Zum fünften Todestag der Autorin Susanne Haberland haben Marianne Labisch und Gerd Scherm mit dem Roman in Episoden „Die Fahrt der Steampunk Queen“ eine wunderbare Hommage und vor allem auch optisch einladende Hommage zusammengestellt. Die einleitenden Worte zu Susanne Haberland sind eindrucksvoll. Es ist wahrscheinlich für kaum einen Menschen nachvollziehbar, wie schwer es ist, mit der Gewissheit leben zu müssen, daß man nur noch eine sehr begrenzte Zeit zur Verfügung hat und wie man diese ohne Wehklagen oder Mitleid geschenkt zu bekommen effektiv und wahrscheinlich auch positiv gesprochen selbstbefriedigend einsetzt.
Neben den beiden Herausgebern haben sich zehn Autoren an diesem besonderen Gedenkband beteiligt. Ursprünglich sollte es nur eine Kurzgeschichtensammlung sein. Der gemeinsame Ort – im Grunde die Jungfernfahrt der neu ausgestatteten Steam Punk Queen mit Passagieren im Mittelmeer – lud aber ein, aus den einzelnen Geschichten eine Art Fugenroman zu machen. Die ursprünglichen Strukturen der Kurzgeschichten sind allerdings noch klar zu erkennen. So sollte der Leser die einzelnen Texte weder chronologisch noch als umfangreich zusammengebaut betrachten, sondern wie auf jedem Kreuzfahrtschiff mit einer vom Meer begrenzten Fläche finden die einzelnen Geschichten nebeneinander statt. Teilweise überlappen sich die Handlungsverläufe, ohne sich bis auf eine Ausnahme aktiv zu berühren. Das spiegelt sich vor allem bei den Ausflügen bzw. Veranstaltungen an Bord des Raddampfers wider.
In der vorletzten Geschichte der Mitherausgeberin Marianne Labisch „Das Tagebuch der Laura März“ fließen einzelne Ereignisse aus den Geschichten mit dem bizarren Reigen aus Todesfällen nicht selten durch mysteriösen Hintergrund, aber auch offensichtliche Verbrechen zusammen. Zusammengefasst aus der Perspektive der jungen Frau, die in der Poststelle des Schiffes ihren Dienst tut. Sie ist es auch, welche das erste „Verbrechen“ anonym dem Kapitän meldet. Ob ihre Vermutungen der Wahrheit entsprechen, bleibt nicht nur in Marianne Labisch Text offen.
Gerd Scherm ist nicht nur für die schönen kleinen „Passbilder“ der Passagiere und Besatzung am Ende des Buches zuständig. Er hat der Episoden auf sehr unterschiedliche Art und Weise illustriert. Hinzu kommt die Reiseroute inklusiv der Ausflüge, die unabhängig vom politischen Klima in diesem klar erkennbaren Europa in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts damals wie heute exotisch, eindrucksvoll und unabhängig von den verschiedenen Passagieren lehrreich ist.
Anfang und Ende gehören auch Gerd Scherm. In „Die Vorgeschichte zur Fahrt der Steampunk Queen“ beschreibt der Autor den Fund einer der für Steampunk so typischen wie unerklärlichen Energiequellen und den Umbau des altehrwürdigen Schaufelraddampfers. In „Der Bericht des Kapitäns“ beschreibt Gerd Scherm das Ende dieser einzigartigen Reise. Dabei bleiben viele Fragen offen und der Hintergrund nicht nur dieses Fugenromans, sondern des von den Autoren geschaffenen Universums wird deutlich wie unnötig reduziert.
Rainer Schorm erweitert den Steampunk Queen Kosmos mit „Der Geist des Alan Stevenson“. Wie ein altes Haus sollte auch ein ehrwürdiges Schiff einen „guten“ Geist an Bord haben oder wie in diesem Fall an Bord nehmen. Stimmungsvoll und atmosphärisch überzeugend eröffnet Rainer Schorm mit seinem Text die zwei Handvoll weiterer Geschichten. Auf der anderen Seite erkennt der Leser schon am ersten Text das einzige Manko dieses Romans in Episoden. Bis auf die Besatzung und einzelne Passagiere treten nicht selten vielschichtige, dreidimensionale Nebenfiguren – dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Menschen, Maschinen, Geister oder andere übernatürliche Wesen handelt – eben nur einmal auf. Immer wieder gibt es im Verlaufe der folgenden Geschichten Situationen, die prädestiniert für ihr Eingreifen wären. Aber Geschichtenübergreifend fehlt leider dieses verbindende Element. Technisch wäre es auch schwer darzustellen, hätte den Redaktionsschluss immer wieder hinausgezögert und vielleicht auch die Anthologie überfrachtet. Das ein Leser aber zum Beispiel den guten Geist des relevanten Besatzungsmitglieds Alan Stevenson vermisst, spricht für den Autoren.
Die Geschichten streifen eine Reihe von klassischen Steampunk Sujets. Nicht selten ist das „Herz“ eine wichtige Energiequelle. Sie erzeugt nicht nur elektrischen Strom, sondern sorgt bei Maschinenmenschen auch für Emotionen. So findet der Leser eine fast klassisch tragische Dreiecksgeschichte zwischen einem Erfinder/ Androiden; einer farbigen Sängerin und schließlich ihrem neuen Liebhaber. Der Titel von Ansgar Sadeghis „Ohne Volldampf in die Zukunft“ ist voller Ironie und gleichzeitig auch sehr wahr. Neben dem Rassismus nicht nur in den immer faschistischer werdenden südeuropäischen Ländern spricht der Autor die Schwierigkeit einer platonischen Freundschaft/ Liebe gegen Sex und echte Emotionen an. Die Protagonisten sind gut charakterisiert, der Plot könnte eine gute Basis für weitere Entwicklungen bieten.
An einer anderen Stelle wird mit der Idee des Schachtürken gespielt. Jeder geht davon aus, dass der Gnom im Körper der Maschine steckt. Die Wahrheit ist viel komplexer. Selbst eine absichtlich an Dracula erinnernde Gestalt sammelt Kinderseelen ein. Die Rettung naht in Form einer jungen Frau, die sich selbst niemals vorstellen konnte, eigene Kinder zu haben. In anderen Texten finden sich eine Reihe von Fantasy Elemente mit seltsamen Wesen. Auch wenn die Morde und vor allem das sich zu einer Art Running Gag entwickelnde Verschwinden von Passagieren – deren Vielzahl kann der Leser vor allem Marianne Labisch abschließenden Tagebuchaufzeichnungen der Angestellten im Rohrpostbüro des Schiffes entnehmen – kriminalistische Elemente aufweisen, handelt es sich weder um „Who done it“ Plots noch werden im klassischen Sinne Fälle gelöst. Es gibt einzelne Geschichten, in denen der Leser die Hintergründe erfährt und trotzdem bei der Crew oder den anderen Passagieren der Eindruck bleibt, es handelt sich um ein Verbrechen. Bei anderen Texten ist das nicht der Fall, da bleiben die Plots unabhängig von den inhaltlichen Hintergründen in erster Linie stimmungsgetrieben.
Neben diesen unterschiedlichen Passagieren finden sich sehr viele Erfinder an Bord. Gerd Scherm hat ja zu Beginn klar gemacht, dass der Antrieb des Schaufelraddampfers einzigartig ist. Aufgrund des Treibstoffes. Gegen Ende der Sammlung wird das Instrumentarium der Steampunk Queen noch um eine neue Erfindung erweitert. Im Gegensatz zu den vielen Erfindern und Erfindungen, die in den Passagierkabinen vorbereitet oder gemacht werden, wirkt der Einbau dieser Idee etwas kontraproduktiv, zu wenig spannend.
Für einen Kreuzfahrtroman spielt sich die Handlung bis auf wenige Anlandungen und Landausflüge vor allem an Bord des ambivalent hinsichtlich seiner Größe und seines Luxus erscheinenden Schiffes ab. Seefahrerromantik findet sich in erster Linie bei den Geschichten, die sich mit Technik und der Crew auseinandersetzen. Und das sind wenige Storys. Die Kompaktheit der Storys verhindert eine ausführlichere Entwicklung des Hintergrunds. An einigen Stellen hätte sich der Leser wahrscheinlich noch ein wenig mehr Atmosphäre, Charakterentwicklung und vielleicht weniger zu stringente Plotführung auf die nicht immer funktionalen Pointen gewünscht.
Zusammenfassend ist „Die Fahrt der Steampunk Queen“ trotz einiger kleiner inhaltlicher Kompromisse (Schwächen wäre es ein zu starkes Wort) vor allem ein optischer Genuss, der beginnend mit der interessanten, für einen Fugenroman guten Ideen über die verschiedenen, sich aber manchmal auch wiederholenden Geschichten hin zu den Zeichnungen und charakterlichen Skizzen des Mitherausgebers überzeugt. Überall finden sich Steampunk Elemente, sie sind aber nicht dominierend, um interessante, dem Subgenre aber skeptisch gegenüberstehende Leser abzuschrecken. Vor allem wird der handliche Bildband der eigentliche Intention, eine Würdigung der Autorin Susanne Haberland – mehr als gerecht.
- Herausgeber : p.machinery; 1. Edition (1. März 2021)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 144 Seiten
- ISBN-10 : 3957652383
- ISBN-13 : 978-3957652386