The Magazine of Fantasy and Science Fiction September/ October 2015

C.C. Finlay (Hrsg)

Im Mittelpunkt der September/ Oktober 2015 Ausgabe steht Albert E. Cowdreys Fantasy- Novelle „The Lord of Ragnarök“. Beginnend mit einer Rahmenerzählung beschreibt Cowdrey die Lebensgeschichte eines jungen in einfachen Verhältnissen aufgewachsenen Soldaten, der durch Verrat und Gegenverrat schließlich der Vertraute seines Lords wird. Dieser Herrscher verbürgt ein seltsames Geheimnis. Einmal im Jahr fährt er zu seinem Vater auf den versteckten Inseln und bringt Schätze mit. Bis dieser „Vater“ im Sterben liegt und sich die zumindest im Prolog angedeutete Wahrheit zeigt. Cowdrey ist grundsätzlich kein echter Fantasy Erzähler. Basierend auf den britischen Mythen mit einigen Hinweisen hat er eine kriegstechnisch grausame Farce geschrieben, in deren Verlauf der Leser leider auch durch die distanzierte und zu sehr wie ein Bericht erscheinende Erzählstruktur weniger angezogen als isoliert wird. Es ist grundsätzlich keine schlechte Geschichte. Die Figuren sind realistisch beschrieben, die Ereignisse laufen immer schneller ab und das unbeeinflussbare Schicksal scheint über allem zu stehen. Aber ohne eine Variierung des Erzähltempos; einem Einladen der Leser, das Geschehen unmittelbarer zu erleben, wirken viele Passagen auch ein wenig theatralisch überladen, zumal der sich abzeichnende, von Cory und Catska Enchs stimmungsvollen Titelbild niemals eingefangene Höhepunkt auch eher beiläufig abgewickelt, aber nicht aus vollem Herzen erzählt wird. Albert E. Cowdrey sollte die in dieser Hinsicht auch herausragenden Nacherzählungen nordischer Sagen von Poul Anderson noch einmal  studieren.

 Neben dieser langen Novelle zeichnet sich die Herbst 2015 Ausgabe durch eine Reihe sehr unterschiedlicher, aber nicht selten satirisch angelegter Kurzgeschichten aus. Den Auftakt macht „We ´re so very sorry for your recent tragic loss“ aus der Feder Nick Wolvens. Die in der Werbebranche einer im Grunde perfekt vernetzten Welt arbeitende Protagonistin wird von allen Seiten auf ihren „Verlust“ angesprochen, obwohl sie weder ihre Mutter noch ihre Freunde durch ein Unglück verloren hat. Sie kann sich diese ständigen Kondolenzbekundungen nicht erklären. Ihre Vorgesetzte nutzt sie bis zu ihrer Entlassung aus und ihr Freund sucht sexuelle Selbstbestimmung. Nick Wolven karikiert großartig die gegenwärtig kalte Arbeitswelt und zeigt nachdrücklich auf, wie schwer Fehler in einem nur vordergründig so perfekten System zu korrigieren sind. Pointierte Dialoge, eine gut gezeichnete Protagonistin und ein passendes Ende runden diese gelungene Story zufrieden stellend ab.

Auch „The Stamps viewed under Water“ ist eine Warnung vor einer exzentrischen Entwicklung der Gesellschaft. Dabei vermischt die Autorin Marissa Lingen allerdings auch klassische Fantasy Elemente wie Magier mit einer Post Doomsday Story. Es gibt anscheinend eine tödliche, allerdings ambivalent beschriebene Seuche, gegen die selbst die Magier nicht mehr helfen können. Die Autorin beschreibt das Leben zweier Schwestern, von denen die eine beginnt, Briefmarken zu einer Zeit zu sammeln, als die Post nur noch den einzigen verlässlichen Kommunikationsweg in dieser Welt darstellt. Auch wenn die Story ergreifend ist und die Charaktere sehr gut gezeichnet worden sind, vermisst der Leser das Bild auf das Ganze, um sich selbst einen entsprechenden Eindruck zu verschaffen.

Auch Bo Balders „A House of her Own“ schwimmt zwischen allen Genres. Ein junges Mädchen findet ein kleines Haus, das sie „aufziehen“ möchte. Ihre Familie lebt in einem „Haus“, das ohne Technik einen zu starken Einfluss hat und auf dieser anscheinend fremden Welt landen Menschen, deren Kontaktaufnahme scheitert. Bob Balder verzichtet wie Marissa Lingen auf einen ausführlichen Hintergrund, konzentriert sich aber bei der deutlich zu ruhigen, wie pessimistischen Entwicklung auf einzelne Schlaglichter und kann im direkten Vergleich mehr überzeugen. Beide Kurzgeschichten müssten aber zu Novellen ausgebaut werden, um wirklich nachhaltig ihre interessanten Grundideen abschließend entwickeln zu können. Die dritte Fantasy Geschichte mit Science Fiction Ideen ist „The Bone War“ von Elizabeth Bear, in welcher ihr aus mehreren anderen Kurzgeschichten bekannter Zauberer Bijou aus den gefundenen  Knochen einen Dinosaurier nicht nur zusammensetzen, sondern vor allem auch beleben soll. Eine kurzweilig zu lesende Geschichte mit einigen humorvollen Anspielungen auf die Scheuklappen tragenden Archäologen.

 Paolo Bacigalupis „A Hot Day´s Night” ist ein Nachdruck aus einer kleinen Umweltzeitschrift. Deswegen ist die Wiederveröffentlichung in „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ ohne Probleme zulässig. Bacigalupi schildert den Einbruch eines Spezialisten begleitet von einer Reporterin in einen Solarpark. Nur ist das Gelände seit vielen Jahren verlassen, die Technik wird nur von kaum bewaffneten Patrouillen „bewahrt“. In diesem Teil der USA sind die Ströme versiegt und die Menschen sind weiter gezogen, ihre Luxushäuser haben sie zurückgelassen. Vor dem ökologisch dunkel gemalten Hintergrund entwickelt der Autor eine kurzweilige zu lesende Story einer beginnenden Freundschaft zwischen zwei sehr unterschiedlichen Menschen, die manchmal gegen die eigene Überzeugung auch der Nervenkitzel miteinander verbindet. Interessant zu lesen und spannend aufgebaut.

 Die eigentliche chronologisch letzte Geschichte dieser Ausgabe ist „Rascal Saturday“ von Richard Bowes. Angeblich hat der Autor weitere  Geschichten vor diesem Hintergrund angesiedelt und dieser Story fehlen viele wichtige Aspekte. Die Grundidee ist, dass die Protagonistin in einem langsam sterbenden New York lebt, dessen Bewohner nicht mehr gegen die immer stärker werdende Umweltverschmutzung „ankämpfen“ wollen. In einer kaum bevölkerten alternativen Realität könnte ihre Familie eine Zuflucht finden, nur versteht sich die Protagonistin kaum mit den anderen Familienmitgliedern. Zu viele zu wenig extrapolierte High Tech Ideen und eine für den Handlungsumfang zu lange Exposition machen die Lektüre leider zu keinem nachhaltigen Vergnügen.   

 Ron Goularts „The Adventure of the Clockwork Men“ ist ein weiteres Abenteuer seines Steampunk Detektivs Harry Challenge. Beginnend mit einem Mord und einer Entführung soll er einen der größten Coups dieses alternativen viktorianischen Englands verhindern. Es ist eine flott zu lesende, sehr zügig und für Goularts Werk auch disziplinierte von den Dialogen getriebene Geschichte, deren positives Ende allerdings wenig überraschend ist.  

 Denis Etchisons „Don´t Move“ ist eine dieser Gruselstories, die von der Pointe aus gesehen rückwirkend zumindest mehr Geheimnisse aufwerfen als der Autor beantworten möchte. Obwohl sie interessant von den zahllosen Dialogen getrieben strukturiert worden ist, kann sie wegen des schwachen Endes, das real oder auch eingebildet sein kann, nicht abschließend überzeugen.   „Monsieur“ von David Gerrold ist gleichzeitig auch das Auftaktkapitel seines in kleiner Auflage veröffentlichten Romans „Jacob“. Die Idee, den ich- Erzähler eine stimmungsvolle Vampirgeschichte in einer Schreibwerkstatt zu präsentieren und gleichzeitig Kritik von einem echten Vampir zu erhalten, ist ohne Frage originell und ragt auch aus der kurzen Novelle heraus. Dazwischen liegen Passagen, die zu stark mit ihren homoerotischen Anspielungen an Ann Rice erinnern und da es sich nur um ein Kapitel eines ganzen Romans handelt, muss David Gerrold gegen Ende ordentlich und unbefriedigend raffen. Es ist schwer, den ganzen Roman nur angesichts dieses Ausschnittes zu beurteilen. David Gerrold kennt die Klischees des Genres, fällt aber trotzdem an einigen Stellen zu sehr darauf rein.  

 Im sekundärliterarischen Teil geht David J. Skal auf „Ex Machina“ des bisherigen Drehbuchautoren Alex Garland sehr ausführlich ein, während Chris Moriarty sehr unterschiedliche Anthologien in seiner Buchspalte bespricht. Vor allem weist er bei Bruce Sterling „M.I.T.“ Anthologie auf dessen weltfremde Definition von einer globalen Autorensuche hin, während Charles de Lint erstaunlicherweise Buchadaptionen von Comics rezensiert . Der beste sekundärliterarische Beitrag ist wahrscheinlich „Light ahead for the Negro“ in Curiosities, ein futuristischer viele Genre erschlagender utopischer Roman aus dem Jahr 1906, der eine Wiederentdeckung alleine nach dieser kurzen Besprechung mehr als wert ist. 

Die Herbstausgabe 2015 kommt weniger herbstlich stürmisch als leider durchschnittlich daher. Viele Themen werden zwar in den unterschiedlichen Geschichten beginnend mit Drachen und endend bei Vampiren, virtuelle Alternativwelten oder dem Kampf gegen eine im Grunde lebensfeindliche Umfeld angesprochen, aber nur wenige der präsentierten Texte kommen abschließend auf den Punkt und führen vor allem ihre Ideen zufriedenstellend aus. Einige Texte ragen aus der Masse heraus, aber keine der Arbeiten wird dem Leser wirklich lange im Gedächtnis bleiben.

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Taschenbuch, 262 Seiten