Wenn am Ende von Johnnie Tos Triadenfilm „Election“ der Inhaber des legendären Drachenzepters persönlich das Gleichgewicht innerhalb der verschworenen Gemeinschaft zumindest vordergründig wieder herstellt, erinnert die Tötungssequenz nicht nur zufällig an eine Passage aus Kieslowskis „Ein kurzer Film über das Töten“. Sie erscheint ebenso so endlos lang und unerträglich. Diese Sequenz zieht letzt endlich den Mantel des Scheins von den Mitgliedern der ehrenwerten Triaden und entlarvt insbesondere die in Designerklamotten flanierenden Chefs als bestialische Tiere.
Filmkritik
von Thomas Harbach (für sf-radio.net)
Wenn am Ende von Johnnie Tos Triadenfilm „Election“ der Inhaber des legendären Drachenzepters persönlich das Gleichgewicht innerhalb der verschworenen Gemeinschaft zumindest vordergründig wieder herstellt, erinnert die Tötungssequenz nicht nur zufällig an eine Passage aus Kieslowskis „Ein kurzer Film über das Töten“. Sie erscheint ebenso so endlos lang und unerträglich. Diese Sequenz zieht letzt endlich den Mantel des Scheins von den Mitgliedern der ehrenwerten Triaden und entlarvt insbesondere die in Designerklamotten flanierenden Chefs als bestialische Tiere. Vorbei sind die Zeiten der glorifizierenden Mafiaepen wie „Der Pate“ oder Martin Scorseses „Goodfellas“, in denen sich die Bosse nicht die Hände schmutzig machen. In „Election“ bringen sie ihre Feinde um, bzw. am Ende sich selbst. In seinem neuen Film zeigt Johnnie To nicht nur seine Abneigung gegen die Triaden, er entlarvt sie als Krebsgeschwür Hongkongs, deren Einfluss nach der Machtübergabe an China noch gestiegen und nicht verloren gegangen ist. In einem kurzen nachgestellten Ritual erläutert er dem Zuschauer die Wurzeln und Geschichte dieser Triaden. Der Kontrast zwischen der ursprünglichen Mission und dem gegenwärtigen Zustand könnte nicht größer sein. Nicht immer haben sie unter dem Deckmantel von Tradition und Bedrohung Schutzgelder erpresst, die Prostitution gefördert, das Glücksspiel kontrolliert und ihre Gebiete verteidigt. Vor ungefähr vierhundert Jahren haben sie sich ursprünglich zusammengefunden, um die fremden Eroberer zu vertreiben und aus dem Untergrund heraus mehrere Volksaufstände anzuzetteln.
Die Untergrundgesellschaft von gleich gesinnten Brüdern setzte auf Tradition und eine Reihe von bindenden Eiden, deren Verletzung der Todesstrafe gleich kam. Das Ziel war die Wiederherstellung des alten Chinas. Es ist vielleicht eine bittere Ironie der Geschichte, dass mit der Wiederherstellung der politischen chinesischen Macht in Hongkong die Triaden die letzte Barriere auf dem Weg zur ultimativen Kontrolle beseitigt bekommen haben, ihr Einfluss ist in den letzten zehn Jahren ins Unermessliche gestiegen und die Polizei ist hilflos. Der Unterschied zwischen dem vorliegenden „Election“ und vor allem John Woos Epen wie „A better tomorrow“, in dem er das Image einer Handvoll ehrlicher „Ritter“ gegen die Gruppe ehrloser und skrupelloser Verbrecher in ihrem eigenen Kampf jenseits der Gesetze stilisiert hat, könnte nicht größer sein. Gestern wie heute hat diese Loge der ehrenwerten Gangster nichts mit der finsteren Realität zu tun gehabt. Johnnie To versucht nicht einmal in Ansätzen diesen Weg zu verfolgen, sondern entlarvt sie in seinem geradezu absichtlich simplifizierten Plot als rücksichtslose egoistische Gangster, deren Ziel die totale Kontrolle des Wirtschaftslebens der Kronkolonie ist. Dabei bleibt er in seiner Betrachtung bei den Wurzeln des Übels hängen, Glücksspiel, Prostitution und Schutzgeld.
Auf die Ebene des Großkapitals wechselt er nicht über. Das Johnnie To im Gegensatz zu einer Reihe sehr populärer Schauspieler und Regisseure die Triaden verabscheut und sich vor ihren Machenschaften nicht fürchtet, macht er im Verlaufe seines Films deutlich. Keiner der Protagonisten ist sympathisch, charismatisch oder gar ehrenhaft. Die Ehre ist inzwischen zu einer Floskel reduziert worden, hinter der sich die Anführer der einzelnen Gruppen verstecken. Die Polizei hat nicht mehr die Aufgabe, die Triaden zu zerstören, sondern mit ihren Aktionen die Unsicherheit auf einem akzeptablen Niveau zu halten und für ein latentes Gleichgewicht zwischen den einzelnen Gruppen zu sorgen. Der Anführer einer Triade soll immer für zwei Jahre gewählt werden. In diesem Jahr müssen die alten Herrn der Wo Sing Triade zwischen zwei Konkurrenten entscheiden. Da ist zum einen Lok, ein auf den ersten Blick eher moderater Geschäftsmann, der vordergründig versucht, die auseinanderstrebende Gruppe zu harmonisieren und den Gewinn zu maximieren. Sein Konkurrent ist Big D, ein Großmaul und Choleriker.
Als sich die alten Männer für Lok entscheiden und ihm das Drachenzepter als Symbol der Macht innerhalb dieser Triade übergeben wollen, versucht Big D mit einer Reihe von brutalen Aktionen die Wahlberechtigten noch umzustimmen. Insbesondere Simon Yam, der in den neunziger Jahren auf Psychopathen sich spezialisiert hatte, kehrt mit „Election“ in die Riege der großartigen Schauspieler zurück. Er ist charismatisch, verschlagen, intelligent und doch jeden Augenblick gefährlich für seine Freunde und Feinde. Wenn er am Ende des Films direkt zur Gewalt greift, wirkt dieser emotionale Ausbruch aus dem Affekt heraus trotzdem kalt und berechnend. Nach außen ein Gentlemen, der sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen gut bewegen kann, nach innen eine emotionslose Maschine, der die Tradition, aber auch das Geld wichtig sind. Ein Manipulator vor dem Herrn, dessen augenscheinlich eher vordergründig mäßigende Politik im Grunde eine geschickte Fassade seines eigenen Kalküls als eine innere Einstellung ist. Wenn er am Ende des Films selbst Hand legt, scheint der von Yam bis zur Perfektion in zahllosen Filmen dargestellte Psychopath wieder durch. Es ist wie eine Wiedergeburt des Schauspielers in edlem Nadelzwirn mit unglaublichem Charme.
Big D gehört einer neuen, „lauten“ Generation der Triaden an. Er ist ein einfacher Mann, der das ganze Bild nicht übersehen kann und mit seinen Aufsehen erregenden Aktionen eher das Gegenteil bewirkt. Für ihn ist das schnell verdiente Geld das beste Argument, auch wenn er dabei die anderen Möglichkeiten übersieht. Tony Leung- Karfai schauspielerische Leistung ist wieder die bekannte Mischung aus Übertreibung und Körperbetonung. Wenn er einen gegnerischen Gebietsführer suggeriert, dass er im Grunde ein Verräter ist und an jedem Deal gegen Lok interessiert sei, wirkt diese Vorgehensweise überzeugend. Der Zuschauer zögert nicht einen Moment, ihm zu glauben. Die Auflösung dieses Subplots ist drastisch, brutal und erinnert einen Augenblick an die Rolle des Cleaners aus Luc Bessons überdrehten Gewaltkomödien. Auf der anderen Seite wird seine Figur mehr als einmal zu übertrieben gezeichnet. Das verwöhnte Kind in einem riesigen Spielzeuggeschäft, das bislang immer alles bekommen hat. Dieses Geltungsbewusstsein wird aber nicht zugunsten einer charismatischen Persönlichkeit genutzt, sondern erreicht stellenweise das Niveau der bekannten asiatischen Komödien inklusiv einfach nur dummer Floskeln. Damit wird an einigen allerdings eher unbedeuteten Stellen die dunkle Atmosphäre negiert und aus dem Triadenkrimi ein Schaustück unkontrollierter Schauspielerei.
In der Mitte des Films, nachdem scheinbar die Prämisse und die Ausgangssituation ausreichend erläutert worden sind, beginnt To mit der Erwartungshaltung des Zuchauers zu spielen. Fast unmerklich verschiebt er die Betonung der einzelnen Charaktere. Er fügt eine Reihe von weiteren, sehr interessanten Fußsoldaten ein, die mehr oder minder blind ihren Chefs folgen. Da niemals alle Motive offen auf den Tisch gelegt worden sind und die Struktur der Triade nur schemenhaft angedeutet werden, bleibt dem Zuschauer keine Wahl, der Spirale aus Gewalt und Mistrauen zu folgen. Wenn der stoische Helfer den Drachenkopf in einem Kampf allein gegen alle verteidigt und die Entschlossenheit - in dieser Sequenz erinnert der Film am ehesten an John Woos Werke über Ehre und Pflichterfüllung – deutlich zeigt, dass die Tradition nicht gebrochen werden kann und darf, wirkt der Film trotz der optisch hervorragenden Inszenierung zwanzig Jahre älter. Sie sind für den Film ungewöhnlich. Den Johnnie To zeigt unverhüllt die neue Art der Triaden. Es wird verhandelt. Es gibt Verhandlungen zwischen den Cops und den Triaden, den Anwälten mit der Polizei und den Triaden, den Triadenführern unter sich. Dabei macht To nicht den Fehler, scheinbare endlose und ziellose Debatten zu zeigen. Es wird zwar viel geredet, aber nur selten miteinander gesprochen. Meistens sprechen die Charaktere aneinander vorbei.
Die Diskussionen sind pointiert, insbesondere Hintergrund wird in diesen Szenen immer opulent ausgestattet, fordert das Auge des Zuschauers. An Hand dieser eher theoretischen Verhandlungen erhält der Zuschauer fast einen klassischen Leitfaden und Kurzführer in das Triadenleben. Die Basis ist der Kontrast zwischen Lok – der zeigt, wie man agieren sollte – und Big D – der beweist, wie im Grunde gehandelt wird. Wer die Regeln offen bricht, wird mit dem Tod bestraft. Wer zu ambitioniert wird, sollte auf seinen Rücken aufpassen und sich entsprechende Absicherungen innerhalb der Triade suchen, wer dagegen verhaftet wird, bleibt ein Mitglied der Bruderschaft, für seine Verwandten wird gesorgt, wer die Triade verrät, ist ein lebender Tote. Auch wenn diese Gesetze nach hunderten von Filmen und Büchern keine wirkliche Überraschung für den Zuschauer mehr darstellen, ist die sachliche distanzierte und domumentarische Darstellung dieser vordergründigen Ehrenkodexe die größte Überraschung des Films. Mit einer unglaublichen Leichtigkeit arbeitet To die Regeln sehr bodenständig ab, dass sie der Zuschauer nicht nur ansieht, sondern als Grundlage des Films akzeptiert. Das beginnt mit dem fast übermächtigen Aberglauben, dass nur der Inhaber des Drachenzepters auch wirklich die Triade regieren kann. Wenn der Zuschauer verfolgt, wie mit dem alten Stück umgegangen wird, ist es schon erstaunlich, dass es diese Jahrhunderte so unversehrt überstanden hat. Warum zum Beispiel ein einzelner Bote das Zepter überbringen muss anstatt eine ganze Abordnung der Triaden ist handlungstechnisch zwar effektiv, aber unlogisch. Auch wissen nur wenige Personen vom Versteck des Zepters, in einem „Beruf“ mit einer so kurzen Lebenserwartung immer ein Risiko.
Im Verlaufe des Films beginnt Johnnie To allerdings an Hand einer sehr bodenständigen geradlinigen Handlung den Mythos der ehrenwerten Gesellschaft Schritt für Schritt zu demontieren. Das beginnt mit dem Ideal, den einzelnen Mitgliedern eine Art Ersatzfamilie zu geben. Verfolgt der Zuschauer, wie rücksichtslos diese Männer in aussichtslose und zum Teil im Rahmen eines größeren Schemas bewusst verlorene und sinnlose Kämpfe geschickt werden, reduziert sich ihr Status in der Gemeinschaft auf Bauernopfer. Es geht nicht darum, eine harmonische Zweckgemeinschaft zu sein. Das historische Ideal der Brüder, die gegen den gemeinsamen äußeren Feind vorgehen, ist längst verloren gegangen. Ganz bewusst endet „Election“ schließlich auf einer düsteren, nihilistischen Note. Loks Sohn sieht mit eigenen vor Überraschung oder Schreck weit aufgerissenen Augen, dass sein Vater ein Mörder ist, der rücksichtslos und notfalls mit eigenen Händen seine Position in der Machtpyramide verteidigt. Nichts ist mehr vom ambivalenten, von den alten Männern vor der Wahl wegen seiner integrativen Fähigkeiten geschätzten Lok zurückgeblieben. Es gibt im ganzen Film keinen klassischen Heldencharakter.
Selbst die Polizisten werden als hilflose Beamte gezeigt, deren Aufgabe nicht mehr die Bekämpfung des Verbrechens, sondern nur noch die Kontrolle eines brüchigen Status Quo ist. Für jeden Kopf, der abgeschlagen wird, wachsen zwei nach. Wenn beide Seiten mit den Zahlen aus ihrer Triadenstatistik jonglieren, dann unterstreichen diese nüchternen Fakten, dass es im Grunde zu spät ist, die Verbrecherorganisationen aufzuhalten. Es gibt in „Election“ keine Gerechtigkeit mehr. Die Brutalität erreicht die Schmerzgrenze und To scheut sich auch nicht, das Sterben als grausamen letzten Akt zu zeigen. Die Protagonisten sind alle emotionslos. Die Traditionen sind durch Geld, Macht und Rücksichtslosigkeit abgelöst worden. Nicht selten hat der Zuschauer das allerdings falsche Gefühl, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis diese ehrenwerte Gesellschaft sich endgültig selbst zerfleischt. Die Vermittlung dieser Perspektive ist ganz bewusst zynisch einseitig gestaltet worden. To scheint zu den wenigen Filmemachern zu gehören, die sich von den auch die Filmindustrie beherrschenden Triaden nichts sagen lassen. Mit seiner fast einem Dokumentarfilm ähnelnden Erzählstruktur löst sich To von jeglichen Ansätzen des falschen Heroismus, bemüht sich, seinen einzelnen Protagonisten jegliche sympathische Züge zu nehmen, in denen er ihnen zum Beispiel ein Privatleben verweigert.
Diese fast lethargische Erzählstruktur fordert aber auch mehr Aufmerksamkeit vom Zuschauer und zwingt ihnen, den einzelnen, oft implizierten Schemen zu folgen und sich nicht von einer Actionsequenz zur anderen zu hangeln. Ganz bewusst wird auf eine Identifikationsfigur – zum Beispiel in Form eines Polizisten – verzichtet. Noch drastischer und effektiver wäre der Film gewesen, wenn To ein modernes, intelligentes und gemäßigtes Mitglied der Triaden in den erweiterten Mittelpunkt seiner Handlung gestellt hätte, dass schließlich an der Brutalität seiner Mitbrüder gescheitert wäre. Da keine der Figuren wirklich sympathisch ist, ist das brutale Ende aufgrund seiner Gewalt schockierend, aber es löst im Zuschauer über das Entsetzen, einem schier endlosen Doppelmord zuzusehen, keine weiteren Emotionen aus. Der Schock über das Gesehene kann nicht übertragen werden. Mit dieser Vorgehensweise macht es sich To absichtlich nicht einfach, er will nicht in das offene Messer laufen, eine weitere Mafia- Geschichte erzählen zu müssen Dieser Schritt ist künstlerisch mutig, ufert in einem sehenswerten distanzierten Film, der zumindest für Diskussionen in Hongkong und Cannes gesorgt hat. Es ist kein reines klassisches Unterhaltungskino, sondern eine Auseinandersetzung mit der Kobra, die Hongkong im Griff hat. Als Film per se überrascht er trotz einiger handlungstechnischer Schwächen und einer ganz bewusst sehr eindimensionalen Charakterisierung verschiedener wichtiger Protagonisten nicht zuletzt durch eine eher bodenständige Inszenierung.
Es gibt nur wenige Actionsequenzen, die aber durch ihre chaotische Kampfchoreographie – es gibt keine Ordnung mehr – pointiert als Alternative zum Zeitlupenkino eines John Woo gedreht worden sind. Die Gewalt wird direkt gezeigt, die Kamera zieht nur in seltenen Fällen wirklich weg. Das immer stärker werdende Durchstyling als Alternative zu einem vernünftigen Plot ist deutlich zurückgenommen. Nur noch selten wirkt die Atmosphäre übertrieben künstlich, der Realismus mit vielen Tageslichtaufnahmen tut dem Film sehr gut. Wichtige Handlungsteile sind ganz bewusst auf den Tag gelegt worden und dienen als weiterer Beweis, dass die Mafia aus dem Schutz der Nacht inzwischen hervorgekommen ist und ihre Geschäfte unter den Augen der Öffentlichkeit ohne Gefahr abwickeln kann. Auch für diese Haltung hat To im Rahmen seines Films eine schöne Szene bereit, in welcher Lok im Grunde nur mit der Polizei spielt und diese indirekt für seine eigenen Taten ausnutzt. „Election“ ist ein interessanter Film, aber vor allem keine verklärte Mafiaromantik. Das Gegenteil ist der Fall. Insbesondere für das immer seichter und oberflächlich gewordene Hongkong Kino stellt Johnnie Tos Film eine Art Ausweg dar, sich mit der dunklen Gegenwart auseinanderzusetzen und gleichzeitig erzähltechnisch zu neuen Ufern – mehr an das japanische denn das indische Kino angelehnt – aufzubrechen.
E-M-S hat „Election“ in einem Metallschuber veröffentlicht. Das Bild ist sauber und ungewöhnlich scharf. Beide Tonspuren überzeugen. Es empfiehlt sich, auf die Originalspur mit den guten deutschen Untertiteln zu gehen. ZU den Extras gehören zwei Originaltrailer, die eher nichtssagenden, aber durchgestylten TV- Spots und entsprechende Filmographien. Das Making Off ist leider nur sieben Minuten lang. Die Äußerungen der Hauptdarsteller und des Regisseurs sind eher oberflächlich, geben keinen tiefergehenden Eindruck von den Dreharbeiten.