In der 42. Ausgabe der „Phantastischen Miniaturen“ geht es um Jules Verne. Einmal den Schriftsteller selbst, dann aber auch seine zahllosen Protagonisten, die er mit Liebe zum Detail und der Exzentrik entworfen hat. Erstaunlich ist, dass eine Reihe der hier vertretenen Autoren aber auch Karl May und dessen Helden mit in die Texte integriert haben.
So schreibt Monika Niehaus von einer Begegnung zwischen Karl May und Jules Verne, initiiert von zweien markanten „Dienern“ aus ihren Werken. Mit einer gewissen Altersweisheit sprechen Karl May und Jules Verne nicht nur über die Bedeutung ihres Werkes, sondern vor allem auch die aus ihrer Sicht falsche Rezeption durch die arrogante Kritik.
Auch bei Thomas le Blanc geht es um das Verhältnis zwischen Karl May und Jules Verne, wobei sich Jules Verne hinsichtlich der Frage seines Verlegers, Karl May in Frankreich populär zu machen, sehr pragmatisch verhält. Die Ironie dieser Miniatur liegt in der Idee, das die beschriebenen Abenteuer erlebt und gelebt worden sind und da hat Thomas le Blanc einen interessanten Ansatz.
Letztendlich präsentiert auch Ansgar Schwarzkopf mit „Der Reis am Mittelpunkt der Erde“ eine literarische Farce, in deren Mittelpunkt der französisch britische Literaturkonflikt steht. Kompakt, auch wenn gegen Ende ein wenig pragmatisch packt der Autor weniger fast grotesk erscheinende Ideen in diesen Text als in seine zweite Arbeit, deren Titel „Die Reise zum Mittelpunkt von Verne“ schon eine doppelte Bedeutung hat. Stadtschreiber haben es angesichts der Erwartungshaltung von Lokalpolitikern nicht leicht, aber dieser Jules schielt eher nach einem beschaulichen Leben, als sich mit den Besonderheiten des Paderborner Umlands auseinanderzusetzen.
Hans- Dieter Furrer lässt in „Der gestrandete Albatros“ Kara Ben Nemsi auf Robur treffen. Robur befindet sich auf dem Weg in eine Oase, um dort die Sammlung mechanischer Figuren zu besichtigen. Kurzweilig geschrieben hätte der Text angesichts des Szenarios sogar mehr Ausführlichkeit verdient.
Aber auch anderen fiktiven und historisch realen Figuren begegnen die Protagonisten Jules Vernes, wie Alexander Röder im zweiten seiner dreier Beiträge klar stellt. „Die Eroberer des Monds“ endend mit Sesproc geben sich ein reales wie fiktives Stelldichein. Mit einem Augenzwinkern durchfliegt der Autor die Jahrhunderte und kommt zu einem klarer Schluss.
Jules Verne als Mensch steht zum Beispiel in „Der Patient“ im Mittelpunkt der Handlung. Ein Psychiater lässt sich von einem jungen Jules Verne phantastische Geschichten erzählen. Die Pointe ist konsequent, aber auch ein wenig vorhersehbar.
In Wolfgang Pippkes „Nautilus“ muss der Franzose auch die Phantasie der Zukunft retten oder besser wieder erwecken. Jahrtausende in der Zukunft wird Jules Verne als Klon wieder erweckt, weil seine Geschichten so populär sind. Dabei basiert die Erweckung sogar auf einem Missverständnis, das die Wesen der Zukunft eine fiktive Figur aus dessen umfangreichen Werk ins Auge gefasst haben.
In der abschließenden Geschichte von Alexander Röder „Zwei bescheidene Vorschläge“ erhält Jules Verne von zwei jugendlichen Fans einige Ideen. Vor allem die fünfziger Generation wird mit Freude an ein besonderes Kinder- oder Jugendbuch sich erinnern, dessen Verfilmung Generationen vor den kleinen Bildschirm gebannt hat.
In Esther Geißlingers „Von der Eider zum Mars und zurück oder die wahren Ereignisse des 16. Juni 1881“ beschreibt Jules Vernes Bruder Paul die Begegnung mit einem Mann nicht nur aus der Zukunft, sondern vom Mars. Die Pointe mit der wahren Aufgabe phantastischer Schriftsteller ist nicht unbedingt neu, wird aber trotz aller frustrierender Ambivalenz zufrieden stellend vor- , aber nicht mehr abschließend aufbereitet.
Jacqueline Montemurris „Wenn der Schuss am Kilimandscharo erfolgreich gewesen wäre...“ verbindet das Werk Jules Vernes mit dem Autoren. Die Miniatur bleibt ein wenig vage hinsichtlich der plottechnischen Ausgestaltung des Endes, auch wenn das grundlegende Prinzip später auch in Val Guests Science Fiction Katastrophenfilm mit Atombomben versucht worden ist.
Mit Ideen des großen Franzosen spielen andere Autoren wie der mehrfach vertretene Alexander Röder. In „Das Schloss aus den Karpaten“ geht es um einen Journalisten, der ein aus den Karpaten in die USA transportiertes Schloss besuchen soll, in dem es nach seinen Recherchen garantiert nicht spukt. Der Autor trifft den Ton von Jules Vernes phantastischen Kurzgeschichten perfekt und präsentiert eine moderne Variation. Alleine der Journalist hätte aufgrund seiner präsentierten Recherchen vielleicht ein wenig schneller hellhörig werden können.
Ellen Nortons „Flaschenpost“ bezieht sich auf „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ aus der Perspektive eines Wesens, das mehr Aufmerksamkeit in der opulenten Verfilmung als Jules Vernes Buch erhalten hat. Augenzwinkernd erzählt ist die Suche dieses besonderen Wesens nur mittelbar von Erfolg gekrönt, wobei Rettung angeflogen kommt.
„Nur ein Finger“ von Monika Niehaus verbindet wie einige andere Geschichten „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ mit einem anderen, viktorianischen Klassiker des Genres. Die Argumentation ist nicht von der Hand zu weisen.
Wie bei einigen anderen Texten halten sich positiv gesprochen Respekt, aber auch ein wenig augenzwinkernde Ironie die Waage, wobei Ellen Norton auf einen handlungstechnischen Schwachpunkt der Jules Verne Vorlage sehr deutlich hinweisen lässt.
Egal ob als Medium zu seinem Schöpfer oder als Besucher in Jules Vernes Lesezimmer, Kapitän Nemo gehört zu seinen populärsten Protagonisten in dieser Anthologie. Monika Niehaus erweitert wie Phillip Jose Farmer mit seinem Buch „Das andere Log des Philias Fogg“ den bekannten Roman um eine interessante Facette. „Das Doppelleben der Mrs. Aouda Fogg“ beginnt mit der Ermordung des bekannten Weltreisenden. Die Ermittlungen erreichen im Grunde einen toten Punkt, bis wie der Titel impliziert, Aouda Fogg absichtlich ihre Verfolger provoziert. Spannend und ausgesprochen kompakt gehört diese Miniatur in eine ganze Reihe von Texten, denen man ein wenig mehr literarisches „Fleisch“ als Spannungsbeigabe gewünscht hätte. Aber auch in dieser kompakten Form ist sie ausgesprochen unterhaltsam.
An zweiter Stelle rangiert allerdings schon Servadac, der von einem an der Erde vorbei fliegenden Kometen in den Kosmos mitgerissen wurde. Friedhelm Schneidewind schreibt in „Gefährliche Rückkehr“ von den Beobachtungen der Astronomen, die vor einem die Erde streifenden Kometen warnen. Die Beobachtungen deuten an, dass Servadac eine wahre Geschichte niedergeschrieben hat. Rainer Schorm nimmt mit „Das letzte Perigäum“ die Fackel wieder auf und spricht von Servadacs letzter Freundschaftsmission. Während Schneidewind auf einen semidokumentarischen Stil zurückgegriffen hat, überzeugt Rainer Schorms Miniatur durch eine emotionale Wärme.
Thomas le Blanc zeigt in „Begegnung mit einem Zigeunerjungen“ auf, wo Jules Verne sich Ideen für seine Geschichten um Robur geholt haben könnte. Allerdings wird der phantastische Hintergrund nur bedingt aufgehellt und eine zufrieden stellende Erklärung findet sich nicht.
Karla Weigands „David Kosmos“ zeigt auf eine emotional ansprechende Art und Weise, was der Sinn solcher Unterhaltungs- und Abenteuerliteratur sein kann. Vor allem, dass diese Geschichten Menschen mit schweren Schicksalen helfend zur Seite stehen können. Auch wenn das Ende nicht unbedingt überraschend ist, geht die Autorin mit dem Thema ohne Kitsch und Pathos um. Das ist eine besondere Stärke dieser Miniatur, die im Grunde einen perfekten Schlusspunkt bildet.
„Jules 2020“ ist eine der stärksten „Phantastischen Miniaturen“ seit vielen Jahren. Wie bei der Karl May Hommage „Auf fremden Pfaden“ gehen die Autoren respektvoll, aber auch voller Phantasie und Ideen mit den Vorlagen um. Wer sich gerne dieser weiterhin außergewöhnlichen, sehr langlebigen Reihe nähern möchte, macht weder mit dem Karl May noch dem Jules Verne nichts falsch.
Kurzgeschichten mit Jules-Verne-Motiven
herausgegeben von Thomas Le Blanc
mit Texten von:
mit Texten von: Nadine Dennhardt, Hans-Dieter Furrer, Esther Geißlinger, Thomas Le Blanc, Jacqueline Montemurri, Monika Niehaus, Ellen Norten, Wolfgang Pippke, Alexander Röder, Friedhelm Schneidewind, Rainer Schorm, Ansgar Schwarzkopf, Karla Weigand
Februar 2020 - Broschüre - 80 Seiten - 3,00 Euro