Brücken über dem Weltenraum

Ludwig Anton

Mit „Brücken über dem Weltenraum“ legt Dieter von Reeken einen ursprünglich im Jahre 1922 noch unter dem langen erdrückenden Versailler Vertrag verfassten utopischen Roman neu auf. Zehn Jahre später ist das Buch auch in den USA erschienen, was generell für deutsche Science Fiction Romane eine Seltenheit darstellt.

Der Autor Sigmund Krauss verfasste unter dem Pseudonym Ludwig Anton eine Reihe von utopisch technischen Geschichten, von denen nur der Krimi „Der Kiek“ nicht dem Genre zugeordnet werden kann. Geboren 1872 in Wien ist Ludwig Anton 1941 in der österreichischen Hauptstadt gestorben.

Der Untertitel lautet „Ein Roman deutscher Zukunft“. Herausgeber Dieter von Reeken spricht neben den rassistischen Bemerkungen im Text auch die politisch revanchistische Ausrichtung des Buches gegenüber dem verlorenen Ersten Weltkrieg und dem Diktat des Versailler Friedensvertrags an.  Mit Intelligenz und Ingenieursmut soll Deutschland wieder an die Spitze der Welt geführt und die Tyrannei der Alliierten abgeworfen werden. Ludwig Anton ist nicht der einzige Autor, der diesen technokratischen Großmannsüchten in dieser Ära der politischen Wirrnisse und der aus der Not geborenen Weimarer Republik nachgehangen werden. Weniger expressiv, aber durchaus erkennbar hat Hans Dominik vergleichbare Romane verfasst.

Interessant ist, dass der Hauptplot ein Rückblick mit einem erstaunlich offenen, hektisch fast zusammengefassten offenen Ende ist. Im eigentlichen Bericht werden die revanchistischen Tendenzen sogar relativiert und einer der Protagonisten schlägt einem Franzosen zu, das alte Reich Karls, des Großen wieder auferstehen zu lassen. Mit Frankreich aufgrund des gewonnen Krieges als führende Kraft, mit den umstrittenen Gebieten von Elsass Lothringen als neutralen Staat und einer Angliederung einzelner anderer Länder in Form eines Staatenbundes.  Das aus deutscher Sicht ungeheuer großzügige Angebot wird hinterhältig vom Franzosen unterminiert, bis dieser ohne Papiere bewusstlos an einem entlegenen Strand abgelegt wird.

In der Haupthandlung spielen aber die Gedanken an den verlorenen Ersten Weltkrieg eine wichtigere Rolle. So kommen die Erfindungen viel zu spät, um das Kriegsglück noch zu wenden. Dabei hätte der Protagonist – ein aktives Mitglied der Artellerie – noch rechtzeitig mit das Ruder herumreißen können. Die Entdeckung des Wunderstoffes „Varium“ hilft schließlich, die Schleppe des Krieges nicht zu überwinden, aber Grenzen zu durchbrechen.

Nur am Ende dieses Rückblicks müssen sich die Weltraumforscher noch einmal gegen zwei Kriegsschiffe durchsetzen, welche die als Ausgangsbasis auserkorene Insel bedrohen. Ludwig Anton extrapoliert den Luftkrieg mit Luftschiffen gegen Seeschiffe, in dem das Multifunktionsfahrzeug – es kann auch unter Wasser operieren, allerdings auf der Venus nur in einer begrenzten Tiefe – die beiden Kriegsschiffe natürlich nach einer entsprechenden Warnung angreift und vernichtet.

Im Rückblick erfährt der Leser die klassische „Entwicklung“. Die drei deutschen Forscher und ehemaligen Offiziere verbünden sich mit einem reichen Amerikaner. Er sorgt für die Finanzierung, während die das Projekt intellektuell führenden Männer die ausführlichen Vorbereitungen treffen.

Ludwig Anton spannt hier einen breiten Rahmen. Auch wenn vor allem deutsche Kräfte angeheuert werden soll, dient eine einsame Insel als Basis, um die Weltraumschiffe zu erbauen. Mit vielen Annehmlichkeiten ausgestattet soll dort friedlich und nur bedingt für Deutschland die mögliche Besiedelung der Venus vorangetrieben werden. Der Exodus der arbeitstechnisch angesehenen Elite möglichst mit Frauen, Freundinnen oder Kindern wird minutiös geplant. Dabei spricht niemand von neuem Land, das zu gewinnen ist. Viel mehr sind es die untragbaren Lebensbedingungen im geknechteten Deutschland, welche diese Männer und Frauen zu echten Pionieren auf einer urwüchsigen Welt werden lassen soll.

Im Gegensatz zu Hans Dominik, der Wert darauf legte, die deutsche Ingenieurskunst mit Spionen oder Saboteuren zu konfrontieren, um sie am Ende heller strahlen zu lassen, kommen die Mitglieder der Siegermächte immer einen Schritt zu spät. Es gibt zwar im Rahmen einen Denunzianten, aber der souveräne Offizier an Bord des gigantischen Luftschiffes kann die überforderten Besatzerkräfte überzeugen, dass es besser ist, beide Augen zuzudrücken. Auf der Insel schreiten die Arbeiten erstaunlich ruhig voran und die technischen Herausforderungen werden nicht selten als Teamarbeit auf einer erstaunlich pragmatisch intellektuellen Ebene erledigt. Echte Spannung kommt nicht auf.

Selbst der größte Teil des Fluges zu Venus wird nicht nur von den Lesern, sondern auch einem Teil der Protagonisten förmlich verschlafen. 

Die Venus ist wie bei vielen Romanen dieser Zeit eine urweltlich tropische Gluthöhle unter dichten Wolken. Viele der beschriebenen Szenen wirken wie eine Kopie aus anderen bekannten Stoffen. Auch die Perry Rhodan Serie hat in seinen ersten Heftromanen eine vergleichbare Atmosphäre erschaffen.

Bei der Lektüre muss man bedenken, dass das Buch 1922 verfasst worden ist. Viele der Szenarien, die wie Kopien erscheinen, sind deutlich später erschienen. So hat Burroughs erst in den dreißiger Jahren mit seinem fünfteiligen „Amtor“ Zyklus die Venus besucht.

Die Pflanzen und Tierwelt werden auf der einen Seite bizarr beschrieben. Selbst Dinosaurierreste werden gefunden.  Auf der anderen Seite orientieren sich die Forscher immer wieder an den bekannten Evolutionstheorien und versuchen tatsächlich eine Grundlage für die Besiedelung der Welt zu finden. Ob dieses Ziel wirklich nachhaltig umsetzbar ist und sich ausreichend Freiwillige finden, wird nicht weiter diskutiert. Die ausgebildeten Menschenmassen stehen „quasi“ vor der Tür, zumal die Finanzierung des Unternehmens dank der Diamantenfunde auf der Venus mittels einer falschen Miene auf der Erde gesichert ist.

Es ist schade, dass Ludwig Anton den Text nicht fortgesetzt hat und sich mit dem angesprochenen Zeitraffer begnügt. Einzelne der beschriebenen Szenen sind wirklich interessant und hätten eine größere Aufmerksamkeit verdient. So wirkt der Roman hektisch abgeschlossen.

Herausgeber Dieter von Reeken hat auch die euphorische Einleitung des englischen Textes aus dem Magazin Wonder Stories Quarterly“ vom 15. Dezember 1932 nachgedruckt und auf die Illustrationen der amerikanischen Ausgabe von Frank R. Paul zurückgegriffen, um so einen perfekten Zwitter aus den beiden bekannten Veröffentlichungen herzustellen. Der Einleitungstext ist unglaublich euphorisch, schießt bei den Lobpreisungen der wissenschaftlichen Grundlagen genau wie bei der spannungstechnischen Dynamik des Plots deutlich über das Ziel heraus. Aber alleine der Nachdruck selbst ergänzt diese seltene wie empfehlenswerte Ausgabe. 

In vielen Punkten stellt „Brücken über dem Weltenraum“ ein Kuriosum dar. Ludwig Anton fehlt das Gespür für eine klassische Dramaturgie, die Hans Dominiks Bücher so auszeichnete. Dadurch erscheint der Text viel älter als er in Wirklichkeit ist. Ganze Passagen erinnern an die utopische Literatur aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Das Fatalistische, der offensichtliche Hass gegen die aus Sicht des Autoren vermeidbare Niederlage sind ein Zeugnis seiner Zeit. Aus diesem Blickwinkel sollten auch die verbalen Exzesse beurteilt werden, wobei ein Freder van Holk sich zu ähnlichen Entgleisungen in seinen beiden populären Serien „Sun Koh“ und „Jan Mayen“ hat hinreißen lassen.

Der technisch ambitionierte Teil mit einer friedlichen Besiedelung der Venus nach einem gewissen ökologischen Anpassungsprozess beginnend auf einer einsamen Insel ist der positiv gesprochen Höhepunkt des Romans. Auch wenn Ludwig Anton stilistisch eher distanziert mit sehr getragenen Dialogen die Ereignisse beschreibt, ist die Planung minutiös oder wie das amerikanische Vorwort sagt, von deutscher Gründlichkeit. Das macht die Lektüre aus literaturhistorischer Sicht so interessant, da einige Elemente dieses Buches in den dreißiger und vierziger Jahren auch in die Golden Age Science Fiction der Amerikaner eingeflossen sind.

„Brücken über dem Weltenraum“ ist literarisch ein unterhaltsamer Roman mit den angesprochen politischen Einschränkungen, dessen Neuauflage, vielleicht auch Neuentdeckung das Spektrum der technisch utopischen Weltkrieg zwischen den beiden Weltkriegen um eine wichtige Facette wieder für die gegenwärtige Lesergeneration erweitert.  

 

Ein Roman deutscher Zukunft
Neuausgabe des 1922 erschienenen Romans
Paperback, 242 S., 14 Abb., 17,50 €