie selbst. Später wird sich herausstellen, dass sie wahrscheinlich keine ganz vertrauenswürdige Erzählerin ist und einige ihrer subjektiven Eindrücke von anderen Menschen mehr oder minder überzeugend relativiert werden. Die Fokussierung auf die Katastrophe und die wenigen Überlebenden gibt dem Roman zu Beginn eine einzigartige, aber nicht durchgehend nihilistische Perspektive, die vom Überlebenskampf des Individuums gegen die wahrscheinlich von amerikanischen Wissenschaftlern ausgelöste Unwetterkatastrophe geprägt wird. Aber auch diesen Aspekt relativiert der Autor im letzten Drittel des Romans zu Lasten der Gesamtbalance des Buches.

In der primitiven Siedlung herrschen die Militärs und eine kleine Schicht opportunistischer Politiker, die Adam Roberts so ambivalent beschreibt, dass sie ihre markanten Züge verlieren. Tira wird mit einem hochrangigen General verheiratet. Diese Zweckehe hellt, bis der General herausfindet, dass Tira keine Weiße ist, sondern ihre Vorfahren Inder gewesen sind. Er verstößt sie zwar nicht aus seinem Haus, aber zumindest aus seinem Bett. In rassistisch politischer Hinsicht neigt Adam Roberts absichtlich zu einer übertreibenden schwarzweiß Malerei, um nachhaltig zu beweisen, dass immer wieder die gleichen „Menschen“ nach Katastrophen nicht nur nach oben schwimmen, sondern vor allem vor den einfachen „Massen“ ihre unrechtsmäßigen Standesdünkel wieder etablieren. Ab diesem Moment bewegt sich Adam Roberts auf einem sehr schmalen Grad zwischen potentiellen Verschwörungsthriller; politisch aufrüttelnden Thesen, welche die politischen Exzesse der Post 9/11 Welt entlarven sollen und subjektiver Manipulation der Leser. Die gewählte Berichtsform lässt im Grunde nur eine subjektive Wahrheit zu. Diese soll mittels eingeschobener Dokumente bestärkt werden. Woher diese Dokumente kommen und ab welchem Augenblick Tira wirklich Zugang zu ihnen gehabt hat, bleibt frustrierend offen. Diese Meta- Texte reißen aber eher den Leser aus der bislang stringenten und sehr bodenständigen Geschichte. Hinzu kommt, dass Tira sehr schnell und ohne größere Probleme zwischen den politischen Fronten landet. Ihr sie inzwischen ignorierend Ehemann und General steht für das alte Recht, das die „Bürger“ dumm hält und ihnen die potentielle Wahrheit vorenthält. Ihr Liebhaber gehört zur politischen Front. Er ist – wie der Leser in dem zweiten sehr langen und frustrierend zu lesenden zweiten Rückblick erfährt – ein ehemaliger Drehbuchschreiber und Drogensüchtiger. Kurz vor Beginn des Schneefalls hat er sich als paranoider Terrorist versucht. Und mit dessen Bombenattentaten in der Vergangenheit und neuen Anschlägen sowohl auf die Versorgungseinrichtungen als auch eine Krankenstation in der Gegenwart schließt sich der zweite Handlungskreis, der sein Potential in keinster Weise ausschöpft. Die Aufzeichnungen eines Wissenschaftlers sind nicht die schockierende Wahrheit, sondern ein primitives Schuldanerkenntnis eines Mannes, der über die Naturgrenzen hinaus geforscht und seiner Ansicht zu Folge die Kontrolle verloren hat. Das es in Science Fiction Hinsicht eine viel banalere Erklärung für das unendlichen Schneefall gegeben hat gehört zu den schwächeren Aspekten dieses Romans. Auch die Idee, dass nur die nördliche Halbkugel mit Schnee bedeckt und Australien in der hier aufgezeigten Theorie von der globalen Erkaltung verschont geblieben ist, wirkt wie doppeldeutige billige Propaganda, mit der die strickten Regierungsanweisungen unterlaufen und die Terroristen mit idealisierten Zukünften versorgt werden sollen. So faszinierend jeder einzelne Aspekt dieses Mittelteils auch sein kann, sie stehen von dem anfänglich so kompakten wie spannenden ersten Handlungsabschnitt ab und verlieren sich in argumentativen Weisheiten, die politisch ohne Frage diskussionswürdig sind, in der hier vorliegenden Form aber eher als MacGuffin dienen. Naiv wirkt der Versuch, dass Tira zwar einer zukünftigen Generation ihre Erlebnisse aus erster, aber nicht immer positiver Hand erzählen darf, alle Namen aber von einer imaginären Zensurstelle ausgelöscht worden sind. Trotz der Anonymität fast aller Figuren gelingt es Adam Roberts, den Menschen in diesem „1984“ aus dem ewigen Eis Teil Persönlichkeiten zu schenken und die einzelnen Ereignisse emotional zumindest ansprechend zu erzählen. Der Exkurs in den Bereich eines William Burroughs inklusiv der interessanten Exkursion in gigantische Wirtschaftsbetrügereien wie „Enron“ sei Adam Roberts verziehen.

Kaum hat der Autor diese Handlung etabliert, macht er sich im letzten Drittel des Buches darin, den Plot abzuschließen und eine Erklärung nachzuschieben, die verblüffend wie simpel erscheint. Nicht die Menschen haben die globale Klimakatastrophe ausgelöst, sondern eine außerirdische Lebensform, die weder über Raumschiffe noch klassische Technik verfügt. Sie haben sich aus dem Nichts kommend neuen Lebensraum in doppelter, vielleicht ironisch überspitzter Hinsicht erschaffen. Mit dieser Art von Erklärung inklusiv der natürlich obligatorischen Kontaktaufnahme, an welcher Tira indirekt beteiligt ist, negiert Adam Roberts die kritischen Ansätze der ersten beiden Drittel seines Romans. Während andere Autoren wie Kim Stanley Robinson in seiner Klimatrilogie oder Stephen Baxters in seiner „Flood“ Duologie den ökonomisch kommerziell überkritischen Grundton beibehalten und die Auswirkungen kleinster Eingriffe in die labilen ökologischen Kreisläufe geschickt wie schockierend fatalistisch extrapoliert haben, bleibt der Leser am Ende von „The Snow“ außen vor. Die Milliarden von Toten als Teil eines von Fremden entworfenen Plans sind vergessen. Selbst Tiras persönlicher Verlust wird von ihr auf eine oberflächliche und distanziert erscheinende Art und Weise relativiert. „The Snow“ ist kein schlechter Roman. Qualitativ kann er nicht mit „Salt“ mitteilen, der ein grundlegend ähnliches Szenario auf einen unwirtlichen Planeten verlegt hat. Zu viele Ideen sind insbesondere in die zweite Hälfte des Buches eingeflossen, die angerissen, aber nicht abgeschlossen werden. Science Fiction auf einer intellektuellen Stufe muss konsequenter extrapoliert und kritischer präsentiert werden. So bleiben viele Ideen trotz der gut etablierten Figuren in einem Netz von kleinen Widersprüchlichkeiten und Kompromissen hängen. Dabei ist Adam Roberts ein gut zu lesender Unterhalter, der weiß, wie er sein Publikum herausfordern, aber auch hintergründig manipulieren kann. Die Grundidee von „The Snow“ ist interessant, die Erklärung frustrierend.

Adam Roberts : "The Snow"
Roman, Softcover, 368 Seiten
Gollancz 2005

ISBN 9-7805-7507-6518

  • Taschenbuch: 368 Seiten
  • Verlag: Gollancz S.F.; Auflage: New Ed (11. August 2005)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 0575076518
  • ISBN-13: 978-0575076518