Kurz vor ewig

Fritz Heidorn

“Kurz vor ewig” sammelt eine Reihe von Essays zu unterschiedlichen Themen, die der promovierte Erziehungswissenschaftler Fritz Heidorn in den letzten Jahren nicht nur zu Themen der Science Fiction, sondern vor allem auch hinsichtlich der Qualität der Literatur an sich geschrieben hat.  Neben Veröffentlichungen in Magazinen wie „Alien Contact“ oder „Pandora“ erschienen einige der Arbeiten in „Zukünfte“ oder „Gaia“. Einige Essays sind exklusiv für diese Sammlung geschrieben worden. Die Bandbreite der Essays mit der Idee des Menschen im Mittelpunkt  ist weit. Der künstliche Gott in Kombination mit vor allem dem buddhistischen Glauben vom ewigen Kreislauf von Vergehen und Entstehen , Zeitreisen, der Klimawandel, die Begegnung mit dem Fremden und schließlich auch Science Fiction und Musik.

Über diese Themen möchte sich der Autor nicht nur der Bedeutung dieses Genres im Allgemeinen, sondern den zugrundeliegenden Ideen einer Literatur nähern, welche aus der Vergangenheit kommend die Zukunft zu erfassen sucht.  Kim Stanley Robinson hat auf deutsch und englisch ein kurzweilig zu lesendes Vorwort beigesteuert, dass durch Fritz Heidorns Worte genauso ergänzt wird wie durch die Einführung, in welcher er auf Einsteins Universum und die Phantasie der Menschen eingeht.   

Heidorn provoziert aber gleich zu Beginn ein wenig zu sehr. Ohne Frage prangert er die Qualität der Science Fiction im Allgemeinen an. Trivialliteratur, Weltraummärchen und die Wiederentdeckung der qualitativ minderwertigen Pulp Geschichten haben die intellektuell stimulierende Science Fiction anscheinend an den Rand gedrängt. Leider geht der Autor nicht weiter auf diese Thesen ein, so dass sich der Leser unwillkürlich fragt, ob nicht das Eine das andere bedingt. Es ist wie ein gutes Essen. Man genießt und schätzt es. Aber jeden Tag möchte man es vielleicht auch nicht goutieren.  Als Erstes müsste der Autor zufriedenstellend definieren, was wirklich schlechte Science Fiction ist. In jedem seiner Essays weist Fritz Heidorn auf empfehlenswerte Bücher und Filme hin, wobei vor allem auf der kritischen Ebene in erster Linie mit absolutistischen Begriffen um sich geschmissen wird. Sowohl Fredrik Pohls  „Gateway“ Serie oder Clarkes teilweise mit Gentry Lee geschriebene „Rama“ Tetralogie werden unkritisch in den Himmel gelobt, ohne dass Heidorn differenziert. Dadurch negiert er eine Reihe von seinen Thesen. Natürlich sind die angesprochenen Bücher ambitioniert. Aber handelt es sich wirklich um gute Science Fiction? Sowohl Clarke als auch Pohl haben eine Reihe von Ideen recycelt und sowie nicht alle ihre Thesen entsprechen den Ausgangsbasen. Ambition alleine kann kein Grund sein, um zwischen guter und schlechter Science Fiction zu unterscheiden. Viele Ideen auch in trivialen Filmen oder Buchserien sind überdenkenswert. Hinzu kommt, dass Heidorn sich auch in anderer Hinsicht auf einem schmalen Grat bewegt. Ohne Frage richtig ist, dass weniger Wissenschaftler im Gegensatz zu früher Science Fiction schreiben und dass dadurch die wissenschaftlichen Grundlagen ein wenig verschoben sein könnten.  In einem Informationszeitalter muss ein gut gebildeter Mann aber nicht mehr Wissenschaften studiert haben, um mit Phantasie und einer soliden Recherche wissenschaftlich zufriedenstellende Science Fiction zu schreiben.  Heidorn hat vorher ja nicht gute oder schlechte Science Fiction definiert. Ohne Frage kommt es auch auf das Subgenre an, aber bei den hier vorgestellten, viel zu eng gezogenen Beispielen argumentiert der Autor ein wenig aus der hohlen Hand heraus. Auf der anderen Seite ist Heidorn ohne Frage ein kritischer Kommentator, der soziologische Strukturen allerdings sehr allgemeingültig besser definieren kann als das er exemplarisch einzelne Stärken der von ihm vorgestellten Werke herausarbeiten kann.  Er stellt im Grunde die Fiktion – sie ist allgemeingültiger als der Leser denkt – den Realitäten gegenüber Heidorn ignoriert vielleicht zwei Basen. Die reine Neugierde des Menschen am Geschichtenerzählen, die beginnend mit den ersten phantastischen Erzählungen im Einklang mit der wissenschaftlichen Forschung nach und nach zur bekannten Science Fiction geworden ist und wie stark die Realitäten eben in Form einer kontinuierlichen Weiterentwicklung die Thesen der Autoren eingeholt hat. Aber muss wie Heidorn erwähnt Science Fiction immer im „Einklang mit dem, gegenwärtigen Stand der naturwissenschaftlichen Theoriebildung“  stehen? Müssen sie sich an Einsteins Universum orientieren. Gerade die von ihm erwähnte Serie um die lange Erde als eines der zahlreichen Musterexemplare, mit denen vor allem Stephen Baxter in unterschiedlicher literarische Form herausgehoben worden ist, beweist das Gegenteil.  Baxter und Pratchett unterlaufen die verschiedenen naturwissenschaftlichen Bedingungen, in dem sie eine reine Fantasy Idee genommen und daraus eine Science Fiction Serie mit Paralleluniversen entwickelt haben. Nicht die erste Serie mit dieser Prämisse. Um Heidorn zu folgen, müsste dann die amerikanische Science Fiction Serie „Sliders“ auch gute und nicht schlechte Science Fiction sein, da sie sogar noch wissenschaftlicher als Pratchett/ Baxter an diese Grundidee herangehen und sie ebenfalls in einem dramaturgisch mehr und mehr stereotypen und somit langweiligen Format weiter entwickelt haben.  

Eines der größten Probleme ist, wenn Heidorn auf aktuelle Themen wie Science Fiction und die Demokratie eingeht. Hier erwähnt er neben dem allgegenwärtigen Lem zum Beispiel Ben Bova, Philip K. Dicks „Orakel vom Berge“ oder Andreas Eschbach als Beispiele für Romane, die sich mit Politik im Allgemeinen und einer guten Regierungsform im Besonderen auseinandersetzen.  Hinzu kommt Frank Herbert, der in seinem Epos „Dune“ alle demokratisch diktatorischen Gedankenspiele aufgeführt hat. Wer sich aber an die ersten Bücher erinnert, wird neben der Diktatur vor allem Schurken um den Padischah und das Haus Harkonnen erkennen, während die Atreides herrschaftstechnisch auch keine Demokratie verkörperten, sondern eine bedingte Form der Oligarchie. Die Fremenkultur ist zu wenig ausgearbeitet und scheint einen religiösen Herrscherkult zu bevorzugen, so dass auf der einen Seite alle Ideen und weniger Ideale von Regierungsformen durchgespielt werden, aber keine Demokratie. Auch Paul Muad´Dib und später seine Schwester Alia verkörpern nicht diese Ideale. Vor allem ist das Thema so komplex, dass diese Kurzform nicht ausreichend ist. Es gibt sehr viele andere gut geschriebene Science Fiction Romane, in denen weniger extrapoliert wird, als gegenwärtige Strömungen beginnend mit dem Faschismus und endend in der amerikanischen Paranoia der Gegenwart kritisch hinterfragt werden. Auch hier ist Philip K. Dick ohne Frage ein Autor, der absichtlich den Realismus zu zertrümmern beginnt. Das Essay um die Demokratie wie auch die Auseinandersetzung mit der Idee der Zeitreise zeigen die Schwächen des vorliegenden Sammelbandes. Die Artikel konzentrieren sich vor allem auf die zugrundeliegenden, außerhalb des Genres definierten  sozilogischen Eckpfeiler und versuchen dann zu wenige gute und im Umkehrschluss gar keine schlechten literarischen Beispiele herauszuarbeiten.  

Natürlich ist es erstens positiv, dass Heidorn ein Querdenker ist. Er folgt nicht den ausgetretenen Pfaden anderer Autoren und listet sklavisch deren Empfehlungen ein wenig die Begründung um verklausulierend  wieder auf. Er sucht nach anderen Werken, findet aber kaum Neuland. Wer sich mit dem Genre auskennt, wird nur wenige neue Perspektiven erhalten und muss erkennen, dass Heidorn weniger auf schlecht geschriebene Science Fiction gesetzt, sondern die Ideen der Science Fiction hier zusammengefasst hat. Viele Klassiker stehen in Reih´und Glied mit einigen sehr wenigen neueren Werken, wobei interessant ist, dass der Autor durchaus kein Puritaner ist. Er schätzt die umstrittene Erweiterung von Asimovs „Nightfall“ genauso wie die klassische Kurzgeschichtenvorlage.  

Der Titel ist aber in einer anderen Hinsicht Programm. „Kurz vor ewig“ ist trotz der angesprochenen Schwächen aufgrund der Bandbreite ein auf Stichproben basierender Versuch, sekundärliterarisch Ordnung in die Themenwelt der Science Fiction zu bringen. Natürlich will der Autor auch die Spreu vom Weizen trennen, aber hier greift er nur zum vollen Korn. Die Mischung aus verschiedenen auf den ersten Blick wissenschaftlich als Grenzthemen einzuordnenden Bereichen in Kombination mit den harten, die ersten Artikel bestimmenden Wissenschaften  bildet dank der angesprochenen meistens Genrefans nicht unbekannten Lektüreempfehlungen vor allem wegen der sehr gut lesbaren weiter extrapolierenden Ausführungen auf einer eher allgemeingültigeren Basis eine zufriedenstellende, stellenweise aus zu Diskussionen verführende Lektüre.    

Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte der Science-Fiction aus Kosmologie, Religion und Literatur
Klappenbroschur,  231 Seiten, 6 Abbildungen, Vorwort von Kim Stanley Robinson
Verlag Dieter von Reeken – ISBN 978-3-945807-08-8

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