Der Spalt

Peter Clines

Im Verlaufe der ohne Frage zügig zu lesenden Handlung basierend auf einer vor mehr als zehn Jahren als erste Idee verfassten, nicht publizierten Kurzgeschichte hat man das unbestimmte Gefühl bei „Der Spalt“, dass einem Teile der Geschichte aus Patrick Lees „Die Pforte“ bekannt vorkommen. Es geht um Tore/ gefaltete Räume, die mittelbar oder unmittelbar zum Weltuntergang führen können.  Peter Clines „Der Spalt“ folgt einer vergleichbaren Prämisse auf eine etwas andere Art und Weise. Während Patrick Lee „Die Pforte“ schließlich zu einer Trilogie ausgebaut hat, bleibt „Der Spalt“ positiv gesprochen trotz eines nicht immer nachhaltig zufriedenstellenden Endes ein handlungstechnisch in sich abgeschlossenes Buch. Auf der cineastischen Seite ohne wissenschaftliche Erklärungen erinnern viele der in der zweiten Hälfte angesprochenen Ideen auch an den mit einem minimalen Budget gedrehten Thriller „Coherence“.

 Der Heyne Verlag hat sich bei „Der Spalt“ beginnend mit dem schönen interessanten Titelbild sehr viel Mühe gegeben, das Buch weniger als Science Fiction zu bewerben, sondern in die Reihe der spektakulären Science Thrillers eines Michael Crichtons einzureihen.  Michael Crichton ist dabei immer ein sehr cineastischer Autor gewesen, der mit einem Paukenschlagauftakt das Tempo immer noch gehalten hat. Peter Clines geht in „Der Spalt“ ein wenig behutsamer vor.  Seinen Prolog kann der Leser erst später einordnen und aus dem potentiellen Verrückten wird ein unschuldiges Opfer. Mittler zum Leser ist ein ungewöhnliches, wie erstaunlich sympathisches Genie, das sich in erster Linie als High School Lehrer in einer kleinen Stadt vor der Öffentlichkeit und seinen eigenen Fähigkeiten versteckt. Leland „Mike“ Erikson ist hochbegabt. Er ist intelligent. Er hat ein eidetisches Gedächtnis. Er kann nichts vergessen. Peter Clines beschreibt diese Fähigkeit oder diesen Fluch sehr plastisch. Alles in seinem Gedächtnis ist nicht nur greifbar, es wirkt, als wenn es eben erst passiert ist. Die Zeit heilt bei ihm nicht alle Wunden. Wenn er auf die einzelnen Schubladen in seinem Gedächtnis zurückgreift, vergleicht er es mit einem Ameisenhaufen. Die fiktiven fleißigen Helfer schaffen die entsprechenden Erinnerungen heran und wie bei einem endlosen Film kann sie Mike sich immer wieder anschauen. Positiv ist, dass er zum Einschlafen sich aus seiner geistigen „Videothek“ einen Blockbuster „ausleihen“ kann. Negativ ist, dass er durch dieses Gedächtnis nicht nur ein perfekter Beobachter, sondern ein einsamer Mensch geworden ist.  Aber dieses Manko heilt anscheinend die obligatorische, ein wenig aufgesetzt erscheinende Liebesgeschichte. In technischer Hinsicht dank seiner pragmatischen Art ist er nicht nur der angesprochene Mittler zum Leser und seinem Vorgesetzten/ alten Schuldfreund Reggie, der für das Budget dieses natürlich geheimen Regierungsprojektes zuständig ist, sondern er ist ein kontinuierlicher Chronist einer Katastrophe, die durch die Gier nach Ehre und die Verzweiflung, Ergebnisse präsentieren zu müssen , erst im Stillen dann stark expandierend ausgelöst worden ist. Peter Clines macht aber auch die Veränderungen in seinem wichtigsten Charakter sehr überzeugend deutlich. An einer Stelle wird aus Mycroft Holmes schließlich Sherlock Holmes, der mit seiner Mischung aus Deduktion und Improvisation der Einzige ist, der im Gegensatz zu den schockierten Wissenschaftlern aktiv handelt.

Auf den anderen der zweihundert einführenden Seiten stellt Peter Clines nicht nur das Projekt vor- eine Teleportation durch die Faltung des Raums -, sondern vor allem auch die anderen Protagonisten prägnant vor. Bedenkt man, wie wichtig die einzelnen Personen für das Entwickeln der Handlung immer in einem engen Zusammenhang mit der revolutionären Transportmethode sind, dann agiert Peter Clines ein wenig zu nachlässig, zu stereotyp und vor allem sehr schematisch. Mike Erikson muss die sich insbesondere auch vor den politischen Gremien verschließenden Forscher erst einmal kennenlernen. Dazu befragt und vor allem beobachtet er sie einzeln.  Sie versuchen ihn zu überzeugen, dass bis auf den tragischen Tod eines Hundes während eines nicht genehmigten Tierexperiments niemand bislang zu Schaden gekommen ist und über 200 Transporte durchgeführt werden konnten. Erikson setzt diese Informationen durch seine immer wieder faszinierend beschriebene Ameisengedächtnisarmee in unterschiedlichen Variationen zusammen, bis ihm in doppelter Hinsicht ein schrecklicher Verdacht kommt. Die Wissenschaftler haben andere Gründe, ihre Formeln vor einer Kontrolle durch Rechnungsausschüsse zu verbergen.   Und die Risiken dieser Transportmethode sind bislang nur nicht erkannt worden. Risiken, die weit über die Probanten hinausgehen und schnell – wie es sich für derartige wissenschaftliche Thriller gehört – die ganze Welt bedrohen könnten.

Je weiter der Leser mit ein wenig Geduld im vorliegenden Thriller vordringt, desto mehr zerfällt die Geschichte in zwei unterschiedliche Hälften.  Da wären die Ereignisse um die Maschine herum. Die einzelnen neuen Tests werden inklusiv einer sich natürlich anbahnenden Katastrophe und einigen gut geschriebenen Schockmomenten nachvollziehbar beschrieben. Es ist faszinierend, diese aus „Star Trek“ und natürlich für deutsche Leser aus der Perry Rhodan Serie bekannte Technik mit den technischen Fähigkeiten der Gegenwart entwickelt zu verfolgen. Bizarr wird die Geschichte, wenn die Wissenschaftler eines ihrer Geheimnisse offenbaren müssen und sich die Quelle positiv gesprochen als obskur und fragwürdig herausstellt. Der Leser ist in diesem Abschnitt des Buches selbst dem hyperintelligenten Mike aufgrund der Erfahrungen aus Film/ Fernsehen mehr als einen Schritt voraus. Spannung konnte Clines vor allem inhaltlich während des Handlungsabschnitts aufbauen, der in den ersten Stunden/ Tagen nach Mikes Ankunft in dem geheimen Labor spielt. Später kommen die einzelnen Phasenverschiebungen inklusiv der paranoiden Anwandlungen hinzu, die mit besser ausgearbeiteten Charakteren sehr viel effektiver gewirkt haben. Da sich der Autor nicht auf einen vor allem theoretisch angelegten Wissenschaftsthriller verlassen wollte, muss eine greifbare, möglichst bizarre Bedrohung eingeführt werden. Im Gegensatz zu den virtuellen Ameisen in Mikes Hirn, hat sich Peter Clines ebenfalls ein tierisches Bild ausgedacht.  Der Roman erhält dadurch einige Bezüge zum Horror und spätestens mit dem Auftritt der natürlich arrogant selbstbewussten, aber angesichts der Bedrohung auch überforderten Marines lehnt sich „Der Spalt“ nicht unbedingt an das „Monster der Woche“ an, aber es kommt ihm sehr nahe. Zumindest bleibt der Autor seiner Linie treu und wenn plötzlich statt einer vierhundertfünfzig Ladungen C4 Sprengstoff an einer Stelle befestigt sind, ahnt man die Dimensionen, die der Amerikaner mit seiner Prämisse erschaffen wollte.  Die zweite Hälfte des Buches ist handlungstechnisch inklusiv einer plottechnisch notwendigen Romanze stimmungstechnischer überzeugender, aber inhaltlich sehr viel zugänglicher bis teilweise einfacher gestrickt, so dass an einigen Stellen der Plot eher mechanisch als inspiriert abläuft.  Es ist ohne große Schwächen, aber leider erkennbaren wissenschaftlichen Logiklöchern ein wenig relativiert durch die obskuren Grundlagen dieser Forschung ein guter zu lesender moderner Wissenschaftsthriller, der nur vordergründig in die Tiefe gehen will, hintergründig aber in einer anderen Variation die Grundgeschichte entwickelt, die Michael Crichton vor fast vierzig Jahren in „Andromeda- der tödliche Staub aus dem Weltall“ schon auf eine exzellente Spitze getrieben hat: keine Forschung ohne einen nicht immer bezahlbaren Preis.

Originaltitel: The Fold
Originalverlag: Crown
Aus dem Amerikanischen von Marcel Häußler

Deutsche Erstausgabe

Taschenbuch, Broschur, 528 Seiten, Heyne Verlag