Rock n Roll und Science Fiction: Wie die Bundesrepublik modern wurde

Rainer Eisfeld

Bei “Rock´n Roll und Science Fiction” handelt es sich um eine komplett überarbeitete Neuauflage von Rainer Eisfeld “Wenn Teenager träumen” aus dem Jahr 1999.

 Rein optisch fällt der Unterschied schon ins Auge. Während die Erstauflage in erster Linie aus Text bestanden hat, haben Rainer Eisfeld und Dieter von Reeken bildtechnisch in die Vollen gegriffen. Fotos von populären Stars wie Elvis oder Peter Krause; Abbildungen von für die fünfziger Jahren so stilbildenden Möbelstücken wie den Nierentischen bis zum glitzernden Kasten der Freiheit für die Jugend – der Jukebox. Dazu für das zweite Schwerpunktthema Science Fiction eine Reihe von Titelbildnachdrucken. Farbe und schwarzweiß wechseln sich ab und machen das Durchblättern schon zu einem Lesevergnügen.

 Anlass dieser Neuauflage ist wahrscheinlich auch eine Filmreihe vom WDR, welche Motive aus der 1999 veröffentlichten Erstauflage für einen zwanzig Minuten langen Film mit dem Titel „Elvis und das magische Auge“ nutzen. Auf diese Dreharbeiten geht Rainer Eisfeld im neuen Vorwort ausführlich ein. Anschließend stellt er in der alten Einführung dar, dass diese persönlich gefärbte Studie einer bundesdeutschen Modernisierung von unten bzw. in erster Linie von der neuen Generation ausgehend vier Schwerpunkte hat: Kino und Kleidung, Musik und Lektüre. Rainer Eisfeld geht es um eine zwar subjektive gefärbte, aber objektive Betrachtung der Aus- und auch Aufbrüche in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre. Als Augenzeuge gelingt es dem Autor aus erster Hand, die Zeit noch einmal bildhaft und vor allem dreidimensional nicht selten auch mit dem entsprechenden Augenzwinkern lebendig zu machen. Dabei geht es Rainer Eisfeld weniger um eine sozialpolitische Betrachtung der Bundesrepublik inklusiv der inneren Befreiung von der Naziherrschaft, sondern um den Versuch, die Distanz zwischen der Elterngeneration und ihren klassisch klischeehaften Vorstellungen einer Heimat in der eigenen Wohnung, vielleicht in seltenen Fällen dem eigenen Haus inklusiv des dominanten für die Ewigkeit gebaut Wohnzimmerschranks und den Jugendlichen zu untersuchen, die nicht mehr zum Volkssturm eingezogen werden könnten oder in den deutschen Städten die nächste nächtliche Bomberwelle erwarten mussten.

 Dabei macht der Autor auch deutlich, dass nicht jede jugendliche Rebellion ein Aufbruch zu neuen Ufern ist und nicht jeder sich autoritär gebärdende Vater gleich ein Tyrann ist. Mit dieser ambivalenten, aber auch pragmatischen Haltung den fünfziger Jahren und dem Eltern/ Kinderkonflikt gegenüber beschreibt Rainer Eisfeld im Grunde ein Szenario, dass es vorher wie auch nachher immer wieder mit unterschiedlichen Prämissen gegeben hat und geben wird.

 Und trotzdem sind die fünfziger Jahre abseits des sich langsam entfaltenden Wirtschaftswunders eine besondere Zeit für die Bundesrepublik. Nicht nur was das langsame Erlernen von Eigenverantwortung, aber auch Demokratieverständnis angeht, sondern vor allem auch den populistischen Einfluss aus den USA, die was die Mode – Nietenjeans -, das Kino mit seinen Rebellen wie James Dean; die Musik mit Elvis oder Bill Ramsey oder selbst die heute unbequem und hässlich wirkenden Möbel angeht. Vor allem die Jugend legte zumindest für eine kurze Zeit sehr zum Entsetzen der Eltern das „Urdeutsche“ ab und orientierte sich an den USA, der auch hinsichtlich der Wirtschaftshilfe führenden Macht, während viele aus der Elterngeneration noch zwischen den Kriegstraumata und der beginnenden wirtschaftlichen Entwicklung hin und her taumelten.

 Anstatt aber von oben herab über diese Zeit zu dozieren, fügt Rainer Eisfeld beginnend mit einer alltäglichen Situation- eine neue Hose muss für den Sprössling gekauft werden – Beispiel an Beispiel. Das macht dieses Bändchen nicht nur so lesenswert, sondern vor allem auch für die nachkommenden Generationen so zugänglich.      

 In seinem Nachwort mit einer Reihe von das Thema des Buches ergänzenden Literaturempfehlungen nicht nur akademischer, sondern vor allem populärer Herkunft schlägt Rainer Eisfeld auch den Bogen zu seinem eigenen Buch „Die Zukunft in der Tasche“ und Heinz J. Galles „Wie die Science Fiction Deutschland“ eroberte. Während Rainer Eisfeld „Die Zukunft in der Tasche“ als Reminiszenz an die Pionierjahre der Science Fiction und des Fandoms gesehen hat, konzentrierte sich Heinz J. Galle auf die einschlägige Leihbuch, Heftroman und Taschenbuchszene. Die große Klammer um diese beiden empfehlenswerten Bücher ist „Rock´N Roll und Science Fiction“. Auch wenn Rainer Eisfeld auf die eigene Karriere als Übersetzer von Heftromanen eingeht und auch wichtige frühe Publikationen wie die Rauch Hardcover streift, liegt der Fokus auf den sozialen Möglichkeiten, welche auch der Science Fiction wie amerikanischen Krimis oder französischen Filmen die Türen in Westdeutschland öffneten. Vieles war in dieser Zeit in Bewegung, aber das Meiste bei Weitem nicht so schlimm, wie es die biedere Presse gerne machte.

 So steht bei den Verlagen der Rowohltverlag aus damals noch Reinbek im Mittelpunkt des Geschehens.  Seine Taschenbücher öffneten nicht nur der breiten Literatur von Hemingway bis zum heute leider vergessenen Wolfgang Borchert – bis in den achtziger Jahre Pflichtlektüre zumindest auf den norddeutschen Gymnasien – die Tür, sondern machten Literatur populär. Im Fahrwasser der Veröffentlichungen des Rowohltverlags begannen auch die Lehrer andere Bücher im Deutsch oder Englischunterricht vorzustellen.

 Auch von Seiten der Musik mit Bill Haley oder Elvis, aber auch  Filmen wie „Saat der Gewalt“ und natürlich zwei der drei James Dean Filme – „Giganten“ passte nicht in diese Perspektive –  veränderte sich die Einstellung der Jugendlichen. Rainer Eisfeld macht es sehr viel Spaß, die deutschen Versuche, den amerikanischen Einfluss zurückzudrängen, ausführlich zu beschreiben. Pennälerkomödien und Peter Kraus sowie Conny Froboess. Rainer Eisfeld spricht die Generationen in diesem Buch an, die entweder mit ihm aufgewachsen sind. Für diese öffnet sich ein Strauß von Erinnerungen. Für die Generation nach 1980 wird es vielleicht schwerer, diesen nicht nur sozialen, sondern auch kulturellen und wirtschaftlichen Übergang von der Nachkriegswirtschaft – bei einigen ewig Gestrigen ist das Reich nicht untergegangen, da muss dann von der nationalsozialistischen Planwirtschaft gesprochen werden – zu einer noch jungen und vielleicht in einigen Teilen noch unerzogenen Demokratie nachzuvollziehen. Staunend werden sie erfahren, dass die Ostermärsche keine Erfindung der achtziger Jahre mit dem Nato Doppelbeschluß gewesen sind und das John Brunner auf der einen Seite populäre Pulp Science Fiction lange vor seinen Meisterwerken geschrieben, während er auf der anderen Seite den Ostermarschierern ihre Hymne verfasst hat. Die Verzahnung zwischen dem weit gefassten Science Fiction Genre und der damaligen Gegenwart ist allgegenwärtig, aber nicht unbedingt notwendig.

 So nehmen die Gassenhauer von Eddie Constantine einen breiteren Raum ein als die Science Fiction Film dieser Zeit. Vielleicht weiß man nach einem Eddie Constantine – lange Zeit, bevor James Bond die Leinwand eroberte – eben besonders cool sein konnte. Interessant ist, dass im Gegensatz zu Peter Kraus und Conny Froboess der Franzose mit seinem markanten Gesicht auch heute noch Fans hat, wie ein ausführlicher Artikel im „Video Watchdog“ vor einigen Jahren bewiesen hat.

 Rainer Eisfelds Buch ist aber noch in einer anderen Hinsicht ein interessantes Prequel. Der ebenfalls aus dem Fandom stammende Jens Balzer hat im Rowohlverlag – hier schließt sich ein weiterer Kreis – sowohl die siebziger als auch die achtziger Jahre Revue passieren lassen. Während der auch als Musikkritiker bekannte Jens Balzer wie Rainer Eisfeld die achtziger Jahre sehr bewusst als Teenager miterlebt hat, schreibt er über die siebziger Jahre in seiner pointierten Art natürlich aus einer Rechercheblase heraus. Aber gemeinsam mit Rainer Eisfeld hier wieder vorliegenden Essay über die fünfziger Jahre bilden diese drei Bücher genau wie die Eisfeld/ Galle Zeitgeschichte ein vielschichtiges, vor allem aber lebendiges Bild der sich stetig auch widerwillig wandelnden Bundesrepublik und ihrer verschiedenen Generationen.

Wer nur auf die Science Fiction Geschichte steht, wird von diesem Band wahrscheinlich ein wenig enttäuscht sein. Rainer Eisfeld hat erst in „Die Zukunft in der Tasche“ einzelne Informationen aus der Erstauflage dieses Buches ergänzt, aber vor allem seine eigene Geschichte/ seine eigenen Fandomerlebnisse in „Die Zukunft in der Tasche“ erzählt. Allerdings kehrt Rainer Eisfeld in der Neuausgabe nicht nur in die fünfziger Jahre zurück, sondern unter anderem mit Hinweisen auf die Ausstellung „Jünger der Zukunft“ zu seinen persönlichen Anfängen. So ist diese vorliegende Studie Anfang und hoffentlich nur ein vorläufiges Ende der Niederschrift eigener Erinnerungen. Nicht nur durch diesen Rahmen ist   „Rock´n`Roll und Science Fiction“ wie eingangs erwähnt vielschichtiger und wirkt dadurch vielleicht weniger fokussiert. Aber diese Breite sollte der Leser auch als Einladung betrachten. Nicht umsonst findet sich im Anhang dieses Büchleins nicht nur ein Personen-, sondern vor allem auch ein Film und ein Musikverzeichnis. In einem Punkt ist dieser Streifzug durch die fünfziger Jahre mit einem ganz kleinen Blick über den Tellerrand in die sechziger Jahre aber einmalig. Rainer Eisfeld zeigt auf, dass sich alles ändern kann und auch ändern muss, damit es in einem Punkt bleibt wie es ist: das Kopfschütteln der Elterngeneration über das Treiben ihrer Sprösslinge.     

Rock'n'Roll und Science Fiction: Wie die Bundesrepublik modern wurde

  • Herausgeber ‏ : ‎ Reeken, Dieter von; 1. Edition (9. Dezember 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Broschiert ‏ : ‎ 161 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 394580762X
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3945807620
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