Parasitengeflüster

Parasitengeflüster, Titelbild, Rezension
Marianne Labisch & Sven Klöpping

Im Untertitel sprechen die beiden Herausgeber Marianne Labisch und Sven Klöpping von fiesen SF Storys, was auf eine Anzahl von Beiträgen zutrifft. Andere greifen auf das im Vorwort „Wer nichts wird, wird Wirt“ postulierte Thema einer mehr oder minder freiwilligen Symbiose mit dem parasitären Lebensabschnittbegleiter zurück und versuchen basierend auf Typischen Science Fiction Themen diese Ideen zu extrapolieren. Einige wenige Geschichten werden von allerdings nicht auch ein wenig steif wirkenden Zeichnungen aus der Feder Marianne Labischs begleitet.

 Tom Turtschi eröffnet mit „Turnaround“ diese Anthologie. In der ersten Hälfte mit dem verzweifelt pünktlich zu einem Termin eilenden Jungunternehmer eine interessante Geschichte. Seine Firma hat quasi  eine lebendige und dadurch auch selbst lernende Codesoftware verfasst. Die zweite Hälfte der Story besteht aus den dann bekannten Folgen und wirkt stark konstruiert. Ein großes Problem der Geschichte ist weiterhin, dass die Protagonist dem Leser nicht wirklich sympathisch ist und sein Schicksal eher folgerichtig erscheint. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, die Grundidee zu einer Novelle auszubauen und die angesprochenen Schwächen durch andere anzusprechende Aspekte auszubalancieren. 

 „The Extinction of Beloved Parasites“ von Arno Edler nimmt sich eines globaleren Themas an. Es passt zu einer Reihe von Geschichten, in denen die Menschen und nicht kriegslüsterne Außerirdische die Parasiten sind. Vielleicht möchte jeder so an einem seiner letzten Tage begrüßt werden.

 „Erstbesiedelung“ von Julia Annina Jorges ist einer dieser Texte, in denen der Leser die Handlung auf den ersten Blick zu kennen scheint. Fremde Invasoren, ein Raumschiffabsturz, die übernehmen eine schwer verletzte Überlebende und einer weiteren „Invasion der Körperfresser“ steht nichts im Wege. Und trotzdem wird man über die Pointe schmunzeln. Sie kommt aus dem Nichts heraus und gibt einem bekannten, allerdings auch gut geschriebenen Stoff eine vielleicht nicht unbedingt Wendung, aber sehr zufrieden stellende Doppeldeutigkeit.  Auch „Das Kreischen“ von Michael Edelbrock handelt von einer Invasion. Die außerirdischen Parasiten haben erst die Menschen übernommen und sich schließlich entlang der Nahrungskette vorgearbeitet. Herausgekommen ist eine pazifistische Erde mit einer reduzierten Bevölkerung, die sich vegetarisch ernähern muss. Obwohl das Ausgangsszenario nicht unbedingt neu ist, gelingt es dem Autoren noch stärker als Julia Annina Jorges, neue Ideen in die kurzweilig zu lesende Handlung einfließen zu lassen. Ob es sich um eine genetische Züchtung oder eine neue Lebensform handelt, bleibt in Diane Dirts „Faktor H“ offen. Zumindest strebt der Mensch die nächste, aus Sicht einiger Randgruppen perfektionierte Lebensform ein. Die Perspektive liegt im Auge des Betrachters. Aber die Grundideen sind schon interessant und verdienen fast einen breiteren Rahmen, als es eine Kurzgeschichte anbieten kann. Der Titel des Vorworts basiert auf einem geflügelten Wort, dem Achim Stößer mit „Schmarotzer“ eine neue Dimension verliehen hat. Über weite Strecken ist seine ungewöhnliche Invasionsgeschichte flott geschrieben und wirkt wie eine komprimierte, aber auch groteske Variation einer positiv gesprochen Uwe Post Parodie  auf die Genreklischees mit dem zu entführenden Pabst inklusiv des entsprechenden Doubles, einem verrückten Plan und abschließend einem bittersüßen vorläufigen Ende. Hier wirkt der Autor plötzlich allerdings viel zu überambitioniert, will zu viele Ideen auf zu wenig Raum packen und unterminiert seinen guten wie gelungenen Auftakt. Wahrscheinlich ist es sinnvoll, die guten Aspekte aus der ersten Hälfte der Geschichte als Ausgangspunkt für eine deutlich längere Arbeit bis zum Roman zu nehmen und die Hektik des Endes effektiver zu glätten.

Die Symbiose zwischen absichtlich auch so provozierend als Parasit und Schmarotzer nicht selten entgegen der Erwartungen der Leser findet sich in einer Reihe von weiteren Texten.

Thomas Föller geht mit „Kopfkino“ technisch experimentell wie originell, aber inhaltlich nicht unbedingt befriedigend an das Thema heran. Zitate aus einer Handvoll am Ende aufgelisteten Genrefilme werden aneinander gebaut, um schließlich eine überdrehte Handlung zu ergeben. Es macht Spaß, die jeweiligen Quellen vor Ende der Story zu raten, aber durch diese Zitate kommt auch kein echter Handlungsfluss auf.   Auch „Parasitengeflüster“ von Hildegard Schäfer als Titelgeschichte wirkt nicht überzeugend genug. Durch die Kürze des Textes verschwimmt die mögliche Fokussierung ein wenig zu stark und regt den Leser nicht unbedingt zu einer allerdings notwendigen geistigen Fortsetzung an.

 Bettina Ferbus gewinnt mit „Stimmen“ der Idee der Parasiten im menschlichen Körper eine humorvolle Seite ab. Die Parasiten im Körper streiten sich, während ihr Wirt als verrückt gilt. Das Ende beinhaltet dann noch einen zusätzlichen tragisch komischen Höhepunkt.  

 Daniela Herbst,  Thomas Heidemann und Stefanie Uhrig beschäftigen sich auf einer intimeren  zwischenparasitären Ebene  mit den kleinen Mitbewohnern und lassen im direkten Zusammenspiel die globalen Komponenten aus. Aus diesen drei Storys ragt Daniela Herbsts "Stan" beginnend mit dem profanen Titel heraus.  Der Protagonist muss mit einem vorlauten Parasiten leben. Die Dialoge sind köstlich und lange Zeit ist der Leser der Ansicht, dass der Mitbewohner paranoid  ist, bevor auf den letzten Metern die Handlung buchstäblich auf den Kopf gestellt wird.  Köstliche Dialoge, ein wenig überspitzt gezeichnete Charaktere und für ältere Leser vielleicht eine Variation der  köstlichen Splatter Komödie "Brain Damage".

Bei Thomas Heidemanns "Crink" wird ein solcher Parasit im Grunde auf  eigenes Risiko in den Körper einer Jugendlichen eingepflanzt.  Der Autor versucht die Verbindung zwischen Wirt und Parasit zu beschreiben, bleibt aber in der solide geschriebenen Geschichte eher oberflächlich mit einem effektiven, aber auch nicht überraschenden Happy End.  Sie geht aber zwischen den anderen, sehr exentrischen und provozierenden Texten ein wenig unter. 

"Ferngesteuert" von Stefanie Uhrig spricht von einer besonderen Mission auf einem fernen Planeten, auf dem gerade eine Friedenskonferenz stattfindet. Der Plot ist geradlinig und das Schicksal der Sicherheitskräfte wird bis zu einem fatalistischen Ende sehr konsequent erzählt. Aber über den Hintergrund der Friedenskonferenz,  die Intentionen der einzelnen Gruppen bleiben vage und nehmen der Tragik gegen Ende ein wenig die Effektivität.  Ambitioniert gestaltet und konsequent umgesetzt, aber trotzdem ein wenig zu distanziert und im Verhält Inhalt/ Umfang nicht zufriedenstellend genug abgeschlossen.

 Natürlich dürfen auch die entsprechenden Drogentrips nicht fehlen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um freiwillig eingenommene euphorisierende Trips handelt wie in „Pik“ von Melanie Ulrike Junge oder bei Detlef Kluwers „Hunger“ um Versuche, hinter denen vielleicht auch das allgegenwärtige Militär steht. Die Folgen sind in beiden Geschichten fatal, wobei in „Pik“ den beiden Protagonisten noch eine zweite Chance wahrscheinlich für den nächsten Trip geschenkt wird, während Detlef Kluwer fatalistischer argumentiert. Dabei geht er auch deutlich ambivalenter vor, die direkten Auswirkungen dieser Sucht werden klar beschrieben, aber die Wege dahin schein vielfältig zu sein. Melanie Ulrich Junge dreht eher am Rad der experimentierfreudigen Junkies, wobei die Beschreibung des Trips durchaus ein wenig surrealistischer hätte sein können. Dagegen kann der Leser im Gegensatz zum ein wenig naiven Protagonisten schon relativ früh erkennen, was auch aufgrund der Thematik der Anthologie mit dessen Frau in Detlef Kluwers Geschichte nicht stimmt. Der Rest des Plot verläuft eher konsequent stringent als nachhaltig überraschend.  „Zweisamkeit“ von Thekla Kraußeneck ist einer der Texte, in denen die Pointe sehr schnell erkennbar ist. Es gibt zwar ein oder zwei herbe Szenen und der Epilog fügt diesem bizarren Kabinett nicht unbedingt auf einer rückblickend gänzlich originellen Note – auch „Candyman“ oder „Die Mumie“ haben sich an diesen Facetten versucht – zumindest ein zufrieden stellendes Ende hinzu. Katherine Mahr ergänzt diese Variante in „Countrysongs zum Trost“ im Grunde nur um die Idee der Besiedelung auf einem nicht abschließend untersuchten und zu früh zur Besiedelung freigegebenen Planeten. Dabei ist die Grundlage mit der innigen Liebesgeschichte zumindest von einer Seite deutlich ausbaufähiger. Tobias Reckermanns „Der Sektor“  bleibt dagegen zu experimentell oberflächlich, während Marie Jagst mit „Aufklärungsmission“ dem Parasitenbefall auf einer fremden Welt durch die Evolutionskette mit den Affenwesen als mittelbarer Überträger eine neue Komponente hinzufügt. Die Struktur ihrer Geschichte ist am geradlinigsten und durch die überzeugende Zeichnung ihrer Protagonisten unabhängig von dem erkennbaren Ende in diesem hier konzentrierten Subgenre eine der Lesenswertesten. 

„Splitbrain“ von Robert Friedrich von Cube ist eine dieser Geschichten, in denen der Leser abschließend nicht weiß, ob der „Parasit“ wirklich real oder nur zur Einbildung des einsamen, immer paranoider werdenden Freiwilligen auf einer im Grunde irrsinnigen Mission  ist.

An Bord eines gigantischen Frachters in der Einsamkeit des Alls unterwegs als Notfallhelfer beschreibt der Protagonist seinen stupiden Tagesablauf, der durch das Auftreten des inneren Kommentators plötzlich durchbrochen wird. Solide geschrieben mit einem zufrieden stellenden Ende.

 Carmen Wedelands „Schmetterlinge im Bauch“ ist einer der wenigen Texte, in denen beschrieben wird, wie die „Parasiten“ in die Menschen hineingekommen. Bei den meisten Texten sind sie einfach da und beginnen mit ihrem unsäglichen Verhalten. Es ist eine „romantische“ Liebesgeschichte allerdings nicht nur mit einem vorhersehbaren, deutlich

drastischer aus einem bestimmten Film bekannten Ende, sondern die Zeichnung der Protagonisten wirkt angesichts der emotionalen Brisanz ein wenig zu steif. Auch Uwe Post zeichnet in seiner Groteske „Geringeltes Gewürm“ das Leben mit dem Wurm nach. Sozialkritisch, zynisch und doch auch humorvoll originell mit dem interessanten Einfall, dass

die Würmer wie eine Art lange Haarlocke aus dem Kopf ragend das soziale Verhalten der Menschen ein wenig verändern. Ein interessanter und unterhaltsamer, natürlich auch ein wenig nachdenklich stimmender Abschluss der Anthologie.

Das Grundthema „Parasiten“ hat es den Autoren ermöglicht, in viele Richtungen zu schauen. Zwar ist eine Reihe von sehr unterhaltsamen Geschichten entstanden, die sich aber thematisch eher auf der Nuancenebene als grundsätzlich unterscheiden. Die Texte sind kurzweilig zu lesen und es empfiehlt sich, zwischen den einzelnen Kurzgeschichten Lesepausen einzulegen, damit die einzelnen Geschichten besser ihre manchmal auch sehr fiese Wirkung entfalten können. Aus der Vielzahl der Storys ragen aber nur wenige Texte wirklich grundsätzlich als technisch wie inhaltlich originell heraus, während die meisten Arbeiten der Idee der symbiotischen Beziehung mit einem Parasiten im Großen keine neue Richtung verleihen können.

  

  • Taschenbuch: 274 Seiten
  • Verlag: p.machinery Michael Haitel; Auflage: 1 (19. Oktober 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3957651093
  • ISBN-13: 978-3957651099