Freitag

Robert A. Heinlein

 Robert A. Heinleins 1982 veröffentlichter Roman “Freitag” folgte nicht nur auf seinen umstrittenen, aber kommerziell sehr erfolgreichen Bestseller „Die Zahl des Tieres“, sondern die Entstehungsgeschichte dieses Buches ist von zahlreichen Erkrankungen Heinleins geprägt worden. Wie in „Die Katze, die durch Wände geht“ und die Idee multipler Universen interessant extrapolierend beginnt der Plot erstaunlich bodenständig, wenn auch provozierend. Als Vorläufer des Cyberpunks erzählt Heinlein die Geschichte einer weiblichen „künstlich“ erschaffenen Person. Natürlich beginnt das Buch mit der angesprochenen Gruppenvergewaltigung Freitags – diese findet nicht expliziert beschrieben statt -, die zahlreiche Kritiker als Frauen verachtend auf den Plan gerufen hat.  Freitag kommentiert die Vergewaltigung und zieht quasi über die aus ihrer Sicht primitiven Angreifer her. Dabei vergleicht sie effektive Verhörmethoden, die sie von ihrem ambivalenten Boss gelernt hat mit dem Vorgehen der Täter. Diese zynisch erscheinende Distanzierung muss bei einer objektiven Betrachtung relativiert werden. Wie in zahlreichen Agentenromanen und leider auch der Realität Folter und Vergewaltigung opportune Mittel sind, um Informationen zu erhalten, geht Heinlein auch vor. Nur handelt es sich bei dem Opfer nicht um einen Menschen, sondern ein künstliches Geschöpf. Das soll die Tat nicht entschuldigen, aber der Leser als auch Freitag müssen quasi es als einen Schritt in ihrer Evolution sehen, die in einem starken Kontrast zum Missbrauch ihrer Persönlichkeit durch die Vorgesetzten gesehen werden muss. Weniger einsichtig ist, dass „Freitag“ nicht wie in den zahllosen Vigilantenfilmen zur Waffe greift und die Angreifer als Teil ihrer Mission zu töten, sondern ihnen als Frau verzeiht. Ohne Grund, denn ihre Antagonisten durchlaufen keinen Läuterungsprozess, sie wirken so eindimensional, dumm und arrogant wie zu Beginn. Selbst wenn ihr Anführer zumindest ein wenig Mitmenschlichkeit zeigt. Diese konstruierte Schließung eines „Kreises“ ist eine der Schwächen des vorliegenden Buches.  

Es ist wichtig, ihre Persönlichkeit in dieser futuristischen Parallelwelt einzuordnen, bevor die entsprechenden Urteile gefällt werden. Freitag ist als künstlich erschaffene Person den Menschen nicht nur körperlich, sondern vor allem geistig überlegen. Heinlein geht zwar nicht in die Details und durch die Ich- Perspektive wird auf eine zweite, distanzierte und die Zusammenhänge erläuternde Erzählebene verzichtet. Diese Subjektivität erhöht zwar auf der einen Seite die Spannung, auf der anderen sehr viel relevanteren Ebene schränkt die für einen Autoren herausfordernde Ich- Erzählerebene aber auch den Ablauf des Plots teilweise ein. Künstliche Menschen werden in der Öffentlichkeit beneidet und gehasst zu gleich. Sie sind aber anscheinend nicht von den normalen Menschen zu unterscheiden und eine Isolation findet noch nicht statt. Teil ihrer Aufgabe als Bote und Ein- Frau- Kampfmaschine ist es, sich den Menschen nicht zu erkennen zu geben. Wenn sie sich im Verlauf ihrer Mission mehrmals Mitmenschen offenbart, erntet sie Unglauben. Es sind diese Begegnungen mit ihrer Umwelt, die Heinlein nicht emotional genug beschrieben hat. Sie laufen zu mechanisch ab, zumal es dem Autor auch um die Entwicklung einer lernfähigen „Maschine“ geht, die im Umkehrschluss allerdings menschlicher erscheint als die Normalgeborenen, denen sie begegnet. So bewegt sich Freitag im Verlaufe der allerdings sehr gedehnten Handlung zu oft und vor allem zu lange zwischen den Extremen. Anstatt sie über ihre Handlungen/ Aktionen/ Aufträge zu definieren und die Grundhandlung als Krimi- oder Agentengeschichten wie in „Die Katze, die durch Wände geht“ über weite Strecken voranzutreiben, verliert sich Heinlein wie in „Das geschenkte Leben“ zu sehr in Monologen, die im vorliegenden Roman nicht einmal gut oder spannend geschrieben worden sind. Der leichte Plauderstil seiner späteren Bücher fehlt in „Freitag“.  Allerdings lernt der Leser auch keine weiteren, derartig dreidimensional entwickelten Cyborgs kennen, so dass der Verdacht besteht, dass „Freitag“ die erste einer neuen Reihe von Geschöpfen ist. Einige der hier angesprochenen Aspekte hinsichtlich des Erlernens von Emotionen und dem Umsetzen körperlicher Liebe erinnern nicht nur an den „New Wave“, sie wirken auch als Vorlage für eine Reihe von später entstandenen Filmen. Aus der Patterson Biographie ist bekannt, dass Heinlein hinsichtlich der Ausrichtung seines Werkes und vor allem der Experimentierfreunde wenig Rücksicht auf seine Verlage genommen hat. Außerdem bewunderte er Philip K. Dick. Interessant ist, dass spätestens mit “Das geschenke Leben” Frauenfiguren einen deutlich wichtigeren Raum in seinen Romanen eingenommen haben. Während es in „Das geschenkte Leben“ um einen Greis in einem jungen weiblichen Körper gegangen ist, versucht sich Heinlein in „Freitag“ an einem weiblichen Gegenentwurf zu seinem „Mann in einer fremden Welt“. Im Gegensatz allerdings zu Dick, der neben dem Evolutionsprozess die Paranoia in aus den Angeln gebrochenen Welten auf die schriftstellerische Spitze getrieben haben, ist es Heinlein nicht gelungen, durch die Oberfläche durchzudringen und eine wirklich dreidimensionale Geschichte daraus zu machen. Während die inneren Konflikte zu wenig ausgeprägt sind, ist ihre nicht nur körperliche Kommunikation mit der Umwelt zu oberflächlich. Heinlein fehlt der entscheidende Impuls, in der zweiten notwendigen Hälfte die moralischen Mauern nicht nur zu durchbrechen, sondern auch überzeugend eine gänzlich andere Gesellschaft zu beschreiben. Es reicht nicht, auf die Idee der Mehrehe oder sexuellen Freizügigkeit hinzuweisen. Freitag scheint ja echte Emotionen zu entwickeln, die aber keinen Abnehmer finde. Erstaunlich ist weiterhin, dass am Ende sich zwar ein Kreis schließt, dieser aber vorhersehbar ist.

Bei einer ihrer Missionen durchstreift sie die balkanisierte USA mit zahlreichen, politisch unabhängigen, wirtschaftlich aber untrennbar miteinander verbundenen „Bundesstaaten“. Heinlein kann sich deutlich weniger intensiv auf einem sarkastisch satirischen Niveau als in „Job“ mit dem Hintergrund beschäftigen. Angesichts der aus seiner Sicht zahllosen politischen wie wirtschaftlichen Fehlentwicklungen in den USA, der Verzerrung des amerikanischen Traums und vor allem Heinleins Abneigung gegen die verweichlichte Generation der Sesselentscheider ist es erstaunlich, dass diese Reise so sehr in den Hintergrund gedrängt wird und einige Ansätze nicht weiter ausgesponnen werden. Wenn Freitag von ihrer ersten eher ambivalent beschriebenen Mission kommend schließlich das Haus, die Festung, die Zentrale ihres ominösen, Floskeln verbreitenden Boss erreicht, wird diese interessante und ausbaufähige Handlungsbogen zu abrupt beendet. Auf der zweiten Mission quasi per Kontrastprogramm in die Tiefen des Alls soll Freitag eher von der Schiffsbesatzung elegant entsorgt werden, auch wenn hier kein nachhaltiges Motiv aus ihren Handlungen – durch die Ich-  Erzählerperspektive die einzige Basis – herausgefiltert werden kann. Sie entkommt schließlich und siedelt auf einer der Pionierwelten als „Mensch“ und Partner anerkannt mit den Freunden/ Bekannten, die sie insbesondere in der ersten Hälfte des Plots kennen und zumindest körperlich lieben gelernt hat. Zwischen diesen beiden Extremen ist sehr ungewöhnlich, dass die für Heinleins Spätwerk so signifikante „Multi“ Familie sich über die Auszahlung des Erbes sowie die Idee, mit Beiträgen sich einen Platz in ihren Reihen erkaufen zu müssen, relativ frühzeitig zerfällt. Sie wird positiv gesprochen in rudimentärer Art und Weise wieder reaktiviert. Diese ungewöhnliche, aber oberflächlich angelegte zwischenmenschliche Konfliktebene ist einer der Aspekte neben Heinleins ersten Versuchen, ein multiglobales Wissensnetz als rudimentäres Internet zu etablieren, der rückblickend „Freitag“ zu einem relevanten, aber nicht existentiellen Bestandteil des immer stärker zusammenwachsenden Universums Heinleins macht. 

Die Kritik an Robert A. Heinlein ist insbesondere in Bezug auf „Freitag“ so relevant wie die Würdigung von Delanys „Dhalgren“   überzogen ist. Beide Bücher verfügen nur über rudimentäre Plots. Während „Dhalgren“ aber von einem so jungen Wilden geschrieben worden ist, nehmen viele Kritiker es dem alten Mann übel, wichtige Themen in so wenig nachhaltige Handlung verpackt zu haben. Dabei setzt er sich nicht nur mit dem Thema Menschsein, den verschiedenen Aspekten des Clonings und einer interessant extrapolierten amerikanischen Wirtschaft auseinander, er unterminiert die Idee der Zweier- Ehe und schafft eine sozialisierte Gesellschaft, in welcher die „Untugenden“ der Hippies gesetzlich manifestiert worden sind. Mit dem kaum erkennbaren Mantel der Satire ist „Freitag“ teilweise ein Buch, das in einzelnen Szenen glänzt und den kritischen, aber nicht selbstkritischen, den dominierenden, aber nicht ausschließlich erdrückend dominanten Heinlein zeigt. Andere rote Fäden verlaufen im Nichts. Jahre vorher und interessanterweise auch in seinen später veröffentlichten Romanen hat er diese gnadenlos beschnitten und über weite Strecken selbst mit „Segeln im Sonnenwind“ – ebenfalls die Lebensgeschichte einer Frau – erstaunlich minutiös sein Multiversum weiter ausgebaut und Szenen seiner früheren Geschichten nahtlos und widerspruchslos eingebaut. Heinleins Intention, den Unterschied zwischen Mensch und Maschine zu untersuchen, ist klar erkennbar, aber immer wieder verliert er sich in zu vielen eher belanglosen und erstaunlich wenig humorvoll im Vergleich zu seiner anderen „Komödien“ geschriebenen Dialogen. So ist „Freitag“ weder Fisch noch Fleisch, leider wie seine Protagonisten weder Mensch noch Maschine.           

 

 

  • Taschenbuch
  • Verlag: Bastei Lübbe; Auflage: 1 (2000)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3404242750
  • ISBN-13: 978-3404242757