Matthias Falkes "Ruinenwelt" ist ohne Frage als erster Band ein guter Einstiegspunkt in seine "Enthymesis" Geschichten, die aus insgesamt nach Abschluss der Planungen aus drei Trilogien bestehen wird. Vom Aufbau her erinnert der Roman an Brian Stablefords im Goldmann Verlag veröffentlichte Zyklen, in denen ein in erster Linie von Wissenschaftlern besetztes Raumschiff zu fernen Welten aufgebrochen und die Wunder der Galaxis untersucht hat. Stilistisch und strukturell ist besonders der erste Band irgendwo zwischen der nicht abfällig gemeint utopisch wissenschaftlich orientierten DDR Science Fiction - obwohl Falkes Charaktere am Ende von der Möglichkeit sprechen, das ultimative Technik die Grenze zur Magie überschreiten könnte - und Stanislaw Lems Frühwerk mit deutlichen Bezügen zu "Solaris" anzusiedeln ist. Stilistisch schwankt das Buch zwischen ohne Frage sehr überzeugenden sprachlichen Bildern, die sich in erster Linie in der Beschreibung der fremden Welt manifestieren; steifen zu ausführlichen Beschreibungen im zu phlegmatischen Mittelteil und schließlich den etwas zu künstlich, zu expliziert angelegten Dialogen.
Das erste Drittel des Romans ist ohne Bogenschlag auf die stereotypen und nicht wirklich gelungen charakterisierten Protagonisten überzeugend. Ein Forschungsshuttle mit dem Planetologen Rogers landet auf dem über eine atembare Atmosphäre verfügenden Planeten 3Alpha- X. Der Rettungsexpedition unter dem Kommando des Ich- Erzählers Nilsson, der in späteren Romanen der Trilogie anscheinend zu Norton umbenannt worden ist, sowie seiner Verlobten/Freundin/ Geliebten Jennifer als Pilotin landet unter größten Schwierigkeiten auf dem Planeten. Auch dieses Shuttle kann nicht mehr starten. Wie ihnen der eher an den seltsamen Gesteinsformationen interessierte Wissenschaftler Rogers erläutert, scheinen auf dieser Welt andere Naturgesetze zu herrschen, welche jegliche höhere Technik ausschalten. Mit dieser auf den ersten Blick nicht unbedingt neuen, aber interessanten Prämisse eröffnet Matthias Falke das Handlungsspektrum auf im Grunde drei Ebenen. Vernachlässigbar ist die klischeehafte Interaktion zwischen den eindimensionalen Figuren. Nuancierter wird das Überleben auf dem an sich nicht unwirtlichen Planeten beschrieben. Während die Techniker nach Möglichkeiten suchen, zumindest eine funktionierende, rudimentäre Technik zu organisieren, welche im Idealfall sogar eine Warnung an das Mutterschiff ermöglicht, untersucht Rogers weiter die unter den an Termitenbauten erinnernden Steinformationen liegenden Höhlen. Dort finden sie Hinterlassenschaften einer fremden Zivilisation. Die blauen Hartleiterplatten scheinen gigantische Informationsspeicher zu sein. Die Größe der Anlage lässt sich kaum erahnen. Flake konzentriert sich anfänglich rudimentär auf den Interessenkonflikt innerhalb der Gruppe. Dieser wirkt aber künstlich konstruiert. Die Techniker versuchen verschiedene Möglichkeiten zu eruieren, den Planeten zumindest mit einem Shuttle zu verlassen, bevor das Mutterschiff durch eine Art Hyperwurmloch verschwindet. Diese Prämisse ist eher ein Kompromiss um den Roman Spannung zu schenken, die über die ruhige Erkundung dieser Welt hinausgeht. Es erscheint unwahrscheinlich, dass ein Mutterschiff nicht reagiert, wenn die Hilfsexpedition ebenfalls spurlos verschwindet. Sonst hätte man Nilsson ja gar nicht ausschicken müssen. Da sich der Autor zumindest im vorliegenden Roman weniger für die Entfernungen im All interessiert und die Flüge zwischen Sonnensystemen ermöglichende Technik weiter erläutert, wirkt dieses Plotelement aufgesetzt. Hinzu kommt, dass der Konflikt innerhalb des Teams weniger kosmisch als komisch wirkt. Wie kann ein Planetologe den Technikern wirklich helfen? Im Grunde könnten seine Entdeckungen sogar förderlich sein. Das auf dem Planeten die Naturgesetze quasi durch die Schöpfung anders sind, wirkt wie ein Hemmschuh. Selbst in den alten "Raumpatrouille" Folgen gab es mehrmals Raumfallen, die künstlich eine Nutzung von höherwertiger Technik verhindert haben. Warum der arrogante Rogers angesichts der Entdeckung einer fremden Zivilisation so ab gebügelt wird, erscheint nicht logisch.
In der zweiten Hälfte des Buches mut Matthias Falke den Schleier über den Hinterlassenschaften dieser ehemaligen Superzivilisation lüften. Akzeptiert der Leser, dass diese vor vielen tausenden Jahren verschwundenen Außerirdischen auf der Planetenoberfläche trotz für Menschen zumindest teilweise begreiflicher Technik keine Spuren hinterlassen haben, stellt sich die Frage, wie sie eine Art universelles Speichergedächtnis geschaffen haben konnte, das zumindest impliziert auch die Grenzen zwischen zumindest passiver Zeit und Raum aufgelöst hat. Falke deckt die einzelnen Facetten dieser "Superzivilisation" vorsichtig und jederzeit nachvollziehbar auf, bis er im letzten Drittel des Romans den in diesem Punkt eher dünnen und nicht unbedingt neuen Handlungsfaden verliert und zu viel auf einmal sucht. Es ist schade, dass "Ruinenwelt" am Ende zu vorhersehbar ist, während die Idee von "verkehrten" Naturgesetzen zusätzlich im Hintergrund plötzlich zu schnell gelöst wird. Wie schon angesprochen sind die Ideen hinter diesen "blauen Kammern" nicht unbedingt neu. Im Vergleich zu Lems "Solaris" löst sich der Autor aber von jeglicher persönlicher Perspektive und versucht universelle Komponenten in die Handlung einzuführen. Das ist auch notwendig, da Falke vorher jegliche Bindung zu allen Figuren seines Romans durch arrogante Schlampigkeit, ambivalente Charakterisierung und Machophrasen aus dem vorigen Jahrhundert systematisch und anscheinend absichtlich ernsthaft und nicht parodistisch dem Leser verweigert.
Zu den großen Schwächen gehört allerdings die Zeichnung der Figuren. Matthias Falke gelingt es nicht, diese zahlreichen und gut voneinander zu unterscheidenden Protagonisten dreidimensional zu beschreiben. Während ihre Vorgehensweise und jeweils gut logisch durchdachten Schlussfolgerungen überzeugen, wirken sie als Figuren zu klischeehaft angelegt. So gibt es keine Chemie zwischen dem dominierenden Ich- Erzähler und seiner Verlobten Jennifer, die als Pilotin ausgezeichnet ist, aber ansonsten nur wenig zu "melden" hat. Sie darf trösten, wenn Nilsson Zweifel an den Qualitäten der nach der Landung fast immer weinenden Ko- Pilotin Jill Lambert hat. Hinzu kommt, dass Falke seine Position in der Hierarchie nicht genau definiert. Das beginnt mit Ausdrucken wie "Der Alte" - damit werden seemännisch Vorgesetzte charakterisiert -, welche die distanziert statische Ich- Erzählung auflockern sollen und endet mit so dummen Äußerungen, dass Nilssons Angst verfliegt, wenn er für andere Verantwortung übernehmen und die Frauen wirklich mehrmals dominieren kann. Menschliche Gefühle sind ohne Frage ein wichtiger Bestandteil eines Romans, aber im Falle von "Ruinenwelt" greift der Autor mehrfach und ohne mit der Wimper zu zucken in diverse Machoklischeekisten, um den Roman auf die notwendige Länge zu bringen. Falke ist wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, dass seine Figuren durch jegliche Anforderungen selbst einer zukünftigen Explorerraumschiffflotte gefallen sind. So kann Nilsson mit seinem unbewiesenen "Gott" Komplex - wenn Falke wenigstens den Mut gehabt hätte, diese Charakterschwächen dem Einfluss der blauen Kammern zuzuschieben und damit ein weiteres Klischee in die Handlung zu integrieren - auch die Kollegen denunzieren, die als vom Autoren ignorierte Ironie die Lösung der Flucht erarbeiten, während Nilsson sich charakterlich immer mehr ins Abseits stellt. Der Autor ignoriert den ausbildungstechnischen Hintergrund im Grunde aller Figuren und begibt sich auf ein derartiges Steinzeitniveau, das der Leser eher an eine Parodie der Pulpgeschichten denkt denn einen ernstgemeinten Science Fiction Roman. Es ist schade, dass ein kleiner Verlag wie Begedia den Roman in dieser Zwitterform überhaupt angenommen und veröffentlicht hat. Wahrscheinlich hat Matthias Falke angesichts seiner zahlreichen Publikationen sich zu wenig intensiv mit den Figuren beschäftigt und sucht verzweifelt wie vergeblich das Bild des im Grunde antiquierten und bei seinen zahlreichen Vorbildern wie Lem oder Stableford niemals in dieser Form vorhandenen Heldens in die Gegenwart zu übertragen, die für derartige Fehlleistungen nicht mehr bereit ist. Nicht zuletzt aufgrund der verschiedenen, aufgesetzt erscheinenden Kompetenzstreitigkeiten, Nilssons Hang zu überzogener Aggressivität und seiner Verachtung fürs Überleben der ganzen Gruppe wichtiger Spezialisten, seiner Frauenfeindlichkeit und den hinsichtlich jeglicher Emotionalität teilweise frustrierend falschen Beschreibungen erscheint "Ruinenwelt" nicht wie ein im 21. Jahrhundert geschriebener Roman, sondern wie eine Arbeit, die eher dreißig bis vierzig Jahren auf dem Buckel hat und jenseits des nicht mehr vorhandenen eisernen Vorhangs veröffentlich worden ist. Ob die eher nur zufriedenstellenden Entdeckungen auf dem Planeten das Waten durch die zahllosen Klischees eines stilistisch auch durchschnittlichen Autoren rechtfertigen, muss jeder Leser für sich entscheiden. Es ist kein Zufall und an diesem vorliegenden Werk deutlich erkennbar, Matthias Falke zumindest auf dem Gebiet der Science Fiction romantechnisch eher in kleineren, aber ambitionierten Verlagen veröffentlicht.
Begedia-Verlag 2012
Taschenbuch, 372 Seiten, ISBN: 978-3-9813946-8-9