Clarkesworld 197

Neil Clarke (Hrsg.)

Der schwache Jahresauftakt 2023 mit “Clarkesworld” 196 setzt sich teilweise in der nächsten Ausgabe fort. Auch wenn sich Herausgeber Neil Clarke in seinem Vorwort eher auf die besten Geschichten und Titelbilder – acht von zwölf! -- des Jahres 2022 konzentriert. Douglas F. Dluzen schreibt über das erweiterte Repertoire der Gene. Mit jedem Schritt, den die Forschung unternimmt, wachsen natürlich auch die Risiken. Aber Dluzen wendet sich von den dunklen Gedanken ab und konzentriert sich auf die Erfolge der Forschung.

Arley Sorg interviewt mit Kelly Barnhill eine inzwischen etablierte Fantasyautorin und mit Ian McDonald einer der profilitiersten Science Fiction Autoren der letzten Jahre. Kelly Barnhill geht auf ihre Karriere neben der Rolle als dreifache Mutter ein. Auch wenn ihr das Schreiben im Blut liegt, war es nicht gleich die Absicht, aus der Schublade in die Bestsellerliste zu kommen. Ian McDonald dagegen spricht vor allem über seinen neuesten Roman, der gleichzeitig auch ein Blick auf den Beginn seiner Karriere zurück ist. Beide Interviews sind ausführlich und geben einen sehr guten Einblick über die vorgestellten Bücher hinaus.

Wieder finden sich zwei Novelletten und fünf Kurzgeschichten in der Februarausgabe von „Clarkesworld“. Ein thematischer roter Faden ist dieses Mal nicht zu erkennen. Auch die Übersetzungen aus dem Spannischen lassen noch auf sich warten.  

Yukimi Ogawa hat für ihre Geschichten immer wunderschöne Titel ausgesucht.  “The Portrait of a Survivor, Observed from the Water”. Ein Raumschiff ist auf einem Planeten notgelandet, abgestürzt oder einfach nur zurückgelassen worden. Diese Details spielen im melancholisch angelegten Plot keine wirkliche Rolle. Das einzige menschliche Besatzungsmitglied ist seit vielen Jahren tot. Das Raumschiff liegt im Wasser und verrottet. Die künstliche Intelligenz an Bord sieht einen vergleichbaren Verfall an einem kleinen Roboter am Ufer. Yukimi Ogawas Ausgang Prämisse ist interessant. Aber die Autorin versucht in stilistisch technischer Hinsicht zu viel.  Überambitioniert geht sie das Risiko, den Leser zwischen den ohne Not wechselnden Perspektiven zu verlieren, anstatt den Plot ruhig und atmosphärisch überzeugend zu entwickeln. Am Ende zeigt sich, das die Geschichte über keine Pointe verfügt. Die ist nicht unbedingt notwendig, wenn der Weg interessant ist. Aber der Weg wirkt unnötig kompliziert und nicht komplex genug, um seine eine Kurzgeschichten zu rechtfertigen.  

Auch bei Samantha Murray geht es um Einsamkeit, das Verlassensein. Auch hier handelt es sich um ein Raumschiff mit künstlicher Intelligenz, das seine Besatzung während einer Meteoriten Kollision im All verloren hat. Die Roboter an Bord des Schiffes zeigen inzwischen ein auffälliges Verhalten, ohne dass die Autorin eine Erklärung nachschiebt. Auch hier erdrückt die Komposition der Geschichte den Inhalt. Vieles wirkt bemüht und vor allem der rudimentäre wissenschaftliche Hintergrund wird von der Autorin immer wieder falsch bemüht.   

Eric Schwitzgebels „Larva Pupa Imago“ ersetzt die künstlichen Intelligenzen der ersten beiden Geschichten durch eine außerirdische Rasse. Aus der Perspektive einer insektoiden Spezis erzählt konzentriert er sich weniger auf die Evolution der Rasse oder zumindest der Individuen, sondern auf Träume vom Sex. Der Hintergrund der Geschichte ist höchstens rudimentär entwickelt und es ist schwer, auf der einen Seite überzeugende dreidimensionale Aliens zu erschaffen, die auf der anderen Seite von ihren Intimitäten den Leser berichten sollen. Vieles wirkt bemüht und leider viel zu distanziert.  

Während Neil Clarkes Autorin nicht selten Probleme mit Physik oder Biologie hat, überzeugt R.P. Sands längere Geschichte „An Ode to Stardust“ leider auch nicht auf der stilistischen Ebene. Sie wirkt sehr bemüht geschrieben, einzelne Worte sind falsch benutzt und vor allem sucht man verzweifelt eine Beziehung zu der einzigen Protagonisten. Die junge Frau ist die jüngste Kommandantin der Mondstation in der Geschichte der Menschheit. Anstatt auf diese Auszeichnung stolz zu sein und zu unterstreichen, dass sie dieser Aufgabe gewachsen ist, verfällt sie ohne Hintergrundinformationen in Selbstzweifel und schließt sich in ihr Büro ein. Lange Monologe sollen diese inneren Zweifel demonstrieren. Sie wirken aber aufgesetzt und schal.  Nur ihre Katze hält zu ihr. Anstatt diese Prämisse auszubauen und in den bekannten Szenarien neue Impulse zu setzen,  verfällt R.P. Sands in die üblichen Klischees und kann den kitschigen Text nur auf einer befriedigenden Note beenden.

 Aus dem Chinesischen von Emily Jin übersetzt präsentiert sich Gu Shis  “Introduction to 2181 Overture, Second Edition” mit einer ungewöhnlichen, die Aufmerksamkeit der Leser auch fesselnden Struktur. Der Text ist überwiegend tatsächlich die Einführung zur Einleitung einer Studie über die nicht nur medizinischen, sondern vor allem auch gesetzlichen und moralischen Probleme des Kryoschlafs. Das könnte auf den ersten Blick sehr trocken wirken und Gu Shis erwartet von ihren Lesern auch, dass sie den an gigantische Elfenbeintürmen erinnernden Theorien auch folgen. Viele der Argumente sind bedenkenswert, wenn der Leser die Idee des Kryoschlafs außerhalb der klassischen Verwendung für Generationenraumschiffe akzeptiert. Die Übersetzung ist allerdings nur mäßig. So werden verschiedene Begriffe  durcheinandergebracht. Es ist unwahrscheinlich, dass die routinierte Autorin im Original nicht weiß, wie sich Krebs ausbreitet oder was die klassische Erbfolge ist. Es ist nicht die erste Geschichte von Gu Shi in „Clarkesworld“. Alle Geschichten wurden von anderen Personen übersetzt. Da fanden sich derartige Fehlinterpretationen nicht. Auffällig ist generell, das Neil Clarke auf ein Lektorat bei den Übersetzungen mehr und mehr verzichtet. Vor einigen Jahren stand ihm mit Ken Liu ein sehr guter Autor zur Seite, der die Texte auch literarisch noch einmal durcharbeitete. Vielleicht ist auch die generelle Qualität der chinesischen Science Fiction schwächer geworden, aber in diesem Fall reiht sich in der vorliegenden Form Gu Shis Arbeit in die Phalanx von wirklich uninspirierten Texten ein, welche diese „Clarkesworld“ Ausgabe bevölkern.

  Die letzten beiden kürzeren Texte gehören zu den besten Geschichten dieser „Clarkesworld“ Ausgabe und inzwischen auch zu den besseren Texten des Jahres 2023. Das sagt viel über die mangelnde Qualität oder das momentan fehlende Händchen des Herausgebers aus.

James Castles „Silo, Sweet Silo“ ist eine vernünftige Geschichte, die auf einer bekannten Prämisse – eine Handvoll Überlebende nach einem Atomkrieg in den schottischen Highlands – aufbaut. Eine künstliche Intelligenz will die Überlebenden nur einlassen, wenn sie die Atomrakete zünden und gegen den „Feind“ schießen. Angesichts der Absurdität dieser Bitte werden die Menschen mit einer Reihe von moralischen Fragen konfrontiert. Gut gezeichnete Charaktere, überzeugende Dialoge und vor allem eine konsequente Pointe zeichnen diesen kurzweilig zu lesenden Text aus.    

Auch Amal Singhs „Going Time“ nutzt bekannten Ideen und beginnt mit ihnen zu spielen. Mit fünfundsechzig Jahren müssen sich die Menschen verabschieden und werden getötet. Nach dem Zusammenbruch der Zivilisation leben die wenigen verbliebenen Menschen in einer kontrollierten Umgebung. Im Grunde haben sie bis zu ihrem Tod wenig zu tun und verbringen ihre Zeit mit diversen Unterhaltungsprogrammen. Bis die Sterbezeit, die „Going Time“ erreicht wird. Auch wenn das Ende vorhersehbar ist, wirkt die Beziehung zwischen einer indischen Mutter und ihre Tochter überzeugend. Wie bei James Castle sind die Figuren dreidimensional entwickelt und Mutter/ Tochter werden vor reale Probleme gestellt.

Auch der “Februar” gehört leider nicht zu den Glanzpunkten in der langen Geschichte des „Clarkesworld“ Magazins. Auch wenn das Titelbild wieder die Aufmerksamkeit der Leser erregt, ist der Inhalt höchst durchschnittlich.