Die letzte Offenbarung von Gla´aki

Ramsey Campbell

 

2023 gab Michael Schmitt in seinem Wandler Verlag zum ersten Mal eine Anthologie mit Weird Tales heraus. Das Herz dieser umfangreichen, empfehlenswerten Sammlung ist eine der seltenen Novellen Ramsey Campbells, übersetzt von Joachim Körber.

Michael Schmitt hat diese Novelle zusammen mit einem Nachwort T.E.D.  Kleins sowie einer Kurzgeschichte Campbells in einer streng limitierten (100 Exemplare) und mittels eines Einlageblatts des Titelbilds auch von Ramsey Campbell signierten Hardcoverausgabe noch einmal gesondert in seinem Verlag aufgelegt.  

Ramsey Campbell ist neben seinen sekundärliterarischen Essays vor allem ein Roman- und ein Kurzgeschichtenautor. Es gibt nur sehr wenige Novellen aus seiner Feder. Im 20. Jahrhundert veröffentlichte der Heyne Verlag unter anderem „Needing Ghosts“ als einzelnes Taschenbuch. Auch in „Die letzte Offenbarung von Gla´aki“ beweist Campbell, dass das Format für seinen subtilen Schrecken geradezu perfekt ist.

 Beginnend mit der Anreise in diese in mehrfacher Hinsicht feuchte kleinen Stadt wird der Leser auf Augenhöhe des naiven und stellenweise auch ein wenig arroganten Fairman

durch den Ort getrieben. In der Tradition Lovecrafts erwartet der Leser an jeder

Stelle eine  Bedrohung. Hinsichtlich der morbiden Atmosphäre und den seltsamen Bewohnern geht Campbell nicht mal subtil vor. Ein Buchhändler, ein Arzt, eine Kindergärtnerin, der Leiter des Beerdigungsinstituts oder schließlich der Pfarrer sind alles Protagonisten, die in ihrer Exzentrik jederzeit zu Gewalttaten neigen könnten, um die wertvollen Teilbücher zu behalten. Dabei wurde Fairman ja eingeladen, das wertvolle Buch anzuschauen und mitzunehmen. Dass es sich um verschiedene Teile handelt, wird ihm erst klar, als er die „Stadtgrenze“ überschritten und das erste Rätsel gelöst hat.

 Fairman sieht mehr und mehr hinter jeder Ecke der Stadt einen Schrecken, eine nicht einmal lebensbedrohliche Gefahr, während er sich nachts in seinem kleinen Hotelzimmer in den seltsamen okkulten Schriften vertieft.

Campbell hat sichtlich Freude, nicht nur seinen Protagonisten zu verängstigen. Teilweise wirken seine Stadt- bzw. eher Dorfbewohner wie Parodien auf das britische Kleinstadtleben. Dabei bleibt der Brite ausgesprochen ambivalent und verallgemeinert, augenzwinkernd sehr gerne. Es ist im Grunde egal,  ob es sich um das für Horror eher geeignete klassische britische Hinterland handelt oder wie in diesem Fall einen Ort, an den sich Touristen verirren könnten, aber nicht müssen. 

 Die Stärke dieser Novelle  liegt in ihrem paranoiden Realismus. Aus der Distanz handelt es sich fast um einen alltäglichen Besuch eines Mannes, dem die Gemeinde ein ungewöhnliches Geschenk geben möchte, um es der Nachwelt zu erhalten. Als Horror bzw. Weird Geschichte sucht der Leser förmlich in jeder Wendung; jedem Versuch, Fairman länger im Ort zu behalten, die Gefahr. Dass der Tanz bzw. die Suche in der kleinen Kirche endet,  ist für erfahrene Horror Leser das letzte Zeichen, das Fairman Unheil droht. Und an dieser Stelle dreht Ramsey Campbell seine Novelle noch einmal auf links und überrascht nicht nur Lovecraft Fans. Es ist ein Ende, das eher Jonathan Carroll mit seinem Debüt „Das Land des Lächelns“ zur Ehre gereicht hätte als Lovecraft.   

 

 Fairman ist ein klassischer Verlierer, der unter dem Daumen seiner gesichtslosen, aus der Ferne fast schon Kommandos gebenden Freundin steht. Der sich am liebsten innerhalb seiner Bücher in Luft auflöst und Angst hat, Spuren zu hinterlassen oder in dem  - mit dem Nebenzimmer geteilten  - Bad Geräusche von sich zu geben. Er lebt für seine Bücher, hat Angst vor seinem Chef in der Bibliothek. In der kleinen Stadt muss er mit den Mitmenschen interagieren.

Dabei überspannt Campbell mit den ausführlich beschriebenen Gerichten, deren Bestandteil aber immer fischig bleiben; den menschenleeren Gassen und den manchmal exzentrisch surreal agierenden Einwohnern fast schon den Bogen. Krampfhaft, bemüht im positiven Sinne, versucht der Brite eine Bedrohungslage zu inszenieren, damit der Plot sich unabhängig von der Suche nach den Büchern vorwärts bewegt. Diese Vorgehensweise grenzt an eine im Genre typische Manipulation der Leser, ist aber nicht unbedingt notwendig.  Die Novelle trägt sich sehr gut von den Stimmungen und zwischenmenschlichen Beziehungen. Campbell baut eine Erwartungshaltung auf, die er nicht einlösen möchte oder einlösen kann.    

  

 Arthur Machen und Algernon Blackwood haben auf diese Vorgehensweise gesetzt und damit ungewöhnliche Geschichten geschrieben. Im Gegensatz zu Blackwood oder Machen

verzichten Lovecraft und damit auch Campbell bei einigen ihrer Texte auf Erzählrahmen und stürzen sich mitten in das Geschehen. Ihr Schwerpunkt liegt fast

immer auf einer geradlinigen Erzählstruktur. Wer Ramsey Campbells Werk seit Jahrzehnten verfolgt, werden in dieser neuen Geschichte Strukturen seiner früheren, stark von Lovecraft beeinflussten Arbeiten erkennen. Humor findet man bei Lovecraft niemals. Seine Figuren sind immer ernsthaft, fast verkrampft. Campbells Texte sind stellenweise weicher, seine Figuren deutlich besser und dreidimensional charakterisiert als bei Lovecraft. In vielen seiner ersten Romane spielen auch dreidimensionale, mit beiden Beinen im Leben stehende Frauen eine wichtige Rolle, die es in dieser Form bei Lovecraft nicht gegeben hat. Auch in dieser Novelle sind die Frauenfiguren eher pragmatisch gezeichnet,

ihnen fehlt die Emotionalität. Das hilft aber auch, Fairman noch mehr zu isolieren und sich hinsichtlich seiner Suche zu fokussieren. Andere Aspekte aus

Lovecrafts Werk sind für diese Hommage  behutsam modernisiert worden. Es ist die buchstäblich letzte Offenbarung des geheimnisvollen Autors, die fasziniert und gleichzeitig überrascht. 

 So präsentiert Ramsey Campbell auf der einen Seite eine interessante, lesenswerte Lovecraft Geschichte, welcher der Amerikaner von der Idee her sicherlich hätte schreiben

können, hinsichtlich des Handlungsverlaufs aber deutlich über Lovecrafts Zugriff auf handelnde Personen, aber nicht bizarre Hintergründe stehen. Auf der anderen Seite ist „Die letzte Offenbarung von Gla´aki“  eine tief im eigenen Severn Valley Kosmos verankerte Story von nicht kosmopolitischer, sondern ureigener zwischenmenschlicher Bedeutung.  Und Lovecrafts alte Götter werden mit diesem Ergebnis irgendwie zufrieden sein.

 In seinem Nachwort mit zahlreichen Zitaten, aber auch Verweisen nicht nur auf H.P. Lovecraft beschreibt T.E.D. Klein die ähnlichen Ausgangsituationen der hier gesammelten Novelle, sowie der anschließenden Kurzgeschichte „Das Grauen unter Warrendown“. Zwischen beiden Texten liegen gute achtzehn Jahre, die Kurzgeschichte entstand 1995, die Novelle 2013. In beiden Geschichten dringt ein Fremder in eine kleine isolierte dörfliche Gemeinschaft ein und wird mit grotesken Situationen konfrontiert. Und doch unterscheiden sich die Texte auch. In der Novelle wird der „unschuldige“ Bibliothekar eingeladen, sich ein besonderes Buch abzuholen. In der Kurzgeschichte ist es ein Kinderbuchautor, der eine Kneipenbekanntschaft in sein Dorf bringt und verspricht, ihn wenige Stunden später wieder abzuholen. Fokussiert sich ein Leser auf die Prämisse eines Außenseiters in einer ihm unvertrauten Umgebung, dann wäre dieser Vergleich richtig. Aber nicht nur zwischen diesen beiden Texten, sondern hunderten von anderen Geschichten.

 

Technisch nähert sich Ramsey Campbell in der Kurzgeschichte H.P. Lovecraft an. Der Ich- Erzähler spricht die Leser direkt an, schreibt seine Erlebnisse nieder und nimmt einem Teil der Ereignisse die Spannung. Er muss überleben. Zumindest so lange, bis er die Notizen niedergeschrieben hat. In seiner berühmten Novelle „Der Flüsterer im Dunkeln“ ist Lovecraft noch einen Schritt weitergegangen, in dem sein dortiger Erzähler die Ereignisse unmittelbar zusammenfasst, mitten im Handlungsbogen abbricht und dann erst zurückblickend alle erzählt, bis Vergangenheit und Gegenwart kurz nach der Mitte der Geschichte zusammentreffen und die groteske Pointe präsentiert wird.

 Im Grunde ist der Ich- Erzähler auch selbst Schuld. Er vertrödelt die Zeit und kommt erst nach Einsetzen der Dunkelheit an, um seinen Freund abzuholen. Für diesen ist es zu spät. Der Erzähler folgt ihm erst in eine Kirche – auch die wichtigste Szene von „Die letzte Offenbarung von Gla`Aki“ spielt in einer Kirche – und schließlich auch in die Unterwelt. Denn der Titel impliziert ja, dass das Grauen sich in diesem Fall unter dem kleinen Dorf Warrendown befindet und nicht mittendrin.

 Die Kreaturen, denen der Ich- Erzähler schließlich tief in einem unterirdischen Höhlenlabyrinth begegnet, erinnern nur teilweise an H.P. Lovecraft.  Der im Hause der Whateleys heranwachsende Gott in „Das Grauen von Dunwich“ – auch wenn eine Höhle wichtig ist, spielt die Handlung meistens oberhalb der Erde – könnte Vorbild für diese Kreaturen sein. Aber in seinen ersten Romanen hat Ramsey Campbell nicht selten am Ende seiner Geschichte das Unaussprechliche manifestieren lassen. In einem seiner ersten Romane ebenfalls mit einem Kinderbuchautoren – basierend auf alten Legenden – „The Nameless“ verzichtet der Brite auf ausführlichere Beschreibungen.

 Die Kurzgeschichte liest sich grundlegend flott. Der anfänglich ironische Unterton des Erzählers weicht mehr und mehr dem Unaussprechlichen, geschuldet dem Grauen, das er dort vorfindet und das ihn daran hindert, noch einmal fantastische Kinderbücher zu schreiben. Der eigentliche Plot ist eher mechanisch angelegt, bürgt bis auf die finale Begegnung zu wenige überraschende Wendungen und entwickelt sich den Mustern des Genres folgend erstaunlich pragmatisch. Vielleicht liegt es auch an er vor allem hinsichtlich seines Endes überraschenden Qualität der nebenstehenden Novelle, dass „Das Grauen unter Warrendown“ nicht so scheinen kann, wie es sich ein Leser wünscht.

 T.E.D. Kleins Nachwort ist ausführlich, geht auf die Vorbilder Ramsey Campbells genau ein wie seine Stärken und vielleicht wenigen Schwächen. Allerdings wirkt das Nachwort auch abrupt abgeschlossen mit einer Vielzahl von Zitaten, als wenn dem Autoren die Ideen ausgegangen sind.

 Jörg Neidhardt hat die Novelle stimmungsvoll illustriert.  

 Aufgrund der limitierten Auflage werden die meisten Leser über die anfänglich angesprochene Wandler Weird Anthologie auf die empfehlenswerte Novelle stoßen. Aber egal, auf welchem Weg der Leser Campbells im britischen Hinterland liegende von der Zeit vergessene Orte erreicht, die stimmungsvolle Reise in die nicht selten eher menschlichen als überirdischen Abgründe lohnt sich und es ist schade, dass einer der besten britischen Autoren mit nur wenigen literarischen Aussetzern, aber sehr vielen gelungenen Arbeiten seit Jahren nur noch peripher ins Deutsche übersetzt wird.

 

Wandler Verlag

Hardcover, 125 Seiten

signierte und limitierte Ausgabe

direkt beim  Verlag bestellbar

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