Fahrstuhl zu den Sternen

Arthur C. Clarke

Im Jahre 1979 veröffentlichte Arthur C. Clarke mit dem „Fahrstuhl zu den Sternen“ wieder einen technischen Roman im Gegensatz zu seiner sozialpolitischen Studie „Makenzie kehrt zur Erde heim“.  Im Nachwort macht Arthur C. Clarke deutlich, dass die Idee nicht neu ist. In den über vierzig Jahren nach der Erstveröffentlichung des wie „Rendezvous mit Rama“  sowohl mit dem HUGO und Nebula Award ausgezeichneten Romans ist die Idee des Fahrstuhls zu den Sternen von mehreren Autoren wie William Forstchen aufgenommen und über Arthur C. Clarkes originäre Idee hinaus weiterentwickelt worden.

Der Originaltitel zielt aber noch in eine andere Richtung. „The Fountains of Paradise“ bezieht sich  auf eine archäologische „Hinterlassenschaft“ auf der zu Clarkes Heimat gewordenen Insel Sri Lankas.  Neunzig Prozent des fiktiven Inselstaats Taprobane ist dem heutigen Sri Lanka, dem damaligen Ceylon nachempfunden. Der Palast von Yakkagala mit seinen Hinterlassenschaften entspricht den tatsächlich vorhandenen und von Arthur C. Clarke sehr genau beschriebenen Ruinen in Sigiriya.  

 Clarke nimmt sich vor allem im ersten Drittel des Buches sehr viel Zeit, eine authentische Atmosphäre zu erschaffen, in deren Zentrum ja die Zentralstation des Fahrstuhls platziert werden kann. Es ist eine von mehreren Exkursionen, die angesichts der Kompaktheit des Romans und der das Gesicht der zukünftigen Welt prägenden Thematik unnötiges Füllwerk darstellen. Allerdings die einzige, in welcher sich die fiktive Geschichte Sri Lankas sowie das Aufeinandertreffen von weltlichen und religiösen Ansichten mischen. Alle anderen Nebenhandlungen beziehen sich auf verschiedene andere Romane Arthur C. Clarkes, allerdings immer ein wenig "verschoben", als wenn der "Fahrstuhl zu den Sternen" ein neues Paralleluniversum ausbildet, dessen Wurzeln erkennbar sind, aber sich anders "entwickelt" haben.  

Wie in „Rendezvous mit Rama“  passiert in diesem Roman kein gigantischer künstlicher Hohlkörper, sondern eine unbemannte Robotersonde das Sonnensystems. Sie nimmt relativ schnell auf Englisch und chinesisch Kontakt mit den Menschen auf, ist bereit, bis zur technisch sozialen Stufe der Menschheit Wissen auszutauschen, rauscht dann allerdings nach dem Auftakten zum nächsten in Frage kommenden Sonnensystem ab. Auf wenigen Seiten provoziert der Atheist Arthur C. Clarke aber alle Religionsgemeinschaften. Die Sonde befindet sich in einem Zwiegespräch mit den Menschen.  Es ist offensichtlich eine programmierte künstliche Intelligenz, die kein Argument für eine Religion oder ein gottgleiches Wesen liefern kann. Damit stürzt sie die Religionsgemeinschaft zumindest in der Theorie in existentielle Krisen, die aber keine Auswirkungen auf zum Beispiel die kleine Mönchsgemeinde auf Sri Lanka hat. Diese kann sogar am Ende der Bauarbeiten mit dem Vatikan verhandeln, der in einer weiteren bissigen Note Clarkes aber selbst jeden Groschen umdrehen muss.  

Auf das Ende vom „Fahrstuhl zu den Sternen“ wird Arthur C. Clarke zu Beginn von „3001- Die letzte Odysee“- auch dieser Titel stimmt nach dem Erscheinen eines vierten Buches nicht mehr – noch einmal in leicht abgewandelter Form eingehen.

Dazwischen kommt es zu einem Gespräch zwischen dem leitenden Architekten bedeutender Projekte sowie der politischen Führung auf dem Mars. Dabei wird das Projekt Morgenröte erwähnt, das Schmelzen der Polkappen des Mars als erster Schritt des Terraformings. Diesen Prozess hat Arthur C. Clarke am Ende des auf deutsch gleichnamigen Romans "The Sands of Mars" fast dreißig Jahre vor "Fahrstuhl zu den Sternen" beschrieben.

Am Ende des Buches fasst Arthur C. Clarke verschiedene Themen in der Person des Besuchers von den Sternen zusammen. Das ist zum Einen die intergalaktische „Gemeinschaft“, die besonders auf Kinder achtet aus „Die letzte Generation“. Die Erde hat sich abgekühlt und die Menschen sind auch dank des Fahrstuhls zu den Sternen oder zumindest den erdnahen Orbit aufgebrochen, ein anderer Teil ist unter die Erde gegangen. Vor allem das letztere Szenario findet sich in Clarkes Kurzgeschichte „History Lesson“ wieder.  Die Beschreibung des Fremden erinnert an „The Possessed“, in welcher die prähistorische Erde allerdings Besuch erhalten hat. Clarke macht in „Fahrstuhl zu den Sternen“ allerdings deutlich, dass es bislang keinen direkten Kontakt zwischen den Außerirdischen und den Fremden vor einigen Jahrmillionen gegeben hat.    

Unabhängig von diesen Exkursionen hat der Leser nur selten das Gefühl, dass der Roman wirklich von der Erstpublikation ausgehend gute einhundert Jahre in der Zukunft spielt.  Alleine die Brücke zwischen Afrika und Europa über die Straße von Gibraltar und die nur indirekt angesprochenen Kolonien auf dem Mond und dem Mars – ebenfalls eine Idee aus verschiedenen zwischen den fünfziger Jahren bis zu „Rendezvous mit Rama“  veröffentlichten Romanen Clarkes – weisen auf den futuristischen Hintergrund hin.

Für den „Fahrstuhl zu den Sternen“ hat der Autor eine mikroskopisch feine Monofaser aus pseudo eindimensionalen Diamantkristall entwickelt. Erst in den letzten Jahren hat Clarke die Idee in verschiedenen Interviews und Artikeln modifiziert und geht inzwischen von einer anderen Art des Kohlenstoffs aus. William Forstchen wird in „Der Sternenturm“ auf Nanofasern zurückgreifen. Neben den politischen Exkursionen ist der größte Unterschied zwischen Clarkes technisch revolutionärem Buch und Forstchen deutlich dynamischere Geschichte das Fundament des Fahrstuhls zu den Sternen. Clarke geht davon aus, dass dieses Bauwerk nicht nur in Äquatornähe stehen muss, sondern aufgrund der tektonischen Herausforderungen Afrika ausfällt. So bleibt eben nur sein fiktives Sri Lanka Äquivalent und viel schlimmer ein heiliger Berg. Bei Forstchen bauen auch die Chinesen an einem Konkurrenzturm auf Land, welches das Zentralkomitee unter Kontrolle hat. Bei Forstchen geht es nicht so sehr um die Position des Turms wie bei Arthur C. Clarke.

Es ist erstaunlich, wie wenig Zeit Clarke in seinem Buch für den eigentlichen Bau aufwendet. Das letzte Hindernis „verschwindet“ basierend auf einer alten Legende quasi im Nichts. Anschließend beschreibt Clarke neben den ersten Tests eine Art Jungfernflug einer das Vorhaben seit Beginn begleitenden Journalistin und nach ungefähr der Fertigstellung des Grundlagen des Projektes eine spektakuläre Rettungsaktion einer Handvoll Wissenschaftler, die durch eine Verkettung unglücklicher Umstände bei den Fahrstuhlkabinen sich in luftige, aber auch sauerstofflose Höhe retten konnten.

Während die erste Szene vor allem auch in Hinblick auf die Vermischung von alter und neuer Architektur unter dem Einfluss dichterischer Freiheit die Imposanz diesen neuen Weltwunders – es wäre ja nach der Brücke das Neunte – ausführlich beschreibt, konzentriert sich Arthur C. Clarke in der zweiten langen Sequenz auf den menschlichen Willen, alle Hindernisse mit einer Mischung aus Erfahrung und Mut auch unter Lebensgefahr zu überwinden. Selten lagen in Arthur C. Clarkes Arbeiten Triumph und Tragödie enger zusammen.  Auf der emotionalen Seite zeichnet der Autor ein interessantes Bild des Architekten Morgan, der trotz seiner positiv gesprochen architektonischen Geltungssucht und dem Drang, der Menschheit in seinem Namen etwas für die positive Ewigkeit zu hinterlassen, menschlich bleibt. Einsam, nicht unbedingt verbissen und sogar ein echter Teamplayer, der die einzelnen Fähigkeiten seiner Mitarbeiter gut kombinieren kann. Vor allem erweist er sich natürlich mutiger Mann, der unter Lebensgefahr andere retten möchte. Eine Art John Maynard der Moderne. 

Der abschließende Bogenschlag weit über die Fertigstellung der Konstruktion  und damit allen bislang bekannten Charakteren hinaus wirkt abrupt. Die kosmische Version dahinter kann der Leser vor allem auch hinsichtlich Clarkes bisherigen und aus heutiger Sicht auch noch in den nächsten Jahren kommenden Gesamtwerks einordnen, aber bis auf Morgans finale Reise fehlt die Bindung zwischen diesem wirklich einzigartigen Bauwerk und dem Leser.

Angesichts der ausführlich beschriebenen ersten Schritte auf dem Weg zu den Sternen wirkt das finale Drittel des Buches zwar weiterhin packend und spannend, aber der ganze Plot erscheint auch unrund und nicht wirklich zufriedenstellend ausbalanciert. Als wenn Arthur C. Clarke wie sein unter Herzbeschwerden leidender Architekt Morgan müde geworden ist und der Brite das Buch schnell abschließen wollte.

Für Arthur C. Clarke spricht im Gegenzug, dass er nicht zum ersten Mal basierend auf einem Hard Science Fiction Thema seine Geschichte zu einer kosmische Odyssee inklusiv der in sich in seinem Werk  wiederholenden Begegnung mit intelligenten wie auch pazifistischen Außerirdischen macht und damit weit über den kleinen blauen Planeten hinausdenkt.  Auf der anderen Seite wirkt der Roman eben nicht nur mit dem kosmischen Besucher am Ende des Romans, sondern auch der von ihnen Jahrzehnte/ Jahrhunderte vorher ausgeschickten mit einer künstlichen Intelligenz ausgestatteten Sonde, sondern auch dem Bau des „Fahrstuhls zu den Sternen“ wie aus zwei voneinander unabhängigen, aber auch sehr unterschiedlich gewichteten Spannungsbögen zusammengesetzt. Mit den Exkursen und der zu hektischen zweiten Hälfte des Buches nach einer sehr langen, auch zufriedenstellenden Exposition verwischt Arthur C. Clarke leider auch einige der guten Eindrücke dieses Alterswerks. 

Fahrstuhl zu den Sternen: Roman

  • ASIN ‏ : ‎ B00IHDQTHA
  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag (25. Februar 2014)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Dateigröße ‏ : ‎ 977 KB
  • Text-to-Speech (Vorlesemodus) ‏ : ‎ Aktiviert
  • Screenreader ‏ : ‎ Unterstützt
  • Verbesserter Schriftsatz ‏ : ‎ Aktiviert
  • X-Ray ‏ : ‎ Nicht aktiviert
  • Word Wise ‏ : ‎ Nicht aktiviert
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 269 Seiten