Omni

Andreas Brandhorst

Andreas Brandhorsts "Omni" spielt im gleichen Universum wie sein letztes Jahr publizierter Roman "Das Schiff". Es ist nicht unbedingt notwendig, den ersten Roman zu kennen, aber um die zumindest vordergründige Komplexität seines Universums zu verstehen, hilft es, in dieses noch weitere Bücher umfassende Universum eher mit "Das Schiff" einzusteigen. Dabei geht Andreas Brandhorst auch bei "OmnI" sehr geschickt vor. Das Einstiegsszenario wird relativ "einfach" gestaltet. Nur noch sechs Menschen haben Zugang zu dem eher ambivalent gestalteten "Omni", dem Zusammenschluss von Superzivilisationen, welche - aber nicht bis in das letzte Moment ausgestaltet - grundsätzlich die Macht in der Milchstraße inne haben. Einer dieser relativ Unsterblichen ist Aurelius, der gerade eine Mission abgeschlossen hat. Er könnte in das Kontinuum zurückkehren. Stattdessen entschließt er sich - seine Motive bilden einen wichtigen Teil des Übergangs zu der Fortsetzung - eine letzte, natürlich gefährliche Mission zu übernehmen. 

 An Bord eines im Hyperraum gestrandeten Ramschiffs namens "Kuritania" befindet sich ein Artefakt, das über nicht einschätzbare Kräfte verfügt. Aurelius ist aber nicht der einzige, der sich für das Wrack interessiert. Der Agent Forrester und seine Tochter Zinnober leben seit vielen Jahren auf einer paradiesischen Welt. Eine geheimnisvolle Organisation zwingt Forrester, zusammen mit einer ihn freiwillig, aber gegen Forresters Willen begleitenden Zinnober, nach dem Wrack zu suchen, das Artefakt zu bergen und vor allem Aurelius zu entführen. Er istr als einziger der sechs Übermenschen "greifbar" und kann das Artefakt natürlich auch mit seinen geheimnisvollen Kräften aktivieren. 

 Natürlich ist Andreas Brandhorsts neuer Roman wieder großes Kino. Alles ist gigantisch, uralt, mächtig, sonderbar und exotisch. Auf dieser langen Reise besucht der Leser zusammen mit den Protagonisten viele sehr unterschiedliche Welten, auf denen sich Dramen abgespielt haben. Dazu das im Hyperraum gestrandete Schiff mit tausenden von Toten. Menschliche Abgründe und die nur scheinbare Toleranz der Superzivilisation stehen sich konträr gegenüber. Philosophische Exzesse mit dem Deutschen Leibniz erinnern aber auch an Frank Haubold, der in seinem Götterdämmerungsepos auf den deutschen Dichter Rilke zurückgegriffen hat. Dabei setzt Andreas Brandhorst diese philosophisch literarischen Exkurse nicht belehrend ein, sondern um seinen farbenprächtigen Universum auch eine intellektuelle Tiefe zu geben, die aber kritisch gesprochen inhaltlich sich nicht an allen Stellen widerspiegelt. Zu sehr weicht der Autor an entscheidenden Punkten aus. Wer sich schon länger mit Andreas Brandhorst inzwischen umfangreichen Werk und vor allen seinen in den achtziger Jahren veröffentlichten Romanen auseinandersetzt, wird diese Ambivalenz schon kennen. Als Auftaktband einer neuen Serie will sich der Autor alle Türen offen lassen und das nur teilweise abgeschlossene Ende unterstreicht diese Vorgehensweise überdeutlich, aber eine ausschließliche Auseinandersetzung mit Fragen aller Art ohne echte Antworten zu erhalten, kann über einen Zeitraum den Leser auch ermüden. Hier hätte auch umfangtechnisch eine bessere Fokussierung dem Roman gut getan. Die Exkurse - teilweise an spannenden Stellen - in die Vergangenheit der drei wichtigsten Charaktere unterstreichen den inzwischen deutlich besseren Zugriff Brandhorsts auf seine Figuren. In seinen ersten Büchern aus den achtziger Jahren des letzten bis teilweise in den Kantaki Zyklus des 21. Jahrhunderts hinein dienten seine Protagonisten eher als Staffage, um die exotischen Hintergründe zu beleben denn als dreidimensionale, vom Schicksal geschlagene Figuren. Hintergrundtechnisch liessen sich seine Romane immer wieder mit Iain Banks umfangreichen "Culture" Zyklus vergleichen, aber der wieder in Norddeutschland lebende Autor konnte das Ungleichgewicht zwischen seiner intergalaktischen Bühne sowie den manchmal Laiendarsteller nicht schließen.

 Im Mittelpunkt stehen auf der einen Seite Vinzent Akurian Forrester und seine uneheliche Tochter Isdina- Iaschua. Forrester ist anfänglich ein typischer müder Agent, der sich von seinem Auftraggeber – der Agentur – befreit hat. Er weiß noch nicht lange, dass er Vater ist. Zinnobers Mutter hat ihr Leben auf der Flucht während der letzten Mission verloren, Forrester übernahm die Verantwortung für das Mädchen, das inzwischen durch die schnelle Reife der Crohani – sie ist nur halbmenschlich – in ihrem Versteck zur Frau gereift hat. Andreas Brandhorst hat wahrscheinlich durch seine Lebenserfahrung auch als Vater diese nicht einfache Beziehung gut im Griff. Immer am Rande des Klischees – Forrester versucht Zinnober mehrmals zu schützen, was im Umkehrschluss immer zu noch größeren Bedrohungen führte – bewegt er sich routiniert auf dieser Ebene. Forrester ist dabei eher ein pragmatischer Opportunist, wobei sich einem logisch denkenden Leser unwillkürlich die Frage stellt, warum eine so mächtige Organisation wie die Agentur sich in erster Linie auf einen ohne Frage routinierten Agenten konzentriert und nicht andere Mittel in Bewegung setzt. Aber dem klassischen Agenten/ Einzelgängerplot mit Anhang folgend muss der Leser diese Einschränkungen in Kauf nehmen. Der Gegenentwurf ist auf den ersten Blick Aurelius. Er ist alt, sehr alt. Er ist sehr erfahren, aber er ist noch nicht mit der Welt fertig. Rückblickend bleibt das unbestimmte Gefühl, als wenn Aurelius im Grunde weder mit dem „Omni“ noch den normalen Menschen etwas anfangen möchte. Er sucht neue Chancen oder Herausforderungen. Interessant ist, dass sich rückblickend herausstellt, dass er eine Mission hat, die er aber den ganzen Roman betrachtend ambivalent je nach Situation in den Vorder- bzw. Hintergrund rückt. Auch die Idee, dass seine Langlebigkeit keine rein biologische Ursache hat, sondern er auf ein „Gerät“ angewiesen ist, erinnert stark an die Perry Rhodan Serie. Aurelius Gegenspieler ist der Chef der Agentur Benedikt. Brandhorst bereitet den finalen Showdown sehr gut vor, aber fokussiert sich wie schon erwähnt angesichts der verschiedenen Einflüsse zu sehr.

Natürlich stellt die Omni Technik eine Art „MacGuffin“ dar. Sie dient als roter Faden, nachdem alle suchen. Da Andreas Brandhrost nicht zu sehr ins Detail geht, lässt er sich alle Hintertüren offen und die vorläufig finale Auseinandersetzung ist eher folgerichtig als überraschend. Mit den Engeln, die im „Sprawl“, aber nicht unbedingt Hyperraum leben, hat Andreas Brandhorst nicht zum ersten oder wahrscheinlich letzten Mal in seinem umfangreichen Werk eine übernatürliche Wesenheit „erschaffen“, über die man sehr gut lesen kann, deren Eingriffe in die laufende Handlung beschränkt sind. Die Engel gehören wie die unterschiedlichen Welten, die im Rahmen dieser mehrfachen Quest besucht werden müssen, zu den Höhepunkten des Romans. Mit seinem leider nicht schnörkellosen, sondern inzwischen auch ein wenig zu selbstgefälligen Stil – lange Sätze, keine echte Tempoverschiebung und die Angewohnheit, an nicht immer glücklichen Stellen unbedingt Informationen liefern oder noch schlimmer nachliefern zu müssen – blockiert sich der Autor an einigen wichtigen Stellen selbst. Nicht selten bleibt das unbestimmte Gefühl, als fülle Andreas Brandhorst ohne Frage nicht ungeschickt sein Universum absichtlich mit möglichst vielen Ablenkungsmanövern, um kritisch gesprochen die grundlegend dürftige und auf Klischees aufbauende Handlung fleischiger erscheinen zu lassen. Betrachtet der Leser nur das Korsett des Romans, dann ist „Omni“ eine im Grunde altbekannte und leider aus Versatzstücken zusammengesetzte Handlung, die sich ohne das von Brandhorst lesenswert gestaltete Fleisch problemlos in die Pulp Geschichten der vierziger und fünfziger Jahre einreihen könnte. Je nach Lager handelt es sich bei „Omni“ um einen typischen Brandhorst Roman, der vor allem seine Fans begeistern wird, während es im Rahmen der Space Opera viel Rauch um im Kern leider zu wenig gibt.

 

  • 560 Seiten, Klappenbroschur
  • Paperback Piper Verlag
  • ISBN: 978-3-492-70359-8