Zeelander

Jörgen Bracker

Der Piper- Verlag tut Jörgen Brackers Erstlingsroman „Zeelander“ mit dem Unerbezeichnung „Der Störtebeker- Roman“ Unrecht. Er grenzt den historisch fundiert recherchierten Roman zu sehr ab und wird sicherlich einige verwunderte Augenbrauen zurücklassen. Nicht etwa, weil Bracker mit seinem Werk in Bezug auf die Störtebeker Forschung den vorgeblichen Fakten näher als die Wissenschaft, sondern weil im Mittelpunkt des Geschehens die Familie Zeelander steht. Ein Vergleich zu Jürgen Bruhns vor wenigen Jahren erschienener fiktiver Studie „Störtebeker“ – weiterhin der faszinierendste Roman um den Freischärler und Piraten - hinkt nicht zuletzt aus diesem Grund. Eher ließe sich der Bogen zu Konrad Hansens „Simons Bericht“ schlagen, sowohl bei Bracker als auch Hansen stehen andere Protagonisten im Mittelpunkt des Geschehens. Farbenprächtig und überzeugend beschreiben die Autoren deren oft tragische Schicksale. Auf beide hier vorgestellten Leben hat Klaus Störtebeker mit seinen Vitalienbrüder Einfluss, beide Bücher enden mit der Hinrichtung des Piraten. Während Hansen die inzwischen zur Legende gewordenen Ereignisse übernimmt, kommt Braker zu einer auf den ersten Blick verblüffenden gänzlich anderen Auflösung. Zu diesem Zeitpunkt kann der Leser aus der Perspektive Johannes Zeelanders nicht mehr unterscheiden, ob dieser nicht schon dem Wahnsinn verfallen ist. Immerhin hat er auf dem Hamburger Schafott in Claus Störtebeker nicht nur seinen Jugendfreund verloren, zur hingerichteten Gruppe gehören auch sein Bruder Clemens Zeelander – ein ehemaliger hoher kirchlicher Würdenträger der Hansestadt Hamburg – und sein Sohn Josef, den er selbst aus dem Haus getrieben hat. In so weit könnte seine Beobachtung auch die Folge seines Wahnsinns sein. Außerdem liefert Bracker in seinem sehr abrupten, aber wie viele Szenen unangenehm realistischem Ende keine weiteren Erklärungen, die seine These unterstützen. Hier wäre zumindest ein Hinweis in Form eines Nachworts angebracht. Der Weg zum Hinrichtungsplatz in Hamburg ist die Lebensgeschichte eines fleißigen, Gottesfürchtigen Mannes, der zum geachteten und bewunderten Schiffbauer Hamburgs aufsteigt. Eine einzelne Schwäche führt zu seinem langsamen Fall, die Neider sammeln sich, um ihn zu vernichten. Immer wieder stellt Bracker den Unterschied zwischen dem vordergründig gläubigen Verhalten – solange es Gott nicht sehen kann oder der entsprechende Ablassbrief gekauft wird – und niederen Motiven wie Habgier, Neid und schließlich in den Mittelpunkt der phasenweise episodenartigen Handlung. Dieses Exempel statuiert er am – heute würde man von Selfmade – Unternehmer Johannes Zeelander. Aus einfachen Verhältnissen stammend und als Waise zusammen mit Claus Störtebeker und seinem Bruder Clemens aufgewachsen in Waisenhäusern hat ihn das Schicksal nach Hamburg verschlagen. Von der Vision beseelt Hamburgs bester und erster Schiffsbauer zu werden hat er sich einen Ruf als zuverlässiger Handwerker und fairer Geschäftsmann erworben. Er ehelicht die junge Magdalena und könnte als anerkannter Bürger bis zu seinem Lebensende in der Hansestadt leben, wenn ihm nicht ein Fehltritt die Existenz und schließlich seine Familie gekostet hätte. Er vergnügt sich mit einer bekannten Dirne, verliert seinen einzigartigen Dolch und wird das Ziel von Erpressern. Seine guten Taten sind vergessen. Kaufleute fordern von ihm den Bau eines großen Handelsschiffes aus dem Holz, das er für eine neue Idee zur Seite gelegt hat, das Handelshaus seines Schwiegervaters wird durch üble Machenschaften ruiniert, er selbst verweigert einem ehemaligen Vorarbeiter ein wenig Geld für dessen kranke Tochter. Daraufhin wird der Mann zu einem Falschmünzer, kann aber seine Tochter nicht retten. Grausam wird er hingerichtet. Während Zeelander hier noch eine nicht zu leugnende Schuld bei sich selbst sucht, wird er später die Dirne als Hexe verfluchen und beginnen, seine eigene Starköpfigkeit als Hexerei zu bezeichnen. Bracker gelingt er sehr gut, das Portrait eines Mannes zu zeichnen, der nicht nur durch die Umstände, sondern vor allem durch seinen starken Willen die selbstgesteckten Ziele erreicht, diese Niveau allerdings aufgrund seiner Dickköpfigkeit nicht behalten kann. Als sich herausstellt, dass sein Sohn homosexuelle Neigungen hat, verstößt er ihn aus der Familie, er schlägt seine Frau und tötet sie zusammen mit dem ungeborenen Kind. Spätestens mit dieser Tat ist sein Untergang besiegelt, auch wenn der Autor ihn als einzigen wichtigen Protagonisten am Ende der Blutmär am Leben lässt. Oder was man als Leben bezeichnen kann. An Johannes Zeelander zeigt Bracker auf, dass es im Grunde einen ehrlichen Handel, eine echte Kaufmannschaft weder damals noch heute geben kann. Diese grundsoliden Charaktere scheitern an den Opportunisten. Als Zeelander innerlich tot diese Tatsachen erkennt und beginnt sie zu verinnerlichen, ist es für ihn im Grunde zu spät. Immer wieder nutzt der Autor den Geistlichen Clemens Zeelander als eine Art schlechtes Gewissen. Ein aufrechter Mann, der seinen Weg allen Widerständen zum Trotz sehr gerade geht und sich gegen die habgierigen Regionalkardinäle der Kirche genauso zu wehr setzen möchte wie gegen die tyrannische Bürgerschaft, welche die einfachen Arbeiter wie seelenloses Vieh ausnutzt. As dem Roman allerdings fehlt, ist eine wirklich überzeugende emotionale Beziehung zwischen den beiden Brüdern auf ihren unterschiedlichen Lebenswegen. Große Dramen leben von einzigartigen Persönlichkeiten. Auch wenn ihm immer wieder einige sehr gute Szenen zwischen den beiden sich mehr und mehr entfremdenden Charakteren gelingen, vergeht zu viel Zeit und zu wenig Handlung zwischen diesen oft zufällig entstehenden Höhepunkt. Der Dritte im Bunde ist Claus Störtebeker, dessen Rolle in diesem historischen Kammerspiel wahrscheinlich am umstrittensten ist. Gleich zu Beginn des Buches wird er bei einer gemeinsamen Schifffahrt über Bord gespült und verschwindet für mehrere Jahrzehnte aus dem Leben der Zeelanders. Diese halten den Jungen für tot und beginnen auf unterschiedliche Art den Verlust zu zeigen. Die wenigen Seiten zu Beginn des Buches reichen nicht aus, um die untrennbare Freundschaft zwischen den drei jungen Männern zu untermauern und so wirkt der Hinweis auf den fehlenden Dritten in ihrer Mitte insbesondere nach dem ansonsten sehr gut geschriebenen Prolog überzogen und unrealistisch. Der erste Auftritt Störtebekers ist beeindruckend. Die Zeelander wollen ein dreißig Fuß hohes Kreuz errichten. Beim Aufbau kommt es zu einem Unfall, der das Leben eines jungen Menschen kostet. In diese tiefste Trauer tritt Störtebeker, um im Grunde gleich wieder zu verschwinden. Wenn Baker ihn beschreibt, wirkt er wie eine idealisierte Inkarnation Robin Hoods. Er befreit Menschen aus Notsituationen – so auch Clemens Zeelander, den er aus den Fängen und vor der Folter durch die Inquisition befreit – oder rächt Verbrechen an den wahren Schuldigen. Durch Verrat hat er sein Schiff verloren und hat sich schließlich der Sache des schwedischen Königs verschrieben. Auch wenn seine Organisation Schiffe plündert und Menschen tötet, hat der Leser niemals das Gefühl, als wäre ihr Treiben wirklich ein Verbrechen. Auch wenn Störtebekers Taten nicht selten die Grenze zu klassischer fiktiver Abenteuerliteratur überschreiten und damit unrealistisch erscheinen, fehlt diesem Roman ein ausgleichendes Element. Zu wenig kommentiert oder gar reflektiert der Autor die Ereignisse, er lässt sich bis zum tragischen Ende von diesem Freiheitskämpfer und nicht Piraten sowie seinem nicht zu leugnenden Charisma gefangen nehmen. Wie allerdings auch Clemens Zeelander sind Störtebekers Auftritte über das Buch verteilt und betonen die episodenhafte Struktur dieses zeitgeschichtlich schwierig einzuordnenden Romans. Jörgen Brackers Erstling ist nicht der Störtebekerroman, es ist ein Buch, das zu Störtebekers Zeit in der Hansestadt Hamburg spielt, es ist ein Roman, der unterstreicht, welche verführerische Faszination Freiheitskämpfer auf die bis in Mark korrupten Regierungen haben können. Dieses durchaus kritische Element der historischen Geschichte eine unverkennbare Zeitlosigkeit. Mit der Figur des Johannes Zeelander hat der Autor einen interessanten, anfänglich sehr sympathischen und grundehrlichen Protagonisten geschaffen, dessen charakterlicher Wandel im Zusammenspiel mit den politischen Intrigen emotional überzeugend beschrieben worden ist. Dazu kommt ein facettenreich gezeichnetes Portrait des Lebens am Ende des 14. und Beginn des 15. Jahrhunderts unter der Knute der Kirche und der Regierenden. Die Folterszenen sind trotz einer eher sachlichen Beschreibung unangenehm und bleiben dem Leser wahrscheinlich länger im Gedächtnis als manch andere gelungene Beschreibung. Phasenweise leidet der Spannungsbogen unter Jörgen Brackers nicht immer gelungene Handlungsaufbau und der nicht unbedingt gelungenen Einordnung als Störtebekerroman, insbesondere zu Beginn wird der Leser zu sehr von dem erwartenden Auftauchen Störtebekers von der Persönlichkeit Johannes Zeelanders abgelenkt. „Zeelander“ ist trotz der hier beschriebenen Schwächen ein lesenswertes Buch und zusammen mit dem schon erwähnten „Simons Bericht“ und Jürgen Bruhns „Störtebeker“ bilden die drei von norddeutschen Eichen geschriebenen Romane ein abgerundetes Bild des legendären Freiheitskämpfers sowie Piraten Störtebekers, des größten Feindes, dem sich die Hanse in Person eines einzelnen Mannes während ihrer Jahrhunderte
langen Existenz stellen mussten.

Jörgen Bracker: "Zeelander"
Roman, Hardcover, 459 Seiten
Piper Verlag 2007

ISBN 3-4922-4944-2

Kategorie: