Der Tod in Italbar

Der Tod in Italbar, Roger Zelazny, Titelbild
Roger Zelazny

Über den Charakter des Weltenschöpfers Francis Sandow ist der 1973 veröffentlichte Roman "Der Tod in Italbar" locker mit "Die Insel der Toten" verbunden. Der deutsche Titel ist weniger doppeldeutig als Roger Zelaznys Original "To die in Italbar“. In dem amerikanischen Original spiegelt sich die melancholische Sehnsucht wieder. Erstaunlich ist, dass im Gegensatz zum kompakten und in mehrfacher Hinsicht sehr befriedigenden „Die Insel der Toten“ Roger Zelaznys nicht einmal umfangreiche  "Fortsetzung" in verschiedene Episoden zerfällt, obwohl zwei der zugrunde liegenden Protagonisten unglaublich stark und einzigartig selbst im umfangreichen wie experimentellen Werk charakterisiert worden sind.

Vor allem durch seine Romane zieht sich eine sehr individuelle Auseinandersetzung mit Religion im Allgemeinen und ihren jeweiligen nicht fehlerfreien, manchmal zutiefst menschlichen „Führern“ im Besonderen.  In seinem Debüt „Fluch der Unsterblichkeit“ setzte er sich mit der griechischen Mythologie auseinander. Im „Herr des Lichts“ mit dem Hinduismus/ Buddhismus. In „Creatures of Light and Darkness“ ging es um das alte und moderne Ägypten. „Der Tod in Italbar“ könnte eine verklärte Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben im Allgemeinen und einer Jesus vergleichbaren Figur im Besonderen sein.

 Den ganzen Plot anschauend wirkt „Der Tod in Italbar“ wie der Versuch, eine durchaus stringente und philosophisch unglaublich interessante Geschichte in Form des „New Wave“ mit der Auflösung von Strukturen und klassischen Plotelementen zu erzählen. Wenige Jahre später wird Roger Zelazny diese Art der Erzählung mit „Straße nach Überallhin“ perfektionieren und die erkennbaren strukturellen Schwächen des vorliegenden Romans durch eine intensivere Fokussierung auf einen Handlungsbogen und vor allem eine Handvoll sehr guter Charaktere auch unter Ausnutzung einer Reihe genretechnischer Klischees ausgleichen. „Der Tod in Italbar“ versucht zu viel und liefert gerade wegen der charismatischen, aber auch inzwischen so typisch signifikanten Figuren zu wenig.

 Wie in einigen anderen seiner Bücher weigert sich Roger Zelazny, den Hintergrund seiner Geschichte anfänglich zu extrapolieren. „Straße der Verdammnis“ beginnt mit der Verhaftung Hell Tanners. „Straße nach Überallhin“ mit einer Polizeikontrolle wegen Waffenschmuggels nach Sparta, um den Griechen zu helfen. Alltägliche Situationen werden verzerrt. „Der Tod in Italbar“ startet ebenfalls mitten in einer Actionszene. Ein Mann namens Malacar und sein bepelzter, Gedanken lesender außerirdischer absichtlich gegen H. Beam Piepers Fuzzys charakterisierter  Begleiter verstecken eine Bombe in einem Warenhaus. Sie töten nicht nur eine Handvoll Unschuldige, sondern zerstören auch wertvolle Handelswaren. Motive werden nicht extrapoliert.

Malacar ist dabei ein klassischer Protagonist, der sich von den beiden anderen signifikanten Figuren des Buches sehr deutlich unterscheidet. Natürlich ist er eine Art Macho. Natürlich kommt manchmal ein nicht immer passender oder lustiger Spruch über seine Lippen. Er raucht Kette und ist auch Alkohol nicht abgeneigt. Er scheint kein getriebener Fanatiker zu sein. Viel mehr gehört er zu der Gruppe von „Söldnern“, welche ihre politisch wirtschaftliche Meinung eher wie einen Schild vor sich her tragen, in dessen Schatten sie aber ganz andere Absichten haben. In jedem anderen Roman wäre Malacar wahrscheinlich auch eine dominierende, sogar dominante Figur gewesen. In „Der Tod in Italbar“ mit zwei sehr konträren Protagonisten auf den anderen beiden, aber schließlich zusammenlaufenden Handlungsebenen wirkt Malacar eher wie eine Art Klischee, das andere Autoren in ihren Zelazny Imitationen zu entwickeln suchten.

Selbst der Weltenbauer Francis Sandow erscheint anfänglich blass. Die Vorfälle in „Die Insel der Toten“, die ihn persönlich betroffen haben, werden nicht erwähnt. Es ist daher nicht unbedingt notwendig, „Die Insel der Toten“ vorher gelesen zu haben, auch wenn es das deutlich stärkere Buch ist. Sandow ist menschlicher geworden. Er ist bereit, einen Großteil seines Reichtums für ein fast nostalgisches Ziel zu opfern. Er wirkt wieder menschlicher und ist nicht mehr der charismatische Einzelgänger, der sich sowohl seiner monetären Macht als auch seines Ruhms sehr bewusst ist. Sandow dient aber als Mittler zum Leser. Nur er kann die unglaublichen Ereignisse in Worte fassen und nur er scheint Verdammnis/ Rettung greifbar machen zu können.

 Roger Zelaznys „Heilige“ sind immer Fehler behaftet. Ein Musterbeispiel ist Sam, aus „Der Herr des Lichts“. Er hat Kräfte, die einem Gott entsprechen. Auf der anderen Seite raucht er. Er ist ein Spitzbube wie in den chinesischen Sagen, der mit Intelligenz und Schlagfertigkeit seine überlegenen Gegner besiegt. Trotzdem verfügt er über ein Gewissen, das ihn auf seiner Mission wider Willen nicht beschützt, sondern beinahe scheitern lässt.

 Auch Hymack ist vom Fluch und Segen zugleich gezeichnet.  Er dominiert die erste Hälfte des Romans und gehört zu Zelaznys besten Schöpfungen. Die Menschen nennen ihn H.  Er ist der Aussätzige. Er ist natürlich teilweise übertrieben mit allen Krankheiten der bekannten Galaxis geschlagen. Er nimmt sie in sich auf. Er durchleidet sie. Aber sein Blut produziert auch entsprechende natürliche Antiseren. Er ist ein Heilsbringer und ein verfluchter Mann zugleich. Nur selten ist Roger Zelazny der Idee des fliegenden Holländers in seiner bevölkerten Galaxis näher gekommen als bei H. Denn H. kann auch einem Planeten den Tod bringen. Nirgends wird dieser Widerspruch im Buch deutlicher als während seiner ersten Kapitel. Er hilft mit seinem Blut, eine seltsame Krankheit zu besiegen. Kurze Zeit später spürt er, dass er eine Seuche in sich ausbrütet, welche den Planeten betreffen wird. Er versucht sich auf Italbar zu verstecken. Er wird gefunden, gejagt und geschlagen. Aus dem „Helden“ ist ein Verfolgter geworden.

 Auf dieser Prämisse baut Roger Zelazny im Kern eine Fantasy Handlung auf. Er offenbart Hs. Hintergrund. Als Geologe hat er einen Planeten besucht, auf dessen Oberfläche die Ruinen einer uralten Rasse gefunden worden sind. Anscheinend haben sie eine janusköpfige Göttin angebetet. Sie stand in den Überlieferungen der Fremden für Leben und Tod. Anscheinend hat sich H. angesteckt und wird von den Kräften der verstorbenen Göttin mehr und mehr übernommen.

 Roger Zelazny bemüht sich, den tragischen Hintergrund Hs zu entwickeln und dadurch Mitleid beim Leser für seinen Helden zu erwecken. Je weiter der Autor auch mittels Rückblenden in diese Richtung zielt, um so schwieriger wird es, zwischen der fast surrealistischen Faszination der Figuren und den eher mystischen, leider auch oberflächlichen Erklärungen Zelaznys zu differenzieren. Weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen. Vor allem in „Herr des Lichts“ hat sich der Amerikaner mit Andeutungen begnügt. Auch hier handelt es sich um das Erbe einer höher entwickelten Zivilisation, das sich negativ auf ein primitives Volk auswirkt.

 H. wäre in seiner ganzen Tragik als Heiler und „Mörder“ ein für den ganzen Roman ausreichender Protagonist, dem Francis Sandow in einer absoluten Nebenrolle mit zu wenigen Auftritten aus opportunistischen Gründen zu Hilfe eilt. Um die Begegnung dieser so unterschiedlichen Männer – H ein Getriebener, Sandow einer der reichsten Menschen in der bekannten Galaxis – herum hätte Roger Zelazny durchaus eine stringente Geschichte entwickeln können. So gehört der Auftakt von „Der Tod in Italbar“ zu den stärksten Passagen der ohne Frage kurzweilig zu lesenden, zu sehr in Alfred Bester Manier mit Facetten und Fragmenten, ineinander übergehenden Handlungsbögen und zu vielen Fragen bei zu wenigen Antworten entwickelten Handlung.

 Grundsätzlich hat Roger Zelazny aber versucht, zu viel in zu wenig Plot zu packen. Die Ideen wirken nicht alle abschließend genug entwickelt und erscheinen wie Schlaglichter in einem kosmopolitischen, durchaus auch tragischen Szenario, dem sich der Autor auch erzähltechnisch verweigert. Die Grundidee ist sehr viel stärker als bei „Die Insel der Toten“, in dem es nur um eine mit Hinweisen gespickte Suche nach einem alten Feind geht. Aber während „Die Insel der Toten“ melancholisch nachdenklich stimmend und stimulierend ist, erdrückt Roger Zelazny ein wenig übermütig und angesichts de Tragik seines Protagonisten fast leichtfertig diese Entwicklungen mit einer zu künstlich stilisierten und dadurch nicht befriedigenden Erzählstruktur.          

Originalausgabe erschienen 1973

Originaltitel „To Die in Italbar“

Heyne Verlag

deutsche Ausgabe 1975

159 Seiten

ISBN 3-453-30324-5